„Heilige sie in der Wahrheit!“ – die Sache mit der Piusbruderschaft und die Juden


von Klaus Obenauer

Das Kriterium

Anzei­ge

In der Aus­ga­be vom drit­ten Juni der Neu­en Zür­cher Zei­tung nimmt der Wie­ner Dog­ma­tik­pro­fes­sor Jan-Hei­ner Tück Stel­lung zu den konf­lin­gie­ren­den Wort­mel­dun­gen der bei­den römi­schen Kar­di­nä­le Kurt Koch und Wal­ter Brand­mül­ler, was näm­lich die Ver­bind­lich­keit der Ver­laut­ba­run­gen des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils im Kon­text der Bemü­hun­gen um eine Aus­söh­nung der Pius­bru­der­schaft mit Rom angeht.

Tück ergreift Par­tei von Kar­di­nal Koch, der die voll­um­fäng­li­che Ver­bind­lich­keit des Kon­zils, ein­schließ­lich Nost­ra aet­a­te und Dignita­tis hum­a­nae, urgiert, um eben­so kom­pro­miß­los auf deren Aner­ken­nung zu bestehen.

Mei­ner­seits will ich mich nun nicht im kir­chen­po­li­ti­schen Vor­feld auf­hal­ten. Bezie­hungs­wei­se: Das Pro­blem in der Debat­te, das uns nicht vor­an­kom­men läßt und die Mei­nungs­bil­dung womög­lich bis in höchst­maß­geb­li­che Krei­se hin­ein erschwert, ist jene Krank­heit unse­rer Zeit, die sich viel­leicht auf fol­gen­de For­mel brin­gen läßt: Man optiert ideo­lo­gisch, um ent­spre­chend stra­te­gisch zu argu­men­tie­ren. Und wir unter­stel­len uns dies auch schon gegen­sei­tig: „Was will er denn?“, sagen wir, wenn jemand nicht leicht nach­voll­zieh­bar argu­men­tiert. Und die­se Rede­wei­se ver­rät uns: Sie sucht den Schlüs­sel zum Ver­ständ­nis in der Absicht, ent­spre­chend bei Welt­an­schau­ungs­fra­gen o.ä. in der ideo­lo­gi­schen Opti­on. Und so bewer­ten wir die Argu­men­ta­ti­on als gelun­gen, wenn sie ziel­füh­rend ist.

Wenn wir aber, zumal als Chri­sten, auf sach­li­che Trans­pa­renz in der Argu­men­ta­ti­on set­zen müs­sen, dann müs­sen wir ver­su­chen, uns, mög­lichst frei von Vor­ur­tei­len, eben dem Anspruch der Sache zu stel­len. – Nun geht es aber in der Cau­sa „Pius­bru­der­schaft und Kon­zils­an­er­ken­nung“ um rech­te oder fal­sche Pra­xis: Was ist zu tun oder zu ver­lan­gen, bezie­hungs­wei­se was ist zu unter­las­sen etc.? Die sach­ge­mä­ße Argu­men­ta­ti­on rich­tet sich dem­entspre­chend an der nor­ma­ti­ven Vor­ga­be aus. Grund­le­gend ist die Fra­ge: Was ist der Maß­stab, an dem sich sol­che Fra­gen zu ent­schei­den haben? Dies zumal, wenn sehr weit­rei­chen­de Kon­se­quen­zen im Blick sind.

Von daher: Zwecks Beant­wor­tung der Fra­ge, in wel­chem Aus­maß von der Pius­bru­der­schaft eine Aner­ken­nung des Zwei­ten Vati­ka­nums zu ver­lan­gen ist, ist vor allem ande­ren der dafür rich­ti­ge Maß­stab zu fokus­sie­ren. Was ist der Maß­stab, der über­haupt die „Kom­pe­tenz“ hat, die­se in der prak­ti­schen Kon­se­quenz so weit­rei­chen­de Fra­ge zu ent­schei­den? Mit ande­ren Wor­ten: War­um soll über­haupt eine sol­che Aner­ken­nung zur Bedin­gung gemacht wer­den, oder eben nicht?

