Ein persönlicher Abschiedsbrief an Benedikt XVI. – von Francesco Colafemmina


Der Ring des Fischers von Benedikt XVI., der am 28. Februar zerbrochen wurde(Rom) Gestern ver­ließ Papst Bene­dikt XVI. den Vati­kan. Um 20 Uhr begann die Sedis­va­kanz. Die päpst­li­che Woh­nung wur­de ver­sie­gelt, der Ring des Fischers wur­de zer­bro­chen. Der tra­di­ti­ons­ver­bun­de­ne ita­lie­ni­sche Intel­lek­tu­el­le und Kunst­kri­ti­ker Fran­ces­co Cola­femmi­na ver­faß­te wäh­rend die­ses so unge­wöhn­li­chen Abschieds, des­sen Zeu­ge die Welt wur­de, einen sehr beweg­ten, per­sön­li­chen Abschieds­brief an den Papst. Berüh­ren­de Wor­te von einem der här­te­sten Kri­ti­ker von Sei­ten der Tra­di­ti­on an pro­gres­si­ven, aber auch nur miß­ver­ständ­li­chen Ent­wick­lun­gen in der Kir­che, aber auch man­cher Ent­schei­dun­gen die­ses Pon­ti­fi­kats, zuletzt vor allem des Rück­tritts, den Cola­femmi­na als „ver­hee­ren­den Prä­ze­denz­fall“ anpran­ger­te. Der erst 30 Jah­re alte Cola­femmi­na ist ein Lieb­ha­ber der offe­nen Rede, die immer wie­der als hart und rüde kri­ti­siert wird. Mit der akri­bi­schen Genau­ig­keit des mes­ser­schar­fen Den­kens weiß er jedoch zu unter­schei­den. Nach­fol­gend der per­sön­li­che Abschieds­brief an Bene­dikt XVI., den Fran­ces­co Cola­femmi­na in Fides et For­ma veröffentlichte.

Lieber Papst Benedikt,

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am Tag, an dem du Abschied nimmst und auf das Petrus­amt ver­zich­test, ist mein Herz vol­ler Schmerz. Und selt­sa­me Bil­der drän­gen sich mei­nem Den­ken auf. Bil­der von mir, wie ich noch vor weni­gen Jah­ren war, die trotz mei­nes jun­gen Alters epo­chen­weit ent­fernt schei­nen. Ich keh­re zurück in jene April­ta­ge, an denen ich dich vom Rela­ti­vis­mus und des­sen Gefah­ren spre­chen hör­te, von den mün­di­gen Chri­sten, die sich in Wirk­lich­keit nicht von den Strö­mun­gen ein­mal dahin und ein­mal dort­hin trei­ben las­sen, son­dern fest in der Freund­schaft mit Chri­stus ste­hen sol­len. Wor­te, die sich mir ein­ge­prägt haben, als ich dir damals in der lee­ren Men­sa der Jour­na­li­sten­schu­le der RAI in Peru­gia zuhör­te, wäh­rend alle mei­ne Kol­le­gen lin­kisch her­um­hin­gen, mit einer Leich­tig­keit bereit, sich über eine Kir­che lustig zu machen, die sie als Anti­the­se zu ihrer Welt wahrnahmen.

Ich war dort und hör­te dir zu und sah dich bereits in dem unver­meid­li­chen, beweg­ten Ban­gen des Gläu­bi­gen, der die Luft anhält sobald das Kon­kla­ve beginnt, als näch­sten Papst.

Kur­ze Zeit dar­auf soll­test du wirk­lich mein Papst wer­den. Und ich war auch damals allein: an jenem Nach­mit­tag hat­te ich beschlos­sen, mich nicht gemein­sam mit mei­nen Kol­le­gen mit­ten ins Publi­kum einer belieb­ten Sen­dung zu set­zen, wie es uns die Aus­bil­dungs­lei­ter erlaubt hatten.

