Der „Verrat“ der Katholiken – Warum Kampf gegen Abtreibung und „Homo-Ehe“ verloren ist, aber doch noch gewonnen werden kann


Karinal Raymond Leo Burke: Der Verrat der Katholiken - Warum der Kampf gegen Abtreibung, "Homo-Ehe" und Euthanasie schon verloren ist, aber doch noch gewonnen werden kann(Rom) Kar­di­nal Ray­mond Leo Bur­ke ging am Wochen­en­de in einer Rede, die als eine der bedeu­tend­sten betrach­tet wer­den kann, die von einem Kar­di­nal in den ver­gan­ge­nen Jah­ren gehal­ten wur­de, der Fra­ge nach, war­um die Abtrei­bungs- und Homo-Lob­by so erfolg­reich ist. In die­sem Zusam­men­hang stell­te er eini­ge grund­sätz­li­che Über­le­gun­gen an, die vom katho­li­schen Juri­sten und Sozio­lo­gen Mas­si­mo Intro­vi­gne auf­ge­grif­fen und wei­ter­ent­wickelt wurden.
Von Frei­tag bis Sonn­tag fan­den in Rom zum Tag von
Evan­ge­li­um vitae eine Rei­he von Ver­an­stal­tun­gen zum Lebens­recht statt. Den Höhe­punkt bil­de­te das Pon­ti­fi­kal­amt von Papst Fran­zis­kus am Sonn­tag. Der Sams­tag stand im Zei­chen von Gebet und Buße, „denn für die Sün­den gegen das Leben braucht es vor allem Buße“, so Intro­vi­gne, der ehe­ma­li­ge OSZE-Reprä­sen­tant gegen die Ver­fol­gung und Dis­kri­mi­nie­rung von Christen.
Bereits am Frei­tag begann eine inter­na­tio­na­le Tagung zum Schutz des Lebens an der Päpst­li­chen Uni­ver­si­tät Urba­nia­na, die vom ame­ri­ka­ni­schen Kar­di­nal Bur­ke aus­ge­rich­tet wurde.

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von Mas­si­mo Introvigne

Per­sön­lich habe ich die Tagung an der Urba­nia­na ver­folgt und von der schö­nen Rede von Kar­di­nal Bur­ke habe ich vor allem einen Teil geschätzt, der im übri­gen mit der Kate­che­se von Kar­di­nal Rui­ni [1]ehe­ma­li­ger Vor­sit­zen­der der ita­lie­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz über­ein­stimm­te. Bur­ke beklag­te die mil­li­ar­den­schwe­re Lob­by, die ihren Kampf für die „Kul­tur der Ver­hü­tung“ , für die Abtrei­bung und gegen die Fami­lie mit einer uner­hör­ten Feu­er­kraft führt. Er nann­te Bill und Melin­da Gates, die größ­ten Finan­ziers die­ses Kamp­fes gegen das Leben nicht nament­lich, aber es war so, als hät­te er es getan. Und es ist wahr: Es ist dank die­ses immensen Geld­flus­ses, daß die Verhütungs‑, Abtrei­bungs- und Homo-Pro­pa­gan­da uns jeden Tag behäm­mert, auch durch Film, Fern­se­hen und Roma­ne, wie Infer­no von Dan Brown, der ein Mani­fest für die Gebur­ten­kon­trol­le mit allen Mit­teln ist.

