Vorwort
Die kurzzeitig wieder auflebenden Diskussionen betreffs der Sakramentenpastoral für „Wiederverheiratet-Geschiedene“, nämlich infolge der Freiburger Handreichung, sind inzwischen wieder abgeebbt. Trotzdem halte ich es für sinnvoll, zur Thematik noch einmal einige persönliche Gedanken beizusteuern.
Wie von den regelmäßigen Lesern dieses Forums sicher registriert, richtete (und richtet) sich meine Aufmerksamkeit auf wiederholte, zwar nicht eindeutige, aber nicht ganz unberedte, Andeutungen, wonach man – nach rein menschlichem Ermessen jedenfalls – die Eventualität nicht ausschließen mag, der gegenwärtige Papst selber könnte sich (gestützt auf ein synodales Votum o.ä.) auf eine Änderung der „geltenden Normen“ in besagter Angelegenheit einlassen. – Ganz ehrlichen Herzens danke ich daher Erzbischof Müller, dem Präfekten der Glaubenskongregation, für seine klaren Worte: Durch die Veröffentlichung seines Votums zugunsten der verbindlichen und (zumindest sachlich, wenn nicht formal) irreformablen tradierten Lehre im „Osservatore Romano“ hat er diesem Votum einen offiziösen Charakter verliehen und so der Integrität der Lehre und Praxis der Kirche einen großen Dienst erwiesen. Ich halte dies auch für einen sehr mutigen Schritt, für den ich Erzbischof Müller große Anerkennung zolle. Im Unterschied zu anderen hat er sich nicht diplomatisch bedeckt gehalten und sich mit dem Hinweis begnügt, man könne solche „Fragen“ nur auf weltkirchlicher Ebene lösen etc. Denn in der Substanz der Sache gibt es nichts mehr zu lösen. – Leider gab es noch andere Töne aus Rom zu hören, die eben just besagten diplomatischen Tenor hatten, um gerade dadurch sehr beredt zu sein.
Wie man von daher die Lage in Rom und zumal die Haltung von Papst Franziskus im Zusammenspiel mit dem Präfekten der Glaubenskongregation einzuschätzen hat, das ist eine Frage, in der man sich immer noch im Dunkeln bewegt. Momentan sehe ich mich weder in der Lage, denjenigen zuzustimmen, die den Papst und Erzbischof Müller als unzertrennliches Tandem (mit vielleicht unterschiedlichen Rollen) wahrnehmen wollen; noch denjenigen, die glauben, sie dürften Papst Franziskus sozusagen für sich gegen seinen erstrangigen Mitarbeiter vereinnahmen.
Da also die Lage und die Situation der Meinungsbildung immer noch etwas Prekäres hat, meine ich, daß es auch nach Erzbischof Müllers klarer Stellungnahme nicht überflüssig ist, zur Materie ein paar Gedanken an die Öffentlichkeit zu bringen. Ich bin mir bewußt, das als jemand zu tun, der weder im Fokus der Aufmerksamkeit steht noch ausgewiesener Spezialist für die anhängigen Problemmaterien ist. Aber ich tue es in der Hoffnung, daß mein Diskussionsbeitrag hier und dort registriert wird, um durch Anregungen etc. doch noch gewünschte Wirkung zu entfalten; und sei es noch so vermittelt. Und ich habe mich dazu entschieden, es erneut über dieses Forum zu tun, obgleich es nicht dem theologischen Fachdiskurs verpflichtet ist. Wenn ich daher mit diesem Beitrag etwas zur theologischen Debatte beitragen möchte und als Theologe argumentiere (wenngleich nicht immer mit dem letzten Schliff der theologischen Kunst), muß ich daher viele Leser um Geduld und Nachsicht bitten, wenn mein kleines Essay mit seinem spezifischen Profil an ihrer Erwartung vorbeigeht. Ich glaube, das in Kauf nehmen zu müssen. Im Sinne der ebenso gezielten Argumentation wie umsichtig-sachdienlichen Diskussion kann es nicht ausbleiben, daß die Gedankenführung etwas kompliziert und umwegig und für den einen oder die andere auch „unnötig“ differenzierend ausfallen wird. „Klare Kante“ mögen viele vorziehen – sie ist jedoch alles andere als sachdienlich, wenn sich der Argumentierende dadurch Blöße gibt.
Zur Ausrichtung meines Beitrags: Die formale Verbindlichkeit der Lehre und Praxis der Kirche in bezug auf die Nichtzulassung Wiederverheiratet-Geschiedener zu den Sakramenten voraussetzend, möchte ich zentrale Punkte aufgreifen, um die Irreformabilität dieser Lehre und Praxis auch sachlich zu untermauern; indem ich zu zeigen versuche, daß hier prinzipale Materien der katholischen Glaubenslehre, ja des gemein-christlichen Verständnisses des Gott-Geschöpf-Verhältnisses betroffen sind.
1. Objektiv und subjektiv
Eine nicht ganz unwichtige Rolle bei den jüngeren lehramtlichen Darlegungen spielt die Situation objektiv schwerer Schuld, in der sich Geschieden-Wiederverheiratete befinden. Daran möchte ich ansetzen. Im Sinne einer sachlich folgerichtigen Erwägung ließe sich hier in der Tat erst einmal ein Einwand formulieren: Denn die Beschränkung auf „objektiv“ zeigt an, daß man sich mit einem Urteil über die innere Gewissenslage der Betroffenen, also darüber, ob mit anderen Worten auch subjektiv und so formell schwere Schuld vorliegt, in letzter Instanz zurückhält – nur Gott richtet darüber.
Was nun aber, wenn die mit der cura animarum betrauten Priester, so gut Menschen das nur können, moralische Gewißheit darüber gewinnen, daß tatsächlich nur objektiv und nicht auch subjektiv schwere Schuld vorliegt und auch eine entsprechende Unterrichtung daran nichts ändern konnte (abgesehen davon, daß eine Unterrichtung zu unterlassen ist, wenn sie mit einiger Sicherheit zur Verschlechterung der Gewissenssituation beiträgt)?
