(Washington) Man würde gerne das Thema wechseln, doch dann das: „Um ehrlich zu sein, trauten wir unseren Augen nicht, als wir das Interview mit einem amerikanischen Journalisten lasen“, brachte die traditionsverbundene Seite Messainlatino die Sache auf den Punkt. Man könnte auch sagen: Dialektik ist eine diabolische Kunst. Es gibt nichts, was jemand nicht dialektisch in seinem Sinn biegen könnte. Das gilt auch für Michael Sean Winters, einen Journalisten des National Catholic Reporter, der bekanntlich wo immer progressiver Rauch aufsteigt, als medialer Verstärker zur Stelle ist. Der NCR hat deshalb auch keine Probleme mit einer „Öffnung“ gegenüber Homosexualität und der gesellschaftspolitischen Homo-Agenda.
Die in diesen Tagen durch Indiskretion bekanntgewordene, inhaltlich jedoch bestätigte Aussage von Papst Franziskus (siehe eigenen Bericht), daß es in der Kirche, einschließlich der Römischen Kurie eine „Homo-Lobby“ gibt und man für ihn beten solle, denn „wir werden sehen, was wir [dagegen] tun können“, paßt nicht wirklich in das progressive Weltbild. Zu den Papst-Aussagen siehe eigenen Bericht.
Papst Franziskus‘ Spontaneität gibt Rätsel auf – Progressiver Journalist aber „durchschaut“ alles durch ideologische Brille
Doch während andere noch darüber rätseln, was der Papst anhand der Notizfragmente wirklich gesagt und gemeint haben könnte, hat Winters alles mit Hilfe seiner ideologischen Brille „durchschaut“. Winters hat schnell die Quadratur des Kreises gefunden und eine progressive Lesart der unerwarteten Papst-Aussage gezimmert. Eine Lesart, die die latente Homophilie der fortschrittlichen Kräfte in der Kirche nicht berührt, gleichzeitig aber im Richtungskampf als Instrument für die Verleumdung innerkirchlicher Gegner eingesetzt werden kann.
Für Winters ist die Homo-Lobby in der Kirche nämlich „konservativ“ und „traditionalistisch“. Anders ausgedrückt: Nicht Homosexuelle sind ein Problem, sondern „konservative“ und „traditionalistische“ Homosexuelle.
Wenn aus den Angeklagten flugs die Ankläger werden – Ob Winters bei David Berger abgeschrieben hat?
Das erinnert an die Thesen marxistischer Befreiungstheologen der 70er und 80er Jahre, die eine sie in Verlegenheit bringende Christenverfolgung in marxistischen Staaten damit rechtfertigten, daß ja „nur reaktionäre“ Christen verfolgt würden und damit selbst schuld an ihrer Verfolgung seien.
Die Homo-Lobby-Aussage des Papstes bringt progressive Kreise ebenso in Verlegenheit. Doch in Winters Lesart werden die Angeklagten flugs zu den Anklägern und schuld sind kategorisch und immer die „Konservativen“ und „Traditionalisten“.
Man darf sich freuen: Hauptsache die progressive Welt ist wieder in Ordnung.
Ob Winters bei David Berger abgeschrieben hat? Der behauptet, seit er über seine homosexuelle Neigung gestolpert ist, in seinem persönlichen Rachefeldzug, daß homosexuell und traditionalistisch quasi Synonyme seien. Winters hat wahrscheinlich einfach zwei Stichworte der von progressiver Seite veröffentlichten Indiskretionen über die Papst-Aussagen miteinander vermengt: die Kritik des Papstes an der Homo-Lobby und, an ganz anderer Stelle, die Kritik an „restaurativen Kräften“. Aus diesen machte Winters einfach „Konservative“ und „Traditionalisten“. Wen Papst Franziskus allerdings wirklich meinte, geht aus der Gedächtnisnotiz der CLAR-Vorstandsmitglieder nicht hervor. Der Papst liefert nämlich zwei schwer entzifferbare Stichworte mit: „Pelagianismus“ und „Rosenkranzzähler“. Die pelagianische Häresie ist mit der Tradition sicher nicht in Verbindung zu bringen. Und sollte der Papst Rosenkranzzählerei mit der Tradition in Verbindung bringen, würde es bedeuten, daß er von der Tradition keine Ahnung hätte, was ihm nicht unterstellt sei.
