2017 gemeinsames katholisch-lutherisches „Mea culpa“ zu 500 Jahren Reformation? – Was wurde beim Schülerkreis besprochen?


(Rom) Wäh­rend der deut­sche Distrikt der Prie­ster­bru­der­schaft St. Pius X. in der Sep­tem­ber-Aus­ga­be sei­nes Mit­tei­lungs­blat­tes dem Pro­te­stan­tis­mus und Mar­tin Luther einen The­men­schwer­punkt wid­met, stan­den der Pro­te­stan­tis­mus und Luther auch im Mit­tel­punkt des dies­jäh­ri­gen Tref­fens des Joseph-Ratz­in­ger-Schü­ler­krei­ses. Am ersten Sep­tem­ber­wo­chen­en­de ver­sam­mel­te sich der Schü­ler­kreis wie jedes Jahr in Castel Gan­dol­fo um Papst Bene­dikt XVI. 2012 stand das The­ma Öku­me­ne auf der Tages­ord­nung. Aus­gangs­punkt war ein Buch von Wal­ter Kar­di­nal Kas­per über den Stand der Bezie­hun­gen mit den christ­li­chen Kir­chen und Deno­mi­na­tio­nen. Kon­kret ging es jedoch um den Pro­te­stan­tis­mus oder noch kon­kre­ter – und ganz deutsch – um das Ver­hält­nis zu den Lutheranern.

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Der Kreis ist ein rein infor­mel­ler Zusam­men­schluß von Schü­lern, die mit ihrem Pro­fes­sor von einst in Kon­takt geblie­ben sind. Den­noch sind The­men und Akzen­te, die im Rah­men des jähr­li­chen Tref­fens des Schü­ler­krei­ses im Vor­der­grund ste­hen, inter­es­sant. Papst Bene­dikt XVI. hört sich Mei­nun­gen aus einem etwas anders zusam­men­ge­stell­ten Kreis an als sei­nem gewohn­ten Umfeld. Die Kar­di­nä­le Schön­born und Koch haben dabei einen bevor­zug­ten Stand, da sie dem gewohn­ten und dem außer­ge­wöhn­li­chen Kreis ange­hö­ren. Die Fra­ge der Ein­heit der Chri­sten, stand für eini­ge Mit­glie­der des Schü­ler­krei­ses immer beson­ders im Vor­der­grund. Dazu gehö­ren Peter Kuhn, Exper­te für Hebrä­isch und Assi­stent Ratz­in­gers in sei­ner Tübin­ger Zeit, der aus einem luthe­ri­schen Eltern­haus stammt und erst im Erwach­se­nen­al­ter zum katho­li­schen Glau­ben kon­ver­tier­te. Eben­so der Histo­ri­ker Vin­zenz Pfnür, ein über­zeug­ter Öku­me­ni­ker, der davon über­zeugt ist, daß es eine katho­li­sche Zustim­mung zur Con­fes­sio August­a­na, dem luthe­ri­schen Glau­bens­be­kennt­nis von Phil­ip Melan­ch­ton, geben kann. Eben­so der 2007 ver­stor­be­ne Pro­fes­sor für Öku­me­ne, Heinz Schüt­te, der an der klei­nen infor­mel­len Arbeits­grup­pe teil­nahm, bestehend aus Joseph Kar­di­nal Ratz­in­ger, dem evan­ge­lisch-luthe­ri­schen Lan­des­bi­schof von Bay­ern und frü­he­ren Prä­si­den­ten des Luthe­ri­schen Welt­bun­des Johan­nes Han­sel­mann und dem luthe­ri­schen Theo­lo­gen Joa­chim Track, die im Som­mer 1998 am Text für die gemein­sa­me Erklä­rung zur Recht­fer­ti­gungs­leh­re zwi­schen Katho­li­ken und Luthe­ra­nern arbei­te­ten und dabei die letz­ten Hür­den über­wan­den um im Jahr dar­auf zur Unter­schrift zu gelangen.