Son­die­ren wir den besag­ten Debat­ten­ein­wurf von Jan-Hei­ner Tück unter die­sem Gesichts­punkt, so kommt man nicht ganz um das Bedau­ern umhin, daß sich der Ver­fas­ser einen lei­der zu beschei­de­nen Rah­men für sei­ne Argu­men­ta­ti­ons­stra­te­gie gesteckt hat. Wenn ich recht sehe, sind die lei­ten­den Maß­stä­be für ihn die gleich zu Beginn genann­ten: „Stel­lung der katho­li­schen Kir­che zur Moder­ne“, das „Ver­hält­nis zum Juden­tum und zu den ande­ren Reli­gio­nen“, die „Aner­ken­nung der Gewis­sens- und Reli­gi­ons­frei­heit“. Ent­spre­chend geht es dar­um, nicht „hin­ter das Kon­zil zurück­zu­fal­len“. Hin­sicht­lich der Nor­ma­ti­vi­tät der Kon­zils­aus­sa­ge wird in ent­schei­den­der Instanz nicht mehr gesagt, als daß die ver­schie­de­nen Doku­men­te eine inhalt­li­che Ein­heit bil­den, auf daß von daher nicht ein­zel­ne zur Dis­po­si­ti­on gestellt wer­den dürf­ten. – Gewiß: Ein knapp zu hal­ten­der Zei­tungs­bei­trag ist kein weit aus­ho­len­der Grund­satz­ar­ti­kel. Dies ändert aber nichts dar­an, daß sich die Benen­nung all der genann­ten Moti­ve (gegen eine Rela­ti­vie­rung des Kon­zils) jeweils mit einem schlich­ten „Na und?“ quit­tie­ren läßt. Jeden­falls so, wie sie daste­hen. Hier lebt alles vom, in der deutsch­spra­chi­gen Gegen­warts­theo­lo­gie sehr belieb­ten, sug­ge­sti­ven Pathos der „Neu­zeit­an­schluß­fä­hig­keit“, ohne daß die­se noch ein­mal auf ihre inhalt­li­che wie nor­ma­ti­ve Trag­wei­te zuläng­lich auf den Punkt gebracht wäre.

Nun, da im Rah­men die­ser knap­pen Wort­mel­dung mei­ner­seits kei­ne Fun­da­men­tal­theo­lo­gie zu betrei­ben ist, wer­de ich doch wohl unter uns katho­li­schen Chri­sten, die ich (in erster Linie) anspre­che, mir den „fun­da­men­ta­li­sti­schen“ Hin­weis gestat­ten dür­fen, daß für uns das Wort Jesu, des fleisch­ge­wor­de­nen Logos Got­tes, der Maß­stab ist. Und in jenem „herr­li­chen“ Gebet, in dem er dar­um bit­tet, daß alle, die an ihn glau­ben, eins sind (Joh. 17,20sq.), fal­len auch die gewich­ti­gen Wor­te, die mir gera­de­zu einen Schlüs­sel zur Debat­te dar­zu­stel­len scheinen:

„Hei­li­ge sie in der Wahr­heit; Dein Wort ist Wahr­heit. So wie Du Mich in die Welt gesandt hast, habe auch Ich sie in die Welt gesandt. Und für sie hei­li­ge Ich mich sel­ber, damit auch sie sel­ber in der Wahr­heit gehei­ligt sei­en.“ (Joh 17,17–19)

Sie, die Zwölf (bzw. ver­blie­be­nen Elf), wer­den, in der Welt blei­bend (V. 15sq.), „in“ die Welt gesandt: Sie haben eine Sen­dung für „die Welt“, die Gott ret­ten will, um die­ser Welt jedoch kon­fron­ta­tiv gegen­über­zu­tre­ten (cf. 15,18sqq.). Und die ein­zig not­wen­di­ge Aus­rü­stung für ihre Mis­si­on ist ihr „Gehei­ligt-Sein in der Wahr­heit“, die kon­se­kra­to­ri­sche „Ein-geweiht-heit“ in die­se Wahr­heit, durch den, der sich für sie „hei­ligt“ und die Wahr­heit sel­ber in Per­son ist (cf. 14,6). – Von daher ist der apo­sto­li­sche Glau­be, der Glau­be der Apo­stel, sprich: die Wahr­heit, die jene uns über­lie­fert haben, die Chri­stus in die Wahr­heit ein­ge­weiht hat, allei­ni­ges Maß für die Jün­ger Chri­sti aller Zei­ten, wo sie doch „durch ihr Wort an mich glau­ben wer­den“ (V. 20). Die­ser Glau­be der Apo­stel, über­lie­fert durch die apo­sto­li­sche Kir­che mit ihren apo­sto­lisch legi­ti­mier­ten Hir­ten, die­ser ist der Maß­stab, auch für die Kir­che und ihre Mis­si­on in der Welt heu­te. Und zwar exklu­siv. Die­se Selbst­ver­ständ­lich­keit, die im Mun­de zu füh­ren banal erschei­nen mag, hat jedoch ihre Bri­sanz. Denn es geht dabei um jene Hei­li­gung, die so für Gott in Beschlag nimmt, daß sie jedes Anru­fen ande­rer Maxi­me und Postu­la­te, die nicht von daher abge­lei­tet bzw. dar­um zen­triert sind, als fremd­kör­per­haft ent­larvt. Denn zwi­schen dem Geist Chri­sti und dem Geist der Welt gibt es kein Mitt­le­res oder Ver­mit­teln­des (cf. 1 Kor 2,12).

Von daher ist die Rech­nung ein­fach, wenn­gleich nicht sim­pel: Zur Beur­tei­lung, ob und inwie­weit wir, d.h. die Kir­che, – im Umgang mit der Pius­bru­der­schaft, aber auch im Bin­nen­raum jener, die (for­mal­ju­ri­disch wenig­stens) „im vol­len Frie­den“ mit der Kir­che leben – die kon­zi­liä­ren Aus­sa­gen urgie­ren sol­len, kann nur der apo­sto­li­sche Glau­be sel­ber als Maß­stab (im Sin­ne der ‚nor­ma norm­ans‘) her­an­ge­zo­gen wer­den, wie er durch das apo­sto­li­sche Trad­en­den- und Lehr­amt die­ser Kir­che über­lie­fert ist. Nichts ande­res: also kei­ne poli­ti­schen Oppor­tu­ni­tä­ten, „Anschluß­fä­hig­kei­ten“ an die Leit­mo­ti­ve eines Zeit­al­ters etc. Es sei denn, für der­art Postu­la­te lie­ße sich gel­tend machen, daß sie sich aus der kon­kre­ten Anwen­dung die­ses Maß­stabs aller Maß­stä­be (mehr oder min­der) zwin­gend erge­ben: aber das muß erst ein­mal schlüs­sig auf­ge­zeigt statt pathe­tisch sug­ge­riert werden.

Der Kern des Problems

Damit spie­le ich doch schon Lehr­amt gegen Lehr­amt aus, wird man mir vor­hal­ten. Die­ser Vor­wurf trifft gewiß inso­fern zu, als das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil sei­ner­seits nun ein­mal zwei­fel­los eine Aus­übung des Lehr­am­tes der Gesamt­kir­che war, mit­hin im Dien­ste jener Über­lie­fe­rung der Wahr­heit Chri­sti stand, für die der Bei­stand des Hei­li­gen Gei­stes ver­hei­ßen ist. Nur: Einer­seits hat das Kon­zil aner­kann­ter­ma­ßen dort, wo es nicht sol­ches wie­der­hol­te, was schon als ‚de fide‘ fest­stand, nicht noch ein­mal, „aus eige­nem“ sozu­sa­gen, letzt­ver­bind­lich gespro­chen, also: nicht mit gött­li­cher Wahr­heits­ga­ran­tie und so unfehl­bar. Ande­rer­seits ist die her­me­neu­ti­sche Lei­stung des Kon­zils, sei­ne Arbeit der „Über­set­zung“ des Glau­bens­gu­tes ins Heu­te für sehr vie­le frag­lich gewor­den. Frag­lich in ihrer Ver­läß­lich­keit, und zwar mit Blick auf die ererb­te Glau­bens­re­gel („regu­la fidei“). Dies ist ein Fak­tum, an dem man nicht leicht­hin vor­bei­ge­hen darf: Es wäre lieb­los. Und was dabei von erst­ran­gi­ger Bedeu­tung ist: Die­je­ni­gen, die besag­ter­ma­ßen Anstoß neh­men und deren Kreis sich nicht auf sol­che, die sich aktiv oder pas­siv im Rah­men der kir­chen­recht­li­chen Irre­gu­la­ri­tät bewe­gen, beschränkt, sind in ihrer Treue zum über­lie­fer­ten Glau­ben, wei­test­ge­hend jeden­falls, unver­däch­tig. Im Gegen­zug ist die Ver­wo­ben­heit der (bean­spruch­ten) „Kon­zils­ob­ser­vanz“ mit einer weit um sich grei­fen­den mate­ria­len Ent­frem­dung vom über­lie­fer­ten Glau­ben struk­tu­rell zu nen­nen (ob de jure oder de fac­to, muß für unse­re Belan­ge nicht ent­schie­den wer­den). Dies soll den ent­schie­den lehr­amtstreu­en Per­so­nen und Grup­pie­run­gen kei­nen Abbruch tun. Allein: Auch dort grei­fen vie­le Ver­un­si­che­run­gen um sich; und auch die höchst­kir­chen­amt­li­che Dik­ti­on kann, wie sie zur Zeit besteht, eben nicht als rund­weg ver­läß­lich bezeich­net wer­den. (So hat der You­cat vie­le Defi­zi­te: Die Lehr­dar­le­gung zu Meß­op­fer und Real­prä­senz ist unbe­frie­di­gend, der Tod zumin­dest recht schlüpf­rig als Ende des Pil­ger­stan­des mar­kiert; ganz zu schwei­gen von der Pein­lich­keit, wie man die defi­nier­te [!] Leh­re vom wah­ren Ver­dienst des Gerecht­fer­tig­ten angeht.)