Winters Schwierigkeiten im Umgang mit den Fakten
Mit Winters Worten klingt das jedenfalls in einem Interview, das er Vatican Insider gab, so: „Die wichtigste Botschaft, die in den Worten des Papstes über die Homo-Lobby enthalten ist, betrifft seine Entschlossenheit, die Kurie und die Kirche zu reformieren. Er wollte nichts gegen die Homosexuellen sagen, sondern gegen all jene, die sich in Gruppen und Richtungen organisieren, um das Leben und die Entscheidungen des Vatikans zu beeinflussen.“ Winters meint auch zu wissen, daß der Papst keinen Zusammenhang zwischen sexuellem Mißbrauch Minderjähriger und Homosexualität herstellen wollte: „Ich denke nicht, daß er einen Zusammenhang zwischen der Homosexualität und den Mißbräuchen herstellt. Die Personen, die in und außerhalb der Kirche Mißbrauch begehen, sind Erwachsene mit verschiedenen sexuellen Neigungen, die keinen Zugang zu Kindern haben dürften.“ Tatsächlich ist das Thema Mißbrauch Minderjähriger „nicht ausschließlich ein Problem der Schwulen“, wie Winters meint. Allerdings vordringlich: Bereits 2011 ergab eine Studie des John Jay Colleges nach dem Höhepunkt des Mißbrauchs-Skandals in den USA, daß 81 Prozent der Priester, die des Mißbrauchs beschuldigt wurden, homosexuelle Neigungen zu haben. Angesichts der Tatsache, daß nur ein geringer Prozentsatz der Bevölkerung diese Neigungen hat, ist die Wahrscheinlichkeit von einem Priester mit homosexueller Neigung mißbraucht zu werden um 213 Mal größer. Die Zahlen entblößen Winters Aussage als unzutreffenden Entlastungsversuch für Schwule.
Für Winters ist es eine selbstverständliche Tatsache, daß es auch im Vatikan eine Homo-Lobby gibt. Und dann folgt die Umdeutung: „Die homosexuellen Prälaten sind häufig die konservativsten und am traditionalistischsten, die entschieden gegen jede Öffnung bei den Themen der Homo-Partnerschaften oder der Gleichheit der Rechte sind. Das Problem ist, daß sie sich manchmal zu Seilschaften verbinden, um ihre eigenen Interessen zu betreiben, und das ist für den Papst inakzeptabel. Franziskus will die Kurie reformieren, um sie von allen Lobbys und Richtungen zu befreien, die verhindern, daß sie arbeitet, wie sie arbeiten sollte. Deshalb kritisiert er die Gruppe der Schwulen, wie er jede andere interne Gruppe kritisieren würde, die versucht die Arbeit des Vatikans zu beeinflussen.“
Homosexuelle darf man nicht kritisieren, es sei denn, sie sind „konservativ“ und „traditionalistisch“
Winters versucht einerseits die Homo-Lobby zwischen anderen, von ihm allerdings nicht näher definierten „Lobbys“ zu verstecken, was seine offensichtliche Verlegenheit zeigt, Homosexuelle zu kritisieren. Dergleichen gilt in liberalen Kreisen zumindest in der Öffentlichkeit als inakzeptabel. Das zwingt ihn andererseits die Aussage des Papstes, die nun mal im Raum steht, umzudeuten. Die vom Papst gemeinten Homosexuellen, wenn es denn überhaupt um deren Homosexualität geht, was Winters zumindest herunterzuspielen versucht, sind wenn schon „Konservative“ und „Traditionalisten“. Schließlich muß für einen Progressiven immer klar sein, wo der Feind steht.
Winters wird ausgerechnet vom Vatikanisten des linken Espresso, Sandro Magister widerlegt, der erst vor wenigen Tagen aufzählte, welche hohen Prälaten zur homophilen Partei in der Kirche gehören, was in keiner Weise meint, daß diese Prälaten selbst solche Neigungen hätten, und ein Arrangement mit dem vorherrschenden Zeitgeist suchen. Darunter finden sich vor allem Progressive, kein wirklich Konservativer und schon gar kein traditionsverbundener Prälat. Vielmehr sind die Kurienerzbischöfe Piero Marini und Paglia für ihre aktive Ablehnung der Tradition bekannt.
Die Strategie: kirchentreue Prälaten als „homosexuell“ verleumden, während die homophile Kirchenlobby sich mit der Homo-Ideologie arrangiert?
Winters Deutung klingt wie eine progressive Strategieempfehlung: die verhaßten traditionsverbundenen kirchen- und glaubenstreuen Prälaten sollen als „homosexuell“ verleumdet werden, während die homophile Richtung in der Kirche gleichzeitig ihr Arrangement mit Politik und Medien zur Anerkennung der „Homo-Ehe“ sucht. Nur bitte das Wort „Ehe“ nicht verwenden.
Dialektik als diabolische Kunst: Am Ende bleibt ein Stück mehr Verwirrung.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons