(Rom) Zum medialen Selbstläufer wurde der Fragebogen, den der Vatikan allen Bischöfen zukommen ließ, um eine weltweite Bestandsaufnahme zur Situation der Familie durchzuführen. „Die pastoralen Herausforderungen der Familie im Kontext der Evangelisierung“, so der Titel des Vorbereitungsdokuments für die außerordentliche Bischofssynode, die vom 5. bis 19. Oktober 2014 im Vatikan stattfinden wird. Die deutsche Fassung des Dokuments mit dem Fragebogen wurde gestern vom Heiligen Stuhl gemeinsam mit anderen Sprachen veröffentlicht. Die italienische Fassung gelangte bereits einige Tage früher an die Öffentlichkeit. Die Berichterstattung der Massenmedien löste einige Unruhe und Unverständnis aus. Der Rechtssoziologe Massimo Introvigne spricht daher von einem „verratenen Dokument“. Bestand unter Papst Benedikt XVI. für bestimmte Medien ein Druck, jede Initiative möglichst negativ darzustellen, besteht unter Papst Franziskus der umgekehrte Druck, möglichst aus jeder Initiative eine positive „Revolution“ zu machen. Eine Eigendynamik, zu der der neue Papst wesentlich selbst beigetragen hat. Die Frage ist, wer seither wen antreibt.
Fragebogen nichts Ungewöhnliches – Klima der Verunsicherung sorgt für Unruhe
Die großen Medien reduzierten die Berichterstattung über das Vorbereitungsdokument fast ausschließlich auf dessen Schlußteil, einen Fragebogen, der von den Bischöfen eine Bestandsaufnahme der Situation in ihrem Land und vor allem ihrer Diözese erfragen will. Der Fragebogen, in neun Teile untergliedert, spricht eine ganze Reihe von Themen an, darunter auch die Frage, ob im betreffenden Gebiet homosexuelle Partnerschaften rechtlich anerkannt sind und ob Homosexuelle Kinder adoptieren können. Die Fragen dienen einer globalen Erfassung des Ist-Zustandes im Bereich Ehe und Familie. Keine andere Institution wäre imstande, eine so systematische und globale Bestandsaufnahme durchzuführen. Die Form ist nicht neu, sondern wurde zu anderen Anlässen seit dem 19. Jahrhundert mehrfach von Päpsten genützt.
Der Fragebogen ist also an sich nichts Ungewöhnliches. Durch eine seltsame Wechselwirkung zwischen Papst Franziskus und den Massenmedien ist allerdings ein gewisses Klima der Unsicherheit und des Mißtrauens entstanden. Einerseits besteht der weltliche Druck auf die Kirche, ihre Lehre zu ändern und „anzupassen“. Andererseits gibt es auch innerhalb der Kirche eine Strömung, die diese Anpassung an die Welt fordert und fördert. Das nach der Wahl von Papst Franziskus mit dessen Zutun entstandene Klima hat die Sicherheit genommen, daß die Kirche keine „Experimente“ eingehen werde. Historisch Bewanderten kam in Erinnerung, daß Papst Johannes XXIII. in Vorbereitung des Konzils ebenfalls einen Fragebogen an alle Bischöfe verschickte, um zu hören, welche Themen besonders vordringlich erscheinen. Die Antworten aus aller Welt sind inzwischen ausgewertet und zeichnen ein ganz anderes Bild, teilweise das genaue Gegenteil dessen, was dann beim Konzil und in dessen Gefolge vonstattenging.
Und damit zurück zur in einem Jahr bevorstehenden Bischofssynode zum heiklen Thema Ehe und Familie. Manche Medien stellten den Fragebogen, der eine Momentaufnahme erfassen will, als Auftakt zu einer „revolutionären“ Veränderung der kirchlichen Lehre dar. Diese Daueraufgeregtheit nicht nur unter Journalisten ist ein Produkt des neuen Pontifikats, das sich mehr belastend denn hilfreich über jede Frage und jede Initiative legt.
Lehramtlicher Teil des Vorbereitungsdokuments meist unterschlagen
Durch die zumeist völlige Unterschlagung des Vorbereitungsdokumentes, von dem der Fragebogen nur den abschließenden Teil bildet, wurde der Eindruck erweckt, als stünden die Fragen losgelöst von der kirchlichen Lehre im luftleeren Raum. Vielmehr noch wurde der falsche Eindruck erweckt, die Fragen seien gewissermaßen rhetorischer Art und würden somit bereits eine Beantwortung im Sinne eines revolutionären Umbruchs implizieren. Die Antwort, so wurde suggeriert, werde „natürlich“ im Sinne eines „modernen, pluralistischen“ Denkens ausfallen. Das eigentliche Vorbereitungsdokument, das dem Fragebogen vorangeht, läßt jedoch keine Zweifel an der kirchlichen Lehre.
