(Rom) Der Theologe Jean-Michel Gleize, Priester der Priesterbruderschaft St. Pius X. und Professor an deren Priesterseminar in Econe hat das Buch Vatikanum II. Eine offene Frage. Quaestiones disputatae zum XXI. Ökumenischen Konzil vorgelegt. Das Buch erschien in italienischer Sprache im Ichthys Verlag des italienischen Distrikts der Piusbruderschaft.
„Die Probleme ignorieren, heißt nicht, sie zu lösen. Sie zu verdrängen, bedeutet, ihnen die Möglichkeit zu geben, ihr zersetzendes und zerstörerisches Wirken fortzusetzen. Das Zweite Vatikanische Konzil ist ein Problem, dessen Lösung weiterhin aufgeschoben wird, während die Säkularisierung immer neues fruchtbares Terrain in allen Bereichen, sei es im weltlichen wie im kirchlichen findet.“ Mit diesen Worten beginnt die katholische Historikerin und Publizistin Cristina Siccardi eine Besprechung des Buches.
Pater Gleize war 2009–2011 Mitglied der Delegation der Piusbruderschaft, die mit einer Delegation des Heiligen Stuhls Lehrgespräche führte, wie es Papst Benedikt XVI. von der Bruderschaft gewünscht hatte. Im ersten Teil seines Buch behandelt Gleize drei große Themenbereiche, die, wie er betont, untrennbar miteinander verbunden sind: die Tradition, das Lehramt und der Glauben.
Der zweite Teil ist gemäß klassischer scholastischer Methode systematisch in Form von elf Quaestiones disputatae gegliedert. Jede Frage unterteilt sich wiederum in drei Teile: ein Verzeichnis der Einwände, die grundsätzliche Antwort und schließlich die Antworten auf die Einwände.
Texte wie Lumen gentium, wo die Kirche als „Gottesvolk“ präsentiert wird, Nostra aetate über die nicht-christlichen Religionen, Unitatis redintegratio über die Ökumene und Dignitatis humanae über die Religionsfreiheit „führen tatsächlich und mit gutem Grund dazu, sich zu fragen, wie es Kardinal Ratzinger sagte, „ob die Kirche von heute wirklich noch die gleiche ist wie gestern oder ob man sie nicht gegen eine andere ausgetauscht hat, ohne es zu sagen“ (S. 7). Die großen in der Kirche erfolgten Veränderungen seien allen bewußt, so Gleize. Veränderungen, die auch die Verkündigung der Glaubenslehre betreffen, die im Dienst der Wahrheit steht und damit Verantwortung für die Rettung eines jeden trägt, vor allem auch gegenüber den Menschen, die zu missionieren sie angehalten ist, wie es der Heiland den Aposteln auftrug (Mk 16,15–18).
Von den 21 ökumenischen Konzilen der Kirchengeschichte war nur das letzte, das Zweite Vatikanische Konzil kein dogmatisches, sondern ein pastorales Konzil. Und allein dieses letzte wurde einberufen, nicht um brennende Fragen der Glaubenslehre zu klären, sondern um in einer „umgänglichen“ Form mit der „modernen“ Welt von damals zu reden. Einer Welt, die inzwischen in die „Postmoderne“ eingetreten ist, so Pater Gleize, und zugleich in eine traumatische religiöse, ethische, soziale, politische und wirtschaftliche Krise. „Das Konzil von Nizäa beendete die Unordnung, die in die Kirche eingedrungen war und die arianische Häresie ist schrittweise zurückgewichen, um dann vollständig zu verschwinden und das dank der Umsetzung der Lehren jenes Konzils. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil war man hingegen gezwungen, festzustellen, daß die Dinge nicht so verliefen: daß die Unordnung in die Kirche seit dem Konzil eingedrungen ist, ist eine von allen anerkannte Tatsache. In den 50 Jahren seither wurde die Unordnung endemisch und hat sich normalisiert. Der Grund dafür ist allein in einem Konflikt zweier gegensätzlicher Hermeneutiken zu suchen?“ (S. 6).
Es war mit Benedikt XVI. kein geringerer als ein regierender Papst, der in seiner berühmten Rede an die Römische Kurie vom 22. Dezember 2005 die 50 Jahre der Postkonzilszeit mit der Zeit nach dem Konzil von Nizäa (325) verglich, indem er die Worte des großen Kirchenlehrers Basilius zitierte (329–379): „Das heisere Geschrei derer, die sich im Streit gegeneinander erheben, das unverständliche Geschwätz, die verworrenen Geräusche des pausenlosen Lärms, all das hat fast schon die ganze Kirche erfüllt und so durch Hinzufügungen oder Auslassungen die rechte Lehre der Kirche verfälscht …“ (S. 5)
Auf dem Stuhl Petri fand ein Wechsel statt, doch die Probleme sind dieselben geblieben. Es wird die Göttliche Vorsehung sein, die mit den Menschen guten Willens die Knoten und Probleme lösen wird, Sie, die „im Erlösungswerk immer und unfehlbar auch auf den durch menschliches Eingreifen schiefgewordenen Linien gerade zu schreiben weiß“ (S. 4).
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana/DICI
Das gibt es auch auf Französisch:
Vatican II en débat – Abbé Jean-Michel Gleize.
« Questions disputées autour du 21e concile oecuménique ».
Préface de Mgr Bernard Fellay.
224 pages.
Publications du Courrier de Rome, 2012.