(Vatikan) Katholische Intellektuelle haben im Vatikan eine Eingabe gegen das Verbot hinterlegt, mit dem den Franziskanern der Immakulata die Zelebration im überlieferten Ritus nur unter Sondergenehmigung erlaubt wird. „Das ist eine Sanktion, die in offenem Widerspruch zum Motu proprio Summorum Pontificum von Benedikt XVI. steht“, heißt es in der Eingabe.
Das Verbot der Ordenskongregation mit Zustimmung von Papst Franziskus, dem blühenden jungen und traditionsverbundenen Orden der Franziskaner der Immakulata die Zelebration des Alten Ritus zu verbieten, löste lebhafte und zahlreiche Reaktionen aus (siehe eigenen Bericht).
Die Frage lautet: Ist das von Papst Benedikt XVI. ohne Einschränkung für alle Priester des lateinischen Ritus gewährte Recht, die Alte oder die Neue Messe zu zelebrieren noch universal gültig, nachdem sein Nachfolger Papst Franziskus einem Orden dieses Recht aufgekündigt hat und damit auch den Gläubigen, die von den Priestern dieses Ordens seelsorglich betreut werden?
Die Auswirkungen betreffen die gesamte Kirche in einem sehr delikaten Punkt, ihrem Herzstück: der Liturgie. Vor allem aber wird es als Geste gegen jene liturgische und kirchliche Erneuerung gesehen, mit der Papst Benedikt eine Korrektur von Fehlentwicklungen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil einleitete. Die evidente Krise der Kirche machte Benedikt XVI. an einer falschen Interpretation des Konzils fest, die zu einem von der kirchlichen Tradition losgelösten Selbstläufer geworden sei. Ziel des deutschen Papstes war es, das Konzil und damit die ganze Kirche wieder in die zweitausendjährige Tradition der Kirche zurückzuführen, denn nur eingebettet und als natürliche Fortsetzung derselben erfülle die Kirche ihren Auftrag und könne gemäß dem ihr anvertrauten Glaubensgut zur Rettung der Menschen wirken.
Ist eine progressive Gegenrestauration im Gange? Fragen, die in diesem Zusammenhang auftreten, werden innerkirchlich bis in die höchsten Kreise gestellt. Die katholischen Gläubigen, die an der überlieferten Form des Römischen Ritus festhalten oder diese wiederentdecken, sind nicht nur „Freunde“ und „Liebhaber“ dieses, statt eines anderen Ritus. Es geht nicht um Ästhetik und Gefälligkeit. Die Frage ist grundsätzlicher Natur.
Auf die Liturgie bezogen, fürchten tatsächlich viele Katholiken, daß die Einschränkung des Motu proprio Summorum Pontificum gegenüber den Franziskanern der Immakulata nur der Auftakt zu einer generelleren Einschränkung sein könnte.
Auf der progressiven Seite fehlen nicht Stimmen, die den Alten Ritus lieber heute als morgen endgültig verbieten möchten. Das Verbot für die Franziskaner der Immakulata sehen sie als willkommenen ersten Schritt in diese Richtung. Die Gründe sind vielschichtig. Manche können das Interesse an der Messe des Heiligen Pius V. einfach nicht „verstehen“. Sie sehen keinen „Nutzen“ darin, denn schließlich gebe es ja die Neue Messe von Paul VI. Von Papst Franziskus kommen widersprüchliche Signale. Es ist nicht bekannt, daß er seit der Liturgiereform im Alten Ritus zelebriert hat. Grundsätzlich wird ihm kein ausgeprägtes liturgisches Interesse nachgesagt. Mangel an liturgischer Sensibilität schmälert die Zugangsmöglichkeiten zum Alten Ritus und das Verständnis dafür. Andererseits lobte Papst Franziskus die orthodoxen Kirchen: sie „haben die Liturgie bewahrt, die so schön ist“ und fügte hinzu „ex oriente lux, ex occidente luxus“ (siehe Beitrag: Papst Franziskus: Allah verherrlichen Ja, orthodoxe Liturgie Ja, Alte Messe Nein?)
Die Franziskaner der Immakulata haben ihrer Disziplin entsprechend gehorcht. Das bedeutet nicht, daß damit die Frage erledigt ist. Eine Gruppe von Intellektuellen hat beim Vatikan eine messerscharfe Analyse als Eingabe gegen das Dekret der Ordenskongregation hinterlegt.
Unterzeichner dieser kritischen Analyse des Dekrets sind vier renommierte katholische Intellektuelle: der Historiker Roberto de Mattei, Autor des ersten nicht progressiven Standardwerks über die Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils; der Rechtsphilosoph Mario Palmaro, der Verfassungsrechtler Andrea Sandri und der Philosoph Giovanni Turco. De Mattei und Palmaro lehren an der Europäischen Universität von Rom, Sandri an der Katholischen Universität von Mailand und Turco an der Universität von Udine.
Eine Gruppe von Wissenschaftlern konstituierte sich als Studiengruppe Bonum veritatis. Am 14. September übermittelten sie ihre Eingabe an den Präfekten der Ordenskongregation Joao Braz Kardinal de Aviz, der das Dekret erlassen hat. Zur Kenntnis wurde die Eingabe zudem dem neuen Staatssekretär Kurienerzbischof Pietro Parolin, dem Präsidenten der Apostolischen Signatur, Raymond Kardinal Burke und dem Sekretär der Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei, Kurienerzbischof Guido Pozzo übermittelt.
Im Begleitschreiben zur Eingabe begründen die Unterzeichner im Namen der Studiengruppe ihre Initiative:
„Die von uns koordinierte Analyse wurde von einer interdisziplinären Gruppe von Wissenschaftlern verfaßt, die in ihrem Gewissen die Pflicht verspürten, zur Frage, die von universalem Interesse ist, eine fundierte Überlegung vorzulegen, aber auch im Bewußtsein, daß es das Recht der Gläubigen ist, gemäß Kirchenrecht (Can. 212) den Hirten Stellungnahmen zum Leben der Kirche zu unterbreiten. Sie erkennen im Dekret eine Reihe von schwerwiegenden Problemen, die die Respektierung des Naturrechts und des Kirchenrechts und nicht zuletzt auch die Lex credendi betreffen, und die für die gesamte katholische Welt Geltung haben. Der Grad ihrer Schwere verdient es, daß sie in ihrer Tragweite und in ihren Folgen bedacht werden.“
Am Ende ihres Schreibens äußern die Unterzeichner die Erwartung „einer baldigen Intervention des Heiligen Stuhls, um die Frage im Licht der Gerechtigkeit und der Ausgewogenheit, nicht zuletzt auch des geistlichen Wohls der Priester und Gläubigen zu überdenken“.
Text: Settimo Cielo/Giuseppe Nardi
Bild: Le blogue du Maà®tre-Chat Lully