Wegen einer über­zo­ge­nen Aus­le­gung durch einen fal­schen Öku­me­nis­mus setz­te der dama­li­ge Prä­fekt der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on Ratz­in­ger im Hei­li­gen Jahr 2000 jedoch die Erklä­rung Domi­nus Iesus nach, in der die „Ein­zig­ar­tig­keit und die Heils­uni­ver­sa­li­tät Jesu Chri­sti und der Kir­che“ ver­deut­licht wur­den. Kar­di­nal Ratz­in­ger woll­te das tra­di­tio­nel­le Ver­ständ­nis von Kir­che in Erin­ne­rung rufen und erklä­ren, dass jede Öku­me­ne eine kla­re Grund­la­ge und die Ein­heit der Chri­sten ein kla­res Ziel hat.

Ein Mea cul­pa, wie es beim Schü­ler­kreis­tref­fen ange­regt wur­de, wür­de sich auf began­ge­nes histo­ri­sches Unrecht bezie­hen, nicht aber auf Fra­gen des Glau­bens­in­hal­tes und der Glau­bens­wahr­heit. Unwei­ger­lich ein­her geht die Fra­ge nach der öffent­li­chen Wahrnehmung.

Über den Ablauf und vor allem den inhalt­li­chen Ablauf des Schü­ler­kreis­tref­fens ist wenig bekannt. Von der deut­schen Redak­ti­on von Radio Vati­kan befragt, gab der Vor­sit­zen­de Ste­phan Horn jedoch erstaun­lich bereit­wil­lig Aus­kunft über „Über­le­gun­gen“ zu einem katho­lisch-luthe­ri­schen Mea cul­pa. Eine sol­che öffent­li­che Bekannt­ma­chung von Über­le­gun­gen eines infor­mel­len Krei­ses abseits der zustän­di­gen kirch­li­chen Insti­tu­tio­nen erstaunt. Sie erzeugt Erwar­tun­gen und genau das scheint beab­sich­tigt zu sein.

Aus die­sem Grund ver­öf­fent­li­chen wir in deut­scher Über­set­zung den am 4. Sep­tem­ber in der Tages­zei­tung Il Foglio erschie­ne­nen Arti­kel des Vati­ka­ni­sten Pao­lo Roda­ri, des­sen Infor­ma­ti­ons­quel­le nicht direkt genannt wird, die inhalt­lich jedoch in die­sel­be Rich­tung wie Horn zielt.
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Benedikt XVI, die reinigende Synthese mit den Lutheranern (im Glauben)

von Pao­lo Rodari

Es gibt ein Schar­nier zwi­schen Katho­li­ken und Pro­te­stan­ten, es heißt Mar­tin Luther. „Ist der Erfur­ter Augu­sti­ner­mönch Mar­tin Luther nicht auch als ein Schar­nier zwi­schen unse­ren Kir­chen zu ver­ste­hen, weil er zu bei­den Kir­chen gehört? “, frag­te vor einem Jahr der EKD-Prä­si­dent Niko­laus Schnei­der beim öku­me­ni­schen Fest­akt mit Bene­dikt XVI. in der Stadt, in der Luther von 1505 bis 1511 leb­te. Der Papst hat­te nicht lan­ge dar­über nach­zu­den­ken. Für ihn war und ist es so, und er hat es vor weni­gen Stun­den bewie­sen, indem er in Castel Gan­dol­fo das Tref­fen des Ratz­in­ger Schü­ler­krei­ses 2012 abschloß, jenes Semi­nar mit sei­nen ehe­ma­li­gen Schü­lern, das in die­sem Jahr den Bezie­hun­gen zwi­schen Katho­li­ken und Pro­te­stan­ten gewid­met war, aus­ge­hend von einem Buch von Wal­ter Kar­di­nal Kas­per, in dem er einen Über­blick über die Situa­ti­on im Ver­hält­nis der christ­li­chen Kir­chen zuein­an­der bie­tet. Die Idee, die der Papst ins Feld stell­te ist: Rei­ni­gung der Erin­ne­rung. Der Sal­va­to­ria­ner Ste­phan Horn, Vor­sit­zen­der des Ratz­in­ger Schü­ler­krei­ses sagt: „Im Schloß wur­de die Idee eines ‚mea cul­pa‘ von bei­den Sei­ten ent­wickelt. Der Papst war immer der Über­zeu­gung, daß die­se Rei­ni­gung not­wen­dig sei. Die histo­ri­schen Ereig­nis­se kön­nen nicht aus­ge­löscht wer­den, der Unter­schied besteht jedoch dar­in, wie man sie betrach­tet: die Gif­te die­ser Kon­flik­te löschen ist ein wah­re Heilung.“

