Dankenswerterweise hat das Bayerische Fernsehen am Freitag die Mittwochsaudienz aus dem Vatikan übertragen und damit den Gläubigen in den deutschsprachigen Ländern Gelegenheit gegeben, einen der letzten Auftritte des Heiligen Vaters life zu erleben. Hinzu kamen sehr verdienstvolle Berichte und Interviews über das Wirken des scheidenden Pontifex. Allerdings fiel in einer der ersten Reportagen ein Satz, der – im Rahmen einer ansonsten sehr wohlwollenden Berichterstattung – einen Skandal thematisieren sollte und dabei selbst zum Skandal wurde: „2007 läßt der Papst die alte Karfreitagsfürbitte wieder zu, in der von den perfiden Juden die Rede ist.“ Es habe, so die Sprecherin weiter, lange gedauert, bis der Schaden repariert worden sei.
Offenbar ist der Redaktion des Bayerischen Rundfunks nicht bewußt gewesen, wie groß der Schaden ist, den sie selbst mit diesem Satz angerichtet hat. Dem ahnungslosen Zuschauer wurde suggeriert, der Papst habe ganz gezielt in die Karfreitagsliturgie der katholischen Kirche einen antisemitischen Gebetstext wiedereingeführt, nämlich die im Missale Romanum von 1570 enthaltene Bitte: „Oremus pro perfidis Iudaeis“, die auf deutsch laute „Laßt uns beten für die perfiden Juden“. Allerdings ist diese Unterstellung aus gleich sechs Gründen falsch.
Erstens: Zunächst einmal hat der Papst keine einzelne Bitte wieder zugelassen, sondern ein ganzes Meßbuch, und zwar das Missale von 1962. Dieses Missale gilt – wie auch das neue Meßbuch von 1970 – für 365 Tage des Kirchenjahrs. Innerhalb dieses gewaltigen Textkorpus macht eine einzelne Bitte, die nur an einem einzigen Tag verlesen wird, einen winzigen Teil aus. Diesen winzigen Teil, ganz gleich, wie er zu deuten ist, mit dem Ganzen gleichzusetzen, grenzt bereits an Manipulation.
Zweitens: Erst recht gilt dies, wenn man bedenkt, daß das Meßbuch von 1962 nur in Einzelfällen zelebriert wird. In fast allen Pfarrgemeinden der Weltkirche wird nach wie vor der Neue Ritus von 1970 gefeiert, den Benedikt in keiner Weise verändert hat.
Drittens ist die Übersetzung „Wir beten für die perfiden Juden“ schlichtweg falsch. Das deutsche Wort „perfide“ bedeutet „heimtückisch“ und „hinterhältig“. Im Lateinischen heißt „perfidus“ aber so viel wie „ohne Vertrauen“, „untreu“ und „ungläubig“ (schließlich ist in diesem Adjektiv das Substantiv „fides“ = Vertrauen, Treue, Glaube enthalten). In diesem Sinne spielt die Bezeichnung „perfidi Iudaei“ nicht auf die Bosheit der Juden an, sondern auf ihr Unvermögen, an Christus als den Messias zu „glauben“. Aus Sicht des Neuen Testaments verweigerten sich die Juden infolge dieses Unvermögens dem Neuen Bund, durch den Gott Sein Treueverhältnis zu Israel erneuern wollte. Somit waren sie Gott tatsächlich „untreu“ geworden.
Viertens: Während die falsche Übersetzung „perfide Juden“ an die antisemitischen Klischees des 19. Und 20. Jahrhunderts erinnert, ist die Vorstellung, dass Israel es aufgrund menschlichen Unglaubens immer wieder versäumt hat, Gottes Treue zu erwidern, durch und durch jüdisch. Sie prägt die gesamte alttestamentliche Heilsgeschichte.
Fünftens: Obwohl die Formulierung „perfidi Iudaei“ in ihrer eigentlichen Bedeutung theologisch korrekt war, ließ Papst Johannes XXIII. das Adjektiv „perfidus“ ersatzlos streichen. Aus der Bitte „für die nicht (an Christus) glaubenden Juden“ wurde eine Bitte „für die Juden“.
Sechstens: Johannes XXIII. hatte diese Änderung vorgenommen, um angesichts des nicht allzulang zurückliegenden Holocausts Irritationen zu vermeiden. Die anderen Teile der Oration, etwa die Bitte, Gott möge den Schleier von den Herzen der Juden nehmen und sie von ihrer Verblendung befreien, blieben jedoch bestehen – auch unter Johannes Paul II., der die Feier der Alten Messe einigen Instituten wie der Petrusbruderschaft wieder zugestand. Zu einer gänzlichen Umformulierung kam es erst 2008 – unter Benedikt XVI.! Seine Neufassung zielt darauf ab, daß die Juden „Christus erkennen“. Dabei dachte der Papst weniger an eine Konversion der Juden als vielmehr an ihr Eintreten in die Schar der Erlösten, die am Jüngsten Tag Christus in Seiner Herrlichkeit schauen dürfen (vgl. John 17,3).
Wenn trotz dieses Sachverhalts in einer Reportage unterstellt wird, der Papst habe das häßliche Bild vom „perfiden Juden“ wiederbelebt, so ist das höchst bedenklich. Und wenn dazu auch noch eine Filmsequenz mit dem Holocaust-Verharmloser Williamson eingespielt wird, kommt es zu einer vollkommenen Verzerrung der Wahrheit.
Sehr wahrscheinlich geschah diese Verzerrung nicht aus Böswilligkeit, sondern aus Ignoranz. Aber sie ist bezeichnend für eine Berichterstattung, die sich – selbst bei gutem Willen – schwertut, die Themen Papst und Kirche korrekt zu behandeln.
Und wenn wir sehen, was in manchen Kommentaren und Talk-Shows darüber hinaus geboten wird, so dürfen wir uns fragen, ob es nicht sinnvoll wäre, gelegentlich auch für die „perfidi diunarii “ zu beten, also für jene Journalisten, die der Wahrheit „untreu“ geworden sind, weil sie bestimmte die Tatsachen einfach nicht „glauben“ wollen. Und die – nicht beim Bayerischen Rundfunk, aber in vielen anderen Redaktionsstuben – sogar bewußt der wohlfeilen Lüge dienen: aufgrund eben jener Selbstherrlichkeit und Gewinnsucht, die Benedikt in seiner Aschermittwochs-Katechese verurteilt hat. In diesem Zusammenhang besitzt das Wort „perfidus“ tatsächlich auch die Bedeutung von „hinterhältig“ und „heimtückisch“. Nicht zuletzt diese Heimtücke hat den Heiligen Vater im Laufe der letzten acht Jahre viel Kraft gekostet. Beten wir für ihn, daß er von solcher Unbill künftig verschont bleibe.
Prof. Dr. Peter Stephan hat Geschichte, Kirchengeschichte und Kunstgeschichte studiert und ist apl. Professor für Kunstgeschichte an der Uni Freiburg i. Br. Zugleich lehrt er als Professor für Architekturtheorie an der FH Potsdam und ist Dozent für Philosophie der Ästhetik am Institut St. Philipp Neri in Berlin.
Eine öffentliche Debatte ist eine Diskussion, zu der aus taktischen Gründen nur ein beschränktes Argumentations- und Themenspektrum zugelassen ist. Der Taktiker könnte der Herrscher der Welt, Al Shaddai, oder Ahriman genannt werden. Es ist und bleibt der Einfluß des Bösen, der die Realität zu einem beschränkten Argumentationsspektrum reduziert. Beten könnte der Christ hier für die Journalisten, die das zweite Gebot brechen:„Du sollst keine anderen Götter haben!“
Im hier vorliegenden Fall ist die Realität, daß nicht alle Juden Jesus von Nazareth als den Messias ablehnen. Für diese gilt die Fürbitte. Es gibt aber auch Juden, die den Messias anerkennen. Einige von Ihnen treten zum christlichen Glauben über, andere bleiben unter der Gewissheit des Jesus Christus ihrer jüdischen Tradition treu.