Ist es dann nicht inkonsequent und ungerecht, bei nur objektiv schwerer Schuld die Sakramentenspendung eben nicht nur öffentlich (zumal zur Vermeidung des Ärgernisses) zu verweigern, sondern generell? – Nun, hier muß ich meine Verlegenheit eingestehen, was nämlich die rechte Interpretation der einschlägigen Weisungen des höchsten Lehr- und Hirtenamtes aus jüngerer Zeit angeht. Ob sie nämlich so verstanden werden wollen, daß die objektive Situation Wiederverheiratet-Geschiedener schon für sich allein (‚iam per se solam‘) von den Sakramenten ausschließt. Von daher könnte ich meinerseits und bislang zu diesem Einwand nur sagen: Ich mag schon an sehr grenzwertige Fälle denken, über die zu urteilen ich mich nicht kompetent genug weiß, um solches den Spezialisten zu überlassen; zu urteilen, was die innere Möglichkeit solcher Fälle (ob damit nicht eigentlich schon Unsinniges postuliert würde) und den legitimen sakramentenpastoralen Umgang mit solchen Fällen angeht.
Vor dem inneren Auge stehen mir zum Beispiel Menschen, die sehr wohl eine katholisch-kirchliche Bindung haben, aber belastet sind durch eine psychosoziale Prägung, die gekennzeichnet ist durch schwere (gerade auch milieubedingte) Verwerfungen in der Lebensgeschichte, die die Frage aufwerfen, ob durch solche Belastungen nicht auch die moralisch relevante Entscheidungsfreiheit erheblich eingeschränkt sein kann, auf daß man eben auch den Anforderungen der Lehre der Kirche nicht durchwegs entsprechen kann. Da Entscheidungsfreiheit wesentlich an der Urteilsfähigkeit hängt, wäre hier die Frage aufgeworfen, ob und inwieweit solche Menschen trotz (aufrichtiger) kirchlicher Bindung daran gehindert sein können, daraus ein Urteil über Recht und Unrecht ihrer konkreten Lebenspraxis abzuleiten. Es liegt außer meiner Kompetenz, das näher zu erörtern und zu entscheiden; ich muß mich damit begnügen, die Frage ehrlich anzusprechen, um ihre Beantwortung – auch was die sakramentenpastoralen Konsequenzen angeht – den Fachleuten zu überlassen, eine Beantwortung freilich nach den bewährten Prinzipien gemäß der Lehre der Kirche. Nur zur Eingrenzung und rechten Einordnung zwei Hinweise meinerseits dazu:
- Mit Blick auf meine weiteren Ausführungen: Solche Unfähigkeiten, Gottes Gebot zu halten, auch bei Gerechtfertigten (wie zu unterstellen) wären per accidens solche, umstandsbedingte, beruhend auf „Ver-un-fallungen“ in der Lebensgeschichte; dahingehend, daß die Voraussetzungen für die volle Wirksamkeit der Gnade Gottes beeinträchtigt wären, konkret durch die defektive Verfaßtheit des Urteilsvermögens, wie es für die sittlich relevante freie Entscheidung konstitutiv ist. Per se sind jedoch solche Unfähigkeiten (zumal) für den Gerechtfertigten ausgeschlossen. (Davon abgesehen: Subjektives Verpflichtet-Sein, dem die Anrechenbarkeit der Übertretung korrespondiert, könnte in solch einem Fall des Nicht-Könnens ohnedies nicht vorliegen.)
- Wenn die Möglichkeit oder gar die Tatsächlichkeit solcher Fälle zuzugeben ist und wenn dies auch bedeutet, daß bei solchen Fällen ein Sakramentenempfang unter Ausschluß des Ärgernisses möglich ist, dann handelt es sich um „Ausnahmen“ nur im uneigentlichen, pragmatischen Sinne. In Wahrheit geht es dabei nur um die exaktere Bestimmung der Prinzipien und ihrer Tragweite, was damit (wonach z.B. Geschieden-Wiederverheiratete nicht zu den Sakramenten gehen dürfen) exakt gesagt sein will und was nicht (so ist z.B. mit dem, was per se gilt, nicht schon präjudiziert, was per accidens gilt). Und ein ganz wesentlicher Sinn solcher Präzisierungen ist es, Ungerechtigkeiten zu vermeiden, die unnötig sind und dabei zu unnötigen Skandalisierungen der kirchlichen Lehre führen.
Ich deute damit auch an, daß ich mich bei allem Mühen um Akribie keiner kalten Sachlichkeit verpflichtet weiß, welche die Nöte der Menschen zynisch übergeht. Akribie in der Problemmaterie und Sensibilität für die Nöte der Menschen müssen nicht einander ausschließen. – Allerdings: So wenig ich dieses Problem anzudenkender grenzwertiger Fälle einfach übergehen wollte, wirklich diskursrelevant ist es in Sachen „Wiederverheiratet-Geschiedene und Sakramente“ nicht. Denn von solchen Einschränkungen in der subjektiven Verfaßtheit, die womöglich auch eine modifizierte Praxis nach sich ziehen müßten, kann für den Regelfall schlicht nicht ausgegangen werden.
Und deshalb läßt sich für den Regelfall die subjektive Gewissenssituation eben nicht als eine Instanz anführen, die gegen den objektiven Anspruch der Lehre aufkommen könnte. Warum? Denn, wenn für den Regelfall die Einschränkung der Entscheidungsfreiheit (aus psychosozialen Gründen etc.) schlicht nicht in Betracht kommt, so bleibt nur die Möglichkeit, daß er oder sie erklärt, er oder sie sehe sich in seinem Gewissen nicht an die Lehre der Kirche von der unauflöslichen Ehe und den damit verbundenen Verpflichtungen gebunden. Wer aber dies erklärt, für den gilt eines von beidem: Entweder artikuliert er eine willkürliche Postulation oder er weist die Lehrautorität der Kirche zurück.
Denn, ob nun förmliches Dogma oder nicht: Die Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe und ihren Verpflichtungen ist so eng mit der ordentlichen Verkündigung des obersten Lehramtes verbunden, daß entweder das behauptete subjektive Bewußtsein der Nichtverpflichtung keinen Bestand hat und bloß sich sozusagen selbst eingeredet ist (man kann in Wahrheit nicht zugleich das Lehramt unbedingt anerkennen und sich dieser Konsequenz entziehen wollen) oder die prinzipielle Nichtanerkennung des Lehramtes selber offenbart. Also ist derjenige, der solches erklärt, in Wahrheit mit seinem kirchlich gebundenen Gewissen gerade nicht im reinen (und will es bloß nicht zugeben) oder er setzt sich ‚aus-drücklich‘ in ein Negativverhältnis zur Lehrautorität der Kirche, was aber eine Sakramentengemeinschaft mit ihr nicht mehr zuläßt.
Mithin läßt der Regelfall einer Lebenssituation, die öffentlich mit der nachdrücklichen Lehre der Kirche konfligiert, a limine keine Feststellung der persönlichen Gewissenssituation bzw. subjektiven Befindlichkeit durch den mit der cura animarum betrauten Priester zu, die eine Zulassung zum (nichtöffentlichen) Sakramentenempfang (unter Ausschluß des Ärgernisses) ermöglichen würde. – Von daher: Ob die objektive Schuld Wiederverheiratet-Geschiedener per se solam den Zugang zum Sakrament verwehrt oder nicht (unser Ausgangsproblem); für den Regelfall (also jenseits sehr grenzwertig anzudenkender Beschneidungen der Entscheidungsfreiheit) bringt, aus besagten Gründen, die objektive Situation dieser Gruppe den Ausschluß von den Sakramenten zwangsläufig mit sich: Denn die Bekundung, sich nicht gebunden zu wissen, muß entweder einer Selbsttäuschung aufruhen oder just jene Nichtanerkennung des Lehramtes artikulieren, die als ad extra geäußerte vom Sakramentenempfang ohnedies ausschließt. – Überdies als methodische Zwischenbemerkung: Mit Blick darauf, daß der Regelfall die angedachten (habituellen) Einschränkungen der, gerade auch moralisch relevanten, Entscheidungsfreiheit wie gesagt ja gerade nicht kennt, werde ich ihn nachfolgend ignorieren. Meine Reflexionen werden davon absehen.
Noch ein weiteres: Meine Einlassungen gehen aus von jenem Rekurs auf die subjektive Gewissensinstanz, welcher die quaestio iuris betrifft (Geltung und Tragweite der Norm, wonach die einmal geschlossene und vollzogene wie überdies sakramentale Ehe unbedingt und unwiderruflich verpflichtet). Auf das Problem „Gewissen und quaestio facti“, das die Überzeugung über den Bestand oder Nichtbestand einer gültig geschlossenen und so verpflichtenden Ehe betrifft, gehe ich hier nicht ein. Dazu ist in den einschlägigen Dokumenten und Wortmeldungen (wie jüngst von Erzbischof Müller) genug gesagt. Und es ist klar, daß der gläubige Katholik ebensowenig Grund haben kann, sich über die Rechtsnormen, an die die Kirche den gültigen Eheabschluß bindet, hinwegzusetzen („für mich war das damals gar keine wirkliche Ehe, und meine jetzige Verbindung ist für mich eine solche: also darf ich …“). Dies offenbart dieselbe unkatholische Haltung wie die Weigerung, die Lehre der Kirche in bezug auf das unlösliche Eheband anzuerkennen, welche Haltung als bekundete den Zutritt zu den Sakramenten verweigert.
2. Zum Hintergrund: Autonomie versus Theonomie
In der theologischen Diskussion scheinen die Hintergründe der Berufung auf die subjektive Instanz des Gewissens eher zu wenig reflektiert zu werden; Pathos und Rhetorik ersetzen nur zu oft die kritische Rechenschaft über die eingeforderte Respektierung der „Gewissensautonomie“. Das Insistieren auf neuzeitlichen Standards, hinter die es nicht mehr zurückzufallen gälte, wird dabei von nur wenigen theoretisch geschultert. Konsequent zu Ende gedacht, läuft diese Rechenschaft jedoch in der Tat auf folgendes hinaus: Demnach ist die besagte Autonomie damit gegeben, daß das Subjekt kraft seiner (streng verstandenen) „Selbstursprünglichkeit“, als eine Freiheit (die es nicht nur hat, sondern ist!) auch die formelle Verpflichtungsinstanz ist. Mit anderen Worten: Nur dasjenige verpflichtet mich unbedingt und nur deshalb, auf das ich mich und weil ich mich darauf selbst verpflichte; ja anders, sagt man, könne die „Unbedingtheit“ solcher Verpflichtung nicht gewahrt werden. – Wenn man nun sagt, damit sei keineswegs der Gewissensspruch zu einer Funktion der Willkür gemacht, eben weil es Maßstäbe für gelungene oder eben mißlungene Selbstverpflichtungen der Freiheit gäbe (die letztlich im Wesen der Freiheit liegen sollen), dann hat man jedoch, wie ich überzeugt bin, am Entscheidenden vorbeigesehen: Wie kann es denn sein, daß solche Maßstäbe sich unbedingt geltend machen, wofür man ja nicht nochmals die Selbstverpflichtung der Freiheit anrufen kann (ohne in einen Regreß zu geraten)? Woran sich auch zeigt, daß die Rede von der „Unbedingtheit“ mit einer Äquivokation dieses Wortes arbeitet (die zu überspringen hier methodisch schier unumgänglich ist): die „Unbedingtheit“ unrelativierbarer Verpflichtung ist von der „Unbedingtheit“ qua Unableitbarkeit her nicht transparent zu machen.
Mit Blick auf weniger sophistizierte Leser kann ich dies nicht weiter entfalten. Aber ich glaube, daß mit den voranstehenden Hinweisen wichtige Indikatoren aufgerufen sind dafür, daß unbedingte Verpflichtung und das Bewußtsein davon nicht förmlich als Funktion der Selbstbindung von Freiheit genommen werden können. Gewissen qua Wissen um die unbedingte Verpflichtung ist wesentlich konstituiert als Vernehmen des Anspruchs eines unbedingt Verpflichtenden, eines unrelativierbar absolut Verpflichtenden, das nur Gott sein kann. Die an sich wichtige Frage des Wie, des Zusammenhangs von Gotteserkenntnis und Wissen um moralische Verpflichtetheit ist hier nicht zu entfalten.
Allerdings: Wenn dies so ist, dann ist auch klar, daß es zutiefst dem Gewissen gemäß ist, sich an eine Institution gebunden zu wissen, die die von Gott legitimierte Verbürgerin seiner (durch die Stimme der Natur und die Offenbarung manifestierten) Gebote und deren Tragweite ist; gebunden zu wissen durch die Vergewisserungsfunktion des Glaubens. Mithin im Klartext: Die Bindung an die Kirche und ihr Lehramt ist die konkrete (deshalb nicht exklusive) Gestalt der Stützung des Gewissens auf Gott; und darin darf das göttlich legitimierte Lehramt der Kirche eben nicht zu einer Entscheidungshilfe des ultimativ autarken Gewissens degradiert werden. – Sogenannte „Autonomie“, als gewissensgemäße, gegen die „Heteronomie“, als gewissensfremde, ausspielen zu wollen, macht von daher schlicht keinen Sinn.
Etwas anderes ist der Unterschied von hetero- und autonomem Handeln und Entscheiden, den auch die theologische Tradition kennt: Gewissermaßen nur gezwungen, sozusagen „erpreßt“, handelt derjenige, der, obgleich er in der Stimme seines Gewissens (!) das Gebot kennt bzw. darin um die Verpflichtung weiß, sich dennoch nur aus der Angst vor der Strafe, der inkommoden Konsequenz entsprechend verhält, er also an sich die Gebotsübertretung dem Gehorsam vorziehen würde; wirklich frei (über die Freiheit der Zurechenbarkeit hinaus) agiert jedoch der, der die Norm und vor allem die sie begründende Instanz selber bejaht und deshalb gebotsgemäß handelt, konkret: die Konformität mit dem Willen Gottes als Selbstzweck sucht. Dann aber ist das Gebotene selber derart in Freiheit angeeignet, daß der das Gebot unter Zustimmung Befolgende darin gleichsam „autonom“ ist, insofern er das Zu-Tuende aus der bejahenden und von daher sich damit identifizierenden Freiheit heraus tut. In diesem Sinne ist die Gottesliebe die Instanz der Autonomie. (Cf. hl. Thomas: Summa contra gentes IV,22 n.3588)
Das war jetzt ein wenig weit ausgeholt, um jedoch eines knapp zu dokumentieren: Im Konflikt der Positionen über den Umgang mit Wiederverheiratet-Geschiedenen artikuliert sich ein grundlegender Dissens darüber, was normative Bindung, sittliche Verpflichtung zutiefst ausmacht. Im letzten geht es um die Frage: Ist Moral radikal (d.h. direkt und förmlich) konstituiert als Auto-Nomie oder als Theo-Nomie? Jedes bibeltreue Christentum muß sich aber für letzteres entscheiden (cf. Psalm 50/51, 6). – Diejenigen in der Kirche, die im Setzen der Maßstäbe für die Geschiedenenpastoral in die Pflicht genommen sind, sollten daher wissen, was auf dem Spiel steht. Ein bloßer Pastoralpragmatismus ist da völlig fehl am Platz, wie es ebensowenig angeht, die Probleme mit ideologischen Floskeln zu überspielen. (Und zur Zeit droht „Barmherzigkeit“ zu solch einer ideologischen Vokabel zu werden.)
3. Norm und „konkrete Situation“
Andere Ansätze, um eine anvisierte Lockerung der kirchenamtlichen Sakramentspraxis zu legitimieren, sind von vergleichsweise geringerer Tragweite; deshalb jedoch alles andere als bedeutungslos. Sie operieren nicht so sehr mit dem Gegensatz zwischen der vorgegebenen, „objektiven“ Norm und dem subjektiven Gewissen als eigentlicher Verpflichtungsinstanz; sie hantieren vielmehr mit der Spannung zwischen der, gleichwol objektiv vorgegebenen, Norm und der „konkreten Situation“ der (an sich davon) Betroffenen. Und diese Situation arbeitet man in unterschiedlicher oder auch unterschiedlich radikaler Weise heraus in ihrer Funktion, für die Betroffenen, konkret die Wiederverheiratet-Geschiedenen, ein Entlastungspotential bereitzustellen.
Bewußt verzichte ich auf Namensnennung: Jedoch glaubte ich, aus den, insgesamt sehr vorsichtig gehaltenen, Ausführungen eines prominenten römischen Prälaten im Ruhestand (im Rahmen einer Predigt) etwa folgendes Konzept heraushören zu können, das auch in anderen Wortmeldungen greifbar wird:
Demnach gälte es, für die Personengruppe der Wiederverheiratet-Geschiedenen das Sakrament der Buße neu zu entdecken; den Menschen mit einer „gebrochenen Biographie“ soll ein Neuanfang ermöglicht werden unter Rückgriff auf die von den Kirchenvätern geprägte Redeweise von der „zweiten Blanke nach dem Schiffbruch“ („secunda post naufragium tabula“: cf. DS 1542 et 1702). Im Sinne eines Neuansatzes zugunsten der „Lösung“ des Problems der Geschieden-Wiederverheirateten wird dabei offensichtlich vorausgesetzt, daß die neu eingetretene Situation irgendwie irreversibel ist, ihre Revision sozusagen moralisch unmöglich ist. Und dies soll dann offensichtlich nicht nur die staatliche Ehescheidung betreffen, sondern auch die zivile Wiederverheiratung, das Leben in der Zweitehe. Zugleich will dieser Ansatz an der Unauflöslichkeit der Ehe nicht gerüttelt haben, an ihr soll festgehalten werden. – Man kommt dann aber an folgender Konsequenz kaum herum: Obgleich die unauflösliche Ehe weiterbesteht, ist sie in der Realisierung ihres Verpflichtungscharakters für die Betroffenen eine (moralische) Unmöglichkeit geworden; in ihrem Verpflichtungscharakter auch nach seinem Minimum negativer Art (nämlich keine Geschlechtsgemeinschaft mit einer dritten Person zu unterhalten). Die unterstellte Irreversibilität der neuen Situation Geschieden-Wiederverheirateter ist dabei offensichtlich als im strengen Sinne solche zu nehmen, also als dauerhafte Irreversibilität, so daß (mehr oder minder) a limine kein Umstand mehr zu erwarten ist, der an diesem postulierten Nicht-anders-Können etwas ändern könnte.
