Die sieben letzten Worte – Das vierte Wort: „Mein Gott! Mein Gott! Warum hast du mich verlassen?“


4wortvon Bischof Ful­ton J. Sheen

Anzei­ge

Die ersten drei Wor­te von der Kan­zel des Kreu­zes waren an die gerich­tet, die Gott am mei­sten liebt: Die Fein­de, die Sün­der und die Hei­li­gen. Die bei­den näch­sten, das vier­te und das fünf­te Wort, ent­hül­len die Lei­den des Gott­men­schen am Kreuz. Das vier­te Wort offen­bart sym­bo­lisch die Qua­len des Men­schen, der von Gott ver­las­sen ist, das fünf­te den Schmerz Got­tes, der von den Men­schen ver­las­sen ist.

Als Unser Herr Sein vier­tes Wort vom Kreuz sprach, bedeck­te Dun­kel­heit die Erde. Man sagt wohl, daß unser Kum­mer und unse­re Sor­gen die Natur nicht berüh­ren. Ein gan­zes Volk kann Hun­gers ster­ben, aber die Son­ne geht auf und spielt über die mit Dür­re geschla­ge­nen Fel­der. Der Bru­der mag sich zum Krieg gegen den Bru­der erhe­ben, so daß die roten Mohn­fel­der zu Äckern des Blu­tes wer­den; doch der Vogel, den Feu­er und Gra­na­ten nicht ver­seh­ren kön­nen, singt sein klei­nes, fried­li­ches Lied. Das Herz mag bre­chen im Schmerz um den ver­lo­re­nen Freund. Aber jubelnd spannt sich der Regen­bo­gen über den Him­mel, und sein Lächeln steht in grel­lem Gegen­satz zu den Qua­len, auf die er strahlt. Doch als Chri­stus gekreu­zigt wur­de, wei­ger­te die Son­ne sich, zu schei­nen. Das Licht, das den Tag beherrscht, wur­de wahr­schein­lich zum letz­ten Mal in der Geschich­te wie eine Ker­ze aus­ge­löscht, obwohl es nach jeder mensch­li­chen Berech­nung hät­te leuch­ten müs­sen. Aber die Natur selbst konn­te das größ­te Ver­bre­chen, das der Mensch beging, den Mord am Herrn der Natur, nicht gleich­gül­tig und ohne Empö­rung gesche­hen las­sen. Wenn Got­tes See­le im Dun­kel ver­sank, dann ver­dun­kel­te sich auch die Son­ne, die Er geschaf­fen hatte.

Wahr­haf­tig, alles war dun­kel! Er hat­te Sei­ne Mut­ter und Sei­nen gelieb­te­sten Jün­ger hin­ge­ge­ben und jetzt ver­ließ Ihn schein­bar auch Gott. „Eli, Eli, lamma sabo­chtani? Mein Gott! Mein Gott! War­um hast du mich ver­las­sen?“ Die Wor­te, in der geheim­nis­vol­len hebräi­schen Spra­che aus­ge­sto­ßen, drücken das undurch­dring­li­che und erschrecken­de Geheim­nis aus, daß hier Gott von Gott ver­las­sen ist. Der Sohn ruft Sei­nen Vater, Gott. Wie ganz anders klingt es nun als das Gebet, das Er einst gelehrt hat­te: „Vater Unser, der du bist im Him­mel!“ Auf selt­sa­me, geheim­nis­vol­le Wei­se scheint Sei­ne Men­schen­na­tur von Sei­nem gött­li­chen Vater getrennt, und doch nicht getrennt, zu sein. Denn wie könn­te Er sonst spre­chen: „Mein Gott! Mein Gott!“ Doch wie uns das Licht und die Son­ne von den Wol­ken genom­men wer­den kann, die sich vor sie schie­ben, obwohl die Son­ne selbst am Him­mel ste­hen bleibt, so konn­te es auch gesche­hen, daß das Ant­litz des Vaters sich in dem ent­setz­li­chen Augen­blick, da Er die Sün­den der Welt auf Sich nahm, vor Ihm ver­barg. Für jeden ein­zel­nen unter uns litt er die­se Qual und die­se Ver­las­sen­heit, damit wir nicht ver­ges­sen, wie schreck­lich es für den Men­schen und sei­ne inner­ste Wesen­heit ist, ohne Gott, des gött­li­chen Tro­stes und der gött­li­chen Hei­lung beraubt zu sein. Hier voll­zog sich der Akt höch­ster Süh­ne­lei­stung für drei Men­schen­grup­pen: für jene, die Gott auf­ge­ben, für jene, die an der Gegen­wart Got­tes zwei­feln, und für jene, die gleich­gül­tig gegen Gott sind.

