(Jerusalem) Papst Franziskus befindet sich noch im Heiligen Land und beendet heute die gestengesättigte Reise, die ihn betend an zwei „Klagemauern“ sah: jener jüdischen Klagemauer , der Westmauer des Tempelberges in Jerusalem und jener arabischen „Klagemauer“, die durch den Staat Israel mitten durch das Heilige Land errichtet wird. Eine zeichenstarke Sprache im weltlichen Kontext, die allerdings nicht Gegenstand der Überlegungen von Maria Guarini sind. Guarini, Herausgeberin des traditionsverbundenen Blogs „Chiesa e Postconcilio“ (Kirche und Nachkonzilszeit) und Autorin des Buches „Die Kirche und ihre Kontinuität. Hermeneutik und Dogmatik nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, 2012, das leider nicht in deutscher Übersetzung vorliegt, befaßt sich mit den sakralen Zeichen, in die das Profane eindringt. Ausgangspunkt ist die Umarmung von Papst Franziskus mit dem moslemischen Palästinenserpräsidenten Abu Mazen zum Friedensgruß bei der Papstmesse in Betlehem. Eine mediengerechte, gut vermittelbare Geste in weltlichem Kontext, die – wie es scheint – vorab vereinbart worden war. Der Friedensgruß ist aber weder eine gesellschaftliche Konvention noch ein außerordentliches politisches Event, sondern Teil der heiligen Liturgie, so Maria Guarini.
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Wenn die „Zeichen“ brechen
von Maria Guarini
Einige schmerzliche Anmerkungen zu einer Entsakralisierung: Mahmud Abbas, besser bekannt als Abu Mazen, der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde ging auf das Presbyterium hinauf, um Papst Franziskus beim Friedensgruß zu umarmen. Es gibt heilige Momente und heilige Zeichen, die nicht profaniert werden dürfen und sollen. Es gibt einen eindeutigen Unterschied zwischen der heiligen Göttlichen Liturgie und einer öffentlichen Kundgebung.
Eine liturgische Zelebration wendet sich an Gott und duldet daher weder Unterbrechungen, Einschübe noch Banalisierungen und auch keine Vermengung mit weltlichen Dingen.
Der Friedensgruß hat lediglich Sinn, wenn er auf jenen bezogen ist, in dessen Namen er ausgetauscht wird und der durch die Liturgie gegenwärtig ist. Ihn mit einer weltlichen Geste des tatsächlichen oder vermeintlichen Wohlwollens für die Photographen, Fernsehkameras und Zuschauer zu verwechseln ist ein unangemessenes Eindringen und Banalisieren eines heiligen Aktes.
Wem nützt die Bereitschaft des Papstes, den Primat des Petrus zur Diskussion zu stellen?
Von größerer Bedeutung ist die erklärte Bereitschaft von Papst Franziskus, den Primat des Petrus zur Diskussion zu stellen. Wörtlich sagte das katholische Kirchenoberhaupt am Sonntag in der Grabeskirche: „Diesbezüglich möchte ich den bereits von meinen Vorgängern ausgedrückten Wunsch erneuern, einen Dialog mit allen Brüdern in Christus zu führen, um für den besonderen Dienst des Bischofs von Rom eine Form der Ausübung zu finden, die sich seiner Sendung entsprechend einer neuen Situation öffnet und im heutigen Kontext ein von allen anerkannter Dienst der Liebe und der Gemeinschaft sein kann.“ Anlaß dieser Aussage war das Gedenken an die Begegnung von Papst Paul VI. mit dem Ökumenischen Patriarchen Athenagoras vor 50 Jahren in Jerusalem.
Benedikt XVI. dankte als Person ab. Bereitet Franziskus die Abdankung des Papsttums vor? Kann er das überhaupt oder sind solchen Bestrebungen klare göttliche Grenzen gesetzt, die durch eine zweitausendjährige Tradition bestätigt werden? Anders gefragt: Wie kann der Auftrag Ut unum sint erfüllt werden, wie weit kann und soll dabei gegangen werden? Wo liegt das Maß des Handelns, das sowohl die sträfliche Unterlassung als auch die sträfliche Übertreibung verhindert?
Muß sich der Papst ändern, um von allen anerkannt zu werden, oder soll der die Getennten zur Wahrheit führen?
Muß sich, um „von allen anerkannt“ zu werden, der Papst ändern, statt die Rückkehr der getrennten Brüder zu fördern? Welchen Sinn aber würde die „Einheit“ auf falschem Boden machen? Obwohl dieses Vulnus nun schon eine lange Vergangenheit hat, ist es deshalb nicht weniger problematisch.
Paul VI. war der erste Papst, der in seiner Ansprache vom 28. April 1967 vor dem damaligen Sekretariat für die Einheit der Christen der Person und dem Amt des Papstes einen Grund für die Trennung zuschrieb, der als Ergebnis eines Irrtumszu unterschiedlichen Zeiten und Anlässen zum Bruch der seither getrennten Kirchen mit Rom führte: „Der Papst, wie wir wissen, stellt ohne Zweifel die größte Hürde auf dem Weg der Ökumene dar.“
Ist der Papst wirklich die „größte Hürde“ für die Ökumene?