Es brauch­te eines Opfers, das imstan­de war, auf den Medi­en­nar­ziß­mus zu ver­zich­ten, um sich die Aus­füh­run­gen einer trocke­nen Histo­ri­ker­ta­gung anzu­hö­ren. Ich mel­de­te mich frei­wil­lig und ging dort­hin. Plötz­lich rief mit­ten aus dem schläf­rig nach­däm­mern­den Publi­kum ein Stim­me: „Sie haben den Papst gewählt“. Der Histo­ri­ker Melo­gra­ni frag­te sofort vom Podi­um: „Ist es Ratz­in­ger? Denn wenn es so ist, dann habe ich eine Wet­te gewon­nen!“ Die Stim­me ant­wor­te­te: „Ja, es ist Ratz­in­ger!“ Da rief eine Frau in den plötz­lich hell­wa­chen Saal: „Es wäre bes­ser, wenn sie ihn nicht zum Papst gemacht haben“. Und Melo­gra­ni: „Gnä­di­ge Frau, ret­ten wir zumin­dest die ita­lie­ni­sche Spra­che!“ Ich ver­ließ sofort die­se Run­de von Mond­käl­bern, die über Par­ti­sa­nen und Ber­lus­co­ni­tum dis­ku­tier­ten und stürz­te nach Hau­se, wäh­rend ich mich von Haus zu Haus mehr an die­ser Wahl berausch­te … Auf dem Weg rief ich mei­ne Mut­ter an und frag­te sie: „Wel­chen Namen hat er gewählt?“ Und sie: „Bene­dikt“. Ich hat­te die­sen Namen bereits vor­her­ge­se­hen nach jener groß­ar­ti­gen Anspra­che über den Hei­li­gen Bene­dikt in Mon­te­cas­si­no, die er erst weni­ge Tage zuvor gehal­ten hat­te. Ich ver­spür­te eine gro­ße strah­len­de Freude.

Und ich den­ke an jenen Tag, lie­ber Papst Bene­dikt, an dem ich ab 5 Uhr mor­gens in der Schlan­ge stand, um unter den Kolon­na­den von Sankt Peter dei­ner ersten Hei­li­gen Mes­se bei­zu­woh­nen. Ich saß dort und bete­te für dich, als ein rumä­ni­scher Prie­ster vor mei­nem Gesicht die Fah­ne dei­nes Lan­des zu schwin­gen begann. Ich stutz­te nur einen Augen­blick, als du sag­test: „Mein wirk­li­ches Regie­rungs­pro­gramm ist es nicht, mei­nen Wil­len zu tun, nicht mei­ne Ideen zu ver­fol­gen“. Gera­de wegen dei­ner Vor­stel­lun­gen und Ideen war ich ja so froh, daß du Papst gewor­den bist! Aber ich verstand.

In die­sen Jah­ren, lie­ber Papst, habe ich dich mit Zäh­nen und Klau­en ver­tei­digt. Ich habe dich ver­tei­digt, als sie dir das erste Mal das Bein stel­len woll­ten, damals in Regens­burg. Ich habe dich ver­tei­digt beim Fall Wil­liam­son, als ich die Machen­schaf­ten jener durch­schau­te, die das Papst­tum in Schwie­rig­kei­ten brin­gen und schwä­chen woll­ten. Ich habe dich ver­tei­digt, als die Eiter­beu­le Pädo­phi­lie auf­platz­te. Ich habe dich immer ver­tei­digt und dich immer geliebt. Immer. Und im Her­zen habe ich dut­zen­de und aber­dut­zen­de Male dar­un­ter gelit­ten, daß ich Zwei­fel gehegt und geäu­ßert habe und daß ich manch­mal in die­ser ent­schie­de­nen Ver­tei­di­gung geschwankt habe. Auch wenn ich die­se oder jene Aus­sa­ge oder Hand­lung kri­ti­siert habe, obwohl ich wuß­te, daß gewis­se dei­ner Wor­te nur die Absicht hat­ten, die Wel­le des Has­ses und der Feind­schaft, die dir ent­ge­gen­schlug, zu beru­hi­gen, weil du wuß­test, daß nur in einem ruhi­gen Kli­ma Bereit­schaft bestehen wür­de, dir wirk­lich zuzuhören.

