Islamisten im Irak weiter auf dem Vormarsch – Schweigen Saudi-Arabiens, Zögern der USA


Islamistenvormarsch im Irak(Bag­dad) Die ira­ki­sche Armee befin­det sich in der Gegen­of­fen­si­ve, doch die sun­ni­ti­schen Dschi­ha­di­sten des Isla­mi­schen Staa­tes im Irak und der Levan­te (ISIS) ste­hen nach einem spek­ta­ku­lä­ren Vor­marsch vor den Toren Bag­dads. US-Prä­si­dent Barack Oba­ma drückt sich vor einer Ent­schei­dung. Der schii­ti­sche Groß­aja­tol­lah Ali al-Sista­ni rief unter­des­sen die ira­ki­sche Bevöl­ke­rung auf, zu den Waf­fen zu grei­fen und sich gegen die Al-Qai­da-Isla­mi­sten zu ver­tei­di­gen. Wäh­rend Sau­di-Ara­bi­en, einer der wich­tig­sten Waf­fen­lie­fe­ran­ten und Geld­ge­ber der ISIS, sich in Schwei­gen hüllt, stellt sich der Iran an die Sei­te der offi­zi­el­len ira­ki­schen Regierung.

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Iraks Mini­ster­prä­si­dent Nou­ri al Mali­ki gab bekannt, daß die regu­lä­re Armee die nord­ira­ki­sche Stadt Samar­ra von den Isla­mi­sten „rei­nigt“. In Samar­ra, rund 110 Kilo­me­ter nörd­lich von Bag­dad befin­det sich das Al-Aska­ri-Hei­lig­tum der Schii­ten. Die Isla­mi­sten des ISIS kämp­fen im Irak gegen die „Ungläu­bi­gen“, dazu gehört neben der nur mehr klei­nen christ­li­chen Min­der­heit auch die Bevöl­ke­rungs­mehr­heit der Schii­ten. Bereits 2006 fand ein sun­ni­ti­scher Angriff gegen Samar­ra statt, der einen blu­ti­gen Bür­ger­krieg zwi­schen Sun­ni­ten und Schii­ten zur Fol­ge hat­te, der meh­re­re Tau­send Men­schen­le­ben forderte.

Irakische Sunniten kämpfen mit Al-Qaida-Kampfverband

Die Regie­rung in Bag­dad übt sich in Zweck­op­ti­mis­mus. Die Lage ist jedoch kri­tisch. Der mit Al-Qai­da ver­bun­de­ne Isla­mi­sten­kampf­ver­band ISIS konn­te sich im syri­schen Bür­ger­krieg an Mann­schafts­stär­ke und Bewaff­nung so gut auf­rü­sten, daß er einen Fron­tal­an­griff zur Erobe­rung des Iraks wagt. Ziel des ISIS ist es, sich grenz­über­schrei­tend zwi­schen Syri­en und dem Irak ein eige­nes Staats­ge­biet zu sichern. Die Isla­mi­sten trei­ben dazu einen Keil von West nach Ost zwi­schen dem kur­di­schen Nor­den und dem schii­ti­schen Süden des Irak.
Um den ISIS-Vor­marsch auf­zu­hal­ten, rief das geist­li­che Ober­haupt der Schii­ten, Groß­aja­tol­lah Al Sista­ni die Zivil­be­völ­ke­rung am Ende des Frei­tags­ge­bets auf, sich bewaff­net den regu­lä­ren Trup­pen anzu­schlie­ßen. In Kur­di­stan haben die Peschmer­ga dem ISIS bei Kir­kuk hef­ti­ge Gegen­wehr ent­ge­gen­ge­setzt. In der Gegend der nord­ira­ki­schen Stadt befin­den sich aus­ge­dehn­te Erd­öl­fel­der. Die Kur­den ver­tei­di­gen ihr Kur­di­stan. Es scheint zwei­fel­haft, daß sie bereit wären, für den Irak gegen den ISIS zu kämpfen.

ISIS kämpft mit saudischen Waffen aus den USA

Auf­fäl­li­ges Schwei­gen zur ISIS-Offen­si­ve herrscht in Riad. Offi­zi­ell geleug­net, jedoch all­ge­mein bekannt ist der Kanal, über den sau­di­sche Waf­fen- und Geld­lie­fe­run­gen an den ISIS erfol­gen, damit die Dschi­ha­di­sten die Regie­rung Assad in Syri­en stür­zen und den Ein­fluß der Schii­ten im Irak in Schach hal­ten. Sau­di-Ara­bi­en kauft dazu Waf­fen in den USA, um sie an die Al-Qai­da-Ver­bän­de wei­ter­zu­rei­chen. Die Regie­rung Oba­ma tut so, als wüß­te sie von nichts und läßt in bestimm­ten Abstän­den Pro­pa­gan­da­luft­bal­lons in der west­li­chen Welt stei­gen, mit denen die Isla­mi­sten wort­reich ver­ur­teilt und die „demo­kra­ti­sche“ Anti-Assad-Oppo­si­ti­on gelobt wird.

