Die Besorgnisse eines Konzilspapstes – Neue Dokumente von Roncalli und Montini


Erzbischof Capovilla, Sekretär von Papst Johannes XXIII.(Rom) Bis­her unbe­kann­te Doku­men­te geben neu­en Ein­blick in die Kon­zils­ge­schich­te. In Ita­li­en wur­den Brie­fe von Papst Johan­nes XXIII. und Paul VI. ver­öf­fent­licht. Für die Her­aus­ge­ber­schaft im Ver­lag Stu­di­um zeich­nen Erz­bi­schof Loris Capo­vil­la und Mar­co Ron­cal­li. Der eine war Sekre­tär von Johan­nes XXIII., der ande­re ist ein Groß­nef­fe von Papst Ron­cal­li und Publizist.
Als Johan­nes XXIII. am 11. Okto­ber 1962 im Peters­dom das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil eröff­ne­te, lag es nicht in sei­ner Absicht, neue Dog­men zu ver­kün­den, son­dern die Zei­chen der Zeit zu inter­pre­tie­ren und neue Wege der Kom­mu­ni­ka­ti­on mit der Welt zu fin­den. Die Kir­che befand sich in gespann­ter Erwar­tung, wie sie am 14. Febru­ar Bene­dikt XVI. vor dem Kle­rus von Rom schil­der­te. Eine Span­nung, die auch an der Römi­schen Kurie spür­bar war, wo es nicht an kri­ti­schen Stim­men fehl­te, die weder eine Not­wen­dig­keit für ein Kon­zil noch für Neue­run­gen sahen.

Konzilseinberufung aus päpstlicher Vollmacht – Einsame Beweggründe schwer faßbar

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Der ein­sa­me, aus der päpst­li­chen Voll­macht her­aus getrof­fe­ne Ent­schluß, ein Kon­zil ein­zu­be­ru­fen, wirft noch heu­te zahl­rei­che Fra­gen auf. Ein Ent­schluß, des­sen Beweg­grün­de letzt­lich nicht wirk­lich faß­bar sind. 50 Jah­re dem Tod Johan­nes XXIII. und der Wahl Pauls VI. bie­ten die neu­en Doku­men­te einen gewis­sen Ein­blick in die Span­nung jener Zeit.
Der Papst stieß im Allein­gang eine Tür auf, weil er der Mei­nung war, daß die gesi­cher­te und unver­än­der­ba­re Glau­bens­leh­re in einer den Bedürf­nis­sen der Zeit ange­paß­ten Form dar­ge­legt wer­den soll­te. Gera­de die­se Begrün­dung macht es schwer, die tat­säch­li­che Moti­va­ti­ons­la­ge zu erfas­sen, weil sie nicht erklärt, wes­halb ein Kon­zil das geeig­ne­te Instru­ment zur Errei­chung des gesetz­ten Zie­les sein soll­te, zumal die eigent­li­che Auf­ga­be eines Kon­zils, umstrit­te­ne Glau­bens­fra­gen zu klä­ren, von vorn­her­ein aus­ge­schlos­sen wurde.
Das neue Buch ent­hält auch Tei­le des bis­her unver­öf­fent­lich­ten Tage­buchs von Papst­se­kre­tär Capo­vil­la. Am Abend des ersten Sit­zungs­ta­ges des Kon­zils hielt er dar­in fest: “Ich bin unru­hig, ich sehe nicht klar, was den Beginn, die Tie­fe und die Ernst­haf­tig­keit der Arbei­ten anbe­langt. Ich bin über­zeugt, daß die Kurie ver­sucht hat, sich des Kon­zils zu bemäch­ti­gen, um dar­aus eine Art von Tagung zu machen. Vie­le glaub­ten nicht, daß es statt­fin­den wür­de. Und jetzt, wo wir da sind, wol­len sie es auf ein recht­li­ches Ereig­nis reduzieren.“

Weht nach 50 Jahren erneut der „Wind der Veränderung“?

