Benedikt XVI. hinterläßt eine verwaiste Kirche – Haben die Wölfe seine Kräfte aufgezehrt?


Benedikt XVI. Rücktritt vom Papstamt 28. Februar 2013

Anzei­ge

von Giu­sep­pe Nardi

(Vati­kan) Papst Bene­dikt XVI. tritt am Don­ners­tag, den 28. Febru­ar 2012 zurück. Ab 20 Uhr ist der Stuhl Petri vakant. Rück­trit­te eines Pap­stes sind nicht an der Tages­ord­nung. Bene­dikt XVI. ist der älte­ste regie­ren­de Papst seit Leo XIII. Er selbst nimmt nach reif­li­cher Prü­fung für sich die Frei­heit in Anspruch, aus frei­en Stücken zurück­zu­tre­ten. Als Grund nennt er sei­ne Gesund­heit und die nach­las­sen­den Kräf­te. Bis­her gab es nur einen ein­zi­gen Rück­tritt aus gänz­li­che frei­en Stücken eines regie­ren­den Pap­stes und die­ser liegt 700 Jah­re zurück.

Es war der deut­sche Papst selbst, der es eigent­lich in einem Gesprächs-Buch mit dem Jour­na­li­sten Peter See­wald ange­kün­digt hat­te. Ernst genom­men hat es kaum jemand. War es nicht der Prä­fekt der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on, Joseph Kar­di­nal Ratz­in­ger gewe­sen, der einen Rück­tritt Johan­nes Pauls II. abge­lehnt hat­te, weil „ein Papst nicht zurück­tritt“? So zumin­dest hat­ten es vie­le in Erinnerung.

Der frü­he­re Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Sod­a­no sprach in einer ersten Stel­lung­nah­me von einem „Blitz aus hei­te­rem Him­mel“. Die Ankün­di­gung traf alle über­ra­schend. Kein Vati­ka­nist hat­te auch nur eine Andeu­tung vor­ab ver­öf­fent­licht, weil nie­mand davon wuß­te, außer sein Bru­der. Es ist eine ein­sa­me Ent­schei­dung des regie­ren­den Ober­haupts der katho­li­schen Kir­che, die er ganz allein im Wis­sen um sei­ne Kräf­te und die Last des Amtes, die er offen­bar immer drücken­der ver­spür­te, vor allem aber im Rin­gen mit sei­nem Gewis­sen und dem Hei­li­gen Geist getrof­fen hat. Dafür gebührt ihm Respekt.

Erwar­tungs­ge­mäß jubeln kir­chen­feind­li­che Krei­se. Auch inner­halb der katho­li­schen Kir­che sind in die­sen Stun­den Stoß­seuf­zer der Erleich­te­rung unüber­hör­bar. Ein erleich­ter­tes Auf­at­men geht durch eini­ge kirch­li­che Ein­rich­tun­gen, nicht zuletzt auch im deut­schen Sprach­raum. Man­che schei­nen Mor­gen­luft zu wit­tern. Ein Kapi­tel der „Restau­ra­ti­on“ sei zu Ende. Sol­che Töne erschei­nen pie­tät­los, möch­te man ant­wor­ten. Doch der Papst ist nicht tot. Er lebt. Und so drän­gen sich vie­le Fra­gen auf.

Das Amt des Stell­ver­tre­ters Chri­sti auf Erden, des regie­ren­den Nach­fol­gers des Apo­stels Petrus ist zu wich­tig und zu sen­si­bel, um es dem the­ra­peu­ti­schen Kön­nen von Ärz­ten anzu­ver­trau­en und einer künst­lich ver­län­ger­ten End­pha­se eines Lebens, wie es frü­he­re Jahr­hun­der­te nicht kann­ten. Papst Johan­nes Paul II. war mit sei­nem geschun­de­nen Kör­per bis zum Äußer­sten gegan­gen, indem er sein per­sön­li­ches Leben als Opfer für die Kir­che dar­brach­te. Auch das eine per­sön­li­che Ent­schei­dung, die größ­ten Respekt verlangt.

