Deutschland hat seinen benediktinischen Zen-Meister, Spanien seinen jesuitischen Enneagramm-Meister. Der Jesuit Pater Josep Lluàs Iriberri und „sein Team“ führen im Exerzitienhaus Cova de Sant Ignasi bei Barcelona in die „Grundlagen des Enneagramms“ ein. Nicht mehr das Kreuz wird gelehrt, sondern die „Persönlichkeitsentwicklung“ im Zeichen des esoterischen Enneagramms. Symbol und Lehre liegen, ein Wesensmerkmal der Gnosis, völlig im Dunkeln, oder besser gesagt, werden bewußt in ein nicht faßbares Dunkel gehüllt, um ihnen den Hauch des Geheimnisvollen und die Bedeutung eines arkanischen Wissens zu geben. Tatsächlich lassen sich einige Fakten zur Entstehung feststellen. Das okkulte Symbol wurde vom griechischstämmigen russischen Schriftsteller und Esoteriker Georges Gurdjieff (1870 ‑1947) „eingeführt“, man könnte natürlich ebensogut sagen, erfunden.
Georges Gurdjeffs „Vierter Weg“
Gurdjieff behauptete in der von ihm entwickelten Lehre des Vierten Weges, das Symbol in einem, allerdings unbekannt bleibenden Kloster einer ebenso nicht näher greifbaren islamischen Sufibruderschaft entdeckt zu haben. Seit Gurdjieffs Veröffentlichungen wurde das Symbol von zahlreichen anderen Esoterik-Autoren aufgegriffen und in unterschiedlicher Weise für psychologisch-spirituelle Persönlichkeitstypisierungen gebraucht.
Zwei römische Dikasterien, der Päpstliche Kulturrat und der Päpstliche Rat für den Interreligiösen Dialog haben mit dem gemeinsamen Dokument: Jesus Christus, der Spender lebendigen Wassers. Überlegungen zu New Age aus christlicher Sicht, vom 3. Februar 2003 die auch den verschiedenen Enneagramm-Lehren zugrundeliegende Charakteranalyse verworfen und warnen ausdrücklich vor dem Gebrauch dieser esoterischen „Hilfsmittel“, die von verschiedenen Gruppen kostenlos auch im Internet angeboten werden.
Roms Warnung vor Rückkehr „gnostischer Ideen“ unter der Maske des New Age
In dem römischen Dokument heißt es: „Johannes Paul II. warnt vor der ‚Rückkehr der alten gnostischen Ideen unter der Maske des so genannten New Age: Wir dürfen uns nicht vormachen, dass dies zu einer Erneuerung der Religion führe. Es handelt sich nur um eine neue Form von praktiziertem Gnostizismus „”jener Geisteshaltung, die, im Namen eines tiefgreifenden Wissens über Gott, zu einer Verzerrung seines Wortes führt und es durch rein menschliche Worte ersetzt. Der Gnostizismus hat den Bereich des Christentums nie völlig verlassen. Statt dessen hat er immer Seite an Seite mit dem Christentum bestanden, manchmal in Gestalt einer philosophischen Bewegung, häufiger aber, indem er den Charakter einer Religion oder Scheinreligion annahm, die in dezidiertem oder gar erklärtem Widerspruch zu allem steht, was zum Wesen des Christlichen gehört‘ (Johannes Paul II.: Crossing the Threshold of Hope, 1994, S. 90). Ein Beispiel dafür ist das Enneagramm mit seinen neun Typen zur Charakteranalyse, das, wenn es als Mittel zum geistlichen Wachstum gebraucht wird, eine Vieldeutigkeit in Lehre und Leben des christlichen Glaubens zur Folge hat.“
In Publikationen spanischer Jesuiten wird diese esoterische Enneagramm-Lehre zur Persönlichkeitsentwicklung verworfen. Wenig kümmert das alles den katalanischen Jesuiten Lluàs Iriberri, der seine Enneagramm-Lehre in einem Atemzug mit den berühmten Exerzitien seines Ordensgründers, des heiligen Ignatius von Loyola nennt. Doch mit diesen hat die esoterische Lehre Gurdjieffs so viel zu tun wie die übrigens zur selben Zeit entstandene völkisch-esoterische Lehre eines Jörg Lanz von Liebenfels mit dem Christentum.
