(Berlin/Rom) Wir sind es gewohnt, von allerlei Wichtigerem und Unwichtigem überschüttet zu werden. Das Leben ist einem Dauerbombardement der Beeinflussung ausgesetzt. Ständig versucht ein Markt von Moden und Trends, durch geschickt oder weniger geschickt getarnte Werbung in uns „Bedürfnisse“ zu wecken, deren einziger Zweck es ist, daß wir etwas kaufen sollen oder uns in eine bestimmte Richtung zu einer bestimmten Meinung oder einer bestimmten Stimmabgabe zu lenken. Gewohnt sind wir auch, daß uns gegen Jahresende das „Wort des Jahres“ serviert wird, oder besser, gleich mehrere solche Neologismen.
Wie stiefmütterlich es um die deutsche Sprache bestellt ist, wird einem spätestens an dieser Stelle bewußt. 2013 stellt keine Ausnahme dar. Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) hat die Abkürzung-Neuschöpfung GroKo zum „Wort des Jahres 2013“ erkoren. GroKo steht für Große Koalition und die ist nun ja eigentlich wirklich nichts Neues, weder in der Bundesrepublik Deutschland, noch in Österreich und in der Schweiz schon gar nicht. Das Akronym soll die zur Regel werdende Ausnahme wohl etwas frischer erscheinen lassen als sie tatsächlich ist.
Von GroKo, „Protzbischof“ und Babo
Die zweite Wahl wäre allerdings noch unappetitlicher gewesen. Auf dem zweiten Platz wurde die Medienhetzparole „Protzbischof“ gereiht. Rund um den Fall des Limburger (Noch-)Bischofs Tebartz-van Elst konnten sich die verschiedenen antikatholischen Gemüter Deutschlands gemeinsam abreagieren. Von den katholischen Sangesbrüdern im antibischöflichen Chor sei lieber geschwiegen.
Auch der Langenscheidt-Verlag hat sein „Wort des Jahres“ gekürt, um genau zu sein, das „Jugendwort des Jahres“. Doch nach GroKo will auch damit keine rechte Freude aufkommen. Auf dem ersten Platz landete das „Jugendwort“ Babo. Es meint einen „Boss“, einen „Anführer“ oder „Chef“ und scheint der Kanak Sprak irgendwelcher „Kulturbereicherer“ entlehnt zu sein.
„Selfie“ – von kultureller Kolonisation und dem „Ich als Botschaft“
Solchermaßen desillusioniert wundert man sich auch nicht mehr darüber, daß das „Wort des Jahres“, über das in deutschen Medien am häufigsten berichtet wurde, eigentlich kein deutsches Wort ist (was bitte schön ist letztlich an Babo und GroKo deutsch beziehungsweise ein Wort?). Als das „Wort des Jahres“ 2013 vermittelten uns die meisten deutschen Medien das englische „Wort des Jahres“. Es wird jährlich von der Redaktion des Oxford English Dictionary (OED) gewählt und heißt „Selfie“. Was aber heißt Selfie? Selfie „steht für ein Selbstporträt mit dem Mobiltelefon“, wußte die Frankfurter Allgemeine Zeitung bereits am 19. November in einem Artikel zu berichten mit dem bezeichnenden Titel: „Das Ich ist die Botschaft“.
Die deutsche Kultur und ihr Selbstverständnis (übrigens ergeht es anderen europäischen Sprachen und Kulturen nicht viel besser) sind so minutiös angelsächsisch kolonisiert, daß es letztlich völlig unkritisch akzeptiert wird, daß das eigentliche „Wort des Jahres“ 2013 „Selfie“ lautet, nur weil das so vom Oxford English Dictionary bestimmt wurde. Artikel um Artikel wurden über dieses „trendige Phänomen“ vergeudet und dabei kaum bemerkt, daß die Insititution, so renommiert sie sein mag, sich mit einer Fremdsprache befaßt.
„renuntiare“ – „Wort des Jahres“ 2013 oder gar „Unwort des Jahres“?
Und bei all den Moden, Trends und Phänomenen, die uns die werbungsfinanzierten, kommerziellen Medien servieren, geht der Blick für das eigentlich Wichtige verloren. Auch ein einigermaßen angemessener Sinn für die Geschichte. Das Blitzlicht der Smartphones blendet uns so sehr, daß wir nicht mehr sehen, daß im Jahr 2013 nicht nur ein Wort des Jahres, sondern wahrscheinlich des Jahrhunderts ausgesprochen wurde und daß dieses Wort kein englisches Wort ist, sondern ein lateinisches Wort und daher einer ganz anderen Weltsprache angehört, die sich neidlos und ohne Sorge einer kulturellen Kolonisation in jede Sprache problemlos übertragen läßt: das Wort „renuntiare“, verzichten, das Papst Benedikt XVI. am 11. Februar 2013 in seiner Rede vor den in Rom versammelten Kardinälen aussprach und damit seinen Amtsverzicht bekanntgab. Eine Ansprache, die der katholischen Welt die Rede verschlug, mit dem einen entscheidenden Wort, das von einer Tragweite ist, daß sich kein anderes Wort mit ihm im abgelaufenen Jahr messen kann. Die Entscheidung von Papst Benedikt XVI. ist von solcher Ambivalenz, daß „renuntiare“ wegen seiner historischen Bedeutung nicht nur das Wort, sondern ebensogut das „Unwort des Jahres“ sein könnte.
Es ist aber wohl auch bezeichnend für unsere Zeit, daß dieses entscheidende Wort von so welthistorischer Bedeutung von den „Wortwählern“ nicht berücksichtigt wurde.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Una Fides