Im Gegenzug: Die erwogene Zulassung zu den Sakramenten, final und allem voran zur heiligen Kommunion, für die Wiederverheiratet-Geschiedenen impliziert jedoch im Rahmen dieses, soeben knapp umrissenen, Konzepts und seiner Unterstellungen, daß der Zustand der Rechtfertigung und des Friedens bzw. der Freundschaft mit Gott, der Gnadenstand, damit vereinbar ist, daß jemand der Verpflichtung vor Gott in bezug auf seine „erste“ und bleibend gültige Ehe nicht nachkommen kann. Also wären demnach der Gnadenstand und das Nichthalten-Können der Gebote Gottes (und der Kirche), wenigstens in bezug auf eines davon, vereinbar. – Die Vertreter dieses ohnedies anonym skizzierten Ansatzes persönlich zu zensurieren, dazu will ich mich nicht versteigen; böser Wille sei niemandem unterstellt. Um so mehr gilt in der Sache: Die benannte Aufstellung ist eine Häresie oder kommt zumindest doch in die nächste Nähe einer solchen (insofern man ja keine „generelle“ Aussage machen will). Ich darf das Konzil von Trient zitieren:
„Wenn jemand sagt, Gottes Gebote seien auch dem gerechtfertigten und unter der Gnade befindlichen Menschen zur Befolgung unmöglich: der sei im Banne.“ (DS 1568; cf. etiam 1536sq. necnon 1569–1572)
Entsprechend findet sich in den Lehrbüchern der Satz, daß „Gott allen Gerechtfertigten hinreichende Gnade zur Beobachtung der göttlichen Gebote gibt“, und zwar als strenger Glaubenssatz, als förmliches Dogma (vgl. u.a. Ludwig Ott, Grundriß der Dogmatik, viertes Hauptstück, §11, 2a; Bonn 11 Aufl. 2005, 343f.). – Mit dieser meiner Feststellung ist nun aber vor allem eines deutlich markiert: Ein Plädoyer für eine andere Praxis ist auch unter theoretischem bzw. doktrinalem Gesichtspunkt keine harmlose Angelegenheit, sondern betrifft offensichtlich dogmatisches Kerngebiet (die Lehre von der Gnade und der Rechtfertigung ist zweifelsohne ein solches).
Zur sachlichen Vervollständigung: Die Not des Nicht-Halten-Könnens der Gebote ist der katholischen Lehre zufolge die Not des Nicht-Gerechtfertigten, des Sünders, der in der Abgekehrtheit von Gott lebt. Und, genauer besehen, bedeutet sie nicht die Unfähigkeit für den jeweiligen Einzelfall (was die moralisch relevante Freiheit aufheben würde), sondern die (moralische) Unmöglichkeit für die Gesamtheit eines längeren Zeitraumes (der Todsünder, der von Gott Abgekehrte, kommt nicht umhin, immer wieder Todsünden zu begehen). Und insofern auch der Sünder (immer wieder) unter dem Anruf jener erweckenden Gnade Gottes steht, die es ihm ermöglicht, das zu tun, „was an ihm liegt“, infolge dessen ihm die Gnade der Rechtfertigung und mit ihr das vollgültige Können in bezug auf das Gebote-Halten von Gott her zuteil wird, muß von einem entfernten Gebote-Halten-Können im umfassenden Sinne auch des Sünders die Rede sein. [1]Cf. S. Thomas I/II, 109,4 / 6 arg/ad2 / 8; ibd. 112,3 Daß man sich also durch die Untat der eigenen Freiheit in einen Zustand versetzen könnte, durch den man sich vom Halten eines Gebotes (durch Verunmöglichung) quasi definitiv verabschiedet hätte: dies anzunehmen ist ein dogmatisches Unding.
Unter Umständen könnte man mir entgegenhalten, ich versündigte mich gegen die intellektuelle Redlichkeit, indem ich, bei Licht besehen, dem Gegner etwas unterstellte, das ohnedies eine logische Inkonsistenz besagt, ohne daß dies zur Wahrung seiner Position zwingend sei. Inwiefern? Man könnte ja sagen: Ultra posse nemo tenetur – über sein Können hinaus ist niemand zu etwas angehalten. Da aber der von mir kritisierte Ansatz annimmt, die Befolgung der in der ersten Ehe eingegangenen Verpflichtung sei durch die Wiederheirat eben eine Unmöglichkeit geworden, impliziere er ja gerade, daß das Gebot für die betroffene Fallgruppe kein Gebot mehr ist, da keinen Verpflichtungscharakter mehr habend. – Will oder wollte man wirklich so antworten, müßte man schon fragen: Quid haec sibi volunt / was soll das denn sein? Ist das ein haltbares Konzept moralischer Verpflichtung, das annimmt, man könne einmal eingegangener Pflichten dadurch entledigt werden, daß man schwer gegen sie verstößt? Dispens durch Übertretung? Sicher: Durch Schuld kann ich die Erfüllung positiver Verpflichtungen unmöglich machen (aber auch dann bleibt die Pflicht zur Restitution durch Ersatzleistung, freilich im Rahmen des Möglichen und Verhältnismäßigen); aber für negative Verpflichtungen (sprich: etwas zu unterlassen) kann dies gerade nicht gelten. Und um negative Verpflichtungen geht es in unserem Fall nun einmal in ausschlaggebender Instanz.
