Ein Jahr Papst Franziskus – Ambivalentes Pontifikat zwischen Popularität und Schweigen


Vor einem Jahr Wahl von Papst Franziskus(Rom) Heu­te vor einem Jahr, am 13. März 2013 stieg am Abend wei­ßer Rauch aus der Six­ti­ni­schen Kapel­le auf. Das Kon­kla­ve, an dem 115 Kar­di­nä­le teil­nah­men, hat­te im fünf­ten Wahl­gang den Argen­ti­ni­er Jor­ge Mario Kar­di­nal Berg­o­glio aus dem Jesui­ten­or­den, den Erz­bi­schof von Bue­nos Aires zum neu­en Ober­haupt der Katho­li­schen Kir­che gewählt. Kar­di­nal Berg­o­glio nahm den Namen Fran­zis­kus an. Bei­de Umstän­de stell­ten bereits eine Sen­sa­ti­on dar. Der erste Euro­pä­er auf dem Papst­thron, der aber aus einem außer­eu­ro­päi­schen Land kommt. Der erste Papst aus Latein­ame­ri­ka, der erste Jesu­it auf dem Papst­thron und das erste Kir­chen­ober­haupt, das den Namen des gro­ßen mit­tel­al­ter­li­chen Hei­li­gen aus Assi­si wähl­te. In die­sem Rhyth­mus ging es dann Schlag auf Schlag wei­ter. Die­se Sei­te doku­men­tiert die Etap­pen die­ses Pon­ti­fi­kats. Auch die Tat­sa­che, daß Papst Fran­zis­kus nicht im fünf­ten, son­dern erst im sech­sten Wahl­gang gewählt wur­de. Der fünf­te Wahl­gang war nach­träg­lich annul­liert wor­den, weil sich mit 116 Stimm­zet­teln einer zuviel in der Urne befand. Wel­che Zwi­schen­bi­lanz kann nach einem Jahr die­ses Pon­ti­fi­kats gezo­gen werden? 

Ambivalente Zwischenbilanz eines Pontifikats mit bedenklicher Schlagseite

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Die Zwi­schen­bi­lanz fällt nach einem Jahr ambi­va­lent aus und ist mit einer gewis­sen Por­ti­on Schau­er ver­bun­den. Hier die beden­kens­wer­te­sten Ana­ly­sen des ver­gan­ge­nen Jah­res, die zur erneu­ten Lek­tü­re emp­foh­len werden:

Irritierendes Auftreten eines Jesuiten im intellektuellen Habitus eines mittelmäßigen Dorfpfarrers

Die gro­ßen Medi­en zele­brie­ren den Papst  seit sei­nem ersten Auf­tre­ten als „revo­lu­tio­nä­re“ Erschei­nung, der die Kir­che „ver­wand­le“. Dabei tritt er der Welt als Lehr­mei­ster mit dem intel­lek­tu­el­len Habi­tus eines mit­tel­mä­ßi­gen Dorf­pfar­rers gegen­über, was eini­ge Katho­li­ken noch mehr irri­tiert, weil man einem Jesui­ten eine sol­che Rol­le nicht recht abneh­men will. Die Popu­la­ri­tät des Pap­stes steht dabei in ziem­lich exakt umge­kehr­tem Ver­hält­nis zum Anse­hen der Katho­li­schen Kir­che. Die Sche­re tut sich noch wei­ter auf, wenn man die Fra­ge stellt, ob die pop­star-ähn­li­che Zele­brie­rung des argen­ti­ni­schen Pap­stes das reli­giö­se Leben der Katho­li­ken in die­sem Jahr geför­dert oder eine Bekeh­rung der Nicht-Katho­li­ken aus­ge­löst hat. Oder die Fra­ge, ob die Leh­re, die Jesus Chri­stus der Katho­li­schen Kir­che anver­trau­te, heu­te die Men­schen mehr und kla­rer erreicht. Man wird dem Resü­mee kaum wider­spre­chen kön­nen, daß sie wohl viel­mehr rela­ti­vier­ter bei den Men­schen ankommt. (Man den­ke an den berüch­tig­ten Satz zur Homo­se­xua­li­tät: „Wer bin ich , um zu urtei­len?“ auf dem Rück­flug von Rio; oder die „Abschaf­fung der Sün­de“ und die Postu­lie­rung des frei­en Gewis­sens als „Letzt­in­stanz“ über gut und böse im Scalfari-Interview.)