Vor die­sem Hin­ter­grund erscheint die Prä­sump­ti­on für die inhalt­li­che Rich­tig­keit des vom Zwei­ten Vati­ka­num aus­ge­üb­ten Lehr­am­tes, die ihm wie jeder Lehr­amts­aus­übung (dies­seits ‚de fide‘) von Haus aus zu gel­ten hat, ent­schie­den ange­foch­ten: Die Ver­läß­lich­keit der her­me­neu­ti­sche Lei­stung des Kon­zils erscheint, erst ein­mal pau­schal gesagt, frag­wür­dig. – Frei­lich sto­ßen hier auf ein intri­ka­tes Anschluß­pro­blem. Es ist dies die Fra­ge nach der exak­ten Bestim­mung der Unter­gren­ze, wie ich sie (in die­sem Forum) schon wie­der­holt auf­ge­wor­fen habe: Bis zu wel­chem Aus­maß kann ein Öku­me­ni­sches Kon­zil, auf dem der gesam­te Lehr­kör­per ver­sam­melt ist, in der Dar­le­gung sei­ner Leh­re sich als unzu­ver­läs­sig erwei­sen, näm­lich mit Blick auf die Glau­bens­re­gel sel­ber, und zwar selbst­ver­ständ­lich dort, wo es nicht mit End­gül­tig­keits­an­spruch lehrt? Das Min­de­ste, was man als katho­li­scher Christ aus­schlie­ßen muß, ist doch, daß nicht fast der gan­ze Lehr­kör­per mit dem Papst vor­an (= die mora­li­sche Tota­li­tät) vom Glau­ben abge­fal­len ist, eben dadurch, daß er sich in ein­deu­ti­gen Wider­spruch zum Glau­bens­gut gesetzt hät­te. – Daß die­se Bestim­mung so aus­reicht: dar­auf will ich mich hier nicht fest­le­gen. Allein, mit Blick zum Bei­spiel auf das Pro­blem von Dignita­tis hum­a­nae, wor­in offen­kun­dig das Gegen­teil von dem gelehrt wur­de, was jahr­hun­der­te­lang gelehrt und prak­ti­ziert wur­de (wonach die dem katho­li­schen Glau­ben wider­spre­chen­de Leh­re und Pra­xis gera­de kein natür­li­ches Recht auf eine öffent­li­che Prä­senz hat, die von der staat­li­chen Gewalt unbe­hel­ligt blie­be): Wenn ich sage, eine sol­che Lehr­in­no­va­ti­on von sol­cher inhalt­li­cher Trag­wei­te kön­ne gar nicht anders als (kraft gött­li­chen Bei­stan­des) ver­läß­lich sein, um somit „per acci­dens“ unfehl­bar zu sein, womit die Ver­läß­lich­keit von Dignita­tis hum­a­nae aber gewähr­lei­stet sei, dann gilt immer noch: „pro­be­tur ante­ce­dens“, der Vor­aus­set­zungs­satz für die­se Fol­ge­rung ist zu bewei­sen. Ähn­li­ches gilt für den Hin­weis auf weit­rei­chen­de Kon­sen­se und Rezep­tio­nen: die letz­ten fünf­zig Jah­re müs­sen gegen die Jahr­hun­der­te zuvor ankom­men. Und die ulti­ma­ti­ve Irrele­vanz die­ser Jahr­hun­der­te für die for­ma­le Ver­bind­lich­keit einer Leh­re muß dann auch noch trans­pa­rent gemacht wer­den. Davon kann nicht dis­pen­siert wer­den. Es hilft hier nichts, wie Tück es tut, die Raf­fi­nes­se des Pap­stes (in sei­ner Vor­weih­nachts­an­spra­che von 2005) zu bewun­dern: der Hin­weis auf das „Zusam­men­spiel von Kon­ti­nui­tät und Dis­kon­ti­nui­tät auf unter­schied­li­chen Ebe­nen“ ist für sich allein auch nicht viel mehr als ein geschick­ter Rhetorismus.

