(Rom) Am 11. Oktober starb in Rom im 100. Lebensjahr Erich Priebke. Einige „unangebrachte“ Anmerkungen zu einer zweifelhaften Entscheidung der Diözese Rom, dem Toten ein kirchliches Begräbnis zu verweigern. Eine Entscheidung, die wenig katholisch erscheint, dafür aber umso politisch korrekter. Dünnes Eis für kirchliche Entscheidungen.
Priebke, 1913 im brandenburgischen Hennigsdorf geboren, erlangte seit den 90er Jahren internationale Bekanntheit. Während des Zweiten Weltkrieges diente Priebke als Verbindungsoffizier zur italienischen Polizei an der deutschen Botschaft in Rom. Am 24. März 1944 war der damalige SS-Hauptsturmführer (Hauptmann) an der Erschießung von 335 Geiseln in den Ardeatinischen Höhlen beteiligt. Die Erschießungen, fand als schrecklichstes Verbrechen während der deutschen Besetzung Eingang in das kollektive Gedächtnis Italiens. Sie waren eine Vergeltungsaktion für das Attentat kommunistischer Partisanen in der Via Rasella, in dem zur „Offenen Stadt“ erklärten Rom. Bei dem Attentat waren 33 deutsche Soldaten des Polizeiregiments „Bozen“ und zwei unbeteiligte italienische Zivilisten getötet sowie weitere 110 Personen zum Teil schwer verletzt worden. Die Idee und den Befehl zum Attentat hatte der Kommunist Giorgio Amendola erteilt. Nach dem Krieg war Amendola bis zu seinem Tod 1980 ununterbrochen Parlamentsabgeordneter der Kommunistischen Partei Italiens und 1978 deren, allerdings erfolgloser Präsidentschaftskandidat.
Ein Ultimatum an die Attentäter, sich zu stellen, verstrich ergebnislos. Hitler erteilte den Befehl zur Vegeltung im Verhältnis 1:10 Erschießungen von politischen Gegnern vorzunehmen. Die 330 Hinzurichtenden hatte das italienische Innenministerium zu stellen. Sie wurden unter den politischen Gefangenen aus den römischen Gefängnissen geholt. Die Vergeltungsmaßnahme sollten vom SS-Polizeiregiment „Bozen“ exekutiert werden, da deren Kameraden beim Attentat getötet worden waren. Die Männer, durchwegs Angehörige älterer Jahrgänge, weigerten sich jedoch unter Verweis auf ihren katholischen Glauben. Ihr Kommandant stellte sich schützend vor sie. So wurde das Exekutionskommando aus den Reihen der Sicherheitspolizei und des SD zusammengestellt. Dadurch kam auch Priebke in die Ardeatinischen Höhlen, der persönlich an der Erschießung von 12 Geiseln teilnahm.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu mehreren Militärgerichtsverfahren. Die meisten Hauptverantwortlichen, angefangen bei Adolf Hitler, waren tot oder wurden nach einigen Haftjahren amnestiert. 1948 wurde allerdings von einem italienischen Militärgericht der direkte Verantwortliche für die Ausführung der Hinrichtungsaktion, der Kommandant der deutschen Sicherheitspolizei (SiPo) und des Sicherheitsdienstes (SD), Herbert Kappler, zu lebenslanger Haft verurteilt. Der ehemalige SS-Obersturmbannführer (Oberstleutnant) konvertierte in der Haft zum katholischen Glauben. Nach 32 Jahren Gefängnis gelang dem inzwischen schwer Krebskranken die Flucht aus einem Militärkrankenhaus in Rom. Er starb wenige Monate später an seiner Krankheit. Gegen seine katholische Beerdigung in Deutschland gab es 1978 keine Einwände. Kappler war nicht grundsätzlich wegen der Erschießung von Geiseln verurteilt worden, sondern wegen der Erschießung von fünf Menschen zuviel. Die Erschießung von 330 Gefangenen war völkerrechtlich durch die Haager Landkriegsordnung von 1907 gedeckt, die Kriegsparteien bei Vergeltungsmaßnahmen Erschießungen im Verhältnis bis 1:10 erlaubte. Aus noch ungeklärten Gründen wurden in den Fosse Ardeatine jedoch 335 Menschen erschossen. Daß dem Hinrichtungskommando von italienischer Seite fünf Personen mehr geliefert worden waren, habe bei der großen Zahl „niemand gemerkt“, wie seinerzeit Kappler und später auch Priebke behaupten sollten.
