(Rom) In Italien, dem Land des Papstes wird die einzige übergeordnete Missionszeitschrift „Ad Gentes“ eingestellt. Die 1997 gegründete Quartalsschrift wurde von der Superiorenkonferenz der Missionsorden und Missionsinstitute herausgegeben. Die Einstellung ist symptomatisch für eine „schwerwiegende Krise in der ganzen Kirche“, so der Missionar Pater Piero Gheddo. Hier seine Gedanken.
Offiziell werden zwei Gründe genannt. Erstens: Die Abonnentenzahl sei zu gering und die gedruckte Auflage fast zur Gänze kostenlos an Bibliotheken, Universitäten, Priesterseminare und Schulen verteilt worden. Die beteiligten Missionsorden mußten für das Defizit aufkommen.
Zweitens: Die Missio ad gentes verliert ihre Identität und interessiert immer weniger Diözesen, Pfarreien und das Volk Gottes. Die Massenmedien sprechen kaum mehr davon, außer wenn ein Missionar das Martyrium erleidet oder schwer verfolgt wird.
Ursachen für Verblassen des Missionsgedankens
Die Entwicklung, die dazu führte, kann hier nicht ausreichend dargelegt werden. Daher will ich nur auf einen nicht unwesentlichen Grund hinweisen, jenen Paradigmenwechsel, der mit dem Kalten Krieg und der Entkolonialisierung der 60er Jahre zu tun hat und in der Studentenrevolte seine Fortsetzung erlebte. Der berechtigte Entkolonialisierungsprozeß wurde maßgeblich von kommunistischer Seite mit antiwestlicher Stoßrichtung ausgenützt mit dem Ziel, die westlichen Kolonialmächte durch sozialistische Volksregierungen zu ersetzen. Dem „realen Sozialismus“ ging es im Wettlauf um die Weltherrschaft darum, den sowjetischen Einfluß auf die Dritte Welt auszuweiten. Dieser Konflikt wurde nicht nur auf politischer und militärischer, sondern auch auf kultureller Ebene ausgetragen. Den Westen zurückzudrängen, bedeutete für die Marxisten auch die Bekämpfung der katholischen Mission, die entweder marxistisch umgefärbt werden konnte oder als Instrument des „Kulturimperialismus“ in die allgemeine Imperialismuskritik miteingeschlossen und diskreditiert wurde. Da der Marxismus im Westen selten mit offenen Karten spielte, war auch sein Angriff gegen die katholische Mission für viele nicht leicht durchschaubar.
Interessengeleitete marxistische Imperialismuskritik
Die politische Linke war im Westen zwar nicht politisch, dafür aber kulturell tonangebend. Die Schlagworte der Imperialismuskritik verfehlten ihre Wirkung nicht und drangen schon vor 1968 tief in die Kirche ein. Dazu gehörte auch die Parole, man solle nicht in der Ferne missionieren, da es in der Nähe genug zu missionieren gebe. Ein auf den ersten Blick nicht ohne Logik scheinendes Argument, das in Wirklichkeit nur eine perfide Variante eines generellen Missionsverzichts darstellte. Jemanden missionieren zu wollen, wurde zur Unart erklärt, als würde anderen mit Christus nicht Rettung und Heil gebracht, sondern eine bestimmte Meinung aufgezwungen. Solche Dinge sollte man zumindest wissen, denn diese Wühlarbeit ist bis heute gesamtgesellschaftlich und innerkirchlich nicht aufgearbeitet. Man ist der Ansicht, der Marxismus ist besiegt und unterschätzt dabei, daß Ideen vielschichtig und oft unterirdisch wirken.
Hausgemachtes Zerreden des Missionsauftrags
In breitangelegten Endlosdebatten wurde der katholische Missionsgedanken innerkirchlich hinter vorgeschobenen Argumenten und Parolen von jenen zerlegt und zerredet, die selbst nicht mehr an den Missionsauftrag Christi glaubten, dies aber nicht offen zugaben.
