Die Schwierigkeiten der Kirche im Umgang mit dem heiligen Papst Pius X.


Papst Pius X. 1903-1914
Papst Pius X. 1903–1914

(Rom) Zum 100. Todes­tag des hei­li­gen Pap­stes Pius X. ver­öf­fent­lich­te der Osser­va­to­re Roma­no eine Wür­di­gung, die in Wirk­lich­keit eine Kri­tik ist und den Ver­such einer Usur­pa­ti­on von Papst Giu­sep­pe Sar­to für die Kon­zils- und Nach­kon­zils­ideo­lo­gie unter­nimmt. Dage­gen mel­de­te sich der bekann­te Histo­ri­ker Rober­to de Mat­tei zu Wort. 

Anzei­ge

Er weist die­sen Ver­such zurück und zeigt auf, wie schwer sich Kir­chen­krei­se heu­te bis in die höch­sten Ebe­nen hin­auf mit der gro­ßen Gestalt des hei­li­gen Pius X. tun, der die Kir­che von 1903 bis 1914 regier­te. Schwie­rig­kei­ten, die – so de Mat­tei – daher rüh­ren, daß heu­te auch in der Kir­che gro­ße Ver­wir­rung herr­sche, ja viel­fach jene Ideen ton­an­ge­bend sei­en, die Pius X. im Moder­nis­mus bekämpfte.

Um die­sen Bruch zu kaschie­ren, wer­de zum Teil ver­sucht, nach­träg­lich den bekämpf­ten Papst in die „theo­lo­gi­sche Moder­ne“ zu inte­grie­ren. Ein Miß­brauch, der einer „Belei­di­gung“ von Pius X. gleich­kom­me und dem Rober­to de Mat­tei ent­schie­den ent­ge­gen­tritt. Die Erst­ver­öf­fent­li­chung erfolg­te am 26. August durch Cor­ri­spon­den­za Roma­na. Die Zwi­schen­ti­tel stam­men von der Redaktion.

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In Memoriam: Das wahre Gesicht des Heiligen Pius X.

von Rober­to de Mattei

Hun­dert Jah­re nach sei­nem Tod erhebt sich die Gestalt des hei­li­gen Pius X. schmerz­lich und maje­stä­tisch am Fir­ma­ment der Kir­che. Die Trau­rig­keit, die den Blick von Papst Sar­to auf den letz­ten Pho­to­auf­nah­men umgibt, läßt nicht nur die kata­stro­pha­len Fol­gen des Ersten Welt­krie­ges erah­nen, der drei Wochen vor sei­nem Tod aus­ge­bro­chen war. Was sei­ne See­le vor­aus­zu­ah­nen scheint, ist eine Tra­gö­die von weit grö­ße­rer Trag­wei­te als die Krie­ge und Revo­lu­tio­nen des 20. Jahr­hun­derts: Die Apo­sta­sie der Natio­nen und selbst der Kir­chen­män­ner im Jahr­hun­dert, das fol­gen sollte.

Hauptgegner Modernismus

Pius X.: "Vorahnung eines gigantischen Glaubensabfalls?"
Pius X.: „Vor­ah­nung eines gigan­ti­schen Glaubensabfalls?“

Der Haupt­geg­ner, dem der hei­li­ge Pius X. ent­ge­gen­tre­ten muß­te, hat­te einen Namen, mit dem ihn auch der Papst benann­te: Moder­nis­mus. Der scho­nungs­lo­se Kampf gegen den Moder­nis­mus zeich­net sein Pon­ti­fi­kat auf unver­gäng­li­che Wei­se aus und stellt das ent­schei­den­de Ele­ment sei­ner Hei­lig­keit dar. „Die Klar­heit und die Stand­haf­tig­keit, mit der Pius X. sei­nen sieg­rei­chen Kampf gegen die Irr­tü­mer des Moder­nis­mus führ­te, bele­gen, in welch heroi­schem Tugend­grad der Glau­be in sei­nem hei­li­gen Her­zen brann­te (…)“, so Pius XII. in sei­ner Rede zur Hei­lig­spre­chung von Pius X.

