Warum Yad Vashem den Text zu Pius XII. korrigierte – Tagungsband veröffentlicht


papa-pio-XII-pacelli(Jeru­sa­lem) Seit eini­gen Tagen kann im Buch­la­den von Yad Vas­hem, der bedeu­tend­sten Sho­ah-Gedenk­stät­te, die an die Ver­fol­gung und die Ermor­dung von Juden durch das natio­nal­so­zia­li­sti­sche Regime erin­nert, das Buch Pius XII and the Holo­caust. Cur­rent sta­te of rese­arch erwor­ben wer­den. Der Tagungs­band wur­de von David Ban­kier, Dan Mich­man und Iael Nidam Orvie­to her­aus­ge­ge­ben. Er ist zur Gän­ze Papst Pius XII. und des­sen Ver­hal­ten wäh­rend der Juden­ver­fol­gung gewid­met. Der Band ver­sam­melt die Refe­ra­te eines inter­na­tio­na­len Work­shops, der im März 2009 in Yad Vas­hem stattfand.

Historiker-Workshop hinter verschlossenen Türen – Mit Ergebnissen

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Hin­ter ver­schlos­se­nen Türen wur­den For­schungs­er­geb­nis­se vor­ge­stellt, The­sen ver­tre­ten und der Ver­such unter­nom­men, den aktu­el­len For­schungs­stand zusam­men­zu­fas­sen. Ver­an­stal­ter des Histo­ri­ker­tref­fens waren das in Yad Vas­hem ange­sie­del­te Inter­na­tio­nal Insti­tu­te for Holo­caust Rese­arch und das Sale­si­an Theo­lo­gi­cal Insti­tu­te in Jeru­sa­lem. An der Eröff­nung des Tref­fens hat­te auch der Apo­sto­li­sche Nun­ti­us für Isra­el teilgenommen.

Die Kon­fron­ta­ti­on füh­ren­der Histo­ri­ker fand in unmit­tel­ba­rer Nähe zur Rei­se Papst Bene­dikts XVI. in das Hei­li­ge Land statt, die von eini­gen Pole­mi­ken beglei­tet war. Sie betra­fen auch den Text zu einem Bild von Papst Pius XII. im Holo­caust-Muse­um von Yad Vas­hem. Der Hei­li­ge Stuhl kri­ti­sier­te die ein­sei­ti­ge und wenig fun­dier­te Beur­tei­lung des wäh­rend des Zwei­ten Welt­krie­ges regie­ren­den Papstes.

Der inzwi­schen ver­stor­be­ne David Ban­kier, von 2000 bis 2010 Direk­tor des Holo­caust-For­schungs­in­sti­tuts von Yad Vas­hem beton­te, den Work­shop nicht unter dem Blick­win­kel heu­ti­ger poli­ti­scher-diplo­ma­ti­scher Gesichts­punk­te durch­füh­ren zu wol­len, son­dern aus­schließ­lich auf der Grund­la­ge von Doku­men­ten und neue­sten Forschungsergebnissen.

Einseitige Darstellung Pius XII. in Yad Vashem wurde korrigiert

Ein kon­kre­tes Ergeb­nis des Work­shops war, daß sich die Ver­ant­wort­li­chen von Yad Vas­hem 2012 ent­schlos­sen, den Bild­text zu Papst Pius XII. in der Gedenk­stät­te zu ändern und das Kir­chen­ober­haupt betont dif­fe­ren­zier­ter und objek­ti­ver dar­zu­stel­len. Eine Ent­schei­dung, die ihrer­seits zu teils hef­ti­gen Pole­mi­ken in und außer­halb Isra­els führ­te. Die Lei­tung von Yad Vas­hem ver­tei­dig­te jedoch die Ände­run­gen als Ergeb­nis der neue­sten wis­sen­schaft­li­chen For­schung. Es habe sich daher nicht um irgend­ei­ne poli­ti­sche, diplo­ma­ti­sche oder mit dem christ­lich-jüdi­schen Dia­log zusam­men­hän­gen­de Ent­schei­dung, son­dern um eine wis­sen­schaft­lich zwin­gen­de Kor­rek­tur gehandelt.

