(Rom) Papst Johannes XXIII. (1958–1963) erlebt nach Jahren der Stille eine neue Aufmerksamkeit. Dazu führte das Zusammentreffen von zwei Ereignissen: 50 Jahre Zweites Vatikanisches Konzil und die Wahl von Papst Franziskus, den manche mit viel Einsatz in die Nähe des Konzilspapstes rücken. Dazu gehört der ehemalige Sekretär von Papst Roncalli, Msgr. Loris Capovilla, den Papst Franziskus in den Kardinalsrang erhob. Kardinal Capovilla behauptete erst vor kurzem, Papst Franziskus hätte sich ursprünglich sogar Johannes XXIV. nennen wollen. Eine Version, die in Rom bezweifelt wird, aber gut in ein bestimmtes Bild paßt.
Die Erhebung des 93jährigen Capovilla zum Kardinal wie auch die wunderlose Heiligsprechung von Johannes XXIII. am kommenden 27. April gelten als kirchenpolitische Maßnahmen, um jene „progressive“ Seite der Kirche zufriedenzustellen, die die Pontifikate von Johannes Paul II. und besonders Benedikt XVI. als „Restaurationsversuch“ kritisierten. Msgr. Capovilla widmete sein schriftstellerisches Schaffen vor allem dem Leben und Wirken von Papst Roncalli und in diesem Zusammenhang dem Zweiten Vatikanischen Konzil.
Kirchenpolitische Rehabilitierung des Konzilsgeistes gegen „Restauration“
Die gemeinsame Heiligsprechung von Johannes Paul II. und dem Konzilspapst stellen weniger einen „goldenen Mittelweg“ dar, sondern das Konterkarieren der Heiligsprechung des polnischen Papstes, dessen Verfahren mit der Anerkennung eines Wunders bereits so weit fortgeschritten war, daß eine Verzögerung zu große Irritationen ausgelöst hätte.
Mit Blick auf die unerwartete Heiligsprechung von Johannes XXIII. wurde nun die neue und vollständige Ausgabe aller Tagebücher von Papst Roncalli herausgegeben. Exemplare der kommentierten und edierten Ausgabe erhalten eine Auswahl bedeutender Bibliotheken und alle Apostolische Nuntiaturen der Welt.
Um „Geheimnis“ des „aggiornamento“ zu verstehen, müsse man „sehr tief“ in seinem Leben graben
Johannes XXIII. hinterließ zahlreiche persönliche Aufzeichnungen, darunter besonders seine Terminkalender, Tagebücher und Notizen. Kardinal Giacomo Lercaro, damals Erzbischof von Bologna, und einer der progressiven Wortführer des Konzils sagte, daß man, um das „Geheimnis“ Johannes XXIII., das heißt sein Programm des „aggiornamento“ der Kirche, zu verstehen, „sehr tief“ in dessen Leben bevor er Papst wurde „graben“ müsse.
Am vergangenen Samstag wurde in dem nach dem Konzilspapst benannten Saal an der Kurie von Bergamo ein zehnbändiges neues Werk vorgestellt, das Tagebücher und Terminkalender Roncallis seit seiner Jugend sammelt. Die Veröffentlichung wurde in einer Auflage von 300 Exemplaren gedruckt und wird gezielt an ausgewählte Bibliotheken verteilt, darunter an alle Nuntiaturen, die renommiertesten Bibliotheken und bestimmte Bibliotheken an symbolischen Orten wie Tübingen und Löwen, Hiroshima und Nagasaki.
„Schule von Bologna“ zeichnet verantwortlich
Die Herausgabe erfolgte durch die Stiftung Giovanni XXIII von Bergamo, die Diözese Bergamo und dem Institut für Religionswissenschaften von Bologna, die mit der progressiven Schule von Bologna der Konzilsinterpretation zusammenhängt. Der Leiter der Schule von Bologna, der Kirchenhistoriker Alberto Melloni gehörte dann auch zu den Rednern der Präsentation. Die Republik Italien förderte die Veröffentlichung als Beitrag zum „nationalen Erbe“.
Die zehn Bände beruhen in erster Linie auf den Archivbeständen der Schule von Bologna, des Heiligen Stuhls, der Postulation für das Heiligsprechungsverfahren und dem nunmehrigen Kardinal Capovilla. Bei der Vorstellung wurden kleinere Auszüge vorgetragen, darunter auch ein Tagebucheintrag während seiner Zeit als Nuntius in der Türkei (1935–1944) über das türkische Volk:
„Ich liebe sie im gekreuzigten Jesus und leide darunter, daß die Christen so schlecht darüber sprechen und damit beweisen, wie wenig das Evangelium in ihre Seelen eingedrungen ist. Ich liebe sie, weil das Teil meines Amtes ist, als Vater, als Hirte und als Apostolischer Delegat: ich liebe sie, weil ich glaube, daß sie zur Erlösung gerufen sind. Ich weiß, daß der Geist zahlreicher unter meinen westlichen katholischen Kindern gegen mich ist. Aber weder beunruhigt mich das noch entmutigt es mich“ (Eintrag vom 27. Juli 1936).
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons