(Wien/Mailand) Kritik übte die traditionsverbundene Internetseite Messa in Latino am Auftritt von Erzbischof Christoph Kardinal Schönborn in Mailand. Wer seine eigene Diözese nicht im Griff habe, könne kaum anderen Ratschläge erteilen, so die Kritik.
Kardinal Schönborn war von Erzbischof Angelo Kardinal Scola nach Mailand eingeladen worden. In einem überfüllten Dom sprach der Erzbischof von Wien über Evangelisierungserfahrungen in einer Großstadt. Kritiker werfen dem österreichischen Kardinal vor, im Ausland klarere Worte zu finden als zu Hause, wo sich zwischen ungehorsamen Priestern und Laien Gleichgültigkeit gegenüber der katholischen Glaubenslehre, liturgischer Wildwuchs und moralischer Relativismus ausbreiten. Tatsächlich erntete der Kardinal für seine Mailänder Ausführungen viel Lob von fast allen Seiten: „heiße Eisen angepackt“, „starke Worte“, „Zeichen in dieser Zeit gesetzt“ hieß es in der Berichterstattung. „Nebel, Honig, Applaus von links, und sogar Applaus von rechts: dem Kardinal scheint wieder die Quadratur des Kreises gelungen, doch die Realität“, zu Hause sehe anders aus, so Messa in Latino.
Kardinal Schönborn beklagte in Mailand eine „Krise der Kirche“ und gab Anregungen
In Mailand sagte der Kardinal: Die Kirche in Österreich „hat in den vergangenen Jahrzehnten einige Demütigungen erlitten“, auch weil „sie aus historischen Gründen kaiserliche Kirche war, und daher als Kirche der Oberen gesehen wird, der gegenüber man kein Vertrauen hat“. Derzeit „bekennen sich in Wien nur 38 Prozent der Bürger als Katholiken“, „wir sind wenige geworden“, „wir verlieren jedes Jahr ein Prozent“, deshalb müsse man sich die Frage stellen, „was wird die Kirche in Österreich in den nächsten 20 oder 30 Jahren sein? Die Frage der Mission wird dringend.“ „Ich weiß nicht genau, was tun.“ „In erster Linie ist ein schmerzvoller Abschied zu nehmen: eine Vergangenheit loszulassen, die nicht wiederkommt, die Kirche wird anders sein und missionarisch sein“. Man werde „mutig sein müssen, hinunterzusteigen“ und „den Liberalismus“ zu meiden, „der alles akzeptiert und das Profil des christlichen Lebens, und die Strenge, die nur das Gesetz sieht“. Eine interessante Erfahrung „ist die Diözesanversammlung abzuhalten, 1.500 Menschen im Dom zu Wien, nicht um zu debattieren, sondern um zu erzählen, wo jeder das Wirken Gottes in der eigenen Gemeinschaft sieht, den Blick auf das Handeln Gottes fixiert, statt auf die Probleme. Alle können ans Mikrophon treten und für eine Minute zu diesem Thema sprechen.“ Kardinal Schönborn berichtete, bei jeder Pfarrvisitation „einen Moment der Straßenmission“ zu halten. „Ich, Kardinal, stelle mich vor den Bahnhof und gebe den Passanten ein kleines Geschenk mit einigen Versen der Heiligen Schrift und einem Lächeln. Jedes Mal wenn ich das tue, kehre ich sehr zufrieden nach Hause zurück, es ist eine Freude, die sich nicht erklären läßt, die Freude der Evangelisierung.“ Die Laien, so der Kardinal, sind gerufen, „das allgemeine Priestertum der Getauften“ wiederzuentdecken, „seine Mission die Welt zu heiligen“, wie Radio Vatikan am 11. Dezember berichtete.
