Daß Konrad Adenauer, der erste deutsche Bundeskanzler nach dem Zweiten Weltkrieg, ein überzeugter Katholik war, ist gewöhnlich noch vergleichsweise bekannt. Wie genau sich seine Überzeugung im öffentlichen und privaten Leben jedoch äußerte, wurde bislang noch nicht in jener kompakter Form dargestellt, wie es die Eheleute Wolfgang und Dorothea Koch getan haben. In „Konrad Adenauer. Der Katholik und sein Europa“ möchten die Autoren nachvollziehen, wie sich der erste westdeutsche Regierungschef nach dem Krieg über das sogenannte christliche Abendland äußerte, wie sich seine europapolitischen Ideen entfalteten, wie seine Freundschaften mit Künstlern und Politikern aussahen, „und uns nicht zuletzt seine Identität als katholischer Christ vergegenwärtigen“. Den Abschluß des Buches bildet ein Blick auf Adenauers „weiterwirkendes Erbe“.
Bereits als Kölner Oberbürgermeister zwischen den beiden Weltkriegen sei Adenauer vom Gedanken der europäischen Einigung geprägt gewesen, heißt es. Für ihn sei dieses Bestreben jedoch aus einem tieferen Gedanken erwachsen, den er selbst „christliches Abendland“, „christlich-humanistische Weltanschauung“ oder auch „Würde der menschlichen Person“ umschrieb. Die Menschenwürde sei ein christliches Konzept: „Die Lehre vom Wert und der Würde der menschlichen Person ist zuerst vom Christentum aufgestellt worden und rund 2.000 Jahre hindurch von ihm bewahrt und gegen alle Angriffe siegreich verteidigt worden.“
Von großem Interesse sind die Einflüsse auf Adenauers denken, welche die Eheleute Koch sorgfältig zusammengetragen wurden. Ebenso erhellend sind die Kontakte – heute würde man von „connections“ sprechen –, die Adenauer in ganz Europa hatte. Man liest Namen wie Alois Dempf, Dietrich von Hildebrand, Abt Ildefons von Maria Laach, Robert Schuman und Alcide De Gasperi. Jener Alcide De Gasperi war es, der Adenauer zu seinem ersten Staatsbesuch im Jahr 1951 bewegte. Höhepunkt war die Begegnung mit Papst Pius XII., welche von der FAZ damals als „die längste Audienz in der Amtszeit“ des Papstes charakterisiert wurde. Adenauer revanchierte sich bei De Gasperi mit einer Einladung nach Deutschland, die 1952 realisiert wird. Wolfgang und Dorothea Koch kommentieren: „In sinnfälliger Weise veranschaulicht dieser Besuch die gemeinsamen Wurzeln und europapolitischen Ziele Adenauers und De Gasperis einer breiten Öffentlichkeit.“
Was die persönliche Religiosität des ersten Bundeskanzlers angeht, so haben die Autoren aus zahlreichen Quellen ein aufschlußreiches Bild zusammengestellt: „Wie sehr der Meßbesuch für Adenauer betrachtenden Charakter besaß, erschließt Pauls Hinweis auf ein kleines Gebetbuch Adenauers mit Gebeten und Gesängen der Ostkirche, ‚sprachlich großartige Texte, mit denen er seine Messe persönlich angereichert hat.‘“ Konrad Adenauer selbst schreibt: „[…] ohne die richtige, lebendige seelische Haltung wird alles andere nicht richtig; nichts ist aber so sehr geeignet, auf die seelische Haltung einzuwirken als die richtig verstandene Pflege des liturgischen Gedankens […].“ Vor seiner Reise nach Moskau im Jahre 1955 verbrachte Adenauer eine ganze Nacht am Grab des heiligen Niklaus von Flüe.
Wer sich für die Wurzeln des nach dem Zweiten Weltkrieg neu aufgebauten Deutschland und für die Grundlagen der heutigen Europäischen Union interessiert, ist mit Konrad Adenauer. Der Katholik und sein Europa gut beraten. In den Vereinigten Staaten von Amerika ist man sich gemeinhin bewußt, daß die Verfassung am besten interpretiert wird, wenn man sich die Väter der Verfassung anschaut. Es ist an der Zeit, in Europa eine ähnliche Perspektive einzunehmen.
Konrad Adenauer – Der Katholik und sein Europa, MM-Verlag, 296 Seiten, gebunden
Text: Martin Bürger
Der Begriff „christlich-humanistische Weltanschauung“ paßt so gar nicht in das Vokabular Adenauers. Da war wohl ein Ghostwriter am Werke, falls der Ausdruck tatsächlich gefallen sein sollte. Humanistisch war doch ein Begriff, der in der Zone Verwendung fand. Humanistisch stand zumindest damals gegen christlich. Beispiel: Humanistische Union.
Mit der gegenwärtigen Entwicklung würde Adenauer wohl auch kaum zufrieden sein.
Ich kann Ihnen dazu die Zeitschrift “ Kirchliche Umschau “ (4.50€) Nr.10 Oktober 2013 vom Sankt Vinzenzhaus, 53809 Ruppichteroth – www. kirchliche-umschau.de – empfehlen. Dort finden Sie einen sehr guten Artikel über das Buch und Adenauers Katholizismus. Wenn ich dort z.B. lese, daß auf seinen Wunsch hin eine Kapelle, die ein internationales Versöhnungszeichen werden soll, dem Erzengel Michael geweiht und zugleich mit dem Schutzpatron Deutschlands auch die Patronin Frankreichs die hl.Jeanne dÀrc verehrt wird, dann kann ich nur sagen „Ja, einem solchen Europa kann ich nur zustimmen“.
Und zur gegenwärtigen Entwicklung. Er hat Ansätze dazu schon damals abgelehnt, denn er äußerte:“ Wissen Sie, ich kannte Pius XII. und schätzte ihn sehr. Er war ein bedeutender Mann. Johannes aber war doch eine Katastrophe.“
Was müßte er erst heute äußern?
Dem kann ich nur zustimmen. Vielen Dank für den Hinweis. Adenauer war ein Glücksfall für Deutschland (und sein wirtschaftsminister auch).