„Wenn das ein Papst ist“ – Das Papsttum im Wandel – wohin?


Der deutsche Benedikter Elmar Salmann über den stattfindenen Wandel des Papsttums„Mit Jor­ge Mario Berg­o­glio ali­as Fran­zis­kus wech­selt die Insti­tu­ti­on ihre Haut. Um sich den neu­en Zei­ten mit etwas jesui­ti­schem und etwas fran­zis­ka­ni­schem Geist zu stel­len“, so Mar­co Buri­ni, der eini­ge Über­le­gun­gen zum The­ma anstellt und dazu für Il Foglio mit dem deut­schen Bene­dik­ti­ner Elmar Sal­mann sprach.
Sal­mann, der 1972 zum Prie­ster geweiht wur­de und 1973 in die Bene­dik­ti­ner­ab­tei St. Jakob zu Gerle­ve ein­trat, lehr­te nach sei­ner Pro­mo­ti­on bei Peter Hüner­mann bis 2012 Phi­lo­so­phie und Syste­mi­sche Theo­lo­gie am Päpst­li­chen Athe­nae­um Sant’Anselmo des Bene­dik­ti­ner­or­dens und der Päpst­li­chen Uni­ver­si­tät Gre­go­ria­na in Rom. Im Den­ken Sal­manns geht es vor allem um die Suche nach einem christ­li­chen Lebens­stil und einer Denk­wei­se, ohne dar­auf zu ver­zich­ten, Men­schen „unse­rer Zeit“ zu sein. Als Bei­trag und Über­blick über die aktu­el­le Debat­te doku­men­tie­ren wir den Auf­satz Burinis.

Wo ansetzen, um zu verstehen, was dem Papsttum widerfährt?

Anzei­ge

Man könn­te bei den respekt­lo­sen Gesten begin­nen: das Auto­gramm auf dem Gips eines Mäd­chens, der Pileo­lus für einen Gläu­bi­gen, die schon vie­len geschwun­ge­nen Fuß­ball­tri­kots. Oder den Geschmacks­sinn auf die Waag­scha­le legen: Höl­der­lin und manch ver­ges­se­ne­rer fran­zö­si­scher Autor [1]gemeint ist Leon Bloy, Guar­di­ni und Kas­per, Chagall und das neo­rea­li­sti­sche ita­lie­ni­sche Kino, Anna Maga­ni und Astor Piaz­zolla. Oder im Kel­ler wüh­len: viel­leicht fin­det sich ja ein Ske­lett oder auch nur ein Stück Kno­chen, ein Aus­rut­scher, ein miß­glück­ter Satz, ein fal­scher Schritt. Aber das wur­de schon alles sehr gründ­lich erle­digt und zwar ziem­lich ergeb­nis­los. Die Anek­do­ten über Jor­ge Mario Berg­o­glio ali­as Fran­zis­kus sind bereits über jedes Maß ange­schwol­len und wir nähern uns dem Sät­ti­gungs­grad, auch weil die Flit­ter­wo­chen mit den Mas­sen­me­di­en noch anhal­ten. Es ist daher bes­ser, einem ande­ren Weg zu fol­gen, sich zu fra­gen und dar­über nach­zu­den­ken, was einer kon­sti­tu­ti­ven Insti­tu­ti­on der Kir­che wie dem Papst­tum durch den Wech­sel von Bene­dikt XVI. zu Fran­zis­kus, auf jene unge­wöhn­li­che und über­ra­schen­de Art und Wei­se wie wir wis­sen, widerfährt.

Nachnapoleonische Ära geht zu Ende: während Kurie starr ist, verändert sich Papsttum seit Johannes XXIII.

