(Rom) Heute vor einem Jahr, am 13. März 2013 stieg am Abend weißer Rauch aus der Sixtinischen Kapelle auf. Das Konklave, an dem 115 Kardinäle teilnahmen, hatte im fünften Wahlgang den Argentinier Jorge Mario Kardinal Bergoglio aus dem Jesuitenorden, den Erzbischof von Buenos Aires zum neuen Oberhaupt der Katholischen Kirche gewählt. Kardinal Bergoglio nahm den Namen Franziskus an. Beide Umstände stellten bereits eine Sensation dar. Der erste Europäer auf dem Papstthron, der aber aus einem außereuropäischen Land kommt. Der erste Papst aus Lateinamerika, der erste Jesuit auf dem Papstthron und das erste Kirchenoberhaupt, das den Namen des großen mittelalterlichen Heiligen aus Assisi wählte. In diesem Rhythmus ging es dann Schlag auf Schlag weiter. Diese Seite dokumentiert die Etappen dieses Pontifikats. Auch die Tatsache, daß Papst Franziskus nicht im fünften, sondern erst im sechsten Wahlgang gewählt wurde. Der fünfte Wahlgang war nachträglich annulliert worden, weil sich mit 116 Stimmzetteln einer zuviel in der Urne befand. Welche Zwischenbilanz kann nach einem Jahr dieses Pontifikats gezogen werden?
Ambivalente Zwischenbilanz eines Pontifikats mit bedenklicher Schlagseite
Die Zwischenbilanz fällt nach einem Jahr ambivalent aus und ist mit einer gewissen Portion Schauer verbunden. Hier die bedenkenswertesten Analysen des vergangenen Jahres, die zur erneuten Lektüre empfohlen werden:
- Das falsche Zeichen. Franziskus und der Papstornat von Peter Stephan
- „Er liebt es von allen geliebt zu werden“ – Dramatischer Brief einer Katholikin an Papst Franziskus von Lucrecia Rego de Planas
- Christus ist keine Option unter vielen, schon gar nicht für seinen Stellvertreter auf Erden – Warum uns dieser Papst nicht gefällt von Mario Palmaro und Alessandro Gnocchi
- Evangelistischer Franziskus oder ‚papa haereticus‘? – Ein bedrückendes Unentschieden von Klaus Obenauer
- Kann die Kirche einen „Dialog ohne Vorurteile“ führen? – Einige kritische Einwände an Papst Franziskus von Hanna Jüngling
- Die Kirche als Feldlazarett der Followers – Zuspruch umgekehrt proportional zur Klarheit der Botschaft? von Mario Palmaro und Alessandro Gnocchi
- Postmoderner Papst Franziskus will theologische Diskussion überwinden – Die Niederlage Benedikts XVI. von Roberto de Mattei
- Das Problem ist das Schweigen der Kirche – Der Rauch Satans von Mario Palmaro
- Das Ende einer Zivilisation – „Wer die Kirche liebt, verteidigt sie“ von Roberto de Mattei
- Der Kampf gegen die Kirche und das Lob für Franziskusvon Sandro Magister
- Katholische Kirche auf dem Weg ins Dhimmi-System? von Sandro Magister
- Was Gott vereint, kann auch Kasper nicht trennen – Versuch einer paradoxen Kulturrevolution in der Kirche von Roberto de Mattei
- „Kaspers Rede aus Stoff für weiße Fahne der Kapitulation gemacht“ von Mario Palmaro und Alessandro Gnocchi
Irritierendes Auftreten eines Jesuiten im intellektuellen Habitus eines mittelmäßigen Dorfpfarrers
Die großen Medien zelebrieren den Papst seit seinem ersten Auftreten als „revolutionäre“ Erscheinung, der die Kirche „verwandle“. Dabei tritt er der Welt als Lehrmeister mit dem intellektuellen Habitus eines mittelmäßigen Dorfpfarrers gegenüber, was einige Katholiken noch mehr irritiert, weil man einem Jesuiten eine solche Rolle nicht recht abnehmen will. Die Popularität des Papstes steht dabei in ziemlich exakt umgekehrtem Verhältnis zum Ansehen der Katholischen Kirche. Die Schere tut sich noch weiter auf, wenn man die Frage stellt, ob die popstar-ähnliche Zelebrierung des argentinischen Papstes das religiöse Leben der Katholiken in diesem Jahr gefördert oder eine Bekehrung der Nicht-Katholiken ausgelöst hat. Oder die Frage, ob die Lehre, die Jesus Christus der Katholischen Kirche anvertraute, heute die Menschen mehr und klarer erreicht. Man wird dem Resümee kaum widersprechen können, daß sie wohl vielmehr relativierter bei den Menschen ankommt. (Man denke an den berüchtigten Satz zur Homosexualität: „Wer bin ich , um zu urteilen?“ auf dem Rückflug von Rio; oder die „Abschaffung der Sünde“ und die Postulierung des freien Gewissens als „Letztinstanz“ über gut und böse im Scalfari-Interview.)