Verwirrende Gemengenlage und der neue Schulterschluß Teheran-Bagdad

Der Iran, laut Washing­ton Teil der „Ach­se des Bösen“, stell­te sich hin­ge­gen an die Sei­te der ira­ki­schen Regie­rung. Zwei Län­der, die in den 80er Jah­ren einen ver­lust­rei­chen, lang­jäh­ri­gen Krieg gegen­ein­an­der führ­ten. Damals regier­ten in Bag­dad noch mit Sad­dam Hus­sein die Sun­ni­ten, die vom Iran aus eine Unter­stüt­zung für die schii­ti­sche Bevöl­ke­rungs­mehr­heit im Irak fürch­te­ten. Bereits damals wur­den die Sun­ni­ten, bes­ser gesagt, der spä­te­re Erz­feind Sad­dam Hus­sein, groß­zü­gig von den USA mili­tä­risch auf­ge­rü­stet, um für Washing­ton am Per­si­schen Golf einen Stell­ver­tre­ter­krieg zu füh­ren. Irans Staats­prä­si­dent Hassan Roha­ni ver­sprach „umfas­sen­de Unter­stüt­zung mei­nes Lan­des gegen den Ter­ro­ris­mus“. Tehe­ran wer­de „alles tun, um die von die­sen Leu­ten ver­üb­ten Ver­bre­chen und Mas­sa­ker zu bekämp­fen. Wir wer­den es nicht zulas­sen, daß der Irak desta­bi­li­siert wird“. So ändern sich die Zei­ten. Oder schürt jemand im Hin­ter­grund einen Dau­er­kon­flikt zwi­schen Sun­ni­ten und Schii­ten. Daß die christ­li­chen Min­der­hei­ten dabei auf­ge­rie­ben wer­den, scheint dabei bil­li­gend in Kauf genom­men zu werden.

Das Zögern Obamas

Die USA, seit der Inva­si­on im Irak im Zuge des Zwei­ten Golf­krie­ges offi­zi­ell gro­ßer Ver­bün­de­ter der Regie­rung in Bag­dad, spie­len auf Zeit. Die Zeit aber begün­stigt die Isla­mi­sten bei ihrem Vor­marsch. Begrün­det wird die Zurück­hal­tung von Prä­si­dent Oba­ma mit dem „Feh­len eines poli­ti­schen Pla­nes der Ira­ker“. Ohne einen sol­chen, wür­den sich die USA zu kei­nen „mili­tä­ri­schen Aktio­nen“ hin­rei­ßen las­sen. Geheim­dienst­krei­se ver­si­chern, über die Lage im Kampf­ge­biet genau im Bil­de zu sein.

Die USA blei­ben bei ihrer Hal­tung einer „Kom­bi­na­ti­on aus geziel­ten mili­tä­ri­schen Aktio­nen, wenn nötig in Zusam­men­ar­beit mit der inter­na­tio­na­len Staa­ten­ge­mein­schaft, und diplo­ma­ti­schen Aktio­nen, um die Kri­se gemein­sam zu lösen“. Gleich­zei­tig unter­strich Oba­ma, daß „Gesprä­che über die Erd­öl­för­de­rung vor Ort im Gan­ge sind“. Es könn­te not­wen­dig wer­den, so der US-Prä­si­dent, daß die ira­ki­schen Erd­öl­pro­du­zen­ten ihre För­de­rung erhö­hen müs­sen, aber der­zeit gebe es noch „kei­ne enor­men Probleme“.

ISIS hat es geschafft Sunniten der Armee Saddams zu reorganisieren

Für Fawaz Ger­ges, Nah­ost-Exper­te an der Lon­don School of Eco­no­mics erle­be der Irak „eine Auf­split­te­rung der Macht. Die Regie­rung von al-Mali­ki wird nie imstan­de sein, die poli­ti­sche Macht noch ein­mal zu zen­tra­li­sie­ren. Es zeich­nen sich neue Gren­zen ab. Die Tat­sa­che, daß der ISIS in die sun­ni­ti­sche Bevöl­ke­rung ein­ge­drun­gen ist, darf nicht unter­schätzt wer­den. Ihr größ­ter Erfolg ist es, Offi­zie­re und Sol­da­ten der auf­ge­lö­sten ira­ki­schen Armee von Sad­dam Hus­sein wie­der unter Waf­fen zu organisieren“.

Die­se Ent­wick­lung, so Ger­ges, wer­de durch die Art und Wei­se sicht­bar, mit der die Offen­si­ve geführt wer­de. „Der ISIS ver­hält sich wie eine stra­te­gisch geführ­te Armee. Die Dschi­ha­di­sten haben Ver­trau­en in die eige­ne Schlag­kraft, ver­fü­gen über eine funk­tio­nie­ren­de Kom­man­do­ket­te, sie sind moti­viert und wen­den Kriegs­tak­ti­ken an. Die ira­ki­schen Sun­ni­ten sind heu­te bereit, sich auch mit dem Teu­fel zu ver­bün­den, um den seit 2006 regie­ren­den schii­ti­schen Mini­ster­prä­si­den­ten Nuri al-Mali­ki zu besie­gen: Das ist die wirk­li­che Gefahr.“

Text: Asianews/​Giuseppe Nardi
Bild: Asianews

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