Und damit komme ich wie von selbst zu einem weiteren, ein wenig vertiefter ansetzenden Theorem, zu dem Plädoyanten für eine andere Wiederverheiratetenpastoral in puncto Sakramente gelegentlich greifen: die Unterscheidung zwischen der Verpflichtung „im Prinzip“ einerseits und „im konkreten Fall“ andererseits. Dieser Ansatz präzisiert und vertieft eigentlich nur die soeben ins Feld geführte Antwortmöglichkeit, wonach Nicht-mehr-Können den Verpflichtungscharakter aufhebe. Man rekurriert nicht nur auf einen entlastenden Faktor, der insoweit entpflichtet, als die Nicht-Erbringung dessen, was eben nicht mehr erbracht werden kann, (an sich selber) nicht anrechenbar ist; man modifiziert sozusagen auch den Charakter der objektiven Verpflichtung, insofern diese ihrerseits eben zwei Modi haben soll: den des „im Prinzip“ und den des „im konkreten Fall“.
Entsprechend ist bei Wiederverheiratet-Geschiedenen eben zu unterscheiden zwischen den dauerhaften Verpflichtungen, wie sie an der geschlossenen Ehe „im Prinzip“ hängen, und denselben, wie sie an der geschlossenen Ehe „im konkreten Fall“ hängen. Und der konkrete Fall des Wiederverheirateten bringt es demnach mit sich, daß die einmal geschlossene Ehe ihre Verpflichtungskraft nicht mehr entfalten könne. – Natürlich bleibt hier einerseits obige Vorhaltung in Kraft, hier werde der menschlichen Freiheit die Kompetenz zugesprochen, durch die Übertretung (in Form des Schaffens „vollendeter Tatsachen“: Wiederheirat etc.) eines Gebotes dasselbe für sich außer Kraft zu setzen; ja, gilt er sogar verstärkt (durch Schaffung der neuen Situation ändert sich nach der Logik dieses Ansatzes ja etwas an der objektiven Verpflichtung).
Darüber hinaus gilt für besagte Distinktion zwischen „im Prinzip“ und „im konkreten Fall“: Sie leuchtet in ihrer Tragfähigkeit nicht ein, mir jedenfalls nicht und vielen anderen auch nicht. In der Moraltheologie und ‑philosophie wird solches longe lateque ventiliert und entsprechend auch im Rahmen aktueller Debatten disputiert. Nur ganz knapp: Ich halte es mit unzähligen anderen für evident, daß das Gebot qua normatives Prinzip, gleichsam gut „aristotelisch“, (zumindest) in seiner (negativen) Verpflichtungskraft nicht ist, es sei denn in bezug auf die unzähligen relevanten Einzelfälle ohne Ausnahme (so daß „im Prinzip“ zwingend impliziert: „in jedem relevanten Einzelfall oder gar nicht“); die Postulation eines normativen Prinzips, das sich, quasi gut „platonisch“, in einem An-sich halten könnte, ohne sich (zumindest in negativer Instanz) in jedem relevanten Einzelfall zwingend geltend zu machen, verkennt das Verhältnis von Allgemeinem und Einzelfall in seiner Anwendung auf die normative Ebene. (Die göttlichen Dispensen, welche die Theologie der Vergangenheit kennt, berühren diesen Sachverhalt nicht. Sie besagen nur: Von einem bestimmten Sachverhalt geht ausnahmslos für jeden Einzelfall eine Verpflichtung vor Gott aus, solange Gott selber nichts anderes vorsieht. Die konkreten Situationen, von denen unser kritisiertes Theorem ausgeht, lassen sich jedoch nicht als Fälle göttlicher Dispensen ausgeben.)
Und ganz sicher hat das Tridentinum seinen besagten Lehrsatz vom Halten-Können der Gebote seitens des Gerechtfertigten in bezug auf Gebote verstanden, die (zumindest in ihrer negativen Tragweite) ausnahmslos in jeder relevanten Situation gelten; der Gedanke, der Sünder könne (zumal durch Übertretung) eine Situation schaffen, die diesen Verpflichtungscharakter aufhebt, ist den Grundentscheiden dieses Konzils völlig zuwider, Grundentscheide, die so selbstverständlich waren, daß sie gar nicht erst ausgesprochen werden mußten. Von daher ist es nicht übertrieben zu sagen, daß die These von der Vereinbarkeit von Gerechter-Sein und Nicht-Halten-Können des Gebotes dahingehend, daß letzteres durch Schaffung „vollendeter Tatsachen“ durch den Sünder „in concreto“ ja seine Verpflichtungskraft verloren hätte, (zumindest) virtuell mitanathematisiert ist.
4. Sakramententheologische Aspekte
Auch ein paar sakramententheologische Erwägungen scheinen mir angezeigt. Auch dazu muß ein klein wenig näher ausgeholt werden: Die Theologie kennt das sog. „Wiederaufleben der Sakramente“ („reviviscentia sacramentorum“). Demnach entfalten sicher die absolut unwiederholbaren Sakramente (Taufe, Firmung, Ordo), sehr wahrscheinlich auch die relativ unwiederholbaren (Letzte Ölung oder Krankensalbung und Ehe), ihre Wirkung auch noch nach dem aktuellen Empfang; nämlich bei Aufhebung des sittlichen Hindernisses kraft Reue und Bußsakrament. Relativ ausgiebig reflektiert worden ist dies von der Theologie (seit Augustinus schon mit Blick auf die Taufe) für den Fall, daß jemand ein solches Sakrament zwar gültig, jedoch unfruchtbar (da indisponiert) empfangen hat.