„Abschaffung der Sünde“ und „Letztinstanz“ freies Gewissen?
Der Jubel der Welt scheint sich darauf zu beschränken, vom Papst den Ab- und Rückbau der Katholischen Kirche zu erwarten. Das simple Gespräch mit „liberalen“ Katholiken oder Kirchenfernen erhellt, was sich hinter dem Jubel für Franziskus verbirgt. Man erwartet sich von ihm, daß er die Kirche „liberalisiert“, was im konkreten bedeutet, daß die Kirche die Menschen einfach in Ruhe lassen sollte (so schreiben es auch die Medien und so steht es de facto in den Antworten der Bischofskonferenzen des deutschen Sprachraums zum Fragebogen für die Bischofssynode). Die Kirche sollte zum Dienstleistungsunternehmen für besondere Feste und Todesfälle werden, sich ansonsten, mit mehr oder weniger Wohlwollen der Bevölkerung, mit die Rolle einer Mega-Caritas begnügen. In diesem Dienstleistungsunternehmen habe das Verhältnis zwischen Kirche und Menschen eine Einbahn zu sein. Die Menschen nehmen die Dienste der Kirche bei Bedarf und Wunsch in Anspruch, ansonsten soll sich die Kirche hüten, sich irgendwo einzumischen. Jedenfalls nicht in die Dinge, die nicht ohnehin vom vorherrschenden Zeitgeist geteilt werden und daher mehrheitsfähig sind oder mehrheitsfähig gemacht werden.
Das Schweigen als Wesensmerkmal eines Pontifikats
Das erklärt, warum in diesem Jahr ungeahnt harte Angriffe gegen die Katholische Kirche geführt wurden, doch der Papst davon ausgeklammert blieb. Die politisch Mächtigen trachten die Kirche ihren Interessen dienstbar zu machen, für den Staat funktional „nützlich“ zu machen, ob als Stütze der Staatsmacht oder als „Erzieher“ zu einem bestimmten Verhalten oder einer neue landwirtschaftlichen Anbaumethode wie zur Zeit des Josephinismus.
Auch heute gibt es vergleichbare Bestrebungen, sich die Bedeutung der Katholischen Kirche mit ihren 1,3 Milliarden Angehörigen und ihrem kapillaren Netz über die ganze Erde, – eine Organisation, die nichts Vergleichbares auf dieser Welt kennt – dienstbar zu machen. Dienstbar meint heutenicht mehr gekrönte Häupter, aber dennoch absoulutistische Fürsten, nämlich die Entscheidungsträger in den internationalen Institutionen der Vereinten Nationen. Um genauer zu sein, jene politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Gruppen, die in der UNO den Ton angeben. Es ist ein Kulturkampf ungeahnten Ausmaßes im Gange, der sich seit den frühen 90er Jahren immer mehr zuspitzt. Die Amtszeiten der demokratischen US-Präsidenten, des Baptisten Bill Clinton und besonders des undefinierten Christen Barack Obama bedeuteten besondere Schübe in diese Richtung, die auch in der EU weitgehend tonangebend ist.
Wenn die Stärkeverhältnisse heute sind, wie sie sind, dann nicht zuletzt auch, weil in den vergangenen Jahrzehnten zu viele in der Katholischen Kirche ihre Aufgaben nicht erfüllt oder sogar gemeinsame Sache mit den Kirchengegnern gemacht haben. Keine Mutmaßung, sondern eine tausendfach belegbare historische und aktuelle Tatsache. Eine Entwicklung zu der die Einberufung des Zweiten Vatikanischen Konzils die Tore aufgestoßen hat. Die Frage ist dabei gar nicht entscheidend, ob und inwieweit die Dokumente des Konzils, also das Konzil im eigentlichen Sinn, Verantwortung dafür trägt. Die Kirche erlebte wie die Gesellschaft insgesamt die 68er Revolution. Ein Umbruch, der die Welt veränderte und die Kirche vor Herausforderungen stellt, auf die sie nicht angemessen zu antworten weiß, sondern in Fraktionskämpfe zerfallen ist. In Fraktionen von zugegeben ganz unterschiedlicher Größe und vor allem unterschiedlichem Gewicht im offiziellen Kirchenapparat einerseits und im gläubigen Volk andererseits.
Die weiße Fahne der Kapitulation bereitgelegt?