Der Beginn des Pon­ti­fi­kats von Papst Fran­zis­kus wur­de sofort mit dem Pon­ti­fi­kat Johan­nes XXIII. ver­gli­chen, zumin­dest ab des­sen Ankün­di­gung des Kon­zils. Papst Fran­zis­kus ist ein Mann der Gesten. Das kann von Johan­nes XXIII. nicht gesagt wer­den. Der Ver­gleich gilt daher einem „Wind der Ver­än­de­rung“, der mit dem Kon­zil in der Luft lag und jetzt auch wie­der in der Luft zu lie­gen scheint, der von den einen freu­dig, von ande­ren besorgt, jeden­falls irgend­wie auf allen Sei­ten wahr­ge­nom­men wird. Was aber genau soll, je nach Sicht­wei­se „erneu­ert“, was „desta­bi­li­siert“ wer­den? Han­delt es sich um ein blo­ßes Gefühl? Die „Vox popu­li“ (Pao­lo Roda­ri) füh­le sich bei Berg­o­glio am stärk­sten an Papst Ron­cal­li erin­nert, jenem Papst, der im 50. Jahr nach Beginn des Kon­zils etwas mehr ins Blick­feld gerückt ist, wie der­zeit wegen der Erin­ne­rung an die Enzy­kli­ka Pacem in ter­ris an alle Katho­li­ken „und alle Men­schen guten Wil­lens“, aber anson­sten nur mehr wenig bekannt ist. Man soll­te daher den Kreis viel­leicht doch etwas enger zie­hen. Wer bestimm­te Ver­glei­che zieht, ver­knüpft damit in der Regel auch bestimm­te Inter­es­sen. So rich­tet sich der Blick auf kom­men­den Sonn­tag, an dem Papst Fran­zis­kus auch die letz­te der vier römi­schen Patri­ar­chal­ba­si­li­ken besucht, näm­lich Sankt Paul vor den Mau­ern, wo der Völ­ker­apo­stel Pau­lus begra­ben ist. Dort gab Johan­nes XXIII. am 25. Janu­ar 1959 über­ra­schend die Absicht bekannt, ein Kon­zil ein­zu­be­ru­fen. Wird Papst Fran­zis­kus in sei­ner Pre­digt dar­auf eingehen?
Wie aus den nun ver­öf­fent­lich­ten Doku­men­te her­vor­geht, zeig­te sich Gio­van­ni Bat­ti­sta Kar­di­nal Mon­ti­ni, der dama­li­ge Erz­bi­schof von Mai­land und künf­ti­ge Papst Paul VI. nicht irri­tiert über die Ein­be­ru­fung eines Kon­zils. Er beklag­te viel­mehr eine gewis­se vor­herr­schen­de Rat­lo­sig­keit, was nun eigent­lich mit dem Kon­zil zu gesche­hen habe, „das Feh­len eines klar umris­se­nen und geeig­ne­ten Plans, die Arbei­ten zu len­ken“, so Capovilla.

Das „Feuer“, das 1959 Kardinal Montini und Weihbischof Suenens antrieb

Die neu­en Doku­men­te geben neu­en Ein­blick, wer und wie Vor­be­rei­tun­gen für das Kon­zil traf. Kar­di­nal Mon­ti­ni schrieb 1959 an den dama­li­gen diplo­ma­ti­schen Ver­tre­ter des Hei­li­gen Stuhls in den USA und künf­ti­gen Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Amle­to Gio­van­ni Cico­gna­ni und kurz dar­auf schrieb Léon-Joseph Sue­n­ens, der dama­li­ge Weih­bi­schof von Mecheln und künf­ti­ge Erz­bi­schof von Mecheln-Brüs­sel und Kar­di­nal an Johan­nes XXIII. „Es sind zwei wich­ti­ge und beklem­men­de Brie­fe. Im Wesent­li­chen for­dern bei­de, daß das Kon­zil weiß, was zu tun ist, wo es hin­füh­ren will und mit wel­cher Sprache.“
Papst-Sekre­tär Capo­vil­la spricht von einem „Feu­er“, das Mon­ti­ni und Sue­n­ens antrieb. „Ich den­ke, daß Gott die­ses Feu­er ent­zün­det hat“, so der Erz­bi­schof. Es habe damals aber „vie­le“ gege­ben, die ver­such­ten, die­ses Feu­er „zu ersticken“. Im Unter­schied zu „vie­len“, die gegen­zu­ru­dern ver­such­ten, war Mon­ti­ni aber für Ron­cal­li ein „ver­läß­li­cher Freund“, der sich völ­lig bewußt gewe­sen sei, wie sehr die Kurie Johan­nes XXIII. bekämpft habe. Dies bele­ge, so Capo­vil­la, ein Schrei­ben von Don Giu­sep­pe De Luca, einem Freund Ron­cal­lis, an Mon­ti­ni vom 6. August 1959, in dem die­ser von „Vor­be­hal­ten“ und „Kri­tik“ berichtet.