Mit die­sen etwas umwe­gi­gen Hin­füh­run­gen und Sal­vie­run­gen (gegen Miß­ver­ständ­nis­se) wäh­ne ich mich nun aber beim Kern des Pro­blems ange­kom­men, und die­ses Pro­blem trägt in erster Linie gar nicht den Namen „Pius­bru­der­schaft“. Das Pro­blem besteht viel­mehr in einem Ärger­nis, das deren Exi­stenz bedingt hat: Offen­sicht­lich ist die Ver­läß­lich­keit des Zwei­ten Vati­ka­nums als Her­me­neut des unwan­del­bar gül­ti­gen Glau­bens­gu­tes für „heu­te“ (was es sein woll­te!) nicht bezie­hungs­wei­se nicht rund­weg trans­pa­rent; ana­log für das dar­auf basie­ren­de nach­kon­zi­liä­re Lehr­amt. Dies betrifft die Rich­tig­keit der Lehr­in­hal­te an ihnen sel­ber genom­men wie aber (gera­de) auch die der Akzent­set­zun­gen. Und eigent­lich ist es, bei Licht bese­hen, für den schlicht und red­lich Den­ken­den nicht ein­zu­se­hen, war­um die­ses Ärger­nis bis zur Stun­de unun­ter­bro­chen fort­be­stehen muß. War­um kann die­se Fra­ge nach der Ver­läß­lich­keit nicht einer Lösung zuge­führt wer­den anhand von Prin­zi­pi­en, die als ererb­te all­seits unver­däch­tig sind (vor­aus­ge­setzt, man ist bereit, die Ver­bind­lich­keit die­ses Erbens anzu­er­ken­nen)? Und zu sol­chen Prin­zi­pi­en sind dann selbst­re­dend auch sol­che „Unter­gren­zen“ zu rech­nen, die ich oben ange­spro­chen hat­te. Wenn die einen sagen: Dignita­tis hum­a­nae gilt, es ist eine Kon­zils­aus­sa­ge (wenn­gleich kein Dog­ma), die ande­ren aber auf Quan­ta cura etc. ver­wei­sen: Kann man sich da nicht ein für alle­mal dazu auf­raf­fen, ‚sine ira et stu­dio‘ die Fra­ge anzu­ge­hen, was denn nun aus genau wel­chen Grün­den Vor­fahrt hat? Die Fra­ge ist also: Was sagt just das apo­sto­li­sche Erbe zu den Prin­zi­pi­en ver­läß­li­cher Lehr­prä­sen­ta­ti­on (die­ses Erbe frei­lich gemäß sei­ner Aus­fal­tung durch die Jahr­hun­der­te hin­durch und gemäß sei­ner kon­sen­sua­len theo­lo­gi­schen Aneig­nung)? Ich sehe nicht, was die Lösung behin­dern könn­te, es sei denn der Wür­ge­griff ideo­lo­gi­schen Den­kens, das immer neue Argu­men­ta­ti­ons­stra­te­gien zu sei­ner Selbst­be­haup­tung erfin­det, oder die Ban­de der Ver­strickung in das Prag­ma der Poli­tik („wir haben jetzt so lan­ge auf Reli­gi­ons­frei­heit gemacht; wie ste­hen wir jetzt da, wenn …“). Aber: „Hei­li­ge sie in der Wahr­heit“: das ist der Aus­weg. Es war Pila­tus, der mit „Wahr­heit“ nichts ver­bin­den konn­te, mit dem Prag­ma dafür um so mehr …