Bereits 1959 sagte mir der Missionar Pater Dino Doimo vom Päpstlichen Institut für die Auslandsmissionare (PIME) vor seiner Rückkehr nach Hong Kong: „Ich kehre mit einem betrübten Herzen in die Mission zurück, weil ich sehe, daß man in Europa der Mission und den Missionaren nicht mehr wohlgesonnen ist. Alle sagen, die Mission ist hier. Die Bekehrung Chinas zu Christus interessiert nur Verwandte und Freunde und wenige andere.“
Seit 1958 schicken die Missionsinstitute über die Päpstliche Missionsunion einen Referenten an alle Priesterseminare. Er ist verpflichtet, innerhalb eines Jahres alle Seminare seines Gebiets zu besuchen. Jedes Jahr wird ein anderer Missionar damit beauftragt. Ein junger Missionar, der diese Aufgabe innehatte, sagte mir nun: „Diese Form wird eingestellt, weil es schwierig ist, noch ein Seminar zu finden, das einen Missionar gerne aufnimmt und reden läßt. Die Seminaristen sind wenige, vielbeschäftigt und die Mission interessiert immer weniger.“
Zwei grundlegende Irrtümer
Ein weiteres Indiz für etwas, das alle schon wissen. Die Kirchen Europas mit ihrer Glaubens- und Berufungskrise geben sich offen, schließen sich aber in Wirklichkeit ab. Die Missionsinstitute werden nur mehr insofern wahrgenommen, als sie mit ihren Häusern, Priestern und Ordensschwestern in der Pfarrseelsorge mitwirken. Ich frage mich, ob sich die Missionsinstitute wie mein PIME sich Gedanken über den Verfall und die Abwertung unseres besonderen Charismas machen, die Erstverkündigung an die Nicht-Christen, die immer noch 70 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen und mehr als 80 Prozent wenn wir ihnen die Katholiken gegenüberstellen. Dabei wurde das Charisma der Missionare ad gentes vom Zweiten Vatikanischen Konzil und dem folgenden Lehramt bestätigt.
Da ich seit 61 Jahren Priester und Missionar bin (Weihjahrgang 1953), erlaube ich mir auf zwei grundlegende Irrtümer hinzuweisen, denen wir alle ein bißchen erlegen sind. Ich tue das nicht der Polemik wegen, sondern als Denkanstoß.
Spezifisches Missionscharisma statt „allgemeiner Mission“
1. Nach Fidei Donum (1957) und dem Zweiten Vatikanum (1962–1965) begann man zu sagen, daß die ganze Kirche missionarisch ist und daher eigene Missionsorden keinen Sinn mehr haben. Doch sowohl im Konzilsdekret Ad Gentes über die Missionstätigkeit der Katholischen Kirche von 1965 (AG 6), als auch in der Enzyklika Redemptoris Missio von 1990 (RM 33–34) wird klar festgestellt, daß die Missio ad gentes nicht mit der Seelsorgetätigkeit zu verwechseln ist, die sich an die Getauften richtet und daher die missionarischen „Institute vollauf unentbehrlich“ bleiben (AG 27). In Redemptoris Mater heißt es: „Die besondere Berufung der Missionare auf Lebenszeit behält ihre volle Gültigkeit: Sie verkörpert das Beispiel des missionarischen Einsatzes der Kirche, die immer auf die radikale und ganzheitliche Hingabe angewiesen ist, auf neue und kühne Impulse.“. Die Missionare „sollen die Gnade ihres besonderen Charismas wachrufen und ihren Weg mit Mut wieder aufnehmen, in dem sie die niedrigsten und schwierigsten Posten im Geist des Glaubens, des Gehorsams und in Gemeinschaft mit den eigenen Hirten bevorzugen“ (RM 66)
Europas Kirchen schließen sich ab