Dem Moder­nis­mus, der als „welt­wei­te Apo­sta­sie vom Glau­ben und der Ord­nung der Kir­che“ auf­trat, stell­te der hei­li­ge Pius X. eine ech­te Erneue­rung der Kir­che ent­ge­gen, deren Kern die voll­stän­di­ge Bewah­rung und Wei­ter­ga­be der katho­li­schen Wahr­heit bil­de­te. Die Enzy­kli­ka Pas­cen­di domi­ni­ci gre­gis (1907), mit der er die Irr­tü­mer des Moder­nis­mus zer­schmet­ter­te, ist das bedeu­tend­ste theo­lo­gi­sche und phi­lo­so­phi­sche Doku­ment, das die Kir­che im 20. Jahr­hun­dert her­vor­brach­te. Der hei­li­ge Pius X. beschränk­te sich nicht dar­auf, das Böse nur in den Ideen zu bekämp­fen, als wür­den sie los­ge­löst von den Men­schen in der Geschich­te exi­stie­ren. Er muß­te auch die Trä­ger die­ser Irr­tü­mer bekämp­fen, indem er die kirch­li­che Zen­sur und Über­wa­chung von Semi­na­ren und päpst­li­chen Uni­ver­si­tä­ten anord­ne­te und von allen Prie­stern die Able­gung eines Anti­mo­der­ni­sten­eides verlangte.

Der Osservatore Romano und eine zweifelhafte Ehrung

Die­se kon­se­quen­te Fol­ge­rich­tig­keit zwi­schen päpst­li­cher Leh­re und dem päpst­li­chem Han­deln löste har­te Angrif­fe durch kryp­to-moder­ni­sti­sche Krei­se aus. Als Pius XII. sei­ne Selig­spre­chung (1951) und Hei­lig­spre­chung (1954) vor­nahm, wur­de Papst Sar­to von sei­nen Geg­nern beschul­digt, nicht auf der Höhe der Zeit gewe­sen zu sein und den Moder­nis­mus mit bru­ta­len Poli­zei­me­tho­den unter­drückt zu haben. Pius XII. über­trug Msgr. Fer­di­nan­do Anto­nel­li, dem künf­ti­gen Kar­di­nal, die Redak­ti­on einer geschicht­li­chen Dis­qui­si­tio auf der Grund­la­ge von Zeug­nis­sen und Doku­men­ten zur Wider­le­gung der gegen sei­nen Vor­gän­ger erho­be­nen Anschul­di­gun­gen. Heu­te tau­chen die­se Vor­wür­fe sogar in den „Ehrun­gen“ auf, die der Osser­va­to­re Roma­no dem hei­li­gen Pius X. aus­ge­rech­net am 20. August, sei­nem 100. Todes­tag, aus der Feder von Car­lo Fan­tap­pié widmete.

Giampaolo Romanato: Pius X.
Giam­pao­lo Romana­to: Pius X.

Pro­fes­sor Fan­tap­pié geht, im Bestre­ben sich von der „Instru­men­ta­li­sie­rung durch die Lefeb­vria­ner“ zu distan­zie­ren, wie er auf unglück­li­che Wei­se schreibt, indem er einen Begriff ohne jede theo­lo­gi­sche Bedeu­tung gebraucht, in sei­ner Rezen­si­on für die Tages­zei­tung des Hei­li­gen Stuhls des Buches von Giam­pao­lo Romana­to: Pio X. Alle ori­gi­ni del cat­to­li­ce­si­mo con­tem­po­ra­neo (Pius X. Am Ursprung des heu­ti­gen Katho­li­zis­mus, Lin­dau, Turin 2014) soweit, sich mit dem Stand­punkt der moder­ni­sti­schen Histo­ri­ker zu identifizieren.