Freispruch für Priebke 1948
Das Gericht sprach gleichzeitig Kapplers Untergebene in der Tötungsaktion frei, darunter auch Priebke, weil es anerkannte, daß sie einen Befehl ausführten, dessen Rechtswidrigkeit sie damals nicht erkennen konnten.
Priebke, der sich nach Kriegsende in Italien in alliierter Kriegsgefangenschaft befand, gelang 1947 die Flucht aus dem Lager. Er und seine Frau Alice waren getaufte Lutheraner, in Wirklichkeit aber glaubenslos. Wegen der Gefährdung Berlins durch alliierte Luftangriffe hatte Priebke seine Frau während des Krieges in Tirol untergebracht. Dort, in der Stadt Sterzing lernte Alice den katholischen Glauben kennen und konvertierte. Gleiches tat nach dem Krieg auch Erich Priebke, als er auf seiner Flucht, seine Frau erreichte. Ein Phänomen, das im und nach dem Krieg vielfach bekannt ist und mit den existentiellen Erfahrungen von Krieg und Gewalt zusammenhing. Das kinderlose Ehepaar wanderte 1948 mit gefälschten Papieren nach Argentinien aus und baute sich dort eine neue Existenz auf. Offiziell galt Priebke nach seiner Flucht aus dem Kriegsgefangenlager als flüchtig. Er wußte von dem Kriegsgerichtsverfahren gegen Kappler, aber noch nichts von seinem Freispruch.
Die Attentäter der Via Rasella wurden nie zur Verantwortung gezogen, obwohl nach Kriegsende italienische Militärgerichte die Legitimität des Attentats in Zweifel zogen. Das Attentat fiel unter die allgemeine Amnestie von 1946 für Gewalttaten auf beiden Seiten, mit der Italien für italienische Staatsbürger einen Schlußstrich unter den Krieg ziehen wollte.
Verhaftung 1994, Freispruch 1996, Verurteilung 1998
Obwohl die Angelegenheit gerichtlich abgeschlossen war, geriet 1994, damals bereits 81 Jahre alt, im Zuge der „Nazi-Jagd“ auch Erich Priebke ins Visier des Simon-Wiesenthal-Instituts von Los Angeles. Ein italienischer Staatsanwalt wollte den Fall „Fosse Ardeatine“ wieder aufrollen und stellte Auslieferungsantrag. Argentinien nahm Priebke in Auslieferungshaft und überstellte ihn unter internationalem Druck 1995 an Italien. In Rom wurde Priebke 1996 vom zuständigen Militärgericht freigesprochen, weil es bereits einen Freispruch zur selben Sache von 1948 gab, der 1952 vom Obersten Gerichtshof bestätigt worden war. Nach einem allgemein gültigen Rechtsgrundsatz kann niemand für dieselbe Straftat zweimal vor Gericht gestellt werden. Gegen den Freispruch gab es jedoch so heftige internationale Proteste, daß Italiens damaliger Justizminister den soeben freigesprochenen erneut verhaften ließ, bevor dieser den Gerichtssaal verlassen konnte. Was ab diesem Augenblick geschah, schien mehr mit Politik als mit einem Rechtsstaat zu tun zu haben. Priebke wurde erneut vor Gericht gestellt, diesmal jedoch vor ein ziviles Strafgericht. Dieses verurteilte ihn 1998 zu lebenslanger Haft. 2007 wurde dem 94-Jährigen aus Altersgründen Hausarrest gewährt.
