(Rom/New York) Kurz vor der Doppelheiligsprechung zweier Päpste können sich die großen kirchenfernen Mainstreammedien doch nicht zurückhalten. Die „ausgleichende“ Heiligsprechung von Johannes XXIII., der im letzten Augenblick und wunderlos Johannes Paul II. zur Seite gestellt wurde, reicht ihnen nicht. Der polnische Papst ist ihnen zu verhaßt, als daß sie der Blick auf den ihnen eindeutig sympathischeren „Papa buono“ darüber hinwegsehen ließe, daß ein jahrzehntelanger Erzfeind zu solchen Ehren kommt. Man denke an die Anti-Papst-Proteste bei den Besuchen Johannes Pauls II. im deutschen Sprachraum, etwa das „Anti-Papst-Fest“ 1983 der Sozialistischen Jugend (SPÖ), das vom heutigen österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann mitorganisiert wurde, bei dem T‑Shirts mit der Aufschrift „Papst raus“ verteilt wurden. Aber das war nur die Spitze der Ablehnung, die Johannes Paul II. entgegenschlug. Der Großteil des Eisbergs wirkte weniger demonstrativ, dafür aber wirksamer.
Die New York Times und La Repubblica feuerten am Ende kurz vor der Heiligsprechung noch eine Breitseite gegen den „reaktionären“ und „restaurativen“ Karol Wojtyla ab, damit klargestellt sei, wie man über wen zu denken habe.
Für das Leibblatt der europäischen Kirchengegner, da mit Sitz im päpstlichen Rom, griff der derzeit bei „Gutmenschen“ besonders in Mode stehende liberale Theologe Vito Mancuso zur Feder. Zum Gründer und Spiritus rector dieses Blattes, dem beschürzten Atheisten Eugenio Scalfari, unterhält ja sogar Papst Franziskus einen bevorzugten Gesprächsdraht. In den vergangenen Monaten scheint dieser zwar abgekühlt zu sein, nachdem das umstrittene Interview, das der Papst Scalfari im vorigen Herbst gewährte und der es dem Doyen des Linksjournalismus sogar überließ, die päpstlichen Antworten gleich selbst zu formulieren, für erhebliche innervatikanische Reibungen führte. Es bedurfte des hartnäckigen Protests hoher Würdenträger, bis das Interview zumindest von der offiziellen Seite des Vatikans gelöscht wurde. Korrigiert wurde es bis heute nicht.
Noch eine Stufe über La Repubblica übernahm für die New York Times Maureen Dowd die Rolle Mancusos, die Königin der radical-chic Zeitgeistchronisten.
Weniger Politik
Laut Mancuso und Dowd mache die Kirche einen Fehler, Johannes XXIII. und Johannes Paul II. gemeinsam heiligzusprechen. Mancuso schrieb am Donnerstag auf der Titelseite von La Repubblica, daß „Politik im Zusammenhang mit der Heiligsprechung ihrer besten Söhne immer eine große Rolle in der Geschichte der Kirche gespielt hat. Im Guten wie im Schlechten“. Als Beispiel für die Anwendung dieses politischen Kriteriums, „im Schlechten“ natürlich, zitiert der Theologe die Parallelheiligsprechung am kommenden Sonntag „von zwei so verschiedenen Päpsten“. Mancuso meint das nicht etwa wegen des unorthodoxen Weges, auf dem Papst Franziskus auch dem Konzilspapst Johannes XXIII. auf die Altäre verhilft. Ganz im Gegenteil. Er stellt eine unter seinesgleichen derzeit besonders eifrig herumgereichte rhetorische Frage: „Hatte Kardinal Martini wirklich völlig Unrecht, wenn er sich gegen die Heiligsprechung der jüngsten Päpste aussprach?“
Mehr Geist und Prophetie?
Laut Mancuso hatte der Jesuitenkardinal natürlich nicht Unrecht und lieferte gleich noch eine „martinianische“ Ergänzung dazu. Laut dem Repubblica-Haustheologen sollte die Feststellung der Heiligkeit „mit mehr Geist der Prophetie gehandhabt werden“. Was aber würde es für die Kirche bedeuten bei der Auswahl ihrer Heiligen „prophetisch“ statt „politisch“ zu sein? Mancuso erklärt es nicht im Detail, streut aber einige Indizien aus: „Die kirchliche Politik zeigt sich nicht nur bei den positiven Heiligsprechungen, sondern auch bei den negativen, durch den Ausschluß jener, die es verdienen würden, als Heilige anerkannt zu werden, aber nicht anerkannt werden.“
Der politisch korrekte Vordenker hat auch sofort einige Beispiel zur Hand von jenen, die es im Gegensatz zu anderen wirklich „verdienen“ würden. Zum Beispiel Oscar Romero, den die außerkirchliche wie die innerkirchliche Linke wegen seiner Ermordung durch rechte Militärs für sich vereinnahmt hat, wobei die politische Verortung der Täter eine größere Rolle zu spielen scheint, als die tatsächliche Positionierung des 1980 während einer Heiligen Messe ermordeten Erzbischofs von San Salvador. Oder Helder Camara, der 1999 verstorbene Erzbischof von Olindo und Recife und in bestimmten politischen Kreisen Europas als Aushängeschild der Befreiungstheologie und (progressive) „Stimme der Dritten Welt“ verehrte Brasilianer, oder wie Mancuso schreibt: „berühmt für seinen Kampf zugunsten der Letzten“.
Dunkle Wolken – aber welche und über wem?