Um das­sel­be mal etwas schlich­ter, damit frei­lich ver­ein­fa­chend, auf den Punkt zu brin­gen: Das Zwei­te Vati­ka­num ist ent­ge­gen allem Anschein für die katho­li­sche Kir­che eben nicht das gewe­sen, was sei­ner­zeit das Godes­ber­ger Pro­gramm für die Sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Par­tei Deutsch­lands war. Godes­berg hat kei­nen Maß­stab: man kann hin­ter Godes­berg zurück auch dann nicht SPD-Mit­glied sein wol­len, wenn es mit klas­si­schen Essen­ti­als der deut­schen Sozi­al­de­mo­kra­tie bricht. Man muß dann eine neue Par­tei grün­den, eine „SPD alter Genos­sen­schaft“ oder was weiß ich wie. An das Zwei­te Vati­ka­num kann ich einen Maß­stab anle­gen: Denn es sel­ber hat­te, jeden­falls nach Maß­ga­be sei­ner füh­ren­den Garan­ten (allen vor­an des mode­rie­ren­den Pap­stes), gewiß nicht die Absicht, eine Sum­me von Ver­laut­ba­run­gen her­vor­zu­brin­gen, deren rech­te Her­me­neu­tik gera­de auch die der Dis­kon­ti­nui­tät wäre. Es aner­kann­te viel­mehr das Glau­bens­gut als unhin­ter­geh­ba­ren Maß­stab für sei­ne Über­set­zungs­lei­stung. Und etwas ande­res kam von vorn­her­ein auch nicht in Betracht. Lei­der haben zur Zeit vie­le auch in der Kir­che den gei­sti­gen, bes­ser: geist­li­chen, Kom­paß ver­lo­ren, um sich auf­zu­füh­ren, als hät­ten wir es nicht mit der katho­li­schen Kir­che und dem Zwei­ten Vati­ka­num zu tun, son­dern mit der SPD und Godesberg …

Nostra aetate – Heilsnotwendigkeit der Kirche – die Juden

Das Postu­lat, das Kon­zil (im besag­ten Sin­ne und unter besag­ten Vor­aus­set­zun­gen und Gren­zen) am Maß­stab der apo­sto­li­schen Über­lie­fe­rung zu mes­sen, gilt um so mehr für Nost­ra aet­a­te (NA), zumal es in der for­ma­len Ver­bind­lich­keit als nie­der­ran­gig ein­zu­stu­fen ist. Und natür­lich gibt es inhalt­li­che Rück­ver­wei­se auf das ver­gleichs­wei­se hoch­ran­gi­ge Doku­ment Lumen gen­ti­um (LG; Arti­kel 16). Aller­dings: Wäh­rend NA 1 et 2 die nicht­christ­li­chen Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten sel­ber, in frei­lich sehr beding­ter Wei­se, wür­digt, geht es in LG 16, vom jüdi­schen Volk abge­se­hen, um die Stel­lung der Ange­hö­ri­gen der nicht­christ­li­chen Reli­gio­nen in punc­to heils­be­deut­sa­mer Hin­ord­nung auf die Kir­che Chri­sti. Ent­spre­chend: Wäh­rend LG im enge­ren Sin­ne lehr­amt­lich ist, um an besag­ter Stel­le von der Heils­mög­lich­keit jener zu han­deln, die auf­grund schuld­lo­ser Igno­ranz kei­ner­lei insti­tu­tio­nel­le Ver­bin­dung mit der Kir­che Chri­sti auf­wei­sen, um im Rah­men einer „Hin­ord­nung“ auf die­se Kir­che geret­tet wer­den zu kön­nen, trägt NA viel­mehr den Cha­rak­ter einer kir­chen­po­li­ti­schen und pro­gram­ma­ti­schen Äuße­rung: Es geht dar­um, eine Ver­stän­di­gungs­ba­sis für Inter­ko­ope­ra­ti­on und Dia­log zu legen, die frei­lich dok­tri­na­le Impli­ka­tio­nen hat. – Ent­spre­chend scheint mir mit NA sehr wohl einen Schritt über LG hin­aus­ge­gan­gen zu sein: Man wer­fe nur einen Blick auf LG 16 Ende und ver­glei­che dies mit der fast skan­da­lös wohl­wol­len­den Reli­gi­ons­phä­no­me­no­lo­gie, die unter NA 1 et 2 betrie­ben wird. Und die inter­re­li­gi­ös (aber auch öku­me­nisch) noch sehr zurück­hal­ten­den Gesten von Papst Paul VI. zei­gen, daß die skan­da­lös indis­kre­ten Begeg­nun­gen, Hand­lun­gen und Ver­an­stal­tun­gen unter dem Woj­ty­la-Pon­ti­fi­kat zwar ohne NA schwer ver­ständ­lich zu machen sind, jedoch kei­nes­wegs als kon­se­quen­te Testa­ments­voll­streckung ange­se­hen wer­den kön­nen. – Mit­hin sind all die­se Sta­tio­nen auf dem Kon­zil sel­ber und des dar­auf fol­gen­den päpst­li­chen Kir­chen­re­gi­ments noch ein­mal dif­fe­ren­ziert zu befra­gen. Gera­de die skan­da­lö­sen Gesten der Woj­ty­la-Ära und die Fol­ge­run­gen, die dar­an geknüpft wur­den, haben noch ein­mal eige­ne Pro­ble­me geschaf­fen bezie­hungs­wei­se Hür­den zum tra­di­tio­na­li­sti­schen Lager aufgebaut.