Es wäre vermessen zu behaupten, Papst Franziskus werde sich vor diesen Karren spannen lassen. Die Frage bleibt offen und allein dieser Umstand ist bereits sensationell neu und besorgniserregend. Tatsache ist, daß Franziskus geradezu penibel darauf achtet, alles zu vermeiden, um sich gegen den Zeitgeist zu stellen. Seine Worte und seine Gesten bewegen sich mit kalkulierter Präzision immer im Rahmen des politisch Korrekten. Wenn er ausnahmsweise und erst nach entsprechendem innerkirchlichen Druck zu Themen Stellung nimmt, die diesem Zeitgeist widersprechen, wie das Lebensrecht ungeborener Kinder, tut er es höchst widerwillig (man soll nicht „immer“ darüber reden und „versessen“ auf diese Themen sein) und an möglichst unauffälliger Stelle. Verlautbarungen, die mehr der Ruhigstellung „konservativer“ Kirchenkreise gelten, was zumindest teilweise durchaus funktioniert.
Weg in den Dhimmi-Status?
Aufmerksame Beobachter warnen nach einem Jahr dieses Pontifikats davor, daß die Katholische Kirche unter ihrem amtierenden Oberhaupt die Weiße Fahne zur Kapitulation hissen und sich den vorherrschenden weltlichen Kräften unterwerfen könnte. Das Bild der Weißen Fahne, die im Vatikan vor den Mächtigen dieser Welt gehißt werden könnte, stammt vom soeben verstorbenen Rechtsphilosophen Mario Palmaro. Anders aber ähnlich formulierte es zum selben Anlaß der Vatikanist Sandro Magister, der davor warnt, daß sich die Katholische Kirche in den Status von Dhimmis fügt. Er warnt davor, daß Papst Franziskus und jene Gruppe von Kardinälen, die seine Wahl als entschlossene Minderheit vorbereitete und im Konklave durchsetzte, die Kirche in jenen Zustand der Unterworfenheit gegenüber den Weltmächten zu führen scheint, wie sie der Islam als einzigen schariakonformen Status für Christen in einem islamischen Staat vorsieht: den Status von Bürgern zweiter Klasse.
Die zerbrochene Allianz
Das unter Papst Johannes Paul II. langsam reorganisierte „Lager“ kirchen- und glaubenstreuer Katholiken, das Benedikt XVI. um die traditionsverbundene Seite erweiterte, ist an der Frage, wie mit diesem unerwarteten und in vielem befremdenden Pontifikat umzugehen, zerbrochen. Ein Teil hat sich kritiklos dem Jubelchor angeschlossen und muß dazu täglich neue Schattensprünge vollziehen, um sich immer neu dem argentinischen Papst anzupassen, und muß sich dabei – vielleicht ohne es zu bemerken oder zumindest bemerken zu wollen – immer weiter vom eigenen Ausgangspunkt entfernen. Ein anderer Teil findet sich wider Erwarten und gegen den eigentlichen Willen als Papstkritiker wieder. Eine Rolle, die man jahrelang nur und vor allem progressiven Kreisen zuschrieb. Der Unterschied: Die progressiven Papstkritiker zu Zeiten Johannes Pauls II. und Benedikts XVI. schmollten im deutschen Sprachraum zwar gegen Rom, doch ihr Schmollwinkel war dabei in der Regel der kirchensteuergepolsterte Sessel einer Professur oder das wohldotiere Amtszimmer eines diözesanen Kirchenfunktionärs. Privilegien, von denen die traditionsverbundenen Papstkritiker weit entfernt sind, was allerdings um so mehr zur Authentizität ihrer Kritik beiträgt. Es gibt aber noch einen weiteren Teil, der sich desorientiert wirkt und sich zurückzieht oder Zuflucht im Irrationalen sucht. Menschlich verständlich, doch in der Sache unangemessen und wenig hilfreich, weder für sie persönlich noch für die Katholische Kirche.
Strategie oder Strategielosigkeit?
Es wäre vermessen, zu behaupten, Papst Franziskus wolle die Kirche tatsächlich in Zuge einer klaren Strategie in den Dhimmi-Status führen. Noch vermessener erscheint es allerdings, zu behaupten, wie es ein professioneller Jubelchor tut, daß Papst Franziskus dieser Kirche Segen bringt. Wenn er dies tut, dann ist er jedenfalls noch nicht erkennbar. Überhaupt scheint unklar, ob der Papst überhaupt einer bestimmten Strategie folgt oder sein Handeln situationsbedingte Strategielosigkeit ist. Was zum abschließenden Gedanken dieser Zwischenbilanz verleitet, nämlich der Annahme, daß nach zwölf Monaten dieses Pontifikats nicht mehr ausgeschlossen werden kann, daß der Jesuit auf dem Papstthron mit dem Auftreten eines argentinischen Dorfpfarrers sein Pontifikat irgendwann beenden könnte, ohne daß die Frage wirklich beantwortbar wäre, welche Linie er eigentlich verfolgte. Einer Sache kann und will jeder gläubige Katholik Papst Franziskus zum ersten Jahrestag seiner Wahl versichern: des Gebets für ihn.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: CR