Weit weniger im Blick gewesen ist der für unsere Belange besonders wichtige zweite Fall: wonach das Sakrament zwar fruchtbar (da mit entsprechender Disposition) empfangen wurde, der damalige Empfänger jedoch durch Fall in die Todsünde die Gnade und damit auch die spezifische Gnade des Sakraments verloren hat. Auch dann „lebt“ im Falle vollkommener Reue und Empfang des Bußsakraments die spezifische Gnade des Sakraments „wieder auf“ (solange die Unwiederholbarkeit des Sakramentes gilt): der durch Buße mit Gott Versöhnte lebt sein Gnadenleben jetzt wieder auch aus den unwiederholbaren Sakramenten.
„Weit weniger im Blick“: Er wurde mehr oder minder als selbstverständliche Konsequenz aus der „Reviviszenz“ im ersten Sinne behandelt bzw. angeführt. – Das Wie dieses Wiederauflebens ist unter den Theologen traditionell umstritten (was engstens zusammenhängt mit den verschiedenen Weisen, die instrumentelle Wirksamkeit der Sakramente zu plausibilisieren). Mit einiger Sicherheit kann man jedoch sagen, daß dieses Wiederaufleben generell eng zusammenhängt mit der Dualität des Sakraments als äußerlichem Zeichen („sacramentum tantum“) und des Sakraments als sozusagen verinnerlichter, nur vermittels des äußeren Zeichens sichtbarer Größe, die (außer in der Eucharistie) den Empfänger selber (physisch oder moralisch) prägt („res et sacramentum“).
Es ist dies jene Wirkung des äußeren sakramentalen Zeichens, die mit dessen (aktiv und passiv) gültiger Setzung absolut untrennbar verbunden ist. Und bei den (absolut oder nur relativ) unwiederholbaren Sakramenten ist besagte Prägung eben eine bleibende. Es sind dies konkret: der unauslöschliche sakramentaler Charakter (bei Taufe, Firmung und Ordo) oder (in etwa) die Übereignetheit an den rettenden Gott bzw. das Eheband o.ä. (bei der hl. Ölung und der Ehe). Diese Prägungen qua Verinnerlichungen des Sakraments rufen gleichsam nach ihrer Vollendung durch die heiligende und heilende Gnade (die „res tantum sacramenti“), auf daß diese Gnade von Gott unausbleiblich gegeben ist, und zwar kraft des Sakraments (auf welche Weise auch immer) und unter der Bedingung, daß kein Hindernis dagegen gesetzt ist. – Daß jenseits des zwischenzeitigen Verlustes der Gnade oder des Gar-nicht-erst-empfangen-Habens derselben das bleibend internalisierte Sakrament auch bei „bloß“ vertiefter (statt nachträglich bzw. erneut realisierter) Disposition eben auf die Vertiefung des Gnadenlebens hin erneut wirksam wird, diese Vorstellung wurde im Kontext einschlägiger Erörterung als eine abwegige Entlegenheit bewertet. Jedoch bin ich mir (einer gründlichen Reflexion vorweg und diesseits verwegener Spekulation) keineswegs so sicher darüber, daß ein solch vertieftes statt nur nachträgliches oder (einfachhin) erneutes Gnadenleben (auch) aus dem Sakrament ein Unding abgeben soll. [2]Zum Voranstehenden in genere konsultiere man die bewährte Manualienliteratur sowie die einschlägigen Lexikonartikel. Außerdem verweise ich eigens auf: F. Suárez, In tertiam partem, qu. 62,4 disp. … Continue reading
Als Ergebnis für unsere Belange: Mit dem sakramentalen Eheband zwischen zwei Getauften ist beiden die Gnade des Sakraments verbürgt für die Dauer dieses Bandes, sobald sie nur für diese Gnade geöffnet sind, und sei letzteres erst nach dem Empfang des Sakramentes der Fall. Entsprechend ist ihnen für die Dauer dieses Bandes garantiert, (gegebenenfalls) auch immer wieder neu aus dem Sakrament geistlich zu leben; zumindest dahingehend, daß die je neue Versöhnung mit Gott auch je neu die dem Ehesakrament spezifische Begnadung mit sich bringt (wenn nicht gar dahingehend, daß sie bei vertiefterer Disposition auch vertiefter aus dem Sakrament leben).
Nun bringt aber die Gnade des Ehesakramentes die Befähigung mit sich, die Verpflichtungen der eingegangenen Ehe halten zu können. Von daher zwangsläufig der simple Schluß: Die Option, die zugleich an der Unauflöslichkeit der Ehe festhalten und ein im strengen Sinne irreversibles Nicht-mehr-Halten-Können (und somit Aufhören) der mit dem Eheband gegebenen Verpflichtungen als möglich annehmen will, ist mit Blick auf die Sakramentalität des Ehebandes bei Getauften innerlich inkonsistent. Denn: Mit der eventuellen Bekehrung lebt doch die Gnade des Sakraments wieder auf, die ja gerade das Halten-Können impliziert.
Für jene, die auf den Unterschied zwischen Prinzip und Konkretion (s.o.) rekurrieren, bleibt meines Erachtens hier nur ein konsequenter Ausweg: Das Sakrament der Ehe muß in dem postulierten Fall, der Nicht-mehr-Können bis hin zum Nicht-mehr-verpflichtet-Sein besagen soll, in bezug auf die beiden (bis dato) Ehepartner erloschen sein; dadurch, daß das sakramentale Eheband pro hoc singulari casu zerrissen ist. Dann aber ist in diesem Fall das Sakrament (als bleibende Größe, „sacramentum et res“) in die Willkür des Menschen entlassen: nicht Gott verfügt über dessen Dauer, sondern der Mensch. Einmal abgesehen von Mt 19,6 parall.: Die Rede von der Treue Gottes, wenn wir untreu werden (2 Tim 2,13), wird hier schlicht Lügen gestraft. Überdies: Was wäre dann aber mit jenem Ehepartner (aus erster Ehe), der unschuldig ist und gegen dessen Willen diese Ehe erloschen wäre? Und der sich obendrein entschließt, seinem Partner bewußt (negativ) treu zu bleiben? Er ginge dann zwangsläufig der bleibenden Verbürgung der Gnade Gottes durch das (dann ja nicht mehr) bleibende Ehesakrament verlustig, und zwar durch die Schuld des anderen; hängt doch das bleibende Ehesakrament am bleibenden Eheband (das beidseitig besteht oder gar nicht).
