(Rom) Kann es sein, daß ein „emeritierter Papst“, so sehr er ein Vertreter des Konzils sein mag, ruhigen Gewissens die Verunstaltung des Herrn, der Kirche, des Papsttums und des sensus fidei des treuen Volkes mitansehen kann, wie jene des Fronleichnamsfestes, nachdem wir bereits jene des Gründonnerstags und von Pfingsten erleben mußten? Kann es sein, daß Bischöfe und Priester weiterhin schweigen? Ein Leser schrieb: „Es ist eine Schande, daß kein Prälat, keiner, weder einer im Dienst noch einer in Pension, laut seine Stimme erhebt und sagt: Schluß damit!“ Statt dessen sind alle fleißig dabei, dieselbe Richtung einzuschlagen und sich als fügsame und gehorsame Linientreue zu erklären. Ob das aus Furcht oder aus Zustimmung geschieht, wird in den Augen Gottes wenig ändern.
Laien erheben Stimme, Prälaten schweigen
Statt den Prälaten und Priestern erheben immerhin Laien ihre Stimme und schreiben, denken und machen Vorschläge. Eine der ersten, kräftigsten und bedeutendsten war die zu früh verstummte Stimme des Rechtsphilosophen Mario Palmaro.
Eine andere Stimme ist jene von Enrico Maria Radaelli, einem Schüler des Theologen Romano Amerio. Peritus beim Zweiten Vatikanischen Konzil des Bischofs von Lugano und Berater von Kardinal Giuseppe Siri, wurde Amerio immer mehr zu einem kraftvollen Kritiker des kampagnenhaft zum „neuen Weg“ stilisierten „Aggiornamento“. Der Philosoph Radaelli legte soeben sein neues Buch „Die auf den Kopf gestellte Kirche“ vor, mit dem Untertitel „Metaphysische Untersuchung über die Theologie, die Form und die Sprache des Lehramtes von Papst Franziskus“. Das Vorwort stammt vom Philosophen und Priester Antonio Livi, Gründer der International Science and Commonsense Association (ISCA).
Kann man die Liebe Gottes ohne Sein Gesetz lehren?
„Der Herr, wie wir aus der Offenbarung wissen, hat das Gesetz der Liebe auf die Erde gebracht. Nun kann man sich die Frage stellen: Gibt es einen Unterschied zwischen dem, daß man das Gesetz der Liebe lehrt oder die Liebe ohne ihr Gesetz lehrt?“, schreibt Radaelli.
Die chronikhaften, häufig oberflächlichen und interessengeleiteten Hurra-Schriften über das neue Pontifikat liegen im Dutzend auf dem Büchertisch. Radaelli legte nun die erste umfassende Analyse der ersten neun Monate des Lehramtes von Papst Franziskus vor. Er stellt dabei die Frage, für „welche Reform“ Papst Franziskus steht. Im ersten Teil seiner Untersuchung zeigt der Philosoph auf, daß die „Barmherzigkeit“, die in der Sprache des Papstes omnipräsent ist, im langen Leben der Kirche durch die Jahrhunderte immer üppig vorhanden und wirksam war. Der Schüler Amerios führt jedoch den Beweis, daß eine Liebe ohne ihr Gesetz – wenn es möglich wäre, was es aber nicht ist – Gefahr läuft, sogar das Wesen der Kirche umzustürzen und auf den Kopf zu stellen.
Der Autor plädiert für eine ganz andere Lösung, um die Kirche in der wahren Form ihrer Lehre zu bewahren: der Barmherzigkeit sei das Maximum einzuräumen, wie es in der Kirchengeschichte immer der Fall war und nicht das Minimum, wie es Papst Bergoglio leicht zur Hand gehend anbietet.
Papst Franziskus und eine Kirche nach dem Geschmack der Welt
Radaelli stellt zunächst Überlegungen zum päpstlichen Lehramt in seiner Gesamtheit an, dann zu seinen Auswirkungen im liturgischen Ritus (lex credendi, lex orandi) und schließlich zu den vier bedeutendsten Handlungen in den ersten neun Monaten des Pontifikats: der Enzyklika Lumen Fidei (von Papst Franziskus unterzeichnet, aber in Wirklichkeit von Papst Benedikt XVI. verfaßt); dem Interview mit der Civiltà Cattolica, dem Interview mit Eugenio Scalfari und dem Apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium. Daraus, so der Autor, gehe eine deutliche Dystonie zwischen der Kirche, die Papst Franziskus ganz nach dem Geschmack der Welt baut, und der früheren Kirche hervor, die immerhin die Kirche Christi ist.
Großer Kampf zwischen den „neuen Starken“ und den „immer Schwächeren“
Es sei offensichtlich, daß die Kirche heute auf einen Kampf zusteuert, der jenem des Großen Krieges ähnelt: ein totaler Kampf im Schützengraben zwischen den Verteidigern der Rechte der „neuen Starken“ (wiederverheiratet Geschiedene, Homosexuelle, Gender-People, die „Eltern um jeden Preis“) und den Verteidigern der Rechte der „immer Schwächeren“ (die Kinder der Wiederverheirateten, die von Homosexuellen adoptierten Kinder, die Kinder aus dem Reagenzglas, die ungeborenen Kinder, die abgetrieben werden), also zwischen Papst Bergoglio und den Verteidigern der Tradition und des Dogmas. Der Schützengraben ist das Katechon, die Schnur des Gesetzes und des Dogmas, die der Gnostiker Massimo Cacciari [1]Philosoph, 1993–2000 und 2005–2010 Bürgermeister von Venedig, Träger des Großoffizierskreuzes des Verdienstordens des Souveränen Malteserordens durchtrennen möchte. Sollte Papst Bergoglio sein Vorhaben gelingen, so der Autor, wäre das das Ende der Kirche. Radaelli weist jedoch nach, daß es einen, nur einen einzigen Weg gibt, damit das auch dieses Mal nicht gelingt – ja nicht einmal dieses Mal.