Johannes Paul II. griff den Aspekt in seiner Enzyklika Ut unum sint vom 25. Mai 1995 auf: „Ich bin überzeugt, diesbezüglich eine besondere Verantwortung zu haben, vor allem wenn ich die ökumenische Sehnsucht der meisten christlichen Gemeinschaften feststelle und die an mich gerichtete Bitte vernehme, eine Form der Primatsausübung zu finden, die zwar keineswegs auf das Wesentliche ihrer Sendung verzichtet, sich aber einer neuen Situation öffnet. […] Der Heilige Geist schenke uns sein Licht und erleuchte alle Bischöfe und Theologen unserer Kirchen, damit wir ganz offensichtlich miteinander die Formen finden können, in denen dieser Dienst einen von den einen und anderen anerkannten Dienst der Liebe zu verwirklichen vermag“ (Nr. 95).
Im Amtsverzicht von Benedikt XVI. liegt ein Knoten, den nur lösen kann, wer die nötige Autorität dazu hat. Einige Überlegungen dazu sind dennoch angebracht. Benedikt XVI. verzichtete auf die „aktive Ausübung des Amtes“, brachte aber gleichzeitig zum Ausdruck, sich seiner Berufung „für immer“ bewußt zu sein. So behält er auch seinen Namen als Nachfolger des Petrus bei und nimmt nicht mehr seinen bürgerlichen Namen an, ebenso läßt er sich als „emeritierter Papst“ ansprechen. Es erfolgt keine Rückkehr zum Mönchtum oder Kardinalat wie bei Cölestin V. oder Gregor XII., jenen Beispielen für Rücktritte eines Papstes, die uns die Kirchengeschichte, wenn auch in einem anderen Kontext als jenem Benedikts XVI. überliefert. Der deutsche Papst nannte als Grund lediglich Altersschwäche. Er verzichtete auf sein Amt und behielt es dennoch in gewisser Weise bei, in dem er konkret von einem „Dienst des Gebets und der Betrachtung“ sprach, aber gleichzeitig um das Gebet für den „neuen Nachfolger des Apostels Petrus“ bat.
Die Erschwernis zweier Päpste für das Papsttum
Benedikt XVI. macht für das Papsttum eine nicht aktive Amtsausübung geltend und scheint damit, den Widerspruch zu der von ihm selbst bekräftigten Berufung auf Lebenszeit zu umgehen. Damit läßt er allerdings auch alle Türen für alles und das Gegenteil von allem offen, was die künftige Entwicklung des Petrusamtes anbelangt. Wenngleich er damit vielleicht keine konkreten Absichten als die geäußerten verbindet. Die Feinheit liegt darin, daß die Aussage zweideutig, aber nicht im engen Sinn widersprüchlich ist. Die Zweideutigkeit wiederum ist von solcher Art, daß er zu keinem Moment etwas sagte, das in offenem Widerspruch zu Vorhergesagtem stand. Die eigentliche Frage liegt jedoch nicht in subtilen Formulierungen, sondern in der Substanz: Wie läßt sich sein „für immer“ mit einem Nachfolger zu Lebzeiten in Einklang bringen, der ja auch „für immer“ berufen ist? Wie kann es ein doppeltes „für immer“ im Petrusamt geben? Wie es scheint, ist ein Ineinklangbringen nur durch die Reduzierung des päpstlichen Amtes auf diesseitige Denkkategorien und damit, im Sinne des konziliaren und postkonziliaren Anthropozentrismus, durch die Reduzierung auf eine Funktion wie viele andere möglicch. Das zwingt letztlich aber dazu, die sichere Annahme einer göttlichen Investitur aufzugeben.
Menschliche Strategie oder Wahrheitsfindung?
Demgemäß würde die Ökumene nicht mehr eine Frage der Wahrheitssuche und Wahrheitsfindung sein, sondern das Ergebnis menschlicher Strategien. Die Einheit wäre damit nicht mehr ein Geschenk des Herrn durch die Gemeinschaft, die Er unter den Seinen stiftet, die Ihm angehören und in Ihm bleiben, in der Wahrheit, die Er ihnen geschenkt hat. Die Einheit wäre stattdessen das Ergebnis breitangelegter Vereinbarungen.
In diesem Zusammenhang ist gut daran zu erinnern, daß der regierende Papst nicht über absolute Vollmachten verfügt. Seine Autorität findet klare Grenzen in der grundlegenden Konstitution der Kirche, im Gesetz Gottes und dem Naturrecht, vor allem aber in den dogmatischen Bestimmungen, die ihn an die Offenbarung und das Bekenntnis seiner Vorgänger bindet. Andernfalls wäre Willkür angesagt, die es für einen Nachfolger des Petrus und Vikar Christi auf Erden nicht geben kann.
In den vergangenen Jahrzehnten wurden in der Ökumene auch unnötige Fragen aufgeworfen, zuletzt auch, wenn auch nur indirekt, durch Benedikt XVI. und seinen unerwarteten Amtsverzicht. Fragen, die auf Antwort harren. Antwort, die nur geben kann, wer die Autorität dazu hat. Besteht aber auch der Wille dazu?
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Concilio e Postconcilio