Dieses “Wachrufen“ hat wohl nicht stattgefunden und so riskieren die Missionsinstitute selbst nicht mehr an ihre eigenes, spezifisches Charisma zu glauben, während die jungen Kirchen in der nicht-christlichen Welt sie heute dringend brauchen. So war es auch mit dem Päpstlichen Missionswerk. Solange sie päpstlich waren und nicht von den Bischöfen abhingen, erfüllten sie ihre vorrangige Aufgabe: den universalen Missionsgedanken ad gentes wachzuhalten, die Mission im Gebet zu unterstützen, Berufungen zu fördern und materielle Hilfe für die Mission zu leisten. Seit daraus diözesane Missionswerke wurden, die von den Bischöfen, oder besser gesagt von den Bischofskonferenzen abhängen, hat sich ihr Horizont deutlich verengt. Aus dem universalen Missionsgedanken wurden häufig diözesane Partnerschaften einer europäischen Diözese mit einer Diözese der Dritten Welt. Mit der Berufungskrise in Europa ist leicht absehbar, wie dieser Bereich austrocknen wird. Mit der gewährten finanziellen Hilfe kam es nicht selten in innerkirchlichen Fragen Einflußnahme alter Kirchen auf die jungen Kirchen.
Politisierung der Missionsorden: selbstmörderische Tendenz
2. Der zweite fundamentale Irrtum ist die Politisierung der Mission ad gentes. Fast mein ganzes Missionarsleben lang verurteile ich (vergebens) diese selbstmörderische Tendenz der Missionsorden, die unser Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit verändert hat. In meinem Buch: „Mission ohne Wenn und Aber“ schildere ich die Geschichte dieses Selbstmordes. Bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil war unsere Identität klar definiert und tragend: Hinausgehen zu den nicht-christlichen Völkern wohin uns der Heilige Stuhl schickt, um Christus und sein Evangelium, deren alle bedürfen, zu verkünden und zu bezeugen. Natürlich sprach man auch von Werken der Nächstenliebe, von Berufs- und Schulbildung, Gesundheitsversorgung, Gerechtigkeit für die Armen und Ausgebeuteten. Doch das war nur die Konsequenz. Alles wurde durch die innere Begeisterung überragt, von Christus gerufen zu sein, Ihn den Völkern zu bringen, die noch leben, ohne Gott zu kennen. Diese Begeisterung für die Berufung zum Missionar ließ freudig Katechesen halten, die Katechumenen betreuen, für Christus bekehren, beten und Leiden für die Mission erdulden, weil man wußte, daß die Völker Christus brauchen und es nicht egal ist, ob sie bekehrt und getauft sind oder nicht. Vor allem sprach man von Missionsberufungen, weil der Missionar sogar als privilegiert betrachtet wurde, bis wortwörtlich an die Enden der Erde den Auftrag Christi zu erfüllen.
Demo für Regenwald ist nicht Misson
Und heute? Wer zeigt noch Begeisterung für die Berufung zum Missionar? Wer ruft zur Missio ad gentes auf? Heute betreiben die Missionare und Missionsgesellschaften Kampagnen gegen die Auslandsverschuldung, gegen den Waffenhandel, gegen schlechte Medikamente, gegen die Privatisierung des Wassers und Hunderte andere politische Anliegen. Heute spricht man nicht mehr über die Mission, sondern über Globalisierung und soziale und ökologische Aktionen. Wieviel junge Menschen meint man mit einer Kundgebung gegen Waffenhandel, für Einwanderung und den Schutz des Urwaldes für die Mission begeistern zu können? Keinen einzigen. In der Tat haben die Missionsorden kaum Berufungen.
Beklagen wir uns also nicht, daß die Missionszeitschrift Ad Gentes eingestellt wird. Das hat schon seine Logik. Das Umdenken muß ganz woanders ansetzen und von grundlegender Art sein.
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Erzdiözese Wien