Von der „Nützlichkeit der Kirchenkrise“ für eine „andere Kirche“
Ganz anderer Ansicht ist Messa in Latino, das vom „Weihnachtsschmarrn“ des Wiener Kardinals spricht und von einer „Nützlichkeit der Kirchenkrise“ für jene Teile der Kirche, die durch das ständige „Herbeireden und Beklagen einer ‚Krise in der Kirche‘ vor allem die Schaffung einer ‚anderen Kirche‘ betreiben und jene lynchen, die die eigentliche Krise zum Schutz der Kirche Christi und zum Heil der Seelen beheben wollen“.
Als „eines unter vielen Negativbeispielen aus der Erzdiözese Schönborns“ verweist Messa in Latino auf ein „obszönes Video“, das „die Verkommenkeit“ zeigt, die in der Kathedrale von Wien im Advent 2012 nicht vor oder nach, sondern „während“ einer Heiligen Messe geduldet wurde. Im Wiener Theater Ronacher wurde das Musical Sister Act aufgeführt. Offenbar als Gelegenheit, um für das Musical zu werben, traten Sänger mit Auszügen aus dem Musical während der Heiligen Messe auf. Dies obwohl weder die Texte noch die Melodien des Musicals mit der Heiligen Liturgie zu tun haben und die Sängerinnen als Ordensfrauen kostümiert auftraten. Zelebrant war der sattsam bekannte „Großstadtpfarrer“ und Freimaurerfreund, Dompfarrer Toni Faber. Das Ganze samt obligatorischem Applaus wie in einem Schauspielhaus.
Schönborn: „Lassen wir die Nostalgie, sagen wir Ja zum Heute“
„Es kommt mir in diesem Zusammenhang ein Satz von Bischof Fellay an Papst Benedikt XVI. in Erinnerung: Das Problem in der Kirche von heute sind nicht wir [die Priesterbruderschaft St. Pius X.]. Wir werden nur zum Problem, weil wir sagen, daß es ein Problem gibt“, so Messa in Latino. „Und was sagt uns Kardinal Schönborn? ‚Lassen wir die Nostalgie der 50er Jahre los, jene meiner Kindheit, im Dorf, als sich die Kirche am Sonntag drei Mal füllte. Alle in der Kirche. Lassen wir die Nostalgie nach der Lebendigkeit in unseren Pfarreien der 50er und 60er Jahre. Sagen wir Ja zum Heute‘, fordert der Purpurträger. Applaus.“
Was aber will der Kardinal damit sagen: die Nostalgie nach einer Kirche sein lassen, die die Menschen vor dem Altar sammelte, um „Ja zum Heute“ zu sagen?
„Nos sumus tempora: quales sumus, talia sunt tempora“
„Nos sumus tempora: quales sumus, talia sunt tempora“, hält der Kirchenvater Augustinus dem Erzbischof von Wien entgegen. Wir bestimmen, wie die Zeiten sind, denn so wie wir sind, so werden auch die Zeiten sein, in denen wir leben. Was meint also die Betonung des „Heute“ durch Kardinal Schönborn? „Wir sind es, die seit bald 50 Jahren entschieden haben, daß sich die Kirche in einer Krise befindet“, so Messa in Latino. „Wir haben beschlossen, daß es eine Kirchenkrise gibt, wir reden diese Krise seither herbei und haben sie dadurch sich ausbreiten lassen“.