Aber des­sen unge­ach­tet ist zur Bewer­tung all die­ser Sta­tio­nen in der Aus-übung des Lehr- und Hir­ten­am­tes auf dem Kon­zil und danach in punc­to „Anschluß­fä­hig­keit an die apo­sto­li­sche Tra­di­ti­on“ fol­gen­des in Betracht zu zie­hen: Die Päp­ste haben, in kon­kre­ter Aktua­li­sie­rung des Dog­mas ihrer­seits, im 19. und 20. Jahr­hun­dert mas­siv auf fol­gen­dem insi­stiert: Die katho­li­sche Kir­che ist für alle heils­not­wen­dig; die tat­säch­li­che Zuge­hö­rig­keit zur Kir­che wird im Fal­le schuld­lo­sen Nicht­wis­sens („igno­ran­tia invin­ci­bi­lis“) durch das (impli­zi­te) Votum ersetzt. Unge­ach­tet des letz­te­ren hat die katho­li­sche Kir­che die dring­li­che Ein­la­dung an exzep­ti­ons­los alle außer­halb ihrer Befind­li­chen zu ent­rich­ten, da sich eben­so exzep­ti­ons­los all jene in einem Zustand der Heils­ge­fähr­dung befin­den (wenn­gleich in unter­schied­li­chem Maße): DS 2865sqq; 2997sqq.; 3821 u. 3866sqq. Ist nun aber gera­de der letz­te die­ser drei Punk­te über all die kon­zi­liä­ren und nach­kon­zi­liä­ren Wür­di­gun­gen der nicht­ka­tho­li­schen (ob nun christ­li­chen oder nicht­christ­li­chen) Bekennt­nis- und Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten bezie­hungs­wei­se der reli­giö­sen Pra­xis inner­halb der­sel­ben noch hin­läng­lich im Blick­feld? Über­la­gert nicht eine zu opti­mi­sti­sche Aner­ken­nung des Guten die not­wen­di­ge Sich­tung der Defek­te nach deren radi­ka­lem Ernst? Ist nicht schon durch die Atti­tü­den des Kon­zils, und zwar ansatz­wei­se in LG, ent­fal­te­ter dann in „Unita­tis red­in­te­gra­tio“ so wie in NA, jener Ire­nis­mus ange­bahnt, wel­cher das kon­fron­ta­ti­ve Gegen­über unmög­lich macht, in dem sich die katho­li­sche Kir­che als die ein­zig wah­re Kir­che Chri­sti gegen­über allen ande­ren zu hal­ten hat? – Gegen­über allen Pro­phe­ten der Ver­stän­di­gung, die ihr sug­ge­sti­ves „nicht zurück hin­ter …“ anbrin­gen wol­len, ist hier schlicht auf fol­gen­dem zu insi­stie­ren: Die dif­fe­ren­zier­te­re Beschrei­bung des Ver­hält­nis­ses der katho­li­schen Kir­che zu all denen, die (ein­fach­hin wen­gi­stens) drau­ßen sind, ent­spre­chend die dif­fe­ren­zier­te­re Beur­tei­lung von deren Situa­ti­on, all dies ist nur zu berech­tigt. Aber sie bleibt kon­sti­tu­tiv rück­ge­bun­den an die Koor­di­na­ten, die die Päp­ste besag­ter­ma­ßen vor­ge­ge­ben haben. Hier gibt es nichts zu rüt­teln; und wo nötig, sind die ent­spre­chen­den Kor­rek­tu­ren vor­zu­neh­men. Unbe­dingt. Die Über­set­zungs­lei­stung des Kon­zils ist an die­ser Vor­ga­be zu mes­sen, nicht umge­kehrt, bezie­hungs­wei­se nicht die­se Vor­ga­be an einer pro­gres­si­ven Her­me­neu­tik. Man kann nicht Katho­lik sein, wenn man das nicht akzeptiert.