Über Formulierungen wie eine in der Einleitung unter Anführungszeichen angeführte Bezeichnung der Welt als „globales Dorf“ mag man unterschiedlicher Meinung sein. Zweifelhaft und etwas im Freudenrausch vergaloppiert scheint auch ein Satz wie der folgende, der ganz dem zu entsprechen scheint, was Papst Franziskus wichtig ist:
„Diese Wirklichkeit findet eine einzigartige Entsprechung in der breiten positiven Aufnahme, die in unseren Tagen der Lehre über die göttliche Barmherzigkeit und Zärtlichkeit gegenüber den verwundeten Personen in den geographischen und existenziellen Randgebieten entgegengebracht wird: es gibt dementsprechend sehr weitreichende Erwartungen hinsichtlich der pastoralen Entscheidungen in Bezug auf die Familie.“
Nach dieser Einleitung aber finden sich klare Aussagen des kirchlichen Lehramtes zu Ehe und Familie in den Hauptkapiteln „Der Plan Gottes, des Schöpfers und Erlösers“ und „Die Lehre der Kirche über die Familie“. Eine Lehre, wie es heißt, die nicht erst zu erfinden ist, sondern direkt in Jesus Christus gründet: „Durch die Jahrhunderte hindurch und vor allem in der neueren Zeit bis in unsere Tage hat die Kirche es nicht fehlen lassen an ihrer beständigen und immer umfassenderen Lehre über die Familie und die sie begründende Ehe.“
Gewohnheitsgemäß beginnt die Berufung auf kirchliche Dokumente mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Gegenüber dem Davor besteht eine kaum überwindbare Scheu in Form eines regelrechten Tabus. Die Berufung erfolgt entsprechend auf die Pastoralkonstitution Gaudium et Spes, in der die Familie als wirkliches „Fundament der Gesellschaft“ bezeichnet wird. Das Vorbereitungsdokument zitiert:
„Die Ehegatten selber aber sollen, nach dem Bild des lebendigen Gottes geschaffen, in eine wahre personale Ordnung gestellt, eines Strebens, gleichen Sinnes und in gegenseitiger Heiligung vereint sein, damit sie, Christus, dem Ursprung des Lebens, folgend, in den Freuden und Opfern ihrer Berufung durch ihre treue Liebe Zeugen jenes Liebesgeheimnisses werden, das der Herr durch seinen Tod und seine Auferstehung der Welt geoffenbart hat“ (GS 52).
Humanae vitae enthält „Lehren“ nicht „Meinungen“
Erwähnt wird jedoch auch die Enzyklika Humanae vitae von Papst Paul VI. (1963–1978), der die Bischöfe des deutschen Sprachraums den Gehorsam verweigerten und sie abwürgten, noch ehe sie eine Wirkung entfalten konnte. Im neuen Dokument heißt es, daß Humanae vitae „besondere Lehren hinsichtlich der Prinzipien und der Praxis anbietet“. Der Rechtssoziologe Massimo Introvigne macht in diesem Zusammenhang auf das Wort „Lehren“ aufmerksam, also nicht irgendwelche Empfehlungen oder Meinungen unter anderen.
Die Berufung erfolgt auch auf das Apostolische Schreiben Familiaris Consortio von Papst Johannes Paul II. (1978–2005):
„Diese Hingabe ist in ihrer ganzen Wahrheit einzig und allein im „Raum“ der Ehe möglich, im Bund ehelicher Liebe, auf dem Boden der bewussten und freien Entscheidung, mit der Mann und Frau die innige, von Gott gewollte Lebens- und Liebesgemeinschaft eingehen (vgl. GS 48), die nur in diesem Licht ihren wahren Sinn enthüllt. Die Ehe als Institution ist weder ein ungebührliches Eingreifen der Gesellschaft oder der Autorität noch ein von außen kommendes Auferlegen einer Form, sondern eine dem ehelichen Liebesbund innewohnende Notwendigkeit, der sich dadurch der Öffentlichkeit als etwas Einmaliges und Ausschließliches kundtut, damit so die Treue zum Plan des Schöpfergottes voll verwirklicht wird. Eine solche Treue beeinträchtigt keineswegs die Freiheit der Person, sondern schützt sie vielmehr vor jedem Subjektivismus und Relativismus und lässt sie an der schöpferischen Weisheit Gottes teilhaben“ (FC 11).
Unauflöslichkeit des Ehesakraments und Sechstes Gebot
Es folgt der Katechismus der Katholischen Kirche über den Bund der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau (KKK 1660), das Ehesakrament und seine Unauflöslichkeit (KKK 1601–1658) und das Sechste Gebot (KKK 2332–2391). Dazu sagt das Vorbereitungsdokument:
„Die aufmerksame Lektüre dieser Teile des Katechismus vermittelt ein aktualisiertes Verständnis der Glaubenslehre zur Unterstützung des kirchlichen Handelns angesichts der heutigen Herausforderungen. Die Pastoral der Kirche inspiriert sich an der Wahrheit der Ehe, die im Rahmen des göttlichen Plans gesehen wird: Gott hat den Mann und die Frau erschaffen und in der Fülle der Zeit hat er in Jesus auch die Fülle der ehelichen Liebe offenbart, die zum Sakrament erhoben wurde. Die auf den Konsens gegründete christliche Ehe hat eigene Wirkungen wie es die Ehegüter und die Aufgaben der Eheleute sind, dennoch ist sie der Herrschaft der Sünde nicht entzogen (cfr. Gen 3,1–24), die tiefe Wunden verursachen und auch die Würde des Sakraments verletzen kann.“
Abschließend folgt der Fragebogen in neun Teilen. Der vollständige Text der Vorbereitungsdokumentes einschließlich des Fragebogens wurde vom Heiligen Stuhl veröffentlicht (hier):
- Zur Verbreitung der Heiligen Schrift und des Lehramtes der Kirche in Bezug auf die Familie
- Zur Ehe nach dem Naturrecht
- Die Familienpastoral im Kontext der Evangelisierung
- Zur Pastoral für Gläubige in schwierigen Ehe-Situationen
- Zu gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften
- Zur Erziehung der Kinder in irregulären Ehe-Situationen
- Zur Offenheit der Eheleute für das Leben
- Zur Beziehung zwischen Familie und Individuum
- Weitere Herausforderungen und Vorschläge
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Nuova Bussola Quotidiana