(Rom) In der Geschichte der Kirche hatte es noch kein Papst gewagt, sich den Namen des Alter Christus zuzulegen. Eine innere Scheu, dem Vorbild nicht gewachsen zu sein und das Wissen um die eigene Unzulänglichkeit hielten davon ab. 800 Jahre lang. Der erste, der den Mut fand und sich den Namen des großen Heiligen aus Assisi gab, ist der Jesuit Jorge Mario Bergoglio, der bisherige Erzbischof von Buenos Aires. Er ist in dem halben Jahrtausend seit der Gründung des Jesuitenordens der erste, der auf den Stuhl Petri aufsteigt. Jesuiten dienen den Päpsten, sie werden nicht Päpste, lautete noch in der Zwischenkriegszeit ein geläufiges Motto. Allerdings gab es bereits beim Konklave 2005 gleich zwei Jesuiten, die hinter Joseph Kardinal Ratzinger, wenn auch weit abgeschlagen, im ersten Wahlgang Stimmen auf sich vereinten. Es war bereits damals Bergoglio mit zehn Stimmen und Carlo Maria Martini, der Erzbischof von Mailand mit neun Stimmen. Ein Jesuit hätte auch den Namen seines heiligen Ordensgründer Ignatius von Lojola wählen können, ebenfalls ein Name, den sich noch kein Papst zulegte.
Ein völlig neuer Name
Bergoglio entschied sich am gestrigen verregneten Märzabend in Rom für den Gründer der großen franziskanischen Ordensfamilie, einer bestimmten Spiritualität. Die Wahl des Papstnamens ist Programm für ein ganzes Pontifikat. Benedikt XVII. hätte vor allem die enge, direkte Kontinuität mit dem Vorgänger zum Ausdruck gebracht, Johannes Paul III. die Anknüpfung an das lange Pontifikat zuvor, das sich wiederum aus den Namen Paul (VII.) und Johannes (XXIV.) zusammengesetzt hätte, beide Namen sind einzeln oder in Kombination mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil verbunden. Ein Kapitel, das bereits 2005 mit dem Namen Benedikt XVI. sein Ende fand. Bergoglio wollte es nicht mehr aufgreifen. Auch bei Pius XIII., Leo XIV., oder Gregor XVII. hätte man sofort programmatische Aussagen gesucht. Bergoglio wollte offensichtlich genau das vermeiden. Franz(iskus) ist ein völlig neuer Name. Analogien zu anderen Pontifikaten lassen sich nicht ziehen.
Ein Vergleich steht allerdings unweigerlich im Raum, der mit dem “Alter Christus“ von Assisi. Der klingende Name eines geliebten Heiligen, der nicht nur katholische Herzen höher schlagen läßt, auch in Lateinamerika. Auch die Anglikaner und Protestanten haben den Heiligen von Assisi in ihrem Kalender. Er ist selbst Moslems ein Begriff. Der reiche, ausgelassene Kaufmannssohn, gut im Reiten, geübt in den Waffen, der sich entschließt, zum Armen zu werden, sich völlig zu „entweltlichen“, um in der unbedingten Nachfolge Christi die „perfekte Freude“ im Herrn zu werden, die, wie er lehrte, durch Liebe, Demut und Imitatio Christi und Teilhabe an dessen Leiden kommt. Franz von Assisi ist der Schöpfer des Sonnengesangs, der Heilige der Volksfrömmigkeit, jener, der die christliche Tradition mit der Krippe beschenkte. Er ist aber noch viel mehr. Wird der Papst diesem Vergleich standhalten?
Franziskus war vor allem Prophet. Es war Papst Innozenz III. , der – noch vor Honorius III., der 1223 die Ordensregel der Franziskaner approbierte – in dem Heiligen aus Umbrien, durch göttliche Eingebung wie es heißt, voll Weitsicht die gestaltangenommene Erneuerung der Kirche erkannte. Einer Kirche, die sich damals in einer tiefen Krise befand.
Unbedingter Gehorsam gegenüber der Kirche
Häretiker, ketzterische Bewegungen, vor allem die dualistischen Katharer mit ihrer Strenge, ihrem noch unentschiedenen Weltenkampf zwischen Gut und Böse und ihrer radikalen Leibfeindlichkeit schienen die christlichen Grundlagen des Abendlandes zu zerstören. Die Bevölkerung folgte ihnen in Scharen nach.