Nun ist der Tagungs­band erschie­nen und sind die Refe­ra­te und Dis­kus­sio­nen von 2009 zugäng­lich. Dem Band ist auch ein Doku­men­ten­teil ange­fügt, in dem neu ent­deck­te Doku­men­te abge­druckt sind, die beim Work­shop vor­ge­stellt wur­den. Unter den damals teil­neh­men­den Histo­ri­kern waren auch Micha­el Phay­er, Jean-Domi­ni­que Durand, Paul O’Shea, Dan Mich­man, Matteo Lui­gi Napo­li­ta­no, Dina Porat, Susan Zuc­cot­ti, Ser­gio Min­er­bi und nicht zuletzt der deut­sche Histo­ri­ker Tho­mas Bre­chen­ma­cher von der Uni­ver­si­tät Pots­dam. Bre­chen­ma­cher befaß­te sich 2003 bis 2006 in einem For­schungs­pro­jekt mit dem The­ma „Katho­li­sche Kir­che und Nationalsozialismus“.

Über 270 Ordenhäuser in Rom haben Juden versteckt – Dokumente vorgelegt

Der Vati­ka­nist Andrea Tor­ni­el­li weist in die­sem Zusam­men­hang auch auf die For­schungs­er­geb­nis­se der Work­shop-Teil­neh­me­rin und katho­li­schen Ordens­frau Gra­zia Lop­ar­co hin, die an einer Samm­lung von Doku­men­ten und Aus­sa­gen von Zeit­zeu­gen über die katho­li­schen Ein­rich­tun­gen in Ita­li­en arbei­tet, die ver­folg­ten Juden hal­fen, ihnen die Tore öff­ne­ten und sie versteckten.

Allein in der Stadt Rom haben gesi­chert mehr als 200 weib­li­che und min­de­stens 70 männ­li­che Ordens­häu­ser Juden ver­steckt, so Lop­ar­co. Es sei anzu­neh­men, daß es noch mehr waren, aber nicht über­all gesi­cher­te Quel­len erhal­ten blie­ben. Die mili­tä­risch-poli­ti­sche Lage in der besetz­ten Stadt habe es vie­len klug erschei­nen las­sen, aus Sicher­heits­grün­den mög­lichst kei­ne Spu­ren zu hin­ter­las­sen, so die Ordensfrau.

Umfangreiche Hilfsaktion für Juden Roms ohne Anstoß durch Pius XII. nicht vorstellbar

Viel wur­de dar­über disk­tu­tiert, wel­chen Ein­fluß Papst Pius XII. auf die Ent­schei­dung die­ser Klö­ster hat­te, den Juden zu hel­fen. Aus dem Zusam­men­hang erscheint es jedoch offen­kun­dig, so die sich bahn­bre­chen­de Mei­nung der Histo­ri­ker, daß eine so breit­an­ge­leg­te klan­de­sti­ne Hilfs­ak­ti­on und vor allem ein im Osser­va­to­re Roma­no vom 25./26. Okto­ber 1943, unmit­tel­bar nach der Raz­zia im römi­schen Ghet­to ver­öf­fent­lich­ter Arti­kel, nicht ohne die Unter­stüt­zung des Pap­stes mög­lich waren.