Kas­per hat­te bereits lan­ge über die­se Idee nach­ge­dacht. Und so auch sein Nach­fol­ger an der Römi­schen Kurie, der Deutschwei­zer Kar­di­nal Kurt Koch, der aller­dings nicht dar­auf ver­gaß zu unter­strei­chen, daß die­se Rei­ni­gung kei­ne „Ein­bahn­stra­ße“ sein darf. „Auch die Evan­ge­li­schen müs­sen erklä­ren, wie sie heu­te die Reform des 16. Jahr­hun­derts sehen, ob in der Kon­ti­nui­tät gegen­über jener Epo­che oder als einen Bruch.“ Der­wei­len sind die Etap­pen aber bereits pro­gram­miert: 2017 fin­det der 500. Jah­res­tag der Refor­ma­ti­on statt, eine schmack­haf­te Gele­gen­heit für ein dop­pel­tes „mea cul­pa“ als Prä­lu­di­um für eine neue Zeit. Schnei­der sag­te vor kur­zem: „Viel­leicht wird es kei­ne for­ma­le Reha­bi­li­tie­rung geben, aber eine fak­ti­sche Neu­be­wer­tung der Gestalt Luthers haben wir sehr deut­lich aus dem Mund des Pap­stes in Erfurt gehört. Es wäre fan­ta­stisch auch eine Neu­be­wer­tung sei­ner Theo­lo­gie zu erleben.“

Öku­me­ne war für Ratz­in­ger nie die Suche nach dem klein­sten gemein­sa­men Nen­ner, eine Art von „Syn­kre­tis­mus im Zei­chen der Uni­for­mi­tät“, wie es Kas­per zurück­wies, son­dern eine Rück­kehr zum Grund­le­gen­den, zu „dem, was eint“, sag­te er in Erfurt, und damit zu jener „Got­tes­fra­ge“, die auch im Leben Luthers zen­tral war, die Fra­ge nach Gott und wer der Mensch vor Ihm ist. Denn „im Grun­de“, sagt der Histo­ri­ker Alber­to Mel­lo­ni, „der Augu­sti­ner Ratz­in­ger durch­lebt vor Gott das­sel­be Dra­ma, das Luther durch­leb­te. Und hier kön­nen sich Katho­li­ken und Luthe­ra­ner wie­der begegnen.“

Ratz­in­ger arbei­te­te, vor allem als Prä­fekt der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on, für die Über­win­dung der Spal­tun­gen. Sein ent­schie­den­ster Schritt war, als er zur Unter­schrift der Recht­fer­ti­gungs­er­klä­rung vom 31. Okto­ber 1999 dräng­te, mit der die katho­li­sche Kir­che und die Luthe­ri­sche Föde­ra­ti­on sich in einem Punkt einig­ten: Der Mensch hängt für sein Heil zur Gän­ze von der ret­ten­den Gna­de Got­tes ab. Eine Erklä­rung, die die Unter­schie­de glät­te­te und die des­halb sowohl von „rechts“ sehr kri­ti­siert wur­de, von jenen, die sie für zu „kon­zi­li­ant“ mit den Luthe­ra­nern hiel­ten, als auch von Hans Küng, der Ratz­in­ger vor­warf, einen Waf­fen­still­stand mit dem kon­ser­va­tiv­sten Teil des Luthe­ra­ner­tums aus­ge­han­delt zu haben. Für Ratz­in­ger aber ist die Wur­zel zwi­schen den bei­den Kir­chen leben­dig, man muß sie nur erken­nen, eben rei­ni­gen. Es ist das Kon­zept, das Johan­nes Kar­di­nal Wil­le­brands, der ehe­ma­li­ge Prä­si­dent der Ein­heit der Chri­sten, 1980 zum Jah­res­tag der Con­fes­sio August­a­na zum Aus­druck brach­te. Und es macht nichts, wie Ratz­in­ger sel­ber erin­ner­te, daß „Kar­di­nal Her­mann Volk, scherz­haft und ernst, die Fra­ge stell­te: ‚Ich möch­te wis­sen, ob es sich beim Bei­spiel, von dem Wil­le­brands spricht, um die Wur­zel einer Kar­tof­fel oder eines Apfel­baum han­delt. Mit ande­ren Wor­ten: das, was aus der Wur­zel her­aus­ge­kom­men ist, sind alles Blät­ter oder ist es wirk­lich die wich­tig­ste Sache, das heißt der Baum?‘“