Pius X. eine „Geißel der Modernisten“

Er schreibt Pius X. tat­säch­lich „ein auto­kra­ti­sches Ver­ständ­nis der Lei­tung der Kir­che“ zu, ver­bun­den mit „einer ten­den­zi­ell defen­si­ven Hal­tung gegen­über dem Estab­lish­ment und einer miß­traui­schen gegen­über sei­nen eige­nen Mit­ar­bei­tern, an deren Treue und Gehor­sam er nicht sel­ten zwei­fel­te“. Das „erklärt auch, die gren­zen­lo­se Heim­lich­tue­rei des Pap­stes oder sei­nen beson­de­ren Arg­wohn und sei­ne Här­te gegen man­che Kar­di­nä­le, Bischö­fe und Kle­ri­ker. Gestützt auf die jüng­ste Erfor­schung der vati­ka­ni­schen Unter­la­gen, besei­tigt Romana­to end­gül­tig jene apo­lo­ge­ti­schen The­sen, die die Ver­ant­wor­tung für die Poli­zei­maß­nah­men den eng­sten Mit­ar­bei­tern statt direkt dem Papst anzu­la­sten ver­such­ten.“ Es han­delt sich um die­sel­be Kri­tik, die vor eini­gen Jah­ren von Alber­to Mel­lo­ni unter dem Titel Pius X., die Gei­ßel der Moder­ni­sten vor­ge­bracht wur­den: „die Unter­la­gen erlau­ben es uns, das Jahr zu bele­gen, in dem Pius X. bewuß­ter und akti­ver Teil der von den Anti­mo­der­ni­sten ange­wand­ten insti­tu­tio­nel­len Gewalt war“ (Cor­rie­re del­la Sera vom 23. August 2006).

Das eigent­li­che Pro­blem sei nicht „die Metho­de, mit der der Moder­nis­mus unter­drückt wur­de, son­dern die Zweck­mä­ßig­keit und Gül­tig­keit sei­ner Ver­ur­tei­lung“. Die Sicht­wei­se des hei­li­gen Pius X. sei durch die Geschich­te „über­holt“ gewe­sen, weil er die Ent­wick­lun­gen der Theo­lo­gie und der Ekkle­sio­lo­gie des 20. Jahr­hun­derts nicht ver­stan­den habe. Sei­ne Gestalt habe letzt­lich die dia­lek­ti­sche Rol­le einer Anti­the­se zur The­se der „theo­lo­gi­schen Moder­ne“ gespielt. Dar­aus schließt Fan­tap­pié, daß es die Rol­le Pius X. gewe­sen sei, „den Katho­li­zis­mus von den Struk­tu­ren und der Men­ta­li­tät der Restau­ra­ti­on zur insti­tu­tio­nel­len, juri­di­schen und pasto­ra­len Moder­ne überzuleiten“.

Cristina Siccardi entwirrt verwirrtes Bild von Pius X.

Cristina Siccardi: Pius X.
Cri­sti­na Sic­car­di: Pius X.

Um aus die­ser Ver­wir­rung wie­der her­aus­zu­fin­den, kön­nen wir auf ein ande­res Buch zurück­grei­fen, jenes von Cri­sti­na Sic­car­di, das soeben im Ver­lag San Pao­lo mit dem Titel San Pio X. Vita del Papa che ha ordi­na­to e rif­or­ma­to la Chie­sa (Hei­li­ger Pius X. Das Leben des Pap­stes, der die Kir­che geord­net und erneu­ert hat) und dem wert­vol­len Vor­wort von Sei­ner Emi­nenz Ray­mond Kar­di­nal Bur­ke, dem Prä­fek­ten des Ober­sten Gerichts­hofs der Apo­sto­li­schen Signa­tur erschie­nen ist.

Dar­in erin­nert der Kar­di­nal dar­an, daß der hei­li­ge Pius X. bereits mit sei­ner ersten Enzy­kli­ka E supre­mi apo­sto­la­tus vom 4. Okto­ber 1903 das Pro­gramm sei­nes Pon­ti­fi­kats bekannt­gab. Ein Pon­ti­fi­kat, das sich einer Situa­ti­on gegen­über­sah, in der zum Glau­ben in der Welt Ver­wir­rung und Irr­tü­mer herrsch­ten und in der Kir­che vie­le den Glau­ben ver­lo­ren hatten.

Kardinal Burke ehrt Reformwerk Pius X.