Den­noch, die Fest­stel­lung steht seit 2000 Jah­ren im Raum: Ein Papst tritt nicht zurück! Er ist als Stell­ver­tre­ter Chri­sti auf Erden im wört­li­chen wie im meta­pho­ri­schen Sinn durch den Hei­li­gen Geist gewählt. Es war Bene­dikt XVI., der erst am 8. Febru­ar vor Semi­na­ri­sten sei­ner Diö­ze­se Rom sag­te, daß das Prie­ster­tum immer das Mar­ty­ri­um mit­ein­schließt. Ja, daß die Bereit­schaft zum Mar­ty­ri­um ein kon­sti­tu­ti­ves Ele­ment des wah­ren Prie­ster­tums ist, das es erst zu dem macht, was es ist.

Ist der Rück­tritt Papst Bene­dikts XVI. dann nicht eine Art Fah­nen­flucht? In der Pre­digt zu sei­ner Amts­ein­füh­rung sag­te er: „Betet für mich, daß ich nicht furcht­sam vor den Wöl­fen flie­he.“ Ist ein Rück­tritt nicht auch eine Form von Flucht „vor den Wöl­fen“? Haben die Wöl­fe sei­ne Kräf­te aufgezehrt?

Den Kar­di­nä­len sag­te er nun im Konsistorium:

Nach­dem ich wie­der­holt mein Gewis­sen vor Gott geprüft habe, bin ich zur Gewiss­heit gelangt, dass mei­ne Kräf­te infol­ge des vor­ge­rück­ten Alters nicht mehr geeig­net sind, um in ange­mes­se­ner Wei­se den Petrus­dienst auszuüben.

Ich bin mir sehr bewusst, dass die­ser Dienst wegen sei­nes geist­li­chen Wesens nicht nur durch Taten und Wor­te aus­ge­übt wer­den darf, son­dern nicht weni­ger durch Lei­den und durch Gebet. Aber die Welt, die sich so schnell ver­än­dert, wird heu­te durch Fra­gen, die für das Leben des Glau­bens von gro­ßer Bedeu­tung sind, hin- und her­ge­wor­fen. Um trotz­dem das Schiff­lein Petri zu steu­ern und das Evan­ge­li­um zu ver­kün­den, ist sowohl die Kraft des Köpers als auch die Kraft des Gei­stes not­wen­dig, eine Kraft, die in den ver­gan­ge­nen Mona­ten in mir der­art abge­nom­men hat, daß ich mein Unver­mö­gen erken­nen muß, den mir anver­trau­ten Dienst wei­ter gut auszuführen.

Bene­dikt XVI. hat ange­sichts sei­ner schwin­den­den kör­per­li­chen Ver­fas­sung erkannt, daß er nicht mehr aus­rei­chend Kraft hat, sich dem Druck wider­strei­ten­der kirch­li­cher Strö­mun­gen, die auf dem Amt lasten, ent­ge­gen­zu­stel­len. Trieb es ihn zu die­ser auf­se­hen­er­re­gen­den Ent­schei­dung, daß er so lan­ge mit­an­se­hen muß­te, wie sei­ne theo­lo­gi­sche Lehr­mei­nung zum Ver­ständ­nis der Kir­che, zu den nicht-ver­han­del­ba­ren Wer­ten, beson­ders dem Lebens­schutz, aber auch dem Bemü­hen um Eini­gung mit der Pius­bru­der­schaft unter Dau­er­be­schuß zwi­schen den Strö­mun­gen wie zwi­schen Mühl­stei­nen auf­ge­rie­ben zu wer­den schien? Erst die Zukunft wird zei­gen, was sich davon durch­set­zen kann.