Woher kommt diese Krise? „Kommt sie vom Konzil? Kommt sie schon aus der Zeit vor dem Konzil? Entstand sie erst danach? Kommt sie aus dem Trompia-Tal, (wo Paul VI. geboren wurde)? Kommt sie aus dem (kleinen oder großen) Orient? Das spielt letztlich keine Rolle. Hauptsache: Krise. Es ist die Krise, die uns antreibt, die uns nach ‘Lösungen’ und ‘Auswegen’ suchen läßt, die uns ‘zwingt’ über ‘Veränderungen’ nachzudenken. Die Krise ist das letztliche Bestimmende. Die Krise ist inzwischen so allgegenwärtig, daß jeder, egal wo er in der Kirche steht, sich die Kirche ohne Krise gar nicht mehr denken kann. Und wer bemüht war, den Blick nicht auf die Krise, sondern mit unbefleckter und franziskanischer Freude [1]Anspielung auf die Franziskaner der Immakulata auf das Unum Necessarium zu richten, wurde feig den Henkern ausgeliefert (jeder Vergleich mit losgelassenen Füchsen im Taubenschlag ist gewollt).“ [2]Anspielung auf den Apostolischen Kommissar Pater Fidenzio Volpi OFM Cap; ital. volpi = Füchse
Die Vertreter einer „anderen Kirche“ befinden sich in der Krise
Der ständige Verweis auf die Krise, ob diese nun aus der Zeit vor, während oder nach dem Konzil herrühre, „schafft die Voraussetzung für den Zustand eines permanenten Konzils, das die Modernisten als institutionalisierten Relativismus anstreben, die Progressiven, der Ante-Papst Martini und andere mehr“ (zum Ante-Papst siehe den Bericht Carlo Maria Kardinal Martini – Ein notwendiger Nachruf abseits des Jubelchors).
„Und weil sich manche Kirchenvertreter so an die Krisen-Rhetorik gewöhnt haben, brauchen sie geradezu die Krise. Sie erlaubt ihnen alles zu denken und viel zu tun. Wer die Krise abzustellen versucht, indem er sich auf Auftrag und Lehre der Kirche besinnt, der wird ausgegrenzt. Er stört die Eintracht der Kirchenkrise. In den Spiegel, der zeigt, daß die Realität ganz anders aussieht, wollen viele nicht schauen. Lob gibt es hingegen für jene randständigen Kirchenteile, die noch lauter die Krise zelebrieren. Die Kirche von unten, Wir sind Kirche, die Hans Küngs und Leonardo Boffs werden von Kardinälen wie Lehmann hofiert. Papst Benedikt XVI. lud Hans Küng am Beginn seines Pontifikats ein. In Ungehorsam und Stolz schlug der umjubelte Weltethiker die Hand aus, in den Schoß der Kirche zurückzukehren. Papst Franziskus schrieb ihm nun bereits zwei Briefe. Eine Umkehr des Apostaten ist nicht in Sicht, der inzwischen lieber über den finalen Affront gegen Gott und die Kirche sinniert und an Selbstmord denkt“, so Messa in Latino.
„Iterum dico, gaudete“ – Die Kirche kennt keine Krise
Die „Kirchenkrise“, wie man sie seit einem halben Jahrhundert präsentiert bekomme, sei daher eine Erfindung der Modernisten. Eine funktionale rhetorische Formel, um eine „andere Kirche“ bauen zu können. „In Wirklichkeit gibt es keine Kirchenkrise. In einer Krise können wenn schon nur die Menschen sein, die Kirchenvertreter, aber nicht die Kirche. Iterum dico, gaudete, die Krise der Kirche existiert gar nicht. Es ist vielmehr die „neue Religion“ der Modernisten, die sich in Dauerkrise befindet, aber nicht der ewig gültige katholische Glauben. Sie haben die Krise herbeigeredet, sie vertreten die Krise, sie haben sie ausgebreitet, indem sie andere Katholiken damit infizierten. In welch hochrangiger Position sie auch sein mögen, sie befinden sich in der Krise, nicht die Kirche. Der Rest ist lediglich ein dialektischer Kunstgriff, nach außen das Gegenteil zu vermitteln“, so Messa in Latino.
Zum Abschluß eine Provokation
Zum Abschluß dieser Ausführungen über den Wiener Besuch in Mailand erinnert Messa in Latino an eine Provokation von Giacomo Kardinal Biffi zum Thema „Neue Kirche, neues Evangelium“:
„Das Himmelreich ähnelt einem Hirten, der hundert Schafe hat, und nachdem er 99 Schafe verloren hatte, tadelte er das letzte Schaf, weil es zu initiativlos gewesen sei, jagte es fort, sperrte den Stall zu und ging ins Wirtshaus, um über Schafhaltung zu diskutieren.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Orizont