(Bern/Berlin) Die beiden Bären-Städte an Spree und Aare haben einiges gemeinsam. Neuerdings noch eine Sache mehr: Sowohl in Berlin als auch in Bern möchten die Piraten im nächsten Bundesparlament sitzen.
In der Bundesrepublik Deutschland mit ihrem lediglich nach links hin offenen, insgesamt aber weitgehend abgeschotteten Parteiensystem schienen die Piraten als „Spaßfaktor“ ein duldbarer Neueinstieg in den parlamentarischen Ring zu sein. Inzwischen läuft das Korsarenboot leck und befindet sich auf Kenterkurs. So sagen es jedenfalls die Umfragen aller Meinungsforschungsinstitute. In der Schweiz mit ihrem offenen und ausdifferenzierten Parteisystem tun sich die Piraten wohl noch eine Spur schwerer. Für die meisten Bürger herrscht noch immer Unklarheit, wohin die Reise der Piraten politisch eigentlich gehen sollte.
Nördlich des Bodensees fielen die Piraten bald unangenehm auf, als sie am Karfreitag zu einem Tanzfest auf die Kölner Domplatte luden. Die von ihnen geforderte Trennung von Staat und Kirche hatte damit wenig zu tun. Mit Drogenfreigabe, völliger Gleichstellung der Homo-„Ehe“, „Öffnung“ der Ehe von zwei auf mehr Personen, also Vielweiberei oder Vielmännerei und Aufhebung des Inzestverbots verorteten sie sich schnell in jenem Spektrum links der Mitte, in dem sich die Parteien ohnehin schon dicht drängeln. Die Piratenpartei Schwaben betont sehr „menschenfreundlich“ auf ihrer Internetseite zum Thema Lebensrecht und Abtreibung: „Jede Frau hat das uneingeschränkte Recht, eine Schwangerschaft abzubrechen, aus welchen Gründen auch immer.“ Für Christen waren die Piraten nie eine wählbare Alternative.
Der Schweizer Ableger der Freibeuter fällt nicht minder unangenehm auf und damit gleichzeitig innerpiratisch nicht aus dem Rahmen. Ihr Vorsitzender Thomas Bruderer, ganz staatsmännisch Präsident genannt, läßt in einem Internetforum der Piraten keine Gelegenheit aus, um alles anzugreifen, was nur im weitesten Sinne etwas mit Religion und Transzendenz zu tun hat. Die Schweizer Medien haben diese radikale Religionsfeindlichkeit zum Thema gemacht.
Für Bruderer ist Religion „eine Geisteskrankheit“, eine Form von Massenpsychose im Sinne von Sigmund Freud. Bruderer propagiert deshalb zum Schutz der psychischen Hygiene der Schweizer im Namen der Piraten einen militanten Atheismus, der an die marxistisch-leninistische Diktion von Religion als „Opium für das Volk“ erinnert.
Für den Oberpiraten, für den Wilhelm Tell und Bruder Klaus offenbar Geistesgestörte waren, sind alle Religionen „gefährlich“, auch im Westen, obwohl sich auf dem Alten Kontinent ihre Bedeutung durch den Relativismus abschwächt. „Gott ist ein Tyrann“, ist nur eine der harmloseren Wortmeldungen Bruderers, der damit die Definition des Atheisten Richard Dawkins zitierte. Für den Schweizer Piraten-Chef sind Priester, Ordensleute und Gläubige häufig „schizophren“.
Das Maximum an „Öffnung“ gegenüber der Religion, zu der sich ein „aufgeklärter“ Atheist wie Bruderer durchringen kann, klingt so: „Ich respektiere, wer seinen Glauben privat praktiziert, fordere aber Schutz vor allen, die uns ihre Doktrinen aufzwingen wollen“. Die einzige von Bruderer geduldete Form von Religion ist die völlige Verbannung aus dem öffentlichen Raum und der Rückzug in die vier Wände. Alles andere ist für den Präsidenten der eidgenössischen Freibeuter unerträglich.
Während die Katholiken sich zurückhalten, antwortete die Schweizerische Evangelische Allianz dem Piraten. Bei Bruderer könne man nicht mehr von Religionskritik sprechen, er propagiere vielmehr einen Religionstotschlag. Die Evangelische Allianz warf Bruderer vor, alle Menschen, die anders denken als er, zu beleidigen. Eine Lawine an Protestmails legte darauf die Mailboxen der Piraten lahm.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Screenshot piratenpartei.ch