(Rom) Medienentwicklungen: Die linksliberale, kirchenferne Tageszeitung La Repubblica, Wortführerin bei den Dauerangriffen gegen Papst Benedikt XVI., scheint zum bevorzugten Medium von Papst Franziskus geworden zu sein. Die Tageszeitung Il Foglio, die das Pontifikat Benedikts XVI. intellektuell und wohlwollend unterstützte, wurde hingegen zu einem Zentrum der Kritik am neuen Pontifikat. In ihren Spalten konnten Mario Palmaro und Alessandro Gnocchi ihre mahnende Kritik veröffentlichen. Auf die Entlassung der beiden Autoren durch Radio Maria folgte eine noch weit härtere Kritik durch den Kirchenmusiker und Liturgiker Mattia Rossi.
Nun veröffentlichte Il Foglio am 17. Oktober ein Interview mit dem Rechtsphilosophen Tommaso Scandroglio zur Frage, ob und wenn ja, wie man den Papst kritisieren darf. Der Rechtsphilosoph ruft zu Besonnenheit und Klugheit auf. Kritik müsse dem Guten dienen und dürfe nicht dem Schlechten in die Hände spielen. Einem „Alle gegen alle“ in der Kirche stand bisher die Autorität des Papsttums entgegen. Eine Beschädigung des Papsttums, sei es durch den Amtsinhaber selbst oder sei es auch durch wohlmeinende Kritik gegen ihn, könnte Teil einer Strategie der Kirchengegner sein oder würde diesen zumindest entgegenkommen. Es gehe darum, zu klären, ob Kritik am Papst erlaubt ist und in welchem Rahmen. Nicht so sehr der Inhalt, da sei ein klarer Rahmen abgesetzt, aber umso mehr die Art, wie die Kritik vorgebracht werde, rufe die Katholiken zur Verantwortung.
Dem Papst, jedem Papst, nicht nur dem regierenden, muß immer Folge geleistet werden ohne mit der Wimper zu zucken, oder darf er kritisiert werden?
Versuchen wir zu klären, was die Kirche zu diesem Punkt sagt. Die Kongregation für die Glaubenslehre veröffentlichte 1998 eine von Joseph Kardinal Ratzinger unterzeichnete Lehramtliche Stellungnahme zur „Professio Fidei“, mit der die Bereiche und die Umstände umrissen wurden, durch die die Unfehlbarkeit des Petrus zum Ausdruck kommt. Nur in einigen Bereichen und einzig unter Beachtung präziser Bedingungen wirkt die Unfehlbarkeit des Summus Pontifex und entfaltet eine absolute Verbindlichkeit für alle Katholiken und darf daher nicht kritisiert werden, da unter diesen Umständen kein Irrtum vorliegen kann. Daraus ergibt sich von selbst, daß außerhalb dieser Voraussetzungen der Papst nicht unfehlbar ist und daher Fehler begehen kann. Was zum Beispiel ein Papst in einem Interview sagt, betrifft nicht seine Unfehlbarkeit. Das bedeutet natürlich nicht, daß alles was er sagt, diskutabel ist.
Wo aber der Papst nicht unfehlbar ist, kann er kritisiert werden? Mit anderen Worten: Hat der Gläubige ein Recht auf Kritik?
Der Katechismus der Katholischen Kirche verlangt Gehorsam gegenüber dem Papst, da man, indem man seinem Willen folgt, jenem Gottes nachkommt. Dort aber wo dieser Willen in Konflikt mit jenem Gottes wäre, wäre die päpstliche auctoritas nicht mehr gegeben, weil jede potestas – wie der Heilige Thomas von Aquin lehrt – ihre Gültigkeit von der Hochachtung des Guten empfängt. Das höchste Gesetz in der Kirche, liest man im Codex Iuris Canonici, ist die salus animarum und der wichtigste Balsam für die Seelen ist die Wahrheit, der auch der Stellvertreter Christi unterworfen ist. Darum: Gehorsam ja, aber Papolatrie nein. Entsprechend verlangt das Kirchenrecht im Canon 212 von den Gläubigen einerseits Gehorsam gegenüber den Hirten und erkennt andererseits ihr Recht an, Vorbehalte zu äußern „was das Wohl der Kirche angeht“. Nichts Neues unter der Sonne. Der Heilige Paulus kritisierte Petrus, den ersten Papst der Geschichte, weil dieser die Konvertiten dem jüdischen Gesetz unterwerfen wollte: „Als Kephas aber nach Antiochia gekommen war, bin ich ihm offen entgegengetreten, weil er sich ins Unrecht gesetzt hatte“ (Galater 2,11). Das Problem ist, daß Paulus den Petrus in einer pastoralen Frage tadelte, während die jüngste Kritik an Papst Franziskus auch und vor allem die Glaubenslehre betrifft.