Die Verbreitung der Enneagramm-Lehre durch Jesuiten seit 1971
Die jesuitische Verbreitung des Enneagramms geht bereits auf das Jahr 1971 zurück, als der chilenische Psychotherapeut Claudio Naranjo, ein führender Vertreter der Gestalttherapie und Weiterentwickler von Gurdjieffs Viertem Weg am Jesuitenseminar von Berkeley in Kalifornien eine „Einführung“ anbot. An der Veranstaltung nahmen das „Medium“ Helen Palmer und der Jesuit Robert Ochs teil, die zu den wichtigsten Promotoren dieser esoterischen Lehre wurden. Pater Ochs führte im Mai 1972 in einem achttägigen Intensivseminar mit Yoga und orientalischen Übungen weitere Mitbrüder seines Ordens in die Lehre ein. Schüler von Pater Ochs waren Pater Patrick O’Leary, Pater Jerry Hair, Pater Colin Maloney, Pater Tad Dunne und Pater Richar Riso. Pater O’Leary verbreitet die Enneagramm-Lehre seither auf internationaler Ebene unter Ordensleuten; Pater Hair lehrt das Enneagramm in Einkehrhäusern, Pater Maloney brachte die Lehre zu den Jesuiten in Kanada, Pater Dunne lehrt das Enneagramm im Zusammenhang mit dem „geistlichen Leben“, Pater Riso verließ den Jesuitenorden und gründete das Enneagramm Institute mit Sitz in New York, Paris, Tokio und Zürich.
Nicht nur Jesuiten gehören zur „Jüngerschaft“ des Enneagramms. Bekannte Vertreter sind der amerikanische Franziskaner Richard Rohr, Autor des 1989 erschienen Buchs Das Enneagramm. Die 9 Gesichter der Seele und die amerikanische Benediktinerin Suzanne Zuercher, Generalsekretärin des Rates Benediktinischer Gemeinschaften in den USA und Direktorin der St. Scholastica Academy. Sowohl Rohr als auch Zuercher wurden durch Pater Ochs in Chicago in die Enneagramm-Lehre „eingeweiht“.
Pater Ochs, Pater O’Leary und die Dominikanerin Mary Beesing, O.P. zogen sich übrigens längere Zeit zurück, um die Vereinbarkeit der neuen „Methode“ mit dem christlichen Glauben zu prüfen. Schwester Beesing veröffentlichte dann 1984 ein Buch, mit dem sie eine „christliche“ Enneagramm-Lehre vorschlug. Die Leistung, so hieß es damals aus dem Umfeld der Enneagramm-Anhänger in den katholischen Orden, sei dessen „Säuberung“ von okkulten Elementen gewesen.
Jesuit Mitchell Pacwa warnt vor den Gefahren der Ersatz-Religion
In diesem Zusammenhang ist der Jesuit Pater Mitchell Pacwa zu nennen, der ebenfalls 1972 an dem Intensivseminar in Chicago teilnahm und die Enneagramm-Lehre zunächst verbreitete. Er erkannte den Irrtum und die Gefahren dieser Lehre. Heute gehört er als ausgewiesener Kenner zu den aktivsten Warnern vor dieser Ersatz-Religion. Er hält es für einen Wiederspruch in sich, zu meinen, man könne die Enneagramm-Lehre von ihren okkulten Wurzeln „befreien“ und „reinigen“, um sie für das Christentum einzusetzen. Laut seiner Erfahrung würden „alle“, die sich in das Enneagramm vertiefen, als nächsten Schritt Zen praktizieren, Transzendentale Meditation, Numerologie, Tarot, Astrologie oder andere nicht-christliche Praktiken. Das Enneagramm führe nicht zu einem vertieften Verständnis des christlichen Glaubens, sondern von ihm weg, so Pater Pacwa. Der Jesuit bezeichnet die Enneagramm-Lehre als „gnostisch-esoterische Infiltration“ in der katholischen Kirche. Bereits 1997 warnte er vor den „katastrophalen Folgen“: „Kein Jesuit meiner Klasse, außer mir, der der Enneagramm-Lehre folgte, ist noch Jesuit. Sie haben alle ihr Priestertum aufgegeben.“ Pater Pacwa wurde auch zur Abfassung des erwähnten römischen Dokuments hinzugezogen.