In die­sen Jah­ren habe ich die Heu­che­lei­en und die Feig­hei­ten so man­cher von jenen ken­nen­ge­lernt, die dich umga­ben. Ich habe die Dop­pel­zün­gig­keit vie­ler Kir­chen­män­ner gese­hen. Und wenn das offe­ne Wort häu­fig ein Zei­chen für Über­heb­lich­keit und Unver­schämt­heit sein mag, so ist es aber viel­leicht auch eines für Lie­be. Lie­be zum Papst und zur Kir­che. Nur der Herr weiß, was ich füh­le, nur der Herr kennt die ver­bor­gen­sten Win­kel mei­nes Herzens.

Dein Pon­ti­fi­kat, lie­ber Papst Bene­dikt, ist untrenn­bar mit mei­nem Leben ver­bun­den. Dank dir habe ich die Schön­heit des über­lie­fer­ten Ritus ken­nen­ge­lernt, dank dir konn­te ich in die­sem Ritus hei­ra­ten, dank dir durf­te ich Hun­der­te neu­er Freun­de im Glau­ben ken­nen­ler­nen, Ideen schmie­den, Pro­jek­te ent­wickeln, mei­ne Zeit für die Umset­zung des­sen ein­set­zen, was du uns gelehrt hast, für die Ver­tei­di­gung dei­ner Ent­schei­dun­gen kämp­fen, Ent­schei­dun­gen die oft unbe­quem waren, oft unver­stan­den blie­ben, oft igno­riert wur­den von jenen, die in die­sen Stun­den dei­nem Rück­tritt um so hin­ge­bungs­vol­ler applau­dier­ten. Wie vie­le Kämp­fe, wie vie­le Her­aus­for­de­run­gen, wie vie­le Dis­kus­sio­nen, um all das zu ver­tei­di­gen, was du uns geschenkt hast. Und jetzt füh­le ich mich, füh­len wir uns wie­der alleine.

Aus die­sem Grund, lie­ber Papst, da ich in die­sem Augen­blick dei­ne Abrei­se mit­ver­fol­ge und dabei wei­nen muß, will ich dir sagen, daß ich dich den­noch, trotz der Trau­rig­keit des Augen­blicks, lie­be und dir auf das Innig­ste ver­bun­den bin und dich um Ver­zei­hung bit­te, wenn ich dich nicht mehr geliebt und geach­tet habe, bis zum Schluß, auch in die­sem Amts­ver­zicht, den ich ein­fach nicht akzep­tie­ren kann, und ich bit­te dich um Ver­ge­bung, wenn ich in mei­nen Wor­ten nicht immer per­fekt war. Gott allein weiß, wie per­fekt aber im Herzen.

Dan­ke, lie­ber Papst Benedikt

Dein Fran­ces­co

Text: Fides et Forma
Über­set­zung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Una Fides

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3 Kommentare

  1. „,da ich in die­sem Augen­blick dei­ne Abrei­se mit­ver­fol­ge und dabei wei­nen muß„,
    so ging es mir auch und geht es mir heute,
    Dan­ke lie­ber Papa Eme­ri­tus, dan­ke, im Ver­trau­en, dass du die rich­ti­ge, schwe­re Ent­schei­dung getrof­fen hast.