Text: Palaz­zo Apostolico/​Übersetzung Giu­sep­pe Nardi

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Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

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2 Kommentare

  1. Zu beto­nen ist, dass das Mit­tei­lungs­blatt der Prie­ster­bru­der­schaft St. Pius X. sich theo­lo­gisch kri­tisch mit dem Pro­te­stan­tis­mus aus­ein­an­der­setzt, ganz klar die Unver­ein­bar­keit zwi­schen Katho­li­zis­mus und Pro­te­stan­tis­mus her­aus­ar­bei­tet. Und die Pro­te­stan­ten ein­lädt, zur katho­li­schen Kir­che als der wah­ren Kir­che Jesu Chri­sti zurückzukehren.

    Ich hof­fe, das nicht mehr erle­ben zu müs­sen: Luther wird reha­bi­li­tiert und die Prie­ster­bru­der­schaft end­gül­tig aus der Kir­che ausgestoßen…
    Das ist zuge­spitzt, ich gebe es zu.

    Die Kon­zils- und Nach­kon­zil­s­päp­ste kom­men mir bald vor wie ein Vater, in des­sen Fami­lie es drun­ter und drü­ber geht. In der gestrit­ten wird, dass die Fet­zen flie­gen. In der ein gemein­sa­mes Gespräch aller Fami­li­en­mit­glie­der nicht mehr mög­lich ist.

    Doch Papas Haupt­sor­ge ist die Ein­heit mit der Nachbarschaft…Mit aller Welt… So geht das jetzt schon bald 50 Jahre.
    Das Gefähr­li­che an die­ser Kri­se der Kir­che ist, dass Rom sie mit­aus­ge­löst hat.

  2. Mir stel­len sich in die­sem Zusam­men­hang hier fol­gen­de Fragen:
    1) Ist für die Nach­kon­zils­kir­che und den jetzt regie­ren­den Papst Mar­tin Luther ein Häre­ti­ker oder nicht?
    2) War die vor­kon­zi­lia­re Leh­re, die katho­li­sche Kir­che sei die „allein selig­ma­chen­de Kir­che“ eine Anma­ßung oder nicht?
    3) Ent­spricht die Behaup­tung der Pius­bru­der­schaft, zwi­schen der katho­li­schen Kir­che und dem Pro­te­stan­tis­mus kön­ne es kei­ne Ein­heit geben, weil der jewei­li­ge Glau­be zu unter­schied­lich ist, einem vor­kon­zi­lia­ren Fun­da­men­ta­lis­mus oder ist es eine nicht zu leug­nen­de Realität?
    4) Wem lege ich die­se Fra­gen vor? Der Hei­li­ge Vater und Kar­di­nal Koch geben sich mit den Fra­gen einer ein­fa­chen katho­li­schen Gläu­bi­gen nicht ab, sie haben Wich­ti­ge­res zu tun.Den Vor­sit­zen­den der DBK fra­ge ich lie­ber nicht…
    Zuge­ge­ben, die Fra­gen sind rhe­to­risch. Ich weiß, was ich glau­be. Ich wüss­te nur gern, ob mein Glau­be vor­kon­zi­li­ar ist. Ob ich stör­risch zurück­ge­blie­ben bin. Ob ich einem vor­mo­der­nen Tra­di­ti­ons­be­griff huldige…

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