2012 fand an Sorbonne andere Historiker-Tagung hinter verschlossenen Türen statt – Ergebnisse unbekannt

Inzwi­schen fand am 12./13. Novem­ber 2012 eine wei­te­re Tagung über Pius XII. und die noch offe­nen Fra­gen statt. Wie­der­um hin­ter ver­schlos­se­nen Türen. Dies­mal organ­siert an der Uni­ver­si­tät Sor­bon­ne in Paris von Edouard Huss­on, der bis Sep­tem­ber 2010 deren Vize-Rek­tor war. Der Fran­zo­se ist Pro­fes­sor für Zeit­ge­schich­te und seit Okto­ber des Vor­jah­res Gene­ral­di­rek­tor der Éco­le supé­ri­eu­re de com­mer­ce de Paris (ESCP Euro­pe), die auch über eine Nie­der­las­sung in Ber­lin ver­fügt. Huss­on ist einer der schärf­ten Kri­ti­ker der The­sen des deut­schen Histo­ri­kers Ernst Nol­te. Über die Ergeb­nis­se der Tagung ist noch nichts bekannt.

Text: Vati­can Insider/​Giuseppe Nardi
Bild: Vati­can Insider

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2 Kommentare

  1. Ein Haupt­vor­wurf gegen Papst Pus XII. lau­tet, er habe zu den Nazi-Ver­bre­chen gegen die Juden geschwie­gen. Auch wenn er die Juden nicht nament­lich erwähn­te, hat er sich den­noch ein­deu­tig gegen die ras­si­sti­sche NS-Ideo­lo­gie aus­ge­spro­chen. Erin­nert sei an sei­ne Weih­nachts­an­spra­che im Radio 1942.
    Dass er sie nicht nament­lich erwähn­te, könn­te wich­ti­ge Grün­de gehabt haben. Immer­hin hat­te er das Schick­sal der katho­lisch getauf­ten hol­län­di­schen Juden vor Augen. So rich­te­ten nie­der­län­di­sche christ­li­che Bischö­fe ein Tele­gramm an Reichs­kom­mis­sar Seyß-Inquart, in dem sie ihre Empö­rung über die Behand­lung der Juden zum Aus­druck brach­ten. Sie hat­ten vor, in einem Hir­ten­brief die­ses Tele­gramm mit­zu­ver­le­sen. Seyß-Inquart beschwich­tig­te, die christ­li­chen Juden wür­den nicht depor­tiert. Nur der katho­li­sche Bischof de Jong, Bischof von Utrecht, ließ die Natio­nal­so­zia­li­sten wis­sen, sie hät­ten sich nicht in kirch­li­che Ange­le­gen­hei­ten ein­zu­mi­schen. Mit fol­gen­dem Ergeb­nis: Am 2. August 1942 verhaftete

  2. die SS alle katho­li­schen Juden, auch Edith Stein. Die katho­li­schen Juden wur­den mit den ande­ren in Wag­gons ver­la­den und depor­tiert, die ande­ren christ­lich getauf­ten Juden blie­ben wegen des Schwei­gens ihrer Bischö­fe verschont.
    Bei brül­len­der August-Hit­ze, ohne Ort, ihre Not­durft ver­rich­ten zu kön­nen, also bei zusätz­lich bei­ßen­dem Gestank, fuh­ren 300 katho­li­sche Juden in den Tod. Dank ihres muti­gen Bischofs, füge ich hinzu.
    Er saß in sei­nem Palais, er konn­te ihnen nicht hel­fen. Das hät­te er sich vor­her über­le­gen müssen.
    Ein abschlie­ßen­des Urteil steht mir nicht zu. Doch auch Pius XII. muss­te befürch­ten, die NS-Ver­bre­cher zu wei­te­ren Gewalt­ta­ten zu rei­zen, auch gegen Katho­li­ken, óhne dass er ein­schrei­ten konnte.
    Per­fi­de fin­de ich, dass erst nach sei­nem Tod die Kam­pa­gne, aus­ge­löst durch Hoch­huth, gegen ihn begann. Gegen einen Papst, der 1958 in welt­weit hohem Anse­hen starb. Er konn­te nichts mehr über sei­ne Moti­ve sagen, wehr­los wie alle Toten, die man verleumdet.

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