Meine Sorge um den Fels: Kann ein Vikar Christi zu alltäglichem Leben zurückkehren?


Papa orante Papst Benedikt XVI. im Gebet(Rom) Nach­fol­gend ein Gast­kom­men­tar mit eini­gen per­sön­li­che Anmer­kun­gen zum ange­kün­di­gen Amts­ver­zicht von Papst Bene­dikt XVI. von Enri­co, Leit­ar­tik­ler der tra­di­ti­ons­ver­bun­de­nen Inter­net­sei­te Mes­sa in Lati­no, der wir für die Erlaub­nis zur Ver­öf­fent­li­chung danken.

Liebe Leser,

Anzei­ge

es bedurf­te eines epo­cha­len Ereig­nis­ses, wie den Rück­tritt Bene­dikts vom Pon­ti­fi­kat, um mich nach lan­ger Absti­nenz wie­der zum Schrei­ben zu bewe­gen. Weil ich unse­ren Papst Bene­dikt geliebt habe und lie­be. Es ist die Ver­eh­rung für ihn, die mich aufs neue für einen Kampf anspornt, der auch der sei­ne war. Ja, ich schrei­be „Ver­eh­rung“, weil ich über­zeugt bin, daß er zu den Ehren der Altä­re empor­stei­gen wird. Ich bin sogar der Über­zeu­gung, daß er eines Tages zum Kir­chen­leh­rer ernannt wer­den wird.

Gewis­ser­ma­ßen bewun­de­re ich alles an sei­nem Wesen und sei­ner Per­sön­lich­keit: sei­nen Anstand, sei­ne Schüch­tern­heit, sei­ne Kor­rekt­heit, sei­ne Ehr­lich­keit, sein Pflicht­be­wußt­sein, sei­ne Dis­zi­plin, sei­ne Fähig­kei­ten als Gelehr­ter, aber vor allem sei­ne Intel­li­genz, sei­ne Klar­heit, die Unab­hän­gig­keit sei­nes Urteils und sein gesun­der Men­schen­ver­stand: alle­samt wirk­sa­me Gegen­mit­tel in einer kirch­li­chen Epo­che vol­ler lee­rer Sprü­che und Ideologie.

Ich erle­be die­se Nach­richt mit größ­tem Kum­mer und größ­ter Sor­ge. Ich ver­ste­he, daß die Last, die Kir­che zu regie­ren für mensch­li­che Schul­tern schier untrag­bar ist,  vor allem bei zuneh­men­der Schwä­che des Alters. Aber soll­te ein Papst nicht rich­ti­ger­wei­se über-mensch­lich sein? Nicht, weil er phy­sisch mit einem Super­kör­per aus­ge­stat­tet ist, son­dern weil er gött­li­chen Bei­stand hat, auch in der extrem­sten Schwach­heit des Kör­pers und, viel­leicht, sogar des Gei­stes. Papst Ratz­in­ger weiß es (hier sei­ne eige­nen Wor­te: „bene con­sci­us sum hoc munus secund­um suam essen­ti­am spi­ri­tua­lem non solum agen­do et loquen­do exse­qui debe­re, sed non minus pati­en­do et oran­do“). Er ist aber der Mei­nung, daß die­se „geist­li­che Essenz“ des gespro­che­nen (und gedul­di­gen) Zeug­nis­ses auch von einer gewis­sen Rüstig­keit beglei­tet wer­den muß „in mun­do nostri tem­po­ris rapi­dis muta­tio­ni­bus subiec­to et quae­stio­ni­bus magni pon­de­ris pro vita fidei per­tur­ba­to“.