Anhänger des Enneagramms finden sich ebenso im protestantischen Bereich, einschließlich eines Ökumenischen Arbeitskreises Enneagramm dessen erster Vorsitzender der evangelische Pastor und „Enneagramm-Lehrer“ Andreas Ebert in München ist, der mit Rohr gemeinsam das Buch Das Enneagramm. Die 9 Gesichter der Seele veröffentlichte. Der Franziskaner Rohr tritt häufig im deutschen Sprachraum auf, so auch zu Pfingsten 2011 für die Benediktinerabtei Münsterschwarzsach. Damit schließt sich wieder der Kreis zum eingangs erwähnten Zen-Meister Willigis Jäger. Die Abtei veranstaltete gemeinsam mit dem Ökumenischen Arbeitskreis Enneagramm die Tagung „Pfingstsymposion: Gott hat viele Namen. Pfingsten erleben mit Pater Richard Rohr“.
Willigis Jäger wurde übrigens 2001 vom jetzigen Papst Benedikt XVI. als Präfekt der Glaubenskongregation ein Rede- Schreib- und Auftrittsverbot erteilt. Abt und Klostergemeinschaft kümmerte dies wenig. Sie standen zu ihrem „erleuchteten“ Zen-Meister, der lediglich exklaustriert wurde, aber weiter dem benediktinischen Konvent angehört und damit nur ungehinderter seinen Vorstellungen nachhängen kann.
Verschiedene Diözesen des deutschen Sprachraums bieten in ihren Einkehr- und Exerzitienhäusern und im Rahmen ihrer Bildungsprogramme Enneagramm-Kurse mit „zertifizierten Enneagramm-Lehrern“ an. Dazu gehört auch das Bistum des Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch. Die Erzdiözese Freiburg im Breisgau bietet im Rahmen ihrer Exerzitienkurse das Enneagramm an, so sind für Anfang Oktober 2012 „Besinnungstage: Bibel und Enneagramm. Meditieren mit dem Enneagramm“ von Sr. Sabina Breidung im Bildungs- und Exerzitienhaus Hochfelden geplant, Anfang Dezember das „Besinnungswochende: Die neun Gesichter der Seele. Sich selbst erkennen durch das Enneagramm“ von Otto Pötter im Haus der Begegnung St. Fidelis der Kapuziner in Zell a.H. Gleichzeitig bot dasselbe Katholische Bildungswerk der Erzdiözese im Jahr 2011 Einkehrtage mit dem Wiener Kalasantiner Pater Clemens Pilar an, einem der besten Kenner und katholischen Kritiker des New Age. Der Autor mehrerer Bücher zur Klärung der Geister und zur Aufklärung über okkulte gnostische und esoterische Praktiken aus christlicher Sicht warnt vor dem Enneagramm.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: La cigüeña de la torre
„Es greift an die innerste Substanz, wenn die Beziehung zum Gekreuzigten verloren geht“, schrieb Bernardin Schellenberger, ein Autor mit einem bewegten Leben gerade in geistlicher Hinsicht.
Ich musste ihm zustimmen, wusste aber nicht, woran es lag, dass diese Beziehung in der (Nachkonzils-)Kirche immer schwächer wahrzunehmen ist, denn ich ging selbstverständlich in die Neue Messe.
Hier aber liegt der Schlüssel. In der Neuen Messe wird des Opfers Christi am Kreuz erinnernd gedacht, die Hauptsache ist das Mahl. Vom „Christusereignis“ wird in der Mysterientheologie, die der Neuen Messe zugrunde liegt, gesprochen. Zu einer Idee, einem Ereignis, kann man kaum eine innere Beziehung aufbauen.
In der Alten Messe ist das Opfer Jesu Christi am Kreuz, das nun unblutig vollzogen wird, zentral. Die Spinnereien einiger Ordensleute sind gleichgültig, die Verdrängung des Opfercharakters durch den Mahlcharakter der Neuen Messe ist dramatisch für den katholischen Glauben. Es höhlt ihn aus.
Das Enneagramm ist keineswegs eine Religion oder ähnliches, genausowenig wie Psychologie oder andere Wissenschaften, die sich mit dem Wesen des Menschen beschäftigen. Von allem, was ich bisher kennengelernt habe, bietet das Enneagramm nicht nur die schlüssigsten Erklärung für mein So-Sein und der anderen Anders-Sein, es zeigt auch positive und negative Entwicklungsmöglichkeiten auf. Aber es will und wird bestimmt nicht das Evangelium und den Glauben an den gekreuzigten Erlöser verdrängen, wenn man nicht sowieso auf der Suche nach Alternativen dazu ist.