Zuerst büß­te Er für die Athe­isten, dann für alle, die an jenem dunk­len Mit­tag nur halb an Gott glaub­ten, wie sie auch heu­te und jetzt im Dun­kel der Nacht nur halb an Ihn glau­ben. Er sühn­te für alle, die Gott ken­nen, aber leben, als hät­ten sie nie Sei­nen Namen ver­nom­men, für alle, deren Herz dem Weg­saum gleicht, auf den Got­tes Lie­be nur fällt, um von der Welt zer­tre­ten zu wer­den. Er erlö­ste alle, deren Herz wie stei­ni­ger Grund ist, auf den Got­tes Samen der Lie­be fällt, um dort schnell­stens wie­der zu ver­dor­ren; er litt für alle, deren Herz den Dor­nen ähnelt, auf die sich Got­tes Lie­be senkt, um von den Sor­gen die­ser Welt erstickt zu wer­den. Es war die Süh­ne für alle, die ein­mal geglaubt hat­ten und den Glau­ben ver­lo­ren, die ein­mal Hei­li­ge waren und jetzt Sün­der sind. Es voll­ende­te sich hier der gött­li­che Erlö­sungs­akt für jede Weg­wen­dung von Gott, denn in jenem Augen­blick, da Gott Ihn schein­bar ver­ließ, erkauf­te er für uns die Gna­de, daß Gott uns nie vergißt.
Er büß­te und sühn­te auch für die zwei­te Grup­pe von Men­schen, die Got­tes Gegen­wart leug­nen, für die Chri­sten, die nicht mehr stre­ben, wenn sie nicht Got­tes Nähe füh­len, für alle, denen Gut­sein gleich Wohl­be­fin­den gilt, für alle Skep­ti­ker seit jenem ersten, der die Fra­ge stell­te: „War­um hat Gott das befoh­len?“ Er mach­te die quä­len­den Fra­gen einer vom Zwei­fel geplag­ten Welt gut, die Fra­gen, die da lau­ten: „War­um gibt es das Böse? … War­um erhört Gott mein Gebet nicht?“ .. . „War­um nahm mir Gott mei­ne Mut­ter?“ … „war­um?“ … „war­um“ … „war­um“ … Gott selbst sprach zu Gott die­ses »war­um“, und sühn­te für all die­se Fragen.

Und schließ­lich büß­te Er mit Sei­ner Gott­ver­las­sen­heit für alle Gleich­gül­tig­keit die­ser Welt, die dahin­lebt, als habe es nie eine Krip­pe in Beth­le­hem oder ein Kreuz auf dem Kal­va­ri­en­berg gege­ben. Er erlö­ste damit alle, die den Wür­fel­be­cher schüt­teln, wäh­rend das Dra­ma der Erlö­sung abroll­te, alle, die sich selbst Gott dün­ken und glau­ben, über allen Pflich­ten der Got­tes­ver­eh­rung und Reli­gi­on, ohne Bin­dung und ohne Bezie­hung, zu ste­hen. Ich bin über­zeugt, nach die­sen zwan­zig Jahr­hun­der­ten ist die Gleich­gül­tig­keit der moder­nen Welt quä­len­der gewor­den und pei­ni­gen­der als die Schmer­zen auf dem Kal­va­ri­en­berg. Sicher bohr­ten die Dor­nen­kro­ne und die Stahl­nä­gel nicht so bren­nend in das Fleisch Unse­res Erlö­sers wie Ihn unse­re moder­ne Gleich­gül­tig­keit lei­den läßt, die Chri­stus zwar nicht ver­höhnt, aber auch nicht zu Ihm betet.