Konzilszweifler, die „alten Aasgeier, die nach dem erstem Schreck wieder zurückkehren“

Der Brief gibt wider, wie im eng­sten Umfeld des Kon­zils­pap­stes jene gese­hen wur­den, die Zwei­fel an Not­wen­dig­keit und Weg der päpst­li­chen Ent­schei­dung vor­brach­ten. Seit der Wahl Ron­cal­lis zum Papst war nicht ein­mal ein Jahr ver­gan­gen. Der in Intel­lek­tu­el­len­krei­sen ver­keh­ren­de De Luca beschreibt die Römi­sche Kurie, an der er über zahl­rei­che gute Kon­tak­te ver­füg­te, als „Kreis der alten Aas­gei­er, der sich nach nach dem ersten Schreck wie­der fängt und zurück­kehrt. Lang­sam, aber er kehrt zurück.“ Um noch hin­zu­zu­fü­gen: „Und er kehrt zurück und ver­langt nach neu­er Zer­flei­schung und neu­er Ver­gel­tung. Und der maka­bre Kreis schließt sich um Carum caput [womit er Johan­nes XXIII. mein­te, Anm. Capo­vil­la]. Er hat sich mit Sicher­heit wie­der formiert.“
Capo­vil­la beschreibt Mon­ti­ni als „Freund“, auf den Ron­cal­li „zäh­len konn­te“. Bereits 1925 schrieb er dem künf­ti­gen Johan­nes XXIII. den ersten Brief. Der 28 Jah­re alte Mon­ti­ni war soeben zum Gene­ral­as­si­sten­ten des Katho­li­schen Stu­den­ten­ver­ban­des Ita­li­ens ernannt wor­den. Der 44 Jah­re alte Ron­cal­li hat­te soeben die Bischofs­wei­he emp­fan­gen und war von Pius XI. zum Apo­sto­li­schen Visi­ta­tor für Bul­ga­ri­en beru­fen wor­den. Mon­ti­ni soll­te sei­nem Vor­gän­ger im Papst­amt bis zu des­sen Tod immer wie­der schrei­ben. So auch als Erz­bi­schof von Mai­land am 25. Mai 1963, als bereits bekannt war, daß der Gesund­heits­zu­stand Johan­nes XXIII. ange­schla­gen war: „Die Nach­rich­ten, die über die Übel­keit im Umlauf sind, die Ihre Gesund­heit bela­sten, sind auch in Mai­land, mir vor allen ande­ren, Grund für kind­li­che Sor­ge und herz­li­chem Lei­den. Es ist uns fast Trost, mit dem gelieb­te­sten Vater In pas­sio­ne socii zu sein und Ihr phy­si­sches Lei­den mit unse­rem geist­li­chen zu ver­ei­nen. So wach­sen im Geist die Vor­sät­ze und Gebe­te für die Gesund­heit Eurer Hei­lig­keit … Möge Eure Hei­lig­keit die Früch­te Sei­nes apo­sto­li­schen Amtes im öku­me­ni­schen Kon­zil ern­ten, das Sie bei sei­ner dem­nächst begin­nen­den zwei­ten Ses­si­on in der Mit­te sei­ner gro­ßen Ver­samm­lung zu haben wünscht, mit gestärk­ten Kräf­ten des Lei­bes und immer pracht­voll in jenen des Geistes.“

Tagung Johannes XXIII. und Paul VI. Die Päpste des Zweiten Vatikanums

Wor­te der Freund­schaft, die sich in den Unter­la­gen fin­den, denen ab Frei­tag eine zwei­tä­gi­ge Tagung im Kon­greß­zen­trum Gio­van­ni XXIII. von Ber­ga­mo gewid­met ist. Die Tagung wird von zwei eme­ri­tier­ten Kuri­en­kar­di­nä­len eröff­net und geschlos­sen: Die Eröff­nung nimmt Wal­ter Kar­di­nal Kas­per (2001–2010 Prä­si­dent des Päpst­li­chen Rats zur För­de­rung der Ein­heit der Chri­sten) vor, der Abschluß erfolgt durch Paul Kar­di­nal Puo­pard (1988–2007 Prä­si­dent des Päpst­li­chen Kul­tur­rats und 2006–2007 auch Prä­si­dent des Päpst­li­chen Rats für den Inter­re­li­giö­sen Dia­log) been­det. Das The­ma lau­tet: „Johan­nes XXIII. und Paul VI. Die Päp­ste des Zwei­ten Vatikanums.“

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Una Fides

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