Ich fra­ge es den deut­schen Mönch Elmar Sal­mann, eines der weni­gen Talen­te, die noch imstan­de sind, gekonnt Theo­lo­gie, Phi­lo­so­phie, Lite­ra­tur, Geschich­te, Kunst, Psy­cho­ana­ly­se zu mischen. Von sei­nem Beob­ach­tungs­po­sten aus, der Zel­le in der Abtei Gerle­ve in West­fa­len, hat­te er mir am Vor­abend des Kon­kla­ve in jenem freund­lich distan­zier­ten Ton, der ihn aus­zeich­net, gesagt, sich „nichts beson­de­res“ zu erwar­ten. Jetzt, da die Ent­schei­dung gefal­len ist, beglei­tet er mich am Tele­fon auf eine Erkun­dungs­rei­se, die mit eini­gen histo­ri­schen Bemer­kun­gen beginnt. „Nun geht eine Pha­se der Kir­che zu Ende, die mit der nach­na­po­leo­ni­schen Zeit begon­nen hat. Nach dem feu­da­li­sti­schen Trau­ma reor­ga­ni­sier­te sich der Katho­li­zis­mus als moder­ne, wenn auch von einer anti­mo­der­nen Ideo­lo­gie getra­ge­ne Orga­ni­sa­ti­on. Eine zen­tra­li­sti­sche, effi­zi­en­te Orga­ni­sa­ti­on, in der neue Kon­gre­ga­tio­nen, reli­giö­se Insti­tu­te und Lai­en­or­ga­ni­sa­tio­nen ent­ste­hen und Diö­ze­sen und Semi­na­re reor­ga­ni­siert wer­den; und in der vor allem das Papst­tum inner­halb der Kir­che eine zen­tra­le Rol­le annimmt bis hin zur Apo­theo­se durch das Dog­ma der Unfehl­bar­keit (in der Kon­sti­tu­ti­on Pastor aeter­nus des Ersten Vati­ka­ni­schen Kon­zils, 1870, Anm. Mar­co Buri­ni). Das alles erfolgt in einer Gegen­be­we­gung zum Natio­na­lis­mus jener Zeit. Jetzt aber erschöpft sich die­se Pha­se, sei es weil die zen­tra­le Rol­le Euro­pas zu Ende ist, sei es wegen der Viel­falt der Kul­tu­ren, die sich nicht leicht zu einer Ein­heit zusam­men­füh­ren läßt.  In all dem wird die Unfä­hig­keit der Römi­schen Kurie sicht­bar, auf die­se neu­en inter­na­tio­na­len Dimen­sio­nen zu reagie­ren, wäh­rend wir eine lang­sa­me Ver­än­de­rung des Papst­tums erle­ben, um genau zu sein bereits seit Johan­nes XXIII.: Von einer juri­sti­schen, sakra­len Regie­rungs­in­stanz zu einer sym­bo­li­schen, cha­ris­ma­ti­schen Medi­en­ge­stalt. Der Rück­zug von Papst Bene­dikt und der dol­ce stil novo von Papst Fran­zis­kus sind die sicht­bar­sten Ver­dich­tun­gen die­ses Wandels.“

Zwei Päpste, drei Orden, drei unterschiedliche Lebensformen als Ausdruck des Wandels