Jeder Tod eines Pap­stes bedeu­tet für die hir­ten­lo­se Her­de einen Zustand des Ver­wai­sens. Ein Zustand, den gläu­bi­ge Katho­li­ken als schmerz­vol­les Lei­den emp­fin­den, ver­bun­den mit auf­rich­ti­ger Trau­er. Wie Wai­sen­kin­der füh­len sich Katho­li­ken auf dem gan­zen Erd­kreis und bekla­gen den Tod ihres Vaters. So ist es auch  in die­sen Stun­den. Vie­le Men­schen füh­len sich ver­waist. Ein Vater kann sei­nen Kin­dern nicht plötz­lich sagen, er wol­le nicht mehr Vater sein. Ein guter Hir­te sorgt sich um sei­ne Her­de bis zur Auf­op­fe­rung. Er über­läßt sei­ne Scha­fe nicht den Wöl­fen. Er geht für sei­ne Her­de in den Tod. War­um setzt Bene­dikt XVI. nicht auch die­sen letz­ten Schritt?

„Zum Wohl der Kir­che“ sag­te er den im Kon­si­sto­ri­um ver­sam­mel­ten Kar­di­nä­len. Ist die­se Argu­men­ta­ti­on jedoch wirk­lich stich­hal­tig? Wer­den Päp­ste künf­tig in einem bestimm­ten Alter zurück­tre­ten müs­sen? Wird das Vika­ri­at Chri­sti zu einem Amt auf Zeit? Die Fra­gen sind zu weit­rei­chend, um sie in den ein­sa­men Rück­tritt eines gro­ßen Man­nes zu packen. Aber den­noch. Das aus­ge­sand­te Signal hat einen bit­te­ren Bei­geschmack. Was wür­de die hei­li­ge Katha­ri­na von Sie­na dazu sagen?

Die ver­bor­ge­ne Ent­schei­dung scheint auch damit zusam­men­zu­hän­gen, daß Bene­dikt XVI. ein Über­ra­schungs­mo­ment erzeu­gen woll­te, um das näch­ste Kon­kla­ve so unvor­be­rei­tet zusam­men­tre­ten zu las­sen, wie es nach dem Able­ben eines Pap­stes der Fall ist. Die vor­ge­schrie­be­ne Voll­zahl der Papst­wäh­ler ist fast erreicht. Der­zeit sind 118 Kar­di­nä­le wahl­be­rech­tigt. Am 26. Febru­ar schei­det aller­dings noch der ukrai­nisch-katho­li­sche Kar­di­nal Husar wegen Voll­endung des 80. Lebens­jah­res aus. Ab dem 5. März ist der deut­sche Kar­di­nal Wal­ter Kas­per nicht mehr wahl­be­rech­tigt, ab dem 18. März der ehe­ma­li­ge Erz­bi­schof von Turin, Kar­di­nal Polet­to. Bis dahin wird das näch­ste Kon­kla­ve jedoch sicher zusam­men­ge­tre­ten sein.

Die katho­li­sche Kir­che ver­liert einen gro­ßen Papst, der in sei­nem kur­zen Pon­ti­fi­kat wesent­li­che Wei­chen­stel­lun­gen vor­ge­nom­men hat. Er hin­ter­läßt eine unvoll­ende­te Erneue­rung auf dem Weg, die Kir­chen­kri­se der ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­te zu über­win­den. Er hat die­se Erneue­rung ange­sto­ßen, die an die­ser Stel­le nicht aus­führ­lich gewür­digt wer­den kann. Erin­nert sei ledig­lich an eine bis zum Beginn sei­nes Pon­ti­fi­kats undenk­ba­re Neu­in­ter­pre­ta­ti­on des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils und die Frei­ga­be der „alten“ Mes­se. Wei­ter­füh­ren müs­sen sie ande­re. Die Mensch­heit ver­liert ihren wich­tig­sten Führer.

Möge der Hei­li­ge Geist der Kir­che beistehen.

Bild: Asia­news

Print Friendly, PDF & Email
Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!