  2. Aus den Wor­ten Fran­ces­co Colafemmina´s spürt man die Zunei­gung und gro­ße Ach­tung zu unse­rem eme­ri­tier­ten Papst.
    Gera­de weil er so ehr­lich bekennt, dass er des­sen Rück­tritt (noch) nicht akzep­tie­ren kann.
    Bei jenen, die die­sen über­ra­schen­den Schritt beju­bel­ten und Bei­fall klatsch­ten, bin ich mir nicht so sicher.
    Es wird bei eini­gen sicher auch eine Por­ti­on Heu­che­lei und eine gewis­se Erleich­te­rung über den ver­früh­ten Abschied mitschwingen.
    Auch ich moch­te Papst Bene­dikt sehr ger­ne und war geschockt über sei­ne Entscheidung.
    Ob sich die deut­schen Bischö­fe wohl bewusst sind, dass sie den „Bischof von Rom“ mehr als ein­mal im Stich gelas­sen haben.
    Ich erin­ne­re nur an die unsäg­li­che „Titanic“-Aktion und die Ent­welt­li­chungs­de­bat­te, die ohne Reso­nanz blieb.
    Nach dem hoch intel­li­gen­ten Den­ker, from­men Theo­lo­gen, güti­gen und beschei­de­nen Papst Bene­dikt wird es für sei­nen Nach­fol­ger schwer wer­den, weil stets die Gefahr des Ver­glei­chens besteht.
    Dass kein glatt­ge­bü­gel­ter, nach Kom­pli­men­ten der Welt gie­ren­der Kar­di­nal die Nach­fol­ge antritt, dafür bete ich.

  3. Ich kann es kei­nes­wegs für rich­tig anse­hen, wenn jetzt die „Gewis­sens­ent­schei­dung vor Gott“ des Joseph Ratz­in­ger (als BENEDIKT XVI.) vom jun­gen Fran­ces­co Cola­femmi­na ange­grif­fen wird. Ich erin­ne­re bezgl. der Gewis­sens­ent­schei­dung an eine ent­spre­chen­de Erklä­rung des sel. John Hen­ry Kar­di­nal New­man. Er stell­te unmiß­ver­ständ­lich klar, wenn es um die Rei­hen­fol­ge bei einer per­sö­nil­chen Ent­schei­dung geht, ob zuserst maß­geb­lich ist, was ein Papst sagt und dann erst das eige­ne Gewis­sen. Kard. New­mann: Nein, zuerst das Gewis­sen und dann der Papst. Das ver­ste­he ich nie­mals als etwas, was eine trot­zi­ge Hal­tung gegen den Papst sei, son­dern so: ste­he ich per­sön­lich vor dem All­mäch­ti­gen Gott, wenn ich (kein ande­rer Mensch für mich!) vor unse­rem HERRN gefragt bin, dann kann und darf ich mich ein­zig auf mein Gewis­sen beru­fen die per­sön­li­che Instanz zwi­schen Gott und mir selbst, nicht auf einen ande­ren Men­schen und sei es ein Papst, oder hin­ter-ihm-mich-ver­stecken-wol­len. Mit ande­ren Worten,wenn mich in mei­nem Inne­ren, in mei­nem Her­zen etwa bei einer hl Kom­mu­ni­on Chri­stus fragt: „Liebst Du mich?“, will der HERR unmit­tel­bar mei­ne per­sön­li­che Aus­sa­ge, mei­nen Glau­ben, mei­ne Lie­be hören – und nicht das, was ein ande­rer Mit­mensch und wenn er ein noch so hohes, hl. Amt inne hät­te, sagen wür­de. Das ist sicher stell­ver­tre­tend am Anfang mei­nes Lebens, etwa durch mei­ne Eltern ‑bei mei­ner Tau­fe am 5.12.1929- gesche­hen, Aber spä­te­stens ab mei­ner hl. Fir­mung ist mei­ne eige­ne Ent­schei­dung vor Gott gefragt und gefordert.
    Ich bin über­zeugt und er hat es aus­drück­lich so gesagt, daß Papst Bene­dikt sich vor Chri­stus selbst mit sei­nem Gewis­sen sich geprüft und gestellt hat. Es steht uns nicht zu, die­ses jetzt inqui­si­to­risch beur­tei­len zu wol­len. Sonst wider­spre­chen wir auch der kath. Leh­re von der per­sön­li­chen Frei­heit jedes Men­schen vor Gott. So beken­nen wir auch im Cre­do, was das Wort ja aus­drückt: „I c h glau­be!“ – das dann erst zum „Wir“ wird.

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