Erklärung des Vikariats von Rom
Nun ist der Katholik Priebke im Alter von fast 100 Jahren gestorben, doch in Rom wird ihm eine Totenmesse verweigert. Jedenfalls eine öffentliche. Bischof von Rom ist Papst Franziskus. Die Diözese wird für den Papst traditionell von einem Kardinalvikar verwaltet. Das Ordinariat des Kardinalvikars gab am Samstag, am Tag nach Priebkes Tod in einer offiziellen Erklärung bekannt, daß es für Priebke keine Totenmesse in einer Kirche Roms geben werde.
In der zuständigen Pfarrei Santa Maria Immacolata di Lourdes, sagte ein etwas verlegener Pfarrer Pater Antonio Curcio: „Wir halten uns an das, was das Vikariat gesagt hat.“ Mehr könne er nicht dazu sagen. Priebke kenne er persönlich nicht. Er sei erst seit kurzem in der Pfarrei tätig.
In der Erklärung der Diözese Rom heißt es ohne jede Angabe von Gründen:
Bezüglich der Begräbnisfeier des Herrn Erich Priebke ist eine Präzisierung notwendig. Der Antrag wurde beim Pfarrer nicht von Familienangehörigen des Verstorbenen gestellt, sondern von einer Frau im Auftrag des Rechtsanwalts von Herrn Priebke am Morgen des 12. Oktober.
Die kirchliche Autorität hielt es angesichts der Umstände für angebracht, daß das Gebet für den Verstorbenen und sein Anvertrauen an die Barmherzigkeit Gottes – Zweck der religiösen Begräbnisfeier – in strikt privater Form, das heißt im Haus, in dem die Leiche des Verstorbenen aufgewahrt wird, zu erfolgen habe. Deshalb wurde dem Toten unter Beachtung des Kirchenrechts das Gebet nicht verweigert, sondern eine andere Form als üblich beschlossen, diskret und reserviert. Der Vorschlag wurde vom Rechtsanwalt des Herrn Priebke abgelehnt.
Dennoch haben sich alle katholischen Priester, unter Beachtung des Kirchenrechts, an die vom Ordinarius festgelegte Entscheidung zu halten.
Der hundertjährige Priebke starb kinderlos. Er und sein Frau Alice waren Einzelkinder. Seine Ehefrau war während seiner Haft hochbetagt in Argentinien gestorben, ohne daß sich die beiden wiedersehen konnten. Priebke habe keine Familienangehörigen, deshalb müsse er die Anträge stellen, gab seinerseits Priebkes italienischer Anwalt bekannt.
Politischer Beigeschmack – Kaiserliche Einlaßzeremonie zur Kapuzinergruft in Wien
Die Entscheidung des Ordinariats der Diözese Rom hat den bitteren Beigeschmack politischer Korrektheit. Für die Kirche geht es nicht um Urteile staatlicher Gerichte und die veröffentlichte Meinung. Sie hätte andere Fragen zu stellen. Nach welchen Kriterien wird dem Katholiken Priebke verweigert, was jedem Katholiken gewährt wird und auch Herbert Kappler gewährt wurde? Ist es seine Beteiligung an einer schrecklichen Tat vor 69 Jahren? Odr ist es die Angst vor öffentlicher Kritik, die bereits die Gerichtsverfahren in den 90er Jahren begleiteten? Tritt ein Toter nach katholischem Verständnis nicht aller Weltlichkeit entkleidet den Gang vor seinen Richter an?
Sichtbar gemacht wird das im Beisetzungszeremoniell der Habsburger, zuletzt 1989 beim Tod von Kaiserin Zita von Österreich und 2011 beim Tod des Kronprinzen und Thronfolgers Otto von Habsburg. Bei der sogenannten Einlaßzeremonie an der verschlossenen Tür zur Kapuzinergruft in Wien klopfte 1989 der Herold an und die Brüder fragten von drinnen: „Wer begehrt Einlaß?“ Der Herold antwortete mit allen Titeln. Die Brüder antworteten: „Wir kennen sie nicht!“. Daraufhin klopfte der Herold erneut an. Wieder folgte von drinnen dieselbe Frage. Der Herold antwortete diesmal mit der Kurzfassung der Titel. Doch die Antwort lautete abermals „Wir kennen sie nicht!“. Der Herold klopfte ein drittes Mal an und bekam dieselbe Frage gestellt. Darauf sagte er nur mehr, „Zita, ein sterblicher und sündiger Mensch“. Nun erst wurde Einlaß gewährt.