Kar­di­nal Bur­ke ging aber noch dar­über hin­aus, indem er die Fra­ge stell­te: War­um sind die­se Kam­pa­gnen erfolg­reich? Mag auch noch soviel Geld dafür aus­ge­ge­ben wer­den, im Grun­de geht es dar­um, den Tod zu ver­kau­fen, was letzt­lich doch nicht so leicht sein soll­te. Indem er den seli­gen Johan­nes Paul II. (1920–2005) zitier­te, beant­wor­te­te der ame­ri­ka­ni­sche Pur­pur­trä­ger die Fra­ge damit, daß die Kul­tur des Todes nicht nur wegen der Aggres­si­vi­tät der Fein­de der natür­li­chen und christ­li­chen Wahr­heit erfolg­reich ist, son­dern auch wegen der Glau­bens­ver­wir­rung, die in den Rei­hen der Katho­li­ken herrscht. La nuo­va Bus­so­la Quo­ti­dia­na [2]katho­li­sche Online-Nach­rich­ten­sei­te, deren Her­aus­ge­ber Intro­vi­gne, Erz­bi­schof Lui­gi Negri und Radio Maria sind doku­men­tiert die­se Kon­fu­si­on jeden Tag. Der Kar­di­nal hat recht: es gibt vie­le Katho­li­ken – ein­schließ­lich eini­ger Bischö­fe -, die den Kate­chis­mus und das Lehr­amt durch befremd­li­che Öff­nun­gen zu Ver­hü­tungs­mit­teln, Abtrei­bung, Eutha­na­sie und Homo-Part­ner­schaf­ten ver­ra­ten. Und Bur­ke hat gut dar­an getan, dar­an zu erin­nern, daß alles 1968 begon­nen hat, als vie­le Theo­lo­gen die Enzy­kli­ka Hum­a­nae vitae des Die­ners Got­tes Pauls VI. (1897–1978) ablehn­ten. Die Fra­ge der Ver­hü­tungs­mit­tel ist kei­ne neben­säch­li­che Fra­ge, sag­te Bur­ke: der Katho­lik, der bei den Ver­hü­tungs­mit­teln nach­gibt, ist schon bereit, auch in allen ande­ren Fra­gen nachzugeben.

In der Rede Bur­kes nur kurz ange­spro­chen wur­de ein wei­te­rer Punkt, der mir ent­schei­dend erscheint. Die Kul­tur des Todes gewinnt nicht nur, weil ein Teil der Katho­li­ken die Wahr­heit auf dem Gebiet der Moral ver­rät. Sie gewinnt, weil Mil­lio­nen von Katho­li­ken, die auf dem Gebiet der Glau­bens­leh­re dem Kate­chis­mus treu sind, auf dem Gebiet der Theo­lo­gie und der Geschichts­in­ter­pre­ta­ti­on, und damit auf der psy­cho­lo­gi­schen Ebe­ne, zu Gefan­ge­nen der Dik­ta­tur des Rela­ti­vis­mus gemacht wur­den. Das Pro­blem, über das wir viel nach­den­ken müs­sen, ist, daß sehr vie­le Katho­li­ken still­schwei­gend die The­se akzep­tie­ren, daß die revo­lu­tio­nä­ren „Errun­gen­schaf­ten“ angeb­lich nicht mehr rück­gän­gig zu machen sei­en. Sie den­ken, daß es „kein Zurück mehr gibt“, weil gewis­se Ver­än­de­run­gen „irrever­si­bel“ sei­en. Die Vor­stel­lung von der Irrever­si­bi­li­tät hat nicht nur pro­gres­si­ve Theo­lo­gen und Bischö­fe über­zeugt, son­dern auch vie­le kon­ser­va­ti­ve, vie­le katho­li­sche Füh­rungs­kräf­te und Prie­ster, die die Wahr­heit des Kate­chis­mus in Moral­fra­gen nicht leugnen.

Sie sind der Mei­nung, die Geschich­te wür­de sich line­ar fort­ent­wickeln und daß daher die Revo­lu­ti­on gegen die Keusch­heit, die Abtrei­bung, die Homo-Ehe, die Eutha­na­sie – mor­gen gegen die „post-nata­le Abtrei­bung“, das heißt den Infan­ti­zid, die Tötung von kran­ken und unge­woll­ten gebo­re­nen Kin­dern, dem näch­sten Ziel der Kul­tur des Todes, über deren fin­stren Vor­marsch der Phi­lo­soph Fran­cis Beck­wi­th an der Urba­nia­na berich­te­te – das Ergeb­nis „irrever­si­bler“ Pro­zes­se sei. Man denkt, daß der Zug abge­fah­ren ist und sich unauf­halt­sam line­ar fort­be­wegt. Der Zug kön­ne höch­stens, wie in den ver­gan­ge­nen Jah­re in Ita­li­en zum The­ma Homo-Part­ner­schaf­ten, für kur­ze Zeit im Bahn­hof  zurück­ge­hal­ten wer­den, aber dann setzt er sei­ne Fahrt uner­bitt­lich fort.