Da stand der Heilige von Assisi auf und verkündete neben der heute einseitig betonten Armut einen unbedingten Gehorsam in Demut gegenüber der Kirche. Denn Kirche ist Christus und nur durch Christus gibt es Rettung für die Seelen, damit auch nicht außerhalb der Kirche. Ein Mann, der auch heute Antwort auf die Ungehorsamen und Unduldsamen ist, die sich innerhalb der Kirche tummeln. Ein Mann, der sich selbst, obwohl als „Alter Christus“ wahrgenommen, nicht für würdig für das Priestertum hielt, ist auch für heute eine entschiedene Antwort, wo sich so viele um das Priestertum drängeln, es geradezu fordern, als würde es sich um ein Recht handeln (von verheirateten Priestern, homosexuellen Priestern bis zum Frauenpriestertum).
Mission statt Dialog
Franz von Assisi war auch jener, der missionierte, evangelisierte, nicht dialogisierte. Zu seiner Zeit waren die Kreuzzüge als bewaffneter Versuch die Heiligen Stätten zu befreien und der Christenheit zurückzugewinnen, faktisch dem endgültigen Scheitern nahe. Franziskus schloß sich dem Kreuzfahrerheer an, um ins Heilige Land zu gelangen. Er wollte die Moslems bekehren, nicht mit dem Schwert besiegen. Er wollte Frieden stiften und war bereit, das Martyrium auf sich zu nehmen. Waffenlos und damit schutzlos begab er sich nach Damiette in Ägypten in das moslemische Lager und trat vor Sultan Al-Kamil Muhammad al-Malik, dem Neffen Saladins, der Jerusalem von den Christen zurückerobert hatte.
Die Begegnung mit dem Sultan wird heute gerne heruntergespielt. Der Sultan habe dem armen Bruder aus Italien zwar zugehört, sich aber nicht beeindrucken lassen. Die Begegnung war jedoch wesentlich dramatischer. Franziskus forderte den Sultan heraus, mit ihm die Feuerprobe anzutreten, dann werde sich zeigen, wessen Gott der wahre Gott ist. Davor allerdings hatte der Sultan dann doch Angst. Er rief seine Gelehrten und Weisen, doch keiner war bereit, an seiner Stelle die Herausforderung des Heiligen anzunehmen. Der Sieg des Christentums war damit indirekt zwar klar, der Sultan hatte sich jedoch dem Offensichtlichwerden durch seine Weigerung entzogen. Er gewährte dem Franziskanerorden, Niederlassungen im ganzen islamischen Sultanat zu errichten. Eine Regelung, die bis heute nachwirkt. Zeichen dafür, daß er nicht nur beeindruckt war, sondern ihm zumindest seine Niederlage bewußt war. Diese Begegnung in Damiette wurde nach der berühmten Rede Benedikts XVI. in Regensburg heftig diskutiert.
Zu milde Hand bei der Leitung?
Armut, Demut, Gehorsam, Brüderlichkeit und nicht zuletzt Keuschheit, das sind die Säulen der franziskanischen Regel, so wie sie der Heilige aus Assisi für seine Brüder festlegte. Sie sind eine ständige Herausforderung für die Kirche. Heute wird ihr, vor allem der höheren und höchsten kirchlichen Autorität, vielfach vorgeworfen, genau diese Charismen zu mißachten. Häufig völlig zu Unrecht. Franz I. hat die Gelegenheit, diese oft heuchlerische Kritik einer Welt, die eben genau diese Charismen nicht will, bloßzustellen.
Mit Franz von Sales, dem phänomenalen Erneuerer nach der Kirchenspaltung und Franz Xaver (ebenfalls ein Jesuit und vor allem Missionar), verfügt die Kirche über weitere große Träger dieses Namens. Franz Xaver hatte mit dem neuen Papst nicht nur den Orden, sondern auch die spanische Muttersprache gemeinsam. Er brachte das Evangelium bis in den fernsten Osten.
Der Kirchenhistoriker und bei der spanischen Zeitung La Gaceta für Kirchenfragen zuständige Francisco de la Ciguena, kritisierte den Erzbischof von Buenos Aires in der Vergangenheit häufig wegen einer zu milden Hand bei der Leitung des Bistums. Bleibt zu hoffen, daß er nicht auch deshalb von einer breiten Mehrheit der residierenden Kardinäle und der Kurienkardinäle gewählt wurde, weil sie sich im Namen der „Kollegialität“ mit ihm einen starken pastoralen Papst, aber einen schwachen regierenden Papst erhoffen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Accion Liturgica