Daher eine zweite Frage: Nachdem geklärt ist, daß es ein Recht auf Kritik gibt, gibt es auch eine Pflicht zur Kritik?
Lassen wir auch dazu die Dokumente der Kirche sprechen. Das Kirchenrecht stellt immer im zitierten Canon fest, daß die Gläubigen in einigen Fällen ihre Fassungslosigkeit bekunden können und sollen. Die Rede ist wörtlich von „Pflicht“, allerdings „unter Wahrung der Unversehrtheit des Glaubens und der Sitten und der Ehrfurcht gegenüber den Hirten und unter Beachtung des allgemeinen Nutzens und der Würde der Personen“. Oder um es mit der Nr. 37 von Lumen Gentium zu sagen, „immer in Wahrhaftigkeit, Mut und Klugheit, mit Ehrfurcht und Liebe gegenüber denen, die aufgrund ihres geweihten Amtes die Stelle Christi vertreten“. Die Nummer 62 von Gaudium et spes verweist auf eine demütige Haltung beim Äußern der eigenen Meinung. Von jenen, die sich den theologischen Wissenschaften widmen, verlangt schließlich Canon 218 des Codex Iuris Canonici „kluge Meinungsäußerung“ und selbstverständlich den „schuldigen Gehorsam gegenüber dem Lehramt der Kirche zu wahren“. Aus den zitierten Stellen ergibt sich für jene, die der Kirche wirklich treu und völlig katholisch sein wollen, das Kriterium, um zu verstehen, welcher der Spielraum des Katholiken ist, der an den Worten des Papstes zweifelt. Wenn ich mich verpflichtet fühle, den Papst zu kritisieren, vielleicht auch aus offensichtlichen Gründen, weil ich Unterschiede zwischen dem, was er sagt und dem, was das Lehramt verkündet, erkenne (der entscheidende Maßstab zur Wahrheitsprüfung für einen Katholiken), und es tue mit dem Ziel, die Wahrheit zu bekräftigen, die Zweifelnden zu erleuchten und Klarheit in der Glaubenslehre zu schaffen, doch sich dann in den konkreten Umständen zu diesem Nutzen negative Aspekte gesellen, wie der Mangel an Respekt vor dem Heiligen Vater, weil man sich ihm gegenüber etwa als Klassenbester aufspielt, oder die Zunahme der Verwirrung in den Reihen der Katholiken und die Unsicherheit unter den Einfachen, dann ist es vielleicht besser, von der Absicht Abstand zu nehmen, weil die negativen Auswirkungen die positiven aufheben würden. Man darf nie Schlechtes tun, aber manchmal ist es notwendig, sich für ein höheres Gutes des Guten zu enthalten.
Wie zum Beispiel auszuschließen, daß die kirchenferne-relativistische Front sich dieser Kritik bedienen könnte, um zu behaupten, daß nicht einmal der Papst mehr glaubwürdig ist, wie die Katholiken selbst bestätigen?
Daß der Papst von allen unter Anklage gestellt werden kann, da es sogar die praktizierenden unter seinen eigenen Gläubigen tun? Daß die Bedeutung des Papstes inzwischen beschädigt ist und daher seine kirchliche Rolle und das Papsttum überdacht werden müssen? Daß nicht einmal mehr die Katholiken sich darüber einig sind, was die dogmatische Wahrheit ist, der Folge zu leisten ist?
Dem allen wird man entgegenhalten, daß auch angesichts der Gefahr eines solchen Skandals es immer verpflichtend und vorzuziehen ist, die Wahrheit zu verkünden. Wenn aber die Art der Verkündigung paradoxerweise die Wahrheit selbst beschädigen würde? Wäre dann die Abhilfe nicht schlimmer als das Übel? Würde man auf diese Weise nicht das genaue Gegenteil des Erwünschten erreichen? Würden wir wirklich der Wahrheit einen guten Dienst erweisen? Der zu beschreitende Weg ist also vielleicht der, die im Lehramt gesammelten Inhalte des Glaubens und der Moral neu zu verkünden und dabei die Tugend der Klugheit zu gebrauchen, die dann sicher die am besten geeigneten Instrumente weist, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Das Problem ist also vor allem mehr die Art der Kritik als der Inhalt der Kritik. Es geht nicht nur um eine Etikettenfrage, sondern darum, auf die bestmögliche Weise der Wahrheit zu dienen.
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Il Foglio