Die Inhaltsangabe des Buches im Auszug:
- Das schnelle (und aus dem Gleichgewicht bringende) Lehramt von Papst Franziskus
- Der stattfindende „Krieg der Formen“. Wieder einmal Kirche gegen Kirche, wie in Nizäa und in Konstanz. Diesmal jedoch in ihrer Form
- Kann der Apostolische Stuhl kritisiert werden: Möglichkeit, Bedingungen und Grenzen
- Die Gnade, der Grundsatz des Nicht-Widerspruchs, die Formen des Lehramts und ihre möglichen Unterlassungen gegen den Heiligen Geist
- Die Gnade des Heiligen Geistes und Papst Franziskus
- „Anders Franziskus“ und „anders Papst“
- Das „Anderssein“ von Franziskus als Matrix für ein paralleles, verstecktes, informelles Lehramts das das offizielle kontrolliert
- Das „Lehramtssystem“ von Papst Franziskus: nicht mehr nur Worte, sondern Gesten, Symbole, Mimesis, Schweigen
- Das Lehramt von Papst Franziskus: aus Geist oder Fleisch?
- „Weder gegen Rom noch ohne Rom, sondern mit Rom und in Rom“: ob und wie man auf die Kirche von innen, innerhalb ihrer eigenen (dogmatischen) Mauern schießen kann.
- Ist die „pastorale“ Form des Zweiten Vatikanums ein Mißbrauch und kann sie als solcher einen gefährlichen Präzedenzfall darstellen?
- „Weder gegen die Liebe noch ohne die Liebe, sondern mit der Liebe und in der Liebe“: der Beginn der „Dislozierung der göttlichen Monotriade“
- Die fünf strategischen Komponenten, an denen das Endziel des Lehramtes von Papst Franziskus erkennbar wird
- Warum der so geschätzte Antirelativist Papst Benedikt XVI. ein halbierter Antirelativist ist
- Der zweite Teil des Buches befaßt sich mit der Enzyklika Lumen fidei.
- Der dritte Teil befaßt sich mit der Frage: „Wenn schon lex minus credendi, dann auch lex minus orandi“
- Die seit 50 Jahren zu weniger Wahrheit gezwungene Kirche, bringt auch weniger Schönheit und weniger Anbetung hervor
- Zweites Vatikanum und Novus Ordo Missae als Letztfolgen der in den 20er Jahren begonnenen liturgischen Eiszeit
- Warum kann das Recht auf „immerwährende Zelebration“ des Römischen Ritus nicht einmal vom Papst abgeschafft werden?
Es gehört zur Gehorsamspflicht gegenüber der göttlichen Wirklichkeit, ungerechten Befehlen eines Vorgesetzten zu widerstehen, und sei es der Papst selbst
- Wenn in der Kirche die Vorgesetzten Gott (der Wirklichkeit) nicht gehorchen, müssen zumindest die Untergebenen gehorchen
- Der vierte Teil befaßt sich mit dem Lehramt in den ersten neun Monaten des Pontifikats von Papst Franziskus
- Die lehramtliche Methode der „aufgerissenen Fenster“ der Interviews von Papst Franziskus
- Civiltà Cattolica-Interview: Was heißt „Christus im Mittelpunkt haben“
- Civiltà Cattolica-Interview: Die Kirche als „Feldlazarett“
- Civiltà Cattolica-Interview: Die Kirche und die „sozialen Verwundeten“
- Civiltà Cattolica-Interview: Die Kirche und die „Restaurationisten“
- Zwei leichte Schmetterlinge fliegen glücklich von Blume zu Blume: das Nicht-Interview von Papst Scalfari mit Papst Bergoglio
- Das Nicht-Interview von Papst Scalfari: „Das größte Problem, das die Kirche vor sich hat“
- Das Nicht-Interview von Papst Scalfari: „Jeder hat seine Vorstellung von Gut und Böse“
- Das Nicht-Interview von Papst Scalfari: „Sich der modernen Kultur öffnen“
- Das Nicht-Interview von Papst Scalfari: „Es gibt keinen katholischen Gott. Es gibt Gott.“
- Evangelii gaudium: Sollte das Dogma für die Kirche nicht ein Gut sein?
- Evangelii gaudium: „Offene“ Lehre einer „offenen“ Kirche für „offene“ Sakramente
- Evangelii gaudium: Der „ökumenische Dialog“
- Evangelii gaudium: Die Kirche und die beiden „reinen“ Monotheismen – das talmudische Judentum und der Islam
- Der fünfte Teil umfaßt die Schlußfolgerungen des Autors.
Angaben zum Buch: Enrico Maria Radaelli: La Chiesa ribaltata, Edizione Gondolin, Verona 2014, S. 313 + XXI. € 22,50, als e‑Book € 15,00
Das Buch kann auch direkt beim Autor bestellt werden: info [a] enricomariaradaelli.it
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Concilio e Postconcilio
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↑1 | Philosoph, 1993–2000 und 2005–2010 Bürgermeister von Venedig, Träger des Großoffizierskreuzes des Verdienstordens des Souveränen Malteserordens |
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