Die­se Fest­stel­lung irri­tiert mich zutiefst. In unse­rer Zeit schnel­ler Ver­än­de­run­gen, die von schwer­wie­gen­den Fra­gen für das Leben – das Über­le­ben? – des Glau­bens erschüt­tert wird, ver­än­dert sich selbst die Rol­le des Pap­stes? Bis gestern, mehr Sym­bol als Regie­ren­der; mehr Zeu­ge, bis zur extre­men Ago­nie als effi­zi­en­ter Ver­wal­ter; mehr Mon­arch als Mini­ster­prä­si­dent; mehr Vater als Vor­mund. Jetzt hin­ge­gen ein Papst, der abge­se­hen von einer „Inau­gu­ra­ti­ons­mes­se“ (anstel­le einer weit prä­gnan­te­ren Krö­nung) auch noch eine Ver­ab­schie­dungs­ze­re­mo­nie aus Anlaß sei­nes Rück­ritts hät­te, so als wäre er ein Vor­stands­vor­sit­zen­der, der in Pen­si­on geht, oder, noch schlim­mer, eine Art angli­ka­ni­scher Erz­bi­schof von Can­ter­bu­ry auf Abruf [oder ein EKD-Vor­sit­zen­der]. Es han­delt sich nach dem Ver­zicht auf die Tia­ra um eine wei­te­re Nivel­lie­rung des Petrus­am­tes hin zu jenem der ande­ren Bischö­fe. Nicht zufäl­lig gebrauch­te der Papst gestern in sei­ner fei­er­li­chen Anspra­che den Aus­druck ingra­ve­s­cen­te aet­a­te. So beginnt auch das Motu pro­prio von Paul VI., mit dem er den Bischö­fen mit Voll­endung des 75. Lebens­jah­res die Eme­ri­tie­rung auferlegte.

Man kann sich leicht vor­stel­len, wel­chen Druck die­ser Prä­ze­denz­fall auf künf­ti­ge Päp­ste „recht­fer­ti­gen“ wird, sobald die­se als alt und wenig „funk­ti­ons­tüch­tig“ oder nicht mehr aus­rei­chend tele­gen wahr­ge­nom­men werden.

Wenn uns gera­de die­se ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­te etwas gelehrt haben, dann dies, daß die Kir­che rund um die Real­prä­senz Chri­sti im Aller­hei­lig­sten Sakra­ment des Alta­res von Sym­bo­len und in Sym­bo­len lebt. Ver­än­de­run­gen, abstrakt ver­ständ­lich und dem Anschein nach neben­säch­lich, wie die Auf­ga­be des Latein, die Abschaf­fung des Frei­tags­fa­stens, die Umdre­hung der Altä­re hat­ten sozio­lo­gisch und anthro­po­lo­gisch ver­hee­ren­de Aus­wir­kun­gen für die Gläu­bi­gen: der Glau­ben, bereits onto­lo­gisch vom Zwei­fel ange­fres­sen (da er empi­risch nicht faß­bar ist), lebt von über­lie­fer­ten und immer neu zu gewin­nen­den Sicher­hei­ten. Wenn das Leben der Kir­che aber eine sich stän­dig ver­än­dern­de Bau­stel­le ist, wie soll dann der wan­ken­de Glau­ben genährt wer­den? Und was soll­te man dann erst sagen, wenn sich sogar das Amt des Petrus, das sich in zwei­tau­send Jah­ren gefe­stigt und nur spo­ra­di­sche, aber meist trau­ma­ti­sche Abdan­kun­gen und Ent­he­bun­gen gese­hen hat, sich von einem exi­sten­ti­el­len Sta­tus zu einem gewöhn­li­chen „Auf­trag“ mit Pen­si­ons­an­spruch verwandelt?

Daher mei­ne Sor­ge: Die Sakra­li­tät des Fel­sen, auf dem die Kir­che gegrün­det ist, scheint mir ange­grif­fen, wenn ein mil­der Chri­stus auf Erden, ein Vikar Chri­sti, ein unfehl­ba­rer Schieds­rich­ter des Glau­bens und der Moral, zu einem nor­ma­len all­täg­li­chen Leben zurück­keh­ren kann. Die­se Sor­ge wird noch grö­ßer beim Gedan­ken, daß Papst Bene­dikt die­se Gefah­ren sicher nicht ent­gan­gen sind. Wenn er sich den­noch zu sei­ner „gro­ßen Ver­wei­ge­rung“ ent­schlos­sen hat, müs­sen ihn schwer­wie­gen­de, uns unbe­kann­te Sor­gen dazu bewo­gen haben, zumin­dest eine so gra­vie­ren­de Situa­ti­on im Inne­ren der Hei­li­gen Palä­ste und der Kir­che, die ihn zum Rück­tritt ver­an­laßt hat.

Ja, genau das, denn der Schritt des Pap­stes, hat lei­der den offen­kun­di­gen Anschein eines Ein­ge­ständ­nis­ses der Ohn­macht und des Schei­terns, allein schon weil er nach einer Peri­ode außer­ge­wöhn­li­cher Schwie­rig­kei­ten bei der Lei­tung des Schif­fes Petri erfolgt ist und nach einer gan­zen Rei­he von Deba­keln, von denen Vati­leaks nur das letz­te Bei­spiel war.