„Abschaffung der Sünde“ und „Letztinstanz“ freies Gewissen?

Der Jubel der Welt scheint sich dar­auf zu beschrän­ken, vom Papst den Ab- und Rück­bau der Katho­li­schen Kir­che zu erwar­ten. Das simp­le Gespräch mit „libe­ra­len“ Katho­li­ken oder Kir­chen­fer­nen erhellt, was sich hin­ter dem Jubel für Fran­zis­kus ver­birgt. Man erwar­tet sich von ihm, daß er die Kir­che „libe­ra­li­siert“, was im kon­kre­ten bedeu­tet, daß die Kir­che die Men­schen ein­fach in Ruhe las­sen soll­te (so schrei­ben es auch die Medi­en und so steht es de fac­to in den Ant­wor­ten der Bischofs­kon­fe­ren­zen des deut­schen Sprach­raums zum Fra­ge­bo­gen für die Bischofs­syn­ode). Die Kir­che soll­te zum Dienst­lei­stungs­un­ter­neh­men für beson­de­re Feste und Todes­fäl­le wer­den, sich anson­sten, mit mehr oder weni­ger Wohl­wol­len der Bevöl­ke­rung, mit die Rol­le einer Mega-Cari­tas begnü­gen. In die­sem Dienst­lei­stungs­un­ter­neh­men habe das Ver­hält­nis zwi­schen Kir­che und Men­schen eine Ein­bahn zu sein. Die Men­schen neh­men die Dien­ste der Kir­che bei Bedarf und Wunsch in Anspruch, anson­sten soll sich die Kir­che hüten, sich irgend­wo ein­zu­mi­schen. Jeden­falls nicht in die Din­ge, die nicht ohne­hin vom vor­herr­schen­den Zeit­geist geteilt wer­den und daher mehr­heits­fä­hig sind oder mehr­heits­fä­hig gemacht werden.

Das Schweigen als Wesensmerkmal eines Pontifikats

Das erklärt, war­um in die­sem Jahr unge­ahnt har­te Angrif­fe gegen die Katho­li­sche Kir­che geführt wur­den, doch der Papst davon aus­ge­klam­mert blieb. Die poli­tisch Mäch­ti­gen trach­ten die Kir­che ihren Inter­es­sen dienst­bar zu machen, für den Staat funk­tio­nal „nütz­lich“ zu machen, ob als Stüt­ze der Staats­macht oder als „Erzie­her“ zu einem bestimm­ten Ver­hal­ten oder einer neue land­wirt­schaft­li­chen Anbau­me­tho­de wie zur Zeit des Josephinismus.

Auch heu­te gibt es ver­gleich­ba­re Bestre­bun­gen, sich die Bedeu­tung der Katho­li­schen Kir­che mit ihren 1,3 Mil­li­ar­den Ange­hö­ri­gen und ihrem kapil­la­ren Netz über die gan­ze Erde, – eine Orga­ni­sa­ti­on, die nichts Ver­gleich­ba­res auf die­ser Welt kennt – dienst­bar zu machen. Dienst­bar meint heu­te­nicht mehr gekrön­te Häup­ter, aber den­noch absou­lu­ti­sti­sche Für­sten, näm­lich die Ent­schei­dungs­trä­ger in den inter­na­tio­na­len Insti­tu­tio­nen der Ver­ein­ten Natio­nen. Um genau­er zu sein, jene poli­ti­schen, wirt­schaft­li­chen und ideo­lo­gi­schen Grup­pen, die in der UNO den Ton ange­ben. Es ist ein Kul­tur­kampf unge­ahn­ten Aus­ma­ßes im Gan­ge, der sich seit den frü­hen 90er Jah­ren immer mehr zuspitzt. Die Amts­zei­ten der demo­kra­ti­schen US-Prä­si­den­ten, des Bap­ti­sten Bill Clin­ton und beson­ders des unde­fi­nier­ten Chri­sten Barack Oba­ma bedeu­te­ten beson­de­re Schü­be in die­se Rich­tung, die auch in der EU weit­ge­hend ton­an­ge­bend ist.