Ein zwei­ter, mehr geist­li­cher Aspekt des gera­de statt­fin­den­den Über­gangs betrifft die Orden, die von den bei­den Päp­sten ins Spiel gebracht wur­den: Bene­dik­ti­ner, Fran­zis­ka­ner und Jesui­ten. „Das sagt viel dar­über aus, wie ein­schnei­dend die statt­fin­den­de Trans­for­ma­ti­on auf mensch­li­cher, geist­li­cher und mysti­scher Ebe­ne ist“, bemerkt der Bene­dik­ti­ner Sal­mann. „Das sind drei unter­schied­li­che Lebens­for­men. Daß zunächst ein Papst pla­to­ni­scher Phi­lo­so­phie den Namen Bene­dikt wählt und dann ein Jesu­it den von Fran­zis­kus, deu­tet das Auf­kom­men einer neu­en Sinn­kon­stel­la­ti­on und eine Ver­schmel­zung der reli­giö­sen Idea­le an, die mit den ver­schie­de­nen For­men jener so sehr von Papst Fran­zis­kus ver­kün­de­ten Armut ver­bun­den sind. Vor allem ist zu sagen, daß das bene­dik­t­i­ni­sche Leben, an sei­nem Ursprung, sich kei­nes gro­ßen geist­li­chen Glan­zes erfreu­te. Es war viel­mehr die Art und Wei­se, einen Aus­nah­me­zu­stand zum Aus­druck zu brin­gen als das Römi­sche Reich zer­fällt. Tat­säch­lich beab­sich­tig­te der hei­li­ge Bene­dikt eine Schu­le für Anfän­ger des geist­li­chen Lebens zu grün­den, er denkt an eine Werk­statt, in der die Werk­zeu­ge eines ordent­li­chen Hand­werks erlernt wer­den sol­len; er will Zeit und Raum in einer Epo­che glo­ba­ler Wan­de­rungs­be­we­gun­gen eine Ord­nung geben mit der Absicht ein gemein­schaft­li­ches Lebens coram Deo zu ermög­li­chen. Mit dem hei­li­gen Bene­dikt haben wir eine nüch­ter­ne, spät­an­ti­ke Form des aus dem Nahen Ostens impor­tier­ten monasti­schen Ide­als. Groß ist auch die Kunst des hei­li­gen Bene­dikt, unter­schied­li­che spi­ri­tu­el­le Strö­mun­gen ver­schie­de­ner Orden auf­zu­grei­fen und zu über­neh­men, was sei­nem Zweck dien­te – auch das ist ein Akt der Demut. Immer in sei­ner Zurück­hal­tung läßt Bene­dikt vor unse­ren Augen das Ide­al des wah­ren Mönchs auf­blit­zen, wenn er es dann auch unter dem Gesichts­punkt sei­ner Leb­bar­keit in eine Form gießt.“

Franz von Assisi, der zweite Archetypus, der die Kirche wiederaufbaut

Der zwei­te Arche­ty­pus ist Franz von Assi­si. „Die fran­zis­ka­ni­sche Spi­ri­tua­li­tät will dem nack­ten Jesus nach­fol­gen, vor allem wie er sich in der Krip­pe und bei sei­nem Tod zeigt: das sind ent­schei­den­de Momen­te von Got­tes Gegen­wart. Sich an die­se Zustän­de des Über­gangs anpas­send erschei­nen das gesam­te Leben und die gesam­te Natur als Sym­bo­le die­ser Gegen­wart. Die Schöp­fung erzählt von der Gegen­wart des demü­ti­gen Gottes“.
In die­sem Zusam­men­hang erin­nert Sal­mann an die berühm­te Sze­ne, die Giot­to in der Ober­kir­che von Assi­si als Fres­ko gestal­tet hat: „Papst Inno­zenz hat­te einen Alp­traum, in dem er die Kir­che zusam­men­bre­chen sah und eine pro­phe­ti­sche Gestalt, die sie ret­ten konn­te. Sicher, er hät­te sich nie träu­men las­sen, daß vor ihm ein Mann in der Kut­te der Armen erschei­nen wür­de, und den­noch ist es genau so pas­siert. Weil es die Nackt­heit ist, der Pro­phet, der eine dem Anschein nach mäch­ti­ge, inner­lich aber in der Kri­se befind­li­che Kir­che wiederaufbaut.“

Ignatius von Loyola: die großartige Erfindung der Gesellschaft Jesu – ein Jesuit ist in Europa gelandet