Die­ser Apo­sta­sie stell­te er die Wor­te des hei­li­gen Pau­lus ent­ge­gen: „Instaura­re omnia in Chri­sto“, alles in Chri­stus erneu­ern. „Instaura­re omnia in Chri­sto ist wirk­lich die Sum­me des Pon­ti­fi­kats des hei­li­gen Pius X., das ganz auf die Rechri­stia­ni­sie­rung der vom libe­ra­len Rela­ti­vis­mus ange­grif­fe­nen Gesell­schaft aus­ge­rich­tet war, der die Rech­te Got­tes im Namen einer von jeder Bin­dung an den Schöp­fer los­ge­lö­sten ‚Wis­sen­schaft‘ mit Füßen trat.“ (Sei­te 9).

Aus die­ser Per­spek­ti­ve ist das Reform­werk des hei­li­gen Pius X. zu sehen, das vor allem ein kate­che­ti­sches Werk war, weil er die Not­wen­dig­keit erkann­te, den sich aus­brei­ten­den Irr­tü­mern eine immer tie­fe­re Kennt­nis des Glau­bens ent­ge­gen­zu­set­zen, auch unter den ein­fach­sten Men­schen, ange­fan­gen bei den Kin­dern. Gegen Ende des Jah­res 1912 ver­wirk­lich­te sich sein Wunsch mit der Ver­öf­fent­li­chung des Kate­chis­mus, der unter sei­nem Namen bekannt wur­de und ursprüng­lich für die Diö­ze­se Rom bestimmt war, dann aber in allen Diö­ze­sen der Welt ver­brei­tet wurde.

Pius X. suchte nicht Konsens der Welt, sondern Gottes

Das gigan­ti­sche Reform- und Restau­ra­ti­ons­werk des hei­li­gen Pius X. wur­de selbst von Kir­chen­krei­sen nicht ver­stan­den. „Der hei­li­ge Pius X. such­te nicht den Kon­sens der Römi­schen Kurie, der Prie­ster, der Bischö­fe, der Kar­di­nä­le, der Gläu­bi­gen und vor allem such­te er nicht den Kon­sens der Welt, son­dern immer und allein den Kon­sens Got­tes, auch um den Preis, daß sein Bild in der Öffent­lich­keit Scha­den nahm, denn es steht außer Zwei­fel, daß er sich durch sei­ne Vor­ge­hens­wei­se vie­le Fein­de mach­te, noch zu Leb­zei­ten und erst recht im Tod“ (Sei­te 25).

Pius X. taugt nicht als „Vorläufer“ Kardinal Kaspers

Heu­te kön­nen wir sagen, daß die schlimm­sten Fein­de nicht jene sind, die ihn fron­tal angrei­fen, son­dern jene, die die Bedeu­tung sei­nes Wer­kes zu ent­lee­ren ver­su­chen, indem sie ihn zu einem Vor­läu­fer der Kon­zils- und Nach­kon­zils­re­for­men machen wol­len. Die Tages­zei­tung La Tri­bu­na di Tre­vi­so infor­miert uns, daß anläß­lich des 100. Todes­ta­ges des Hei­li­gen Pius X. die Diö­ze­se Tre­vi­so „den Geschie­de­nen und nicht­ehe­li­chen Part­ner­schaf­ten die Türen geöff­net“ hat und sie in fünf Kir­chen ein­lud, dar­un­ter auch jene von Rie­se, dem Geburts­ort von Papst Giu­sep­pe Sar­to, zum Zweck für ein gutes Gelin­gen der Bischofs­syn­ode über die Fami­lie im Okto­ber zu beten, für die Kar­di­nal Kas­per mit sei­nem Refe­rat beim Kar­di­nals­kon­si­sto­ri­um vom 20. Febru­ar die Linie dik­tiert hat. Aus dem hei­li­gen Pius X. einen Vor­läu­fer von Kar­di­nal Kas­per machen zu wol­len, ist eine Belei­di­gung, ange­sichts der die ver­ach­ten­de Defi­ni­ti­on Mel­lo­nis von der „Gei­ßel der Moder­ni­sten“ zum Kom­pli­ment wird.

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana/​Wikicommons

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