(Wien) Nach Martin Kippenbergers gekreuzigtem Frosch (1990) nun also auch Deborah Sengls gekreuzigtes Huhn. Das Bestiarium wider den Gekreuzigten diente bereits den Heiden der Antike als Spottmittel gegen das Christentum. Die älteste erhaltene Darstellung dieser Art der Verhöhnung wurde in Rom gefunden und stammt aus der Zeit um 200 nach Christus. Sie zeigt einen gekreuzigten Esel.
Die Frage, ob die österreichische Künstlerin Deborah Sengl besonders tierliebend oder besonders menschenverachtend ist, mag der Betrachter selbst ergründen. Ihre Werke scheuen Gesichter. Sie zeigt bevorzugt menschliche Gestalten, doch die Menschenköpfe ersetzt die Künstlerin systematisch durch Tierköpfe. Ihre Vorliebe für Chimären aus Mensch und Tier variiert sie erst seit 2011 auch durch Zwitterfiguren aus Mensch und Blume. Eine besondere Verachtung hegt die 1974 in Wien Geborene für die katholische Kirche und vor allem für Papst Benedikt XVI.
In den ersten Jahren ihres Schaffens wählte sie als Motive Tierstudien, Sport, Außenseiter, Militär und Polizei. Ihr Werk wird der Concept Art zugerechnet und beschäftigt sich mit „Tarnung und Täuschung“, mit „Maskerade und Camouflage“. 2006 entdeckte sie das Thema Kirche. Ihrer Verachtung des katholischen Priestertums widmete sie im selben Jahr eine ganze Serie. Das Motiv des Wolfes im Schafspelz steigerte bei Deborah Sengl im Laufe der Jahre vom Schaf im Wolfspelz (2000) über den Wolfsschaf (2003) zum Schafspriester und Wolfspriester (2006) bis zum Wolfsschafpriester (2008) und schließlich sogar zum Wolfsschafpapst (2011). Parallel zu dieser Eskalation beklemmender artistischer Phantasien begann die Künstlerin sexistische Bilder nackter Frauen zu produzieren.
Da Sengl offenbar als Grundlage Photographien dienen, sind für ihre Papstbilder unverkennbar die Züge von Papst Johannes Paul II. und Benedikt XVI. zu erkennen. Das Bild Selig die Unwissenden schuf Sengl 2011. Es zeigt den als Papst verkleideten Wolf im Schafspelz, der mit seiner bedrohlichen Grimasse den Boden leckt. Deborah Sengls Haß auf die Kirche muß enorm sein, um die schöpferische Energie für ein so verächtliches Werk aufzubringen. Davon finden sich jedoch gleich ganze Serien in ihrem Schaffen. Mit der Kirche und ihrer Realität können sie nichts zu tun haben, da die Künstlerin selbst ihre persönliche Kirchenferne ebenso plastisch wie pathetisch dokumentiert.
Da der Papst erst plötzlich in das Blickfeld der Künstlerin rückt, scheint ihre Verachtung vor allem Benedikt XVI. gegolten zu haben. Der Wolfsschafpriester, ein Priester mit Schafskopf, der den zähnefletschenden Ausdruck eines Wolfs hat, wurde 2008 als Plakatmotiv für die Ausstellung Kunst Körperlich Körper Künstlich in Osnabrück verwendet.
Demnächst werden Werke von Deborah Sengl in Wiener Neustadt gezeigt. Als Plakatmotiv für die Ausstellung, die vom 23. August bis zum 29. September zu sehen sein wird, wurde die Verhöhnung des gekreuzigten Christus gewählt. Ein Huhn mit Dornenkrone und Lendenschurz, das ans Kreuz geschlagen ist. Das Bild ist Teil der 2012 geschaffenen Serie Via Dolorosa. Mit ihr äfft oder besser huhnt (eigentlich höhnt) die Künstlerin den Leidensweg Christi am Kalvarienberg nach.
Die Künstlerin selbst sagt dazu:
Ausgangspunkt der Arbeit Via Dolorosa sind die 14 Stationen des Kreuzwegs Jesu Christi. In dieser Serie sehen wir jedoch nicht den Sohn Gottes, sondern ein Huhn als Märtyrer leiden. Was auf den ersten Blick blasphemisch wirken mag, ist keine Kritik am christlichen Glauben, sondern thematisiert das Tierleid in der Nahrungsproduktion unserer Zeit.
So unvermeidlich die Lebensmittelindustrie heute ist, um eine stetig wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, so umstritten sind ihre Methoden und deren Auswirkungen. Das Leid der tierischen Märtyrer erlöst uns Bewohner der westlichen Industrienationen vom Hunger – und den damit verbundenen Unruhen. Doch je satter die Menschen werden, desto stärker scheinen ihre Seelen zu hungern. (Deborah Sengl)
Was auch immer Sengl mit ihrem „Märtyrer“-Huhn darstellen wollte, herausgekommen ist nicht nur „auf den ersten Blick“, sondern auch den zweiten und alle weiteren Blicke eine Gotteslästerung, die zudem künstlerisch wenig originell ist. Und was auch immer die Künstlerin zu dieser Fehlleistung verleitet haben mag, gläubige Christin ist sie jedenfalls nicht. Ein gläubiger Mensch, gleich welchen Berufs oder Standes leidet mit dem für und wegen der Menschheit, für jeden einzelnen Menschen leidenden Christus mit, er mißbraucht, verzerrt und entstellt ihn nicht.
Um der geschmacklosen Gotteslästerung die Krone aufzusetzen findet die Ausstellung in einer profanierten Kirche statt, im Museum St. Peter an der Sperr. Die spätgotische Klosterkirche ist seit 1966 Teil des Stadtmuseums von Wiener Neustadt in Niederösterreich und wird für Kunstausstellungen genützt. St. Peter an der Sperr war die Kirche der Dominikaner, die sich bereits im 13. Jahrhundert in Wiener Neustadt niedergelassen hatten. Die Kirche in ihrem heutigen Aussehen 1444 entstanden, fiel dem Klostersturm Kaiser Josefs II. zum Opfer und wurde Ende des 18. Jahrhunderts profaniert.
Das Museum St. Peter an der Sperr wird von der Kultur Marketing Event – Wiener Neustadt GmbH (KME) verwaltet, die zu 100 Prozent der Stadt Wiener Neustadt gehört. Die Entscheidungen sind daher politischer Natur und liegen in der Verantwortunng von Kulturstadträtin Isabella Seidl (SPÖ) und dem SPÖ-nahen KME-Geschäftsführer Michael Wilczek.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Deborah Sengl Homepage