Die öffentliche Begräbnisfeier für einen aktiven Abtreibungsarzt
Es müßten an dieser Stelle keine Beispiele aufgezählt werden, wo öffentlichen Sündern, nicht vor Jahrzehnten, sondern aktuellen, anstandslos ein katholisches Begräbnis gewährt wurde. Dennoch seien zumindest zwei erwähnt. Das erste Beispiel stammt, der Nähe zur Kapzinergruft wegen, aus Wien. Am 21. August 2008 beerdigte Msgr. Norbert Rodt, der Pfarrer von Gersthof in Wien anstandslos den im Alter von 55 Jahren bei einem Bergunglück ums Leben gekommenen Abtreibungsarzt Peter Safar. Safar tötete Woche für Woche ungeborene Kinder. Er wurde zusagen mitten aus seiner Tötungsarbeit herausgerissen. Der Abtreibungsarzt war auch stellvertretender Vorsitzender des europäischen Zweigs des internationalen Abtreibungslobbyisten International Planned Parenthood Federation.
Msgr. Rodt verglich in seiner Predigt den aufgebahrten Leichnam des Abtreibungsarztes mit dem Leib Christi. Ein kritisches Wort zu seinem blutigen Lebenswandel erwartete man vergebens. Die Sozialistische Partei Österreichs legte am Grab einen Kranz nieder. Auch die Erzdiözese Wien hatte nichts gegen die öffentliche kirchliche Totenmesse und Beisetzung einzuwenden, wie Gloria.tv aufdeckte.
Don Gallo und die Kommunionspendung für den buddhistischen Transvestiten Luxuria
Das zweite Beispiel ist der im Mai verstorbene katholische Priester Don Andrea Gallo, dessen Ungehorsam gegenüber der Kirche samt Leugnung von Glaubenswahrheiten sprichwörtlich war. Die Begräbnisfeier fand nicht nur öffentlich statt, sondern wurde vom Vorsitzenden der italienischen Bischofskonferenz zelebriert, da Don Gallo Priester von dessen Erzdiözese war. Kardinal Bagnasco spendete dabei dem in Italien bekannten ehemaligen linken Parlamentsabgeordneten, erklärten Buddhisten und Transvestiten Vladimir Luxuria die heilige Kommunion. Zur Begräbnisfeier kamen mehrere Tausend Linksextremisten aus den Autonomen Zentren (der linken Entsprechung rechtsextremer Kameradschaften, falls Befürchtungen bestehen sollten, diese könnten zur Beerdigung Priebkes erscheinen) und Kommunisten mit Roten Fahnen und Sichel und Hammer. Kardinal Bagnasco mußte deren Pfeifkonzert über sich ergehen lassen, weil seine Teilnahme an der kirchlichen Begräbnisfeier politisch unerwünscht war (siehe eigenen Bericht).
Nach welchen Kriterien werden Entscheidungen getroffen: Bei dem Abtreibungsarzt Peter Safar und dem „roten“ Don Andrea Gallo für die öffentliche Begräbnisfeier, weil eine Verweigerung öffentlichen Protest ihrer kirchenfernen Anhängerschaft zur Folge gehabt hätte? Bei Erich Priebke gegen eine öffentliche Begräbnisfeier, weil eine Gewährung öffentlichen Protest von Medien, politischen Gruppen und jüdischen Verbänden zur Folge hätte? Ein dünnes Eis, auf das sich kirchliche Entscheidungsträger begeben.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican Insider