(Vatikan) Durch Aussagen des neuen Staatssekretärs Pietro Parolin, daß der Zölibat „kein Dogma“ sei und daher darüber gesprochen und entschieden werden könne, wenn die Entscheidungen „der Einheit“ dienen, wittern progressive Kirchenkreise Morgenluft. Die Meldung in großer Aufmachung auf zahlreichen Titelseiten zeigt, wessen Zufriedenheit damit stimuliert wurden. Entsprechend begeistert wird die Passage aus einem Interview einer venezolanischen Tageszeitung weiterverbreitet. Durch die Reduzierung des Zölibats auf eine „kirchliche Tradition“, von der man zwar „nicht einfach sagen kann, die gehört der Vergangenheit an“, scheint der künftige Kardinalstaatssekretär den Priesterzölibat in Frage zu stellen. Gesagt hat er das nicht. Eine Bereitschaft dazu hat er aber signalisiert, denn welchen anderen Zweck hätte sonst die ganze Wortmeldung gehabt, die jedenfalls schwerlich als Verteidigung des Zölibats verstanden werden kann.
Er ist nicht der Erste und wird nicht der letzte sein. Er ist allerdings der erste Staatssekretär, von dem eine solche Aussage, wenn auch noch vor Amtsantritt, überliefert ist. Es drängt sich die Frage auf, warum Papst Franziskus den noch verhältnismäßig jungen Vatikandiplomaten für das hohe Amt auswählte, zumal sich die beiden nur einmal vor Jahren und das eher flüchtig begegnet sind.
Nicht der Erste, der nach Rom zog um Zölibat in Frage zu stellen
Er ist nicht der Erste, der an die Römische Kurie berufen, eine solche Stellungnahme von sich gibt, um dann in Rom ebenso schnell, zumindest nach außen, Meinung zu ändern. Eine beachtliche Zahl von Theologen beharrt darauf, daß das Kirchenrecht in Sachen Priesterzölibat geändert werden könne. Bevorzugt blicken progressive Kreise auf die Praxis der orthodoxen Kirchen, in der auch verheiratete Männer zu Priestern geweiht werden können, während eine Eheschließung nach der Priesterweihe nicht möglich ist. Nur für Mönche und geweihte Priester gilt der Zölibat verpflichtend. Da die meisten Weltpriester daher vor der Weihe heiraten, entstammt die kirchliche Hierarchie fast ausschließlich dem Mönchstum.
Durch das El Universal-Interview präsentiert Msgr. Parolin vor seinem Amtsantritt Mitte Oktober in Rom eine Visitenkarte, die ihn in die Nähe von Technokraten statt von Kirchenführern rückt. Erst vor wenigen Monaten kritisierte Mauro Kardinal Piacenza, der Präfekt der Kleruskongregation die Theologenposition scharf, die eine Aufhebung oder Aufweichung des Zölibats für Priester für möglich und wünschenswert halten. Sein Vorgänger, Claudio Kardinal Hummes, war einer jener, die sich vor ihrer Ankunft in Rom gegen den Zölibat aussprachen, dann aber, nach einer entsprechenden Kopfwäsche, schnell auf die kirchliche Haltung einschwenkten. Allerdings fiel Kardinal Hummes, der 2006–2010 Präfekt der Kleruskongregation war, nie als besonders aktiver Verfechter des Zölibats auf.
Neo-Staatssekretär wirft als geübter Diplomat Stein ins Wasser, ohne selbst Position zu beziehen
Parolin lehnte sich in seinem Interview nicht so weit aus dem Fenster wie seinerzeit Kardinal Hummes. Er verteidigte den „Wert“ des Zölibats, der „auf die ersten Jahrhunderte zurückgeht“. Gleichzeitig bezeichnete er die Zölibatsfrage als „eine große Herausforderung für den Papst“, da „alle diese Entscheidungen getroffen werden müssen, um die Kirche zu einen und nicht zu spalten“. Was der Neo-Staatssekretär damit genau meint, läßt sich schwer entziffern. Der Hinweis auf den Priestermangel liefert das Stichwort, das in der Diskussion meist von den Zölibatsgegnern gebraucht wird. Der künftige Staatssekretär gab mit seiner „technischen“ Antwort einen gewollten Anstoß. Seine persönliche Meinung zum Thema Zölibat äußerte der geübte Diplomat dabei aber nicht.