Und dann ist da noch der drit­te Arche­ty­pus des statt­fin­de­nen Umbruchs: Igna­ti­us von Loyo­la und sei­ne groß­ar­ti­ge Erfin­dung: die Gesell­schaft Jesu. „In einer nicht min­der schwie­ri­gen Über­gangs­zeit zwi­schen Renais­sance und Refor­ma­ti­on, ent­stan­den die Jesui­ten aus der Intui­ti­on eines pen­sio­nier­ten, hin­ken­den Rit­ters, der mit weni­gen Gefähr­ten nach Paris geht, um Theo­lo­gie zu stu­die­ren. Dann star­te­te er ein gro­ßes Expe­ri­ment, die Geist­li­chen Übun­gen, ein Labo­ra­to­ri­um, um den Wil­len Got­tes in den Regun­gen der See­le zu fin­den und sie mit den Lebens­si­tua­tio­nen Jesu zu ver­glei­chen. So ent­steht ein Orden ohne Klau­sur, ohne gemein­sa­mes Chor­ge­bet, ohne Ordens­kleid, mit Män­nern, die bereit sind, sich an Orte schicken zu las­sen, die sie sich nie vor­stel­len hät­ten kön­nen. Mir fällt der Jesu­it am Anfang von Clau­dels Der sei­de­ne Schuh ein, der sich auf einem Schiffs­wrack befin­det, am Haupt­ma­sten ange­bun­den, und bevor er unter­geht, sei­nen Gott anruft. Nun über­quert ein ande­rer Jesu­it, ein Latein­ame­ri­ka­ner das Meer, um im Alten Euro­pa zu lan­den und jenen Weg der Armut, der Nackt­heit und der Wehr­lo­sig­keit in einer noch mäch­ti­gen, aber inzwi­schen glanz­lo­sen Kir­che wie­der­auf­zu­neh­men. So als müß­ten wir der Spur von Franz und Igna­ti­us fol­gend nach Jeru­sa­lem zurück­keh­ren und an die Tür des Neu­en Testa­ments klop­fen, um unse­ren Maß­stab und neue Hoff­nung zu fin­den. So, als müß­ten wir jetzt die Geschich­te jener Armut nicht mehr wie ein geist­li­ches Ide­al, son­dern als kon­kre­ten Aus­gangs­punkt leben, wie die Rea­li­tät, in der wir leben.“

„Ah, wie sehr wün­sche ich mir eine arme Kir­che und für die Armen“, sag­te Papst Fran­zis­kus vor den Jour­na­li­sten aus der gan­zen Welt drei Tag nach sei­ner Wahl. Und dann beharr­te er mehr­fach auf den „Peri­phe­rien“, auf den Dienst an den Letz­ten; am Grün­don­ners­tag wusch er den Jugend­li­chen im Jugend­ge­fäng­nis von Rom die Füße. Er läßt kei­ne Gele­gen­heit aus, um über die „Barm­her­zig­keit“ und die „Sanft­mut“ zu sprechen.

Ist Rückzug Benedikts und Wahl Franziskus‘ ein vielversprechender Kà iros?

Laut Sal­mann kann das die Ant­wort auf „eine Kir­che sein, die die Macht ver­lo­ren hat, die wehr­los, ver­wund­bar, wider­legt ist und die auf der Suche nach einem ande­ren Stil ist, um Chri­stus in einer demo­kra­ti­schen, mul­ti­per­spek­ti­vi­schen und glo­ba­len Gesell­schaft dar­zu­stel­len. Die pro­phe­ti­sche Geste des Rück­zugs in die Ein­sam­keit von Papst Bene­dikt und des Man­dats­be­ginns von Papst Fran­zis­kus schei­nen mir die­se Situa­ti­on der Kir­che anzu­zei­gen und zum Aus­druck zu brin­gen, indem sie in einen viel­ver­spre­chen­den Kà iros ver­wan­delt wird. Es ist noch zu früh, um sagen zu kön­nen, ob aus die­ser Gestik eine poli­ti­sche und ver­än­dern­de Stra­te­gie wird, aber die Tür zu einer sol­chen Zukunft ist offen, zumin­dest aufgesperrt.“