5. Zusammenfassung
Nochmals in ganz knapper Zusammenfassung: Die Forderung, Wiederverheiratet-Geschiedene zu den Sakramenten zuzulassen, ist aus sachlichen Gründen unhaltbar, mithin die „gegenwärtige“ Lehre und Praxis auch (!) sachlogisch als irreformabel ausweisbar. Und dies aus mehreren Gründen:
- Für den (diskurspragmatisch allein relevanten) Regelfall ist die subjektive Gewissenssituation als Fundament einer Zulassung unhaltbar. Denn das wäre nur möglich durch Berufung auf ein abweichendes Gewissensurteil. Bei der hohen Verbindlichkeit der Lehre der Kirche zur unauflöslichen Ehe und ihren Verpflichtungen bekundet diese Berufung nun aber entweder nichts anderes als einen Selbstbetrug oder die Zurückweisung des Lehramtes selbst; ersteres läßt diese Berufung hinfällig werden, letzteres schließt vom Sakramentenempfang zwangsläufig aus.
- Dort, wo man die Gewissensautonomie gegen die Autoritätsbindung ins Feld führt, legt man, konsequent zu Ende gedacht, ein Verständnis dessen, was die moralische Verpflichtung und deren Gewißheit im Gewissen förmlich ausmacht, zugrunde, das sich nicht nur (bei näherem Hinsehen) als nicht tragfähig erweist, sondern als unvereinbar mit jener Theonomie der Verpflichtung, die für die biblische Sicht unaufgebbar ist.
- Plädoyanten für eine andere Praxis, die (in je verschiedener Weise) mit dem Unterschied von prinzipiell geltender Norm und konkreter Situation arbeiten, behaupten entweder (implizit) die Unfähigkeit auch des Gerechtfertigten, Gottes Gebote zu halten (was von Trient unter Anathem verworfen wurde), oder sie sprechen dem Sünder letztlich die Kompetenz zu, durch Übertretung eine Situation „vollendeter Tatsachen“ zu schaffen, in der die Geltung der Norm für sie aufgehoben ist (man „kann“ halt nicht mehr anders, „konkrete Situation“). Überdies ist die Unterscheidung jener beiden Modi des Gebotes, wonach es „im Prinzip“ seine Geltung entfalten kann, ohne dies auch „in der konkreten Situation“ zu tun, mit den größten Schwierigkeiten belastet bzw. intransparent.
- Sakramententheologisch: Die mit dem Eheband bleibend verbürgte Gnade des Ehesakraments beinhaltet gerade die göttliche Befähigung zum Halten der mit dem Eheband gegebenen Verpflichtungen. Von daher postuliert man dann, wenn man an der Unauflöslichkeit der sakramentalen Ehe festhalten will, um zugleich zu behaupten, die Erfüllung der eingegangenen (letztlich negativen) Verpflichtungen könnte „konkret unmöglich“ werden, und zwar definitiv unmöglich, etwas innerlich Inkonsistentes; oder man postuliert für die neue Situation, in der „konkret“ nicht mehr gilt, was „im Prinzip“ gleichwohl gelten soll, das Aufhören des sakramentalen Ehebandes. Damit wäre aber dessen Dauer in die menschliche Verfügung gestellt.
Daß einem, zumal als Nichtspezialisten und im Rahmen eines Essays, trotz aller Bemühung um Sorgfalt in der Problemerfassung darin doch einiges entgehen und entgleiten kann, dessen bin ich mir wohl bewußt. Aber ich glaube, eine Reihe stichhaltiger Punkte benannt zu haben, welche die Postulation einer anderen Praxis – über die formale Verbindlichkeit der geltenden Lehre und Praxis hinaus – auch theoretisch erheblich anfechten. Eine sachadäquate Argumentation für eine Änderung der Praxis müßte sich an diesen Punkten erst einmal gehörig abarbeiten. Keinesfalls will ich mich zu Pauschalurteilen über den gegenwärtigen theologischen Diskurs im deutschen Sprachraum hinreißen lassen. Aber ich glaube wahrzunehmen, daß man sich nur zu oft weigert, sich auf die Niederungen des Sachproblems einzulassen. Und so werden nicht selten Anfragen sachkundiger Autodidakten ziemlich snobistisch übergangen, indem man sich auf seine Eloquenz verläßt. Man übersieht dabei, daß derjenige, der in Tuchfühlung mit den Plausibilitäten der Gegenwart ist, sozusagen ein Heimspiel hat. Aber gediegene theologische Argumentation ist mehr als zeitgeistgemäße ideologische Postulation mit den „passenden Worten“ dazu.
Dr. theol. Klaus Obenauer ist Privatdozent an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Bonn.
Bild: Aleteia
-
↑1 | Cf. S. Thomas I/II, 109,4 / 6 arg/ad2 / 8; ibd. 112,3 |
---|---|
↑2 | Zum Voranstehenden in genere konsultiere man die bewährte Manualienliteratur sowie die einschlägigen Lexikonartikel. Außerdem verweise ich eigens auf: F. Suárez, In tertiam partem, qu. 62,4 disp. 8,3 n.1 sowie qu. 69,10 disp. 28,4 bes. n.17: Opera omnia, Paris 1860, 133b, 513–522 bes. 520a; Juan de Lugo, Disputationes scholasticae et morales, disp. IX,5 nn.81sq. u. 83sq.: tomus 3, Paris 1892, 555b/556a. |