Wenn die Stär­ke­ver­hält­nis­se heu­te sind, wie sie sind, dann nicht zuletzt auch, weil in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten zu vie­le in der Katho­li­schen Kir­che ihre Auf­ga­ben nicht erfüllt oder sogar gemein­sa­me Sache mit den Kir­chen­geg­nern gemacht haben. Kei­ne Mut­ma­ßung, son­dern eine tau­send­fach beleg­ba­re histo­ri­sche und aktu­el­le Tat­sa­che. Eine Ent­wick­lung zu der die Ein­be­ru­fung des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils die Tore auf­ge­sto­ßen hat. Die Fra­ge ist dabei gar nicht ent­schei­dend, ob und inwie­weit die Doku­men­te des Kon­zils, also das Kon­zil im eigent­li­chen Sinn, Ver­ant­wor­tung dafür trägt. Die Kir­che erleb­te wie die Gesell­schaft ins­ge­samt die 68er Revo­lu­ti­on. Ein Umbruch, der die Welt ver­än­der­te und die Kir­che vor Her­aus­for­de­run­gen stellt, auf die sie nicht ange­mes­sen zu ant­wor­ten weiß, son­dern in Frak­ti­ons­kämp­fe zer­fal­len ist. In Frak­tio­nen von zuge­ge­ben ganz unter­schied­li­cher Grö­ße und vor allem unter­schied­li­chem Gewicht im offi­zi­el­len Kir­chen­ap­pa­rat einer­seits und im gläu­bi­gen Volk andererseits.

Die weiße Fahne der Kapitulation bereitgelegt?

Es wäre ver­mes­sen zu behaup­ten, Papst Fran­zis­kus wer­de sich vor die­sen Kar­ren span­nen las­sen. Die Fra­ge bleibt offen und allein die­ser Umstand ist bereits sen­sa­tio­nell neu und besorg­nis­er­re­gend. Tat­sa­che ist, daß Fran­zis­kus gera­de­zu peni­bel dar­auf ach­tet, alles zu ver­mei­den, um sich gegen den Zeit­geist zu stel­len. Sei­ne Wor­te und sei­ne Gesten bewe­gen sich mit kal­ku­lier­ter Prä­zi­si­on immer im Rah­men des poli­tisch Kor­rek­ten. Wenn er aus­nahms­wei­se und erst nach ent­spre­chen­dem inner­kirch­li­chen Druck zu The­men Stel­lung nimmt, die die­sem Zeit­geist wider­spre­chen, wie das Lebens­recht unge­bo­re­ner Kin­der, tut er es höchst wider­wil­lig (man soll nicht „immer“ dar­über reden und „ver­ses­sen“ auf die­se The­men sein) und an mög­lichst unauf­fäl­li­ger Stel­le. Ver­laut­ba­run­gen, die mehr der Ruhig­stel­lung „kon­ser­va­ti­ver“ Kir­chen­krei­se gel­ten, was zumin­dest teil­wei­se durch­aus funktioniert.

Weg in den Dhimmi-Status?

Auf­merk­sa­me Beob­ach­ter war­nen nach einem Jahr die­ses Pon­ti­fi­kats davor, daß die Katho­li­sche Kir­che unter ihrem amtie­ren­den Ober­haupt die Wei­ße Fah­ne zur Kapi­tu­la­ti­on his­sen und sich den vor­herr­schen­den welt­li­chen Kräf­ten unter­wer­fen könn­te. Das Bild der Wei­ßen Fah­ne, die im Vati­kan vor den Mäch­ti­gen die­ser Welt gehißt wer­den könn­te, stammt vom soeben ver­stor­be­nen Rechts­phi­lo­so­phen Mario Pal­ma­ro. Anders aber ähn­lich for­mu­lier­te es zum sel­ben Anlaß der Vati­ka­nist San­dro Magi­ster, der davor warnt, daß sich die Katho­li­sche Kir­che in den Sta­tus von Dhim­mis fügt. Er warnt davor, daß Papst Fran­zis­kus und jene Grup­pe von Kar­di­nä­len, die sei­ne Wahl als ent­schlos­se­ne Min­der­heit vor­be­rei­te­te und im Kon­kla­ve durch­setz­te, die Kir­che in jenen Zustand der Unter­wor­fen­heit gegen­über den Welt­mäch­ten zu füh­ren scheint, wie sie der Islam als ein­zi­gen scha­ria­kon­for­men Sta­tus für Chri­sten in einem isla­mi­schen Staat vor­sieht: den Sta­tus von Bür­gern zwei­ter Klasse.