Das Paradox, am Ende der Moderne einem Jesuiten die Kirche anzuvertrauen

Inzwi­schen funk­tio­niert jeden­falls die gelö­ste und locke­re Gestik Berg­o­gli­os (er winkt, lächelt, umarmt, zieht die Blicke auf sich) und sei­ne kur­ze und ein­präg­sa­me Rede­wei­se jour­na­li­sti­schen Zuschnitts. Er fühlt sich sicht­lich wohl und gelöst, wo sein Vor­gän­ger unbe­hol­fen und ver­äng­stigt wirk­te. Das Fee­ling mit der öffent­li­chen Mei­nung war sofort gege­ben. Nicht zufäl­lig. Die Jesui­ten ver­ste­hen es, in der Welt zu ste­hen. Sei­ner­zeit haben sie das Thea­ter neu erfun­den, heu­te gehö­ren sie zu den weni­gen im Katho­li­zis­mus, die die Medi­en wirk­lich ken­nen und mit Under­state­ment nut­zen. Als Mei­ster der ehr­li­chen Ver­stel­lung pei­len sie direkt das Ziel an: Todo modo para bus­car la vol­un­tad divina. Sicher, es ist ein Para­dox, daß die Kir­che sich gera­de jetzt, da die Moder­ne zu Ende geht, einem von ihnen anver­traut: Die Jesui­ten waren die gro­ßen Lehr­mei­ster der Moder­ne. „In Wirk­lich­keit befin­det sich kei­ner der drei Orden, Bene­dik­ti­ner, Fran­zis­ka­ner, Jesui­ten, heu­te bei guter Gesund­heit, und den­noch ver­ste­hen sie es gera­de im Augen­blick ihrer Abend­däm­me­rung einen schmack­haf­ten Saft her­vor­zu­pres­sen“, so Sal­mann. „Was Papst Fran­zis­kus betrifft, so wird sein Stil sich erst noch bewäh­ren müs­sen. Man darf die Fal­le der Ver­mensch­li­chung des Ritu­als nicht ver­ges­sen: Nach dem zehn­ten Mal, daß du Guten Abend sagst, bedeu­tet es nichts mehr und die Ein­fach­heit der Gesten wird zur Bana­li­tät. Ratz­in­ger lief die umge­kehr­te Gefahr, sei­ne Gestik war hyper­sti­li­siert. Noch frü­her hat­te Woj­ty­la alles auf sein Cha­ris­ma als Schau­spie­ler, als gro­ßer His­trio­ne gesetzt“.

Jahrhunderte ungesunder universitärer Theologie durch neue theologische Formen ablösen

Ein ande­res die­sem Papst wich­ti­ges The­ma ist die „Bewah­rung der Schöp­fung“, dem er bei der Mes­se zum Beginn des Petrus­dien­stes sehr inter­es­san­te Über­le­gun­gen wid­me­te. „Es ist ein typisch fran­zis­ka­ni­sches The­ma: die gan­ze Welt erzählt von Gott, Tie­re, Pflan­zen, Men­schen, alles ist Teil des Gar­tens Got­tes und ein zur Freu­de Gebo­ren­sein“, so Sal­mann. Auch die Armut als „gelieb­te Braut“ ist eine Iko­ne des fran­zis­ka­ni­schen Gei­stes. „Ja, die Armuts­fra­ge ist aber nicht nur ein beson­de­res The­ma von Theo­lo­gie und Spi­ri­tua­li­tät, son­dern ein wirk­li­cher locus theo­lo­gi­cus: ein Lebens­stil, eine inte­gra­le Per­spek­ti­ve und eine gemein­schaft­li­che Grund­form das christ­li­che Myste­ri­um und des­sen frucht­ba­re Gegen­wart in der Welt zu leben und zu den­ken. Wie die monasti­sche, sym­bo­li­sche und gelehr­te Theo­lo­gie an die Lebens­form des Klo­sters gebun­den war und die mysti­sche Theo­lo­gie an beson­de­re For­men der Erfah­rung der gött­li­chen Gegen­wart, so tau­chen nach Jahr­hun­der­ten der unge­sun­den Vor­herr­schaft der uni­ver­si­tä­ren Theo­lo­gie wie­der ande­re For­men theo­lo­gi­scher Pra­xis und Refle­xi­on auf, wie wir sie von Bene­dikt, Bern­hard, Hil­de­gard (die nicht zufäl­lig von Bene­dikt XVI. vor kur­zem zur Kir­chen­leh­re­rin ernannt wur­de), Franz von Sales, Johan­nes vom Kreuz ken­nen; For­men, die heu­te mehr mit einer Grup­pen­er­fah­rung gekop­pelt sind, wie es im Grun­de bereits die fran­zis­ka­ni­sche Theo­lo­gie war und jene des frü­hen Ignatius.“