Gebet

Jesus! Nun büßt Du für die Zei­ten, da wir weder heiß noch kalt sind, weder dem Him­mel noch der Erde ange­hö­ren, denn jetzt lei­dest Du von bei­den, ver­sto­ßen von der einen und vom andern ver­las­sen. Weil Du Dich nicht von der sün­di­gen Mensch­heit los­sa­gen woll­test, ver­barg Dein himm­li­scher Vater Sein Ant­litz vor Dir. Weil Du Dich nicht von Dei­nem himm­li­schen Vater los­sa­gen woll­test, wand­te Dir die sün­di­ge Mensch­heit den Rücken und so bringst Du bei­de zu einer hei­li­gen Gemein­schaft. Die Men­schen kön­nen nicht mehr sagen, Gott weiß nichts von der Ver­las­sen­heit, die das Herz lei­det, denn Du selbst bist ver­las­sen. Die Men­schen kön­nen nicht mehr kla­gen, Gott ken­ne nicht die Wun­den eines suchen­den, for­schen­den Her­zens, das Got­tes Nähe nicht spürt, denn nun ist die wun­der­ba­re Gegen­wart Got­tes schein­bar Dir ent­rückt. Jesus, jetzt erst begrei­fe ich Schmerz, Ver­las­sen­heit und Leid, da ich sehe, daß sogar die Son­ne sich ver­dun­kelt hat. Doch war­um ler­ne ich nichts dar­aus, mein Jesus? Wie Du nicht selbst Dein Kreuz mach­test, mache auch ich das mei­ne nicht, son­dern neh­me wil­lig das auf mich, das Du für mich bereit hältst. Leh­re mich, daß alles in der Welt Dein ist außer einem, und das ist mein Wil­le. Da er mir gehört, ist er die ein­zi­ge wirk­li­che und ech­te Gabe, die ich Dir je schen­ken kann. Leh­re mich sagen: „Nicht mein Wil­le, son­dern der Dei­ne gesche­he, o Herr.“ Gewäh­re mir die Gna­de zu glau­ben, selbst wenn ich Dich nicht sehe. „Obwohl Du mich schlägst, will ich Dir ver­trau­en. Sag mir, wie lan­ge, wie lan­ge, o Herr, wer­de ich Dich noch am Kreuz von Schmerz zer­ris­sen hän­gen lassen?

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2 Kommentare

  1. „Die Wor­te, in der geheim­nis­vol­len hebräi­schen Spra­che aus­ge­sto­ßen, drücken das undurch­dring­li­che und erschrek­ken­de Geheim­nis aus, daß hier Gott von Gott ver­las­sen ist. Der Sohn ruft Sei­nen Vater, Gott.“

    „(Er büß­te für) … jene, die Gott auf­ge­ben, für jene, die an der Gegen­wart Got­tes zwei­feln, und für jene, die gleich­gül­tig gegen Gott sind.“

    Dan­ke an die Redak­ti­on für die­se Erin­ne­rung durch Bischof Ful­ton Sheen!

    „Die Men­schen kön­nen nicht mehr sagen, Gott weiß nichts von der Ver­las­sen­heit, die das Herz lei­det, denn Du selbst bist verlassen.“

    Ja, das ist es!

    Man könn­te aus des­sen Wor­ten fast den umstrit­te­nen Engel aus Fati­ma hören!

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