Die zerbrochene Allianz

Das unter Papst Johan­nes Paul II. lang­sam reor­ga­ni­sier­te „Lager“ kir­chen- und glau­bens­treu­er Katho­li­ken, das Bene­dikt XVI. um die tra­di­ti­ons­ver­bun­de­ne Sei­te erwei­ter­te, ist an der Fra­ge, wie mit die­sem uner­war­te­ten und in vie­lem befrem­den­den Pon­ti­fi­kat umzu­ge­hen, zer­bro­chen. Ein Teil hat sich kri­tik­los dem Jubel­chor ange­schlos­sen und muß dazu täg­lich neue Schat­ten­sprün­ge voll­zie­hen, um sich immer neu dem argen­ti­ni­schen Papst anzu­pas­sen, und muß sich dabei – viel­leicht ohne es zu bemer­ken oder zumin­dest bemer­ken zu wol­len – immer wei­ter vom eige­nen Aus­gangs­punkt ent­fer­nen. Ein ande­rer Teil fin­det sich wider Erwar­ten und gegen den eigent­li­chen Wil­len als Papst­kri­ti­ker wie­der. Eine Rol­le, die man jah­re­lang nur und vor allem pro­gres­si­ven Krei­sen zuschrieb. Der Unter­schied: Die pro­gres­si­ven Papst­kri­ti­ker zu Zei­ten Johan­nes Pauls II. und Bene­dikts XVI. schmoll­ten im deut­schen Sprach­raum zwar gegen Rom, doch ihr Schmoll­win­kel war dabei in der Regel der kir­chen­steu­er­ge­pol­ster­te Ses­sel einer Pro­fes­sur oder das wohl­do­tie­re Amts­zim­mer eines diö­ze­sa­nen Kir­chen­funk­tio­närs. Pri­vi­le­gi­en, von denen die tra­di­ti­ons­ver­bun­de­nen Papst­kri­ti­ker weit ent­fernt sind, was aller­dings um so mehr zur Authen­ti­zi­tät ihrer Kri­tik bei­trägt. Es gibt aber noch einen wei­te­ren Teil, der sich des­ori­en­tiert wirkt und sich zurück­zieht oder Zuflucht im Irra­tio­na­len sucht. Mensch­lich ver­ständ­lich, doch in der Sache unan­ge­mes­sen und wenig hilf­reich, weder für sie per­sön­lich noch für die Katho­li­sche Kirche.

Strategie oder Strategielosigkeit?

Es wäre ver­mes­sen, zu behaup­ten, Papst Fran­zis­kus wol­le die Kir­che tat­säch­lich in Zuge einer kla­ren Stra­te­gie in den Dhim­mi-Sta­tus füh­ren. Noch ver­mes­se­ner erscheint es aller­dings, zu behaup­ten, wie es ein pro­fes­sio­nel­ler Jubel­chor tut, daß Papst Fran­zis­kus die­ser Kir­che Segen bringt. Wenn er dies tut, dann ist er jeden­falls noch nicht erkenn­bar. Über­haupt scheint unklar, ob der Papst über­haupt einer bestimm­ten Stra­te­gie folgt oder sein Han­deln situa­ti­ons­be­ding­te Stra­te­gie­lo­sig­keit ist. Was zum abschlie­ßen­den Gedan­ken die­ser Zwi­schen­bi­lanz ver­lei­tet, näm­lich der Annah­me, daß nach zwölf Mona­ten die­ses Pon­ti­fi­kats nicht mehr aus­ge­schlos­sen wer­den kann, daß der Jesu­it auf dem Papst­thron mit dem Auf­tre­ten eines argen­ti­ni­schen Dorf­pfar­rers sein Pon­ti­fi­kat irgend­wann been­den könn­te, ohne daß die Fra­ge wirk­lich beant­wort­bar wäre, wel­che Linie er eigent­lich ver­folg­te. Einer Sache kann und will jeder gläu­bi­ge Katho­lik Papst Fran­zis­kus zum ersten Jah­res­tag sei­ner Wahl ver­si­chern: des Gebets für ihn.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: CR

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