Übergang des Papsttums von juristischer zu charismatischer Form hat Konsequenzen

Der Über­gang des Papst­tums von einer vor­wie­gend juri­sti­schen zu einer ent­schie­den cha­ris­ma­ti­schen Form hat Kon­se­quen­zen, von denen nicht alle ange­nehm sind. Sal­mann macht dar­auf auf­merk­sam, daß „man viel­leicht beginnt, sich zu sehr für die Per­sön­lich­keit und den Lebens­lauf des ein­zel­nen Pap­stes oder Bischofs zu inter­es­sie­ren. Das ist ein unge­sun­der Bio­gra­phis­mus, der zum Per­so­nen­kult führt, aber auch leicht zur Ver­leum­dung; vor allem in einer Zeit, die schnell die Äch­tung kennt, aber nicht mehr das Ver­jäh­rungs­recht, das heißt die Nach­sicht des Ver­ges­sens, des Laufs der Zei­ten, die posi­ti­ve Zur­kennt­nis­nah­me, daß sich eine Per­son ver­än­dert. Statt­des­sen wird heu­te alles ent­deckt und bloß­ge­stellt, auch wenn sich die Zei­ten, die Umstän­de und die Per­son selbst ver­än­dert haben. Mehr Zurück­hal­tung, Grö­ße, aus­ge­wo­ge­ne­res Beur­tei­len wären in unse­rem Urteil über Per­so­nen des öffent­li­chen Lebens wünschenswert.“

Politisch korrekte Gesellschaft kennt nur Kommunikation als letzten religiösen Fetisch – und frißt wie jede Revolution ihre Kinder

Tat­säch­lich stürz­ten alle los, um die Ver­gan­gen­heit zu durch­leuch­ten. Wie aber kann man ver­ste­hen, wie­viel bei Papst Berg­o­glio sei­ne Bio­gra­phie zählt und wie­viel hin­ge­gen sein jet­zi­ges, durch die soge­nann­te Gna­de des Amtes unter­stütz­tes Han­deln, wenn man das noch so sagen kann? „Frü­her sprach man von der Gna­de des Stan­des oder der Hei­lig­keit der Funk­ti­on. Aber heu­te gibt es den Respekt vor dem Offi­ci­um, von dem Cice­ro und Ambro­si­us spra­chen, nicht mehr, im Guten wie im Schlech­ten. Es ist die Gegen­be­we­gung der cha­ris­ma­ti­schen und bio­gra­phi­schen Empha­se, die sich auf jede öffent­li­che Gestalt aus­wirkt. Das Mehr an Glanz und Wür­de des Amtes gegen­über der Bio­gra­phie des ein­zel­nen Amts­in­ha­bers gibt es nicht mehr. Ich habe den Fall der deut­schen Bil­dungs­mi­ni­ste­rin Annet­te Scha­van vor Augen, die vor kur­zem zurück­tre­ten muß­te, weil sie vor gut 30 Jah­ren bei der Abfas­sung ihrer Dis­ser­ta­ti­on etwas irgend­wo abge­schrie­ben hat­te. Das ist über­trie­ben, aber mit dem Inter­net brei­tet sich ein Drang zur Ver­fol­gung von ‚Häre­ti­kern‘ aus, man durch­stö­bert alles auf der Suche nach Pla­gia­ten und setzt der Jagd kei­ne Gren­zen. Und so ver­lie­ren die Per­sön­lich­kei­ten des öffent­li­chen Lebens ihre Immu­ni­tät. Sie sind gegen nichts mehr immun.“ Das Munus, über das Rober­to Espo­si­to geist­rei­che Sei­ten ver­faßt hat, ist tat­säch­lich Kern und Kno­ten jeder Insti­tu­ti­on. „Es ist wahr, das Munus ist ein Pro­blem, das alle Insti­tu­tio­nen betrifft, die als sol­che Respekt für sich ein­for­dern. Und es ist ein grund­le­gen­des Sym­ptom unse­rer Welt. Sicher, es gibt Schat­ten­sei­ten, manch­mal wird die Immu­ni­tät miß­braucht, doch die Immu­ni­tät hat­te einen Sinn. Sie gran­tier­te den öffent­li­chen Ver­tre­tern eine gewis­se Unver­sehrt­heit. Der psy­cho­ana­ly­ti­sche Drang hin­ge­gen hat uns zu einem Bio­gra­phis­mus geführt, der nichts ver­zeiht und zu einer stän­di­gen Anschul­di­gung wird.“ Das Ver­ges­sen ist heut­zu­ta­ge Man­gel­wa­re. „Ande­rer­seits leben wir ja in einer poli­tisch kor­rek­ten Gesell­schaft und die Kom­mu­ni­ka­ti­on ist der ein­zi­ge ver­blie­be­ne reli­giö­se Fetisch. Der aller­dings sei­ne Kin­der frißt, wie jede Revo­lu­ti­on …“, so Salmann.