Was das Kon­zil sel­ber angeht, ist all dies zum weit über­wie­gen­den Teil eine Fra­ge nicht der Lehr­in­hal­te an sich, son­dern der Akzent­set­zung. Jedoch: Auch wenn ich gro­ßen Respekt vor der Ver­siert­heit jener habe, wel­che die Kon­zils­tex­te redi­gier­ten, auf daß (wenn wir vom Son­der­fall Dignita­tis hum­a­nae ein¬al abse­hen) ein dok­tri­na­ler Lap­sus längst nicht so leicht nach­zu­wei­sen ist, wie so manch kri­tik­süch­ti­ger Recht­ha­ber glaubt: es gibt schon Fäl­le, da man Beden­ken in bezug auf ein­zel­ne Lehr­in­hal­te und ‑aus­sa­gen haben kann; wie gesagt, dies­seits des Pro­blems mit Dignita­tis hum­a­nae. Dazu zäh­le ich zum einen den berühm­ten Satz aus „Unita­tis red­in­te­gra­tio 3“, der Hei­li­ge Geist habe sich nicht gewei­gert, die nicht­ka­tho­li­schen Kom­mu­ni­tä­ten als Heils­mit­tel zu gebrau­chen, der im drin­gen­den Ver­dacht steht, dem stren­gen Wort­sinn nach („in rigo­re sen­sus“) falsch zu sein. Dazu gehört auch – und damit kom­me ich zu einem bri­san­ten The­ma – die Deskrip­ti­on der heils­re­le­van­ten Hin­ord­nung auf die Kir­che für die schuld­lo­sen Nicht­chri­sten unter LG 16. Nicht, daß man eine Hin­ord­nung anmahnt, die offen­sicht­lich über die sub­jek­ti­ve (im Votum) hin­aus­geht. Das Pro­blem ist die Son­der­stel­lung des jüdi­schen Vol­kes, wie sie dar­in beschrie­ben wird. Kann ohne wei­te­res bezie­hungs­wei­se ein­fach­hin („sim­pli­ci­ter“), also ohne prä­zi­sie­ren­de Ein­schrän­kung, davon die Rede sein, daß die Zuge­hö­rig­keit zu die­sem Volk eine Hin­ord­nung auf die Kir­che Chri­sti begrün­det bezie­hungs­wei­se die­sem Volk eine sol­che eig­net? Daß es als fort­exi­sten­tes Volk der ersten Erwäh­lung sei­ne Teleo­lo­gie in Chri­stus hat und so auf ihn hin­ge­ord­net ist (auch der leib­li­chen Abstam­mung nach, wie zu Recht her­aus­ge­stellt wird), ist unbe­strit­ten. Aber was ist mit die­ser Hin­ord­nung ange­sichts des­sen, daß die (kon­kre­te) Fort­exi­stenz die­ses Vol­kes unter dem Vor­zei­chen der Ver­wei­ge­rung gegen­über sei­nem Mes­si­as steht? Wenn es mit Blick auf DS 1348 Dog­