Der Brasilianer Kardinal Hummes rühmt sich, ein Freund von Papst Franziskus zu sein und ihn zu beraten. Auf ihn gehe der Anstoß zurück, daß der Papst sich Franziskus nannte.
Kardinal De Velasio pflichtet Parolin auf „technischer“ Ebene bei
Unterdessen griff der Kirchenrechtler Velasio Kardinal De Paolis sofort die Aussagen Parolins auf. De Paolis ist nach wie vor päpstlicher Kommissar der Legionäre Christi. „Der Zölibat ist ein Charisma, das seit den ersten Jahrhunderten als geeignet und angemessen für das Priestertum gehalten wird, aber es gehört zur Praxis, nicht zur Lehre der Kirche. Darüber zu reden ist weder häretisch noch skandalös. Bereits während des Pontifikats von Montini stellte sich die Frage. Allerdings handelt es sich nicht bloß um eine Tradition wie das Brevier, die gefalteten Hände oder die Psalmen“, so Kardinal De Paolis.
Osservatore Romano-Chefredakteur zieht mit
Der Kirchenhistoriker und Chefredakteur des Osservatore Romano, Giovanni Maria Vian, kommentierte die Aussagen Parolins, seines künftigen Vorgesetzten im selben Sinn: „Es ist eine Frage, die zur Diskussion gestellt werden kann: obwohl sie wußten, daß der Zölibat nur eine Tradition ist, haben die Päpste auch nach dem Zweiten Vaticanum diese Praxis der lateinischen Kirche bestätigt. In den Ostkirchen werden verheiratete Männer zu Priestern geweiht, aber Bischöfe werden nur Zölibatäre. Im Evangelium spricht Jesus von Keuschheit um des Himmelreiches wegen und das war nichts Exklusives der Anhänger Christi: auch die jüdischen Asketen haben nicht geheiratet, während im Mönchstum die zölibatäre Haltung konstant galt, die für die Frauen ein wichtiges Element der Gleichheit ist.“
Welche Relevanz können „Zeichen der Zeit“ bei einer 2000jährigen Praxis haben?
Stellt die Aussage des Apostolischen Nuntius für Venezuela und künftigen Staatssekretärs des Heiligen Stuhls nur eine inhaltslose Antwort auf eine Journalistenfrage dar? Oder ist sie der Vorbote für einen neuen Konflikt zwischen Tradition und Revolution in der Kirche? Sollte dem so sein, wäre es eine weitere sinnlose Ablenkung von den eigentlichen Problemen, indem Strukturfragen und geschäftiger Aktionismus dazu in den Mittelpunkt gerückt werden. Und dies im Namen der Lösung eines „brennenden Problems“, nämlich des Priestermangels. Doch der Priestermangel wird nicht durch Strukturreformen und auch nicht durch die Aufhebung oder Aufweichung des Zölibats behoben. Ein Blick auf die protestantischen Landeskirchen genügt. Abgesehen davon, kann es nie einen Rückschritt in der Bewahrung des depositum fidei geben. Beim Priesterzölibat hat die lateinische Kirche keinen Sonderweg eingeschlagen, sondern stellt den höchsten Ausdruck dar. Warum sollte sie von etwas abrücken, was sie in ihrer zweitausendjährigen Geschichte als richtig erkannte und gegen harte Widerstände immer neu verteidigte? Nach 2000 Jahren kann es schwerlich „Zeichen der Zeit“ geben, aufgrund derer sich eine Änderung der geltenden Praxis, die jedoch theologisch fest fundiert ist, begründen ließe.
Text: Paix Liturgique/Giuseppe Nardi
Bild: Collegium Cardinalium/Wikicommons/Diözese Novara/Vatican Insider