(Damaskus) Ein Land erobern und die „Ungläubigen“ dieses Landes töten, das ist Terrorismus. „Nein“, sagt einer der bedeutendsten islamischen Rechtsgelehrten. „Das ist Dschihad und ist für alle Moslems verpflichtend“. Entscheidend sei, daß man alles, was man tut, zur Ehre Allahs tut.
Ist Dschihad Terrorismus? Auf diese Frage wollte Abdul Fatah Idris in der ägyptischen Tageszeitung Al-Ahram Antwort geben. Abdul Fatah Idris gilt als einer der führende Rechtgelehrten des sunnitischen Islam. Er ist Vorstand des Instituts für vergleichendes Recht an der Scharia-Fakultät von Al-Azhar in Kairo, der renommiertesten islamischen Universität der arabischen Welt.
Was ist Terrorismus?
In seinem Artikel definierte Idris Terrorismus als “Gewalttat, die von einer oder mehreren Personen begangen wird, die Menschen oder Organisationen oder Transportmittel bedroht, um Schaden zu verursachen oder den Tod von Personen, oder einfach nur um die Effizienz internationaler Organisationen zu schwächen (…) oder um einen Terrorstaat zu errichten.“ Als Beispiel nannte Idris die Gewalt der Muslimbrüder zum Schaden der Christen, als sie im vergangenen August mehr als 70 Kirchen in Ägypten profanierten, plünderten und niederbrannten. „Diese Gewalttaten müssen als Terrorismus bezeichnet werden und können nicht, wie es einige tun, Dschihad auf dem Weg Allahs genannt werden, weil es einen großen Unterschied gibt.“
Was ist Dschihad?
Worin besteht der Unterschied zwischen Terrorismus und Dschihad? „Der Dschihad auf dem Weg Allahs bedeutet, sein Wort zum Höchsten erheben, die Religion verbreiten, die Ehre der islamischen Nation verteidigen und auf die Aggression gegen die Moslems in der ganzen Welt antworten. Das ist Dschihad: wenn ein Moslem einen Ungläubigen ohne Vertrag [alle Nicht-Moslems, die nicht dem Christentum oder Judentum anhängen] bekämpft, um dem Wort Allahs den höchsten Rang einzuräumen, und dabei gezwungen ist, dessen Land zu erobern. Das alles ist von den Rechtsgelehrten erlaubt. Mehr noch, es ist eine Pflicht für alle Moslems. Wenn aber die Vorschriften des Dschihad, einschließlich die Ungläubigen zu bekämpfen und ihnen mit allen nur möglichen Mitteln das Rückgrat zu brechen, von der Scharia erlaubt sind, dann ist es unmöglich, diese Akte als Terrorismus zu bezeichnen. Da gibt es einen großen Unterschied“, so Idris.
Die Zweideutigkeit von Idris
Der Ausdruck „Ungläubige ohne Vertrag“, den Idris gebrauchte, ist zweideutig. Mit „Vertrag“ ist im Islam der „Schutz“ gemeint, den die Moslems den Christen und den Juden in einem islamischen Staat gegen Bezahlung eines Kopfgeldes gewähren. Die Christen und Juden als sogenannte „Schutzbesitzer“ müssen die demütigende Dschizya entrichten. Wer zahlt, kann seine Religion behalten. Wer nicht zahlt, muß zum Islam konvertieren.
Diese Sonderbehandlung gilt aber nur Christen und Juden, während alle anderen Menschen von den Atheisten bis zu den Polytheisten als „Ungläubige“ gelten. Gerade zu diesem Punkt herrscht ein Konflikt zwischen der Katholischen Kirche und Al-Azhar. Dabei geht es um die neue ägyptische Verfassung, die in Ausarbeitung ist. Al-Azhar will im Artikel 3 der künftigen Verfassung festschreiben, daß den drei großen monotheistischen Religionen Freiheit und Respekt garantiert werden. Die Kirche drängt hingegen darauf, die drei Religionen nicht ausdrücklich zu nennen, um damit die Religionsfreiheit auch den anderen Minderheiten wie Schiiten, Bahai, aber auch den Atheisten sicherzustellen.
Gleiche Mittel, unterschiedliche Ziele
Aus dem Aufsatz des islamischen Rechtsgelehrten geht hervor, daß der Unterschied nicht in den von einem Terroristen oder Dschihadisten begangenen Taten liegt, sondern im Zweck, zu dem sie begangen werden. Wenn Idris aber die Gewalt der Muslimbrüder gegen die Christen in Ägypten als Terrorismus bezeichet, ist für ihn der Kampf der Islamisten von Al-Qaida in Syrien zur „Befreiung“ des Landes von den Alewiten und den Christen „Dschihad“, der für alle Moslems eine Pflicht ist.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Tempi