Bergoglios Gestik ist (noch) Taktik, längerfristig braucht es aber eine weitblickende Strategie

Jorge Mario Bergoglio in der U-Bahn von Buenos AiresDie Pola­ri­tät zwi­schen Cha­ris­ma und Munus ist ent­schei­dend für die päpst­li­che Insti­tu­ti­on. „Berg­o­glio wird vom cha­ris­ma­ti­schen Gestus unter­stützt, der sich jedoch in Habi­tus und Stra­te­gie ver­wan­deln muß. Bis­her war sei­ne Tak­tik eine Tak­tik des Gefühls, der Sen­si­bi­li­tät für die Situa­ti­on, län­ger­fri­stig aber braucht es eine Stra­te­gie, die weit­blickend und ein poli­ti­scher Pro­zeß ist.“ Tat­säch­lich ist der Schach­zug Berg­o­gli­os eben­so fas­zi­nie­rend wie gefähr­lich: ein Papst, der sich Fran­zis­kus nennt, oder anders aus­ge­drückt: die Insti­tu­ti­on, die den Namen des Cha­ris­mas annimmt. Fun­ken oder Kurz­schluß? Die­ser Mann, den man „fast vom Ende der Welt“ hol­te, um sei­ne eige­nen Wor­te zu gebrau­chen, ist ein selt­sa­mer Hybri­de, der die Schrit­te und Über­gän­ge ver­kör­pert, die das Chri­sten­tum durch­lebt. „Viel­leicht hat ihn die ambi­va­len­te Erfah­rung gezeich­net, die er wäh­rend der Dik­ta­tur in Argen­ti­ni­en durch­leb­te. Aus­wei­chen, ver­han­deln, sich der Macht wider­set­zen ist auf­rei­bend. Es ist fast leich­ter Mär­ty­rer oder Kol­la­bo­ra­teur zu sein, als in die­sem Nie­mands­land, in einer Grau­zo­ne zu blei­ben. Und ich habe den Ein­druck, daß sein Fran­zis­ka­ner­tum, das heißt sein ein­fa­cher Ansatz ohne Über­bau gera­de ent­stan­den ist, um sein Jesuit­sein in die­se histo­ri­schen Bedin­gun­gen zu inte­grie­ren. Haben Sie das Foto gese­hen, das ihn in der U‑Bahn zeigt? Er zeigt eine mehr fran­zis­ka­ni­sche als jesui­ti­sche Natür­lich­keit“, sagt mein Bene­dik­ti­ner. Berg­o­glio schaut in die Kame­ra mit einem unde­fi­nier­ba­ren Gesichts­aus­druck. Viel­leicht schaut er aber gar nicht genau in das Objek­tiv, das ihn ver­ewigt, son­dern ein biß­chen höher, und dar­über hin­aus. Viel­leicht auf das, was ihn erwar­tet. Das, was uns erwartet.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Sant’Anselmo/​Il Foglio

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1 gemeint ist Leon Bloy
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