Auch für Maureen Dowd, scharfsinnige Kolumnistin der New York Times, ist die doppelte Heiligsprechung von Johannes XXIII. und Johannes Paul II. in Wirklichkeit „ein Akt des politischen Gleichgewichts“ und zitierte dabei den „noted religion writer“ Kenneth Briggs. Wozu aber soll diese politische Entscheidung nützen? Laut Briggs und Dowd um mit dem guten, „freien und reinen“ Papst, den anderen, den bösen, reaktionären Papst aus Polen auszugleichen, über dessen Pontifikat „dunkle Wolken“ liegen. Der Hinweis, für jene die mit bestimmten Stichworten nicht so vertraut sind, gilt nicht theologischen oder kirchenrechtlichen Fragen. Nein, er kommt viel eingängiger, plakativer, keulenhafter des Weges und meint natürlich den Mißbrauchsskandal pädophiler Priester, die angeblich vom Vatikan und Wojtyla jahrelang gedeckt worden seien.
„Kein Heilger“
Kern der Kommentare von Mancuso und Dowd ist die Aussage, daß Johannes Paul II. „kein Heiliger ist“, wie die amerikanische Journalistin ohne jeden Anflug von Verlegenheit zu Papier gibt. Immer im Zusammenhang mit sexuellen Mißbrauchsfällen schreibt sie im moralisierend-ironischen Ton der „Gutmenschen“, die immer „auf der richtigen Seite stehen“: „Es ist wunderbar, daß er den anderen Gesellschaften, der kommunistischen und der kapitalistischen sagte, zu bereuen. Es ist aber tragisch, daß er nie die Fehler seiner eigenen Gesellschaft korrigierte, über die er über absolute Macht verfügte“. Und: „Er hätte etwas tun müssen, statt den Weltenbummler zu machen.“ „Er hätte die sich ausbreitende Schande beheben können und hat nichts gemacht.“
Moral nicht Politik
Ohne näher auf die Frage der ungerechterweise Johannes Paul II. angelasteten Schuld an den skandalösen Pädophiliefällen (Vorwürde, die Dowd zwar empört hinwirft, ohne jedoch zu belegen), scheint die Moral dieser linksliberalen Lektion ziemlich klar. Die Kirche hat nur einen einzigen Weg, um nicht empörender „politischer“ Entscheidungen verdächtigt zu werden: Sie sollte die Auswahl der künftigen Heiligen Leuten wie Vito Mancuso und Maureen Dowd überlassen. Denn sie lassen sich, im Gegensatz von Päpsten, nie von Kalkül und Ideologie leiten, weil sie immer auf der moralisch „richtigen Seite“ stehen und damit a priori recht haben. Mancuso liefert den besten Beweis dafür, wenn er Heiligsprechungen „von unten“ fordert, für die beiden genannten lateinamerikanischen Kirchenvertreter, die seit Jahrzehnten von einer bestimmten, politisch eindeutig zuordenbaren Presse instrumentalisiert werden.
Und Dowd bestätigt es nicht minder, wenn sie ziemlich hinkend den „Nicht-Heiligen“ Wojtyla, den angeblichen großen Freund der Pädophilen, mit Lyndon Johnson vergleicht, einen „Helden“ unter den US-Präsidenten wegen der Bürgerrechte, der aber „nie von der Welt kanonisiert werden wird, wegen des Vietnamkriegs“.
Jubiläumsbedingte Kanonisierung des Zweiten Vatikanischen Konzils?
Am Sonntag wird Papst Franziskus zwei seiner Vorgänger zu den Altären erheben. Trotz der „ausgleichenden“ Funktion Johannes XXIII. blickt ein bestimmter Teil außerhalb der Kirche mit Unbehagen auf die Ehre, die Johannes Paul II. zuteil wird. Und das aus ganz anderen Gründen, aus denen die Doppelheiligsprechung innerhalb der Kirche nicht unumstritten ist. Das offenkundige „Gleichgewicht“, das dieser Parallelakt zum Ausdruck bringt und die beiden großen „Seelen“ der Katholischen Kirche am Petersplatz vereinen soll, ohne daß man unterscheiden kann, wer sich nun eigentlich über die Heiligsprechung welches Papstes freut. Über den Konzilspapst, der „die Fenster aufgerissen“ und einen „neuen Frühling“ in die Kirche gelassen habe, oder über den Papst, der das Konzil und seine Umsetzung „zu bremsen und zu behindern“ und eine „Restauration“ versucht habe, wie ein Schweizer Krawatten-Kapuziner in diesen Tagen ganz auf der Linie von Mancuso und Dowd meinte.
Ein Kalkül scheint der Doppelheiligsprechung zugrundezuliegen und wird von verschiedener Seite so wahrgenommen, wenn auch unterschiedlich interpretiert. Wahrscheinlich weniger ein „politisches“, sondern mehr ein „kirchenpolitisches“ Kalkül. Zusammen mit dem ungewöhnlichen und vor allem erklärungsbedürftigen Außerkraftsetzen kanonischer Vorschriften für eine Heiligsprechung haftet dem Barmherzigkeitssonntag 2014 ein „Gschmäckle“ an, das bitter nachschmecken könnte. Nicht nur die scheinbare „Neutralisierung“ innerkirchlicher Bruchlinien, sondern auch eine krampfhaft wirkende Kanonisierung des Zweiten Vatikanischen Konzils zu dessen 50-Jahr-Jubiläum.
Oder geht es noch um etwas anderes? War das nicht einmal anders? Eigentlich zogen Progressive einst aus, zu entdogmatisieren. Durch die Erkenntnis, mit diesem Unterfangen gescheitert zu sein, scheinen sie heute durch einen Strategiewechsel umso unerbittlicher ihre Position dogmatisieren zu wollen. Und Papst Franziskus kommt ihrem Wunsch entgegen?
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Tempi