Wird die­ser zurück­blei­ben­de Geschmack von Inef­fi­zi­enz nicht Gefahr lau­fen den natür­li­chen Pen­del­ef­fekt zu ver­stär­ken, der die Kar­di­nä­le im Kon­kla­ve dazu brin­gen könn­te, jemand zu wäh­len, der eine ganz ande­re Linie als der Vor­gän­ger ein­schla­gen könn­te? Der Pen­del­ef­fekt war auch bei der Wahl Joseph Ratz­in­gers aus­schlag­ge­bend, als der füh­rungs­lo­se Zustand der Kir­che wäh­rend der letz­ten Jah­re des Pon­ti­fi­kats von Johan­nes Paul II. die Kar­di­nä­le ver­an­laß­te, jeman­den zu wäh­len, der über die nöti­ge Klar­sicht und den nöti­gen Intel­lekt ver­füg­te, um die Pro­ble­me zu erken­nen und durch die Rück­kehr zur Ortho­do­xie, zur Kon­ti­nui­tät und zur Tra­di­ti­on einer Lösung zuzuführen.

Der noch regie­ren­de Papst erkann­te die Pro­ble­me mit einer Klar­heit wie kaum ein ande­rer im Kar­di­nals­kol­le­gi­um und er wuß­te, daß es nur einen ein­zi­gen Lösungs­weg geben konn­te, den er auch ent­schlos­sen zu gehen gewillt war. Er war aber kein wirk­li­cher Regent, ihm fehl­te das Durch­set­zungs­ver­mö­gen, oder bes­ser gesagt, er woll­te durch das Bei­spiel und durch das Vor­bild über­zeu­gen. Ein müh­sa­mer und lang­wie­ri­ger Weg, der viel Geduld vor­aus­setzt und kei­nes­wegs bei allen Adres­sa­ten auf ent­spre­chen­de Auf­nah­me sto­ßen und von Erfolg gekrönt sein muß. Hat ihn die Ent­täu­schung zum Rück­tritt getrie­ben über die feh­len­de Unter­stüt­zung, über eine ihm zu lang­sam fol­gen­de Hier­ar­chie: an der römi­schen Kurie, in den Diö­ze­sen, im Prie­ster­stand, bei den Lai­en? Eine Lang­sam­heit, die die näch­sten Schrit­te ver­zö­ger­te? Zu vie­le Widerstände?

Und jetzt? Eine bes­se­re Prie­ster­ge­ne­ra­ti­on wächst her­an und die Kori­phä­en des „Kon­zils-Früh­lings“ befin­den sich schon auf dem Weg in die Pen­si­on, wenn nicht gar schon red­de ratio­nem. Aber die­se Abdan­kung des Pap­stes kommt auf alle Fäl­le zu früh: wenn er noch eine Hand­voll Jah­re durch­ge­hal­ten hät­te, oder in man­chen Fäl­len sogar nur für weni­ge Mona­te, dann hät­ten wir kein Kon­kla­ve, in dem Prä­la­ten wie Dan­neels und Maho­ney (der erst gera­de von sei­nem Nach­fol­ger in Los Ange­les aller Auf­ga­ben ent­ho­ben wur­de), Kas­per und Leh­mann, Mon­te­ri­si und Tett­aman­zi stimm­be­rech­tigt sind, wäh­rend Mora­glia (Patri­arch von Vene­dig), Nichols (Erz­bi­schof von Lon­don), Cha­put (Erz­bi­schof von Phil­adel­phia) und Leo­nard (Erz­bi­schof von Mechelen-Brüs­sel) noch drau­ßen sind.

Es wird daher Zeit, daß sich der Hei­li­ge Geist dar­auf vor­be­rei­te­te, sei­ne Arbeit mit Blick auf das Kon­kla­ve zu lei­sten. Und für uns, zu beten. Die Dank­bar­keit für Bene­dikt XVI. und sein Pon­ti­fi­kat mil­dern die Trau­rig­keit und Bit­ter­nis, der Respekt sei­ner schwie­ri­gen Ent­schei­dung, und im Grund das inti­me Gefühl, daß sei­ne wohl­über­leg­te Ent­schei­dung das klein­ste der mög­li­chen Übel sein könnte.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Mes­sa in Latino

Print Friendly, PDF & Email
Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!