Auch vie­le „Gute“, die sich der Homo-Ehe und ande­ren bit­te­ren Früch­ten der Kul­tur des Todes wider­set­zen, sind über­zeugt, nur mehr ein Rück­zugs­ge­fecht zu kämp­fen, sich noch für die Ehre des eige­nen Anlie­gens zu schla­gen, aber ohne Aus­sicht auf Erfolg, weil der „Sinn der Geschich­te“ ein ande­rer ist. Alle sind wir – in gewis­ser Wei­se wir alle –  Opfer des Fort­schritts­my­thos und der Idee der Auf­klä­rung von der linea­ren Geschichts­ent­wick­lung, die tra­gen­de Säu­len der rela­ti­vi­sti­schen Welt­sicht sind, wes­halb die Wahr­heit nie abso­lut ist, son­dern immer nur ein Kind ihrer Zeit. Ent­we­der wir befrei­en uns von die­sem Aber­glau­ben, den uns die Dik­ta­tur des Rela­ti­vis­mus tag­ein tag­aus jeden Tag des Jah­res in den Kopf und in das Herz häm­mert, oder der Kampf für das Leben und die Fami­lie ist bereits zu Ende und wir haben ihn ver­lo­ren und die Homo-Ehe, die Eutha­na­sie und am Ende auch die „Abtrei­bung“ gebo­re­ner Kin­der wird sich über­all durchsetzen.

Wir müs­sen auf­zei­gen, daß das, was „Fort­schritt“ ist, nicht von sich aus offen­kun­dig ist, und anpran­gern, daß der „Fort­schritt“ viel­mehr von Mäch­ti­gen ent­schie­den wird, die dann ihre Ent­schei­dun­gen allen auf­zwin­gen. Gegen die Idee „unum­kehr­ba­rer“ Ent­wick­lun­gen die Ober­hand zu gewin­nen, ist schwie­rig, weil sich zu vie­le ver­lo­re­ne Schlach­ten ange­häuft haben. Den­noch gilt es fest­zu­hal­ten, daß die Geschich­te kei­nen mensch­lich vor­her­be­stimm­ten und not­wen­di­gen Gang hat. Die Schlach­ten wer­den von Men­schen gewon­nen und ver­lo­ren und für den Chri­sten ist kein Sieg des Bösen „irrever­si­bel“. Auch der Natio­nal­so­zia­lis­mus und der Sowjet­kom­mu­nis­mus schie­nen unbe­sieg­bar und „unum­kehr­bar“ und den­noch sind sie gefallen.

Zu glau­ben, daß das Böse irrever­si­bel und unbe­sieg­bar sei, ist letzt­lich Teil jener histo­ri­schen Ver­zweif­lung, die, wie uns Papst Fran­zis­kus fast jeden Tag lehrt, vom Teu­fel kommt. Aber auch der Teu­fel ist nicht unbe­sieg­bar, im Gegen­teil, er ist bereits durch unse­ren Herrn Jesus besiegt. Mehr noch: streng­ge­nom­men gibt es kei­nen ande­ren Sinn der Geschich­te außer dem Sieg des Herrn über das Böse, über den Tod und über den Teu­fel. Damit wir Anteil an die­sem ein­zi­gen wah­ren Sinn der Geschich­te haben, an die­sem alten und immer neu­en Sieg des Herrn, müs­sen wir uns vom Aber­glau­ben des Fort­schritts­my­thos befrei­en. Eine Befrei­ung, die wir uns nur durch das Stu­di­um, durch die Medi­ta­ti­on und das Gebet erobern können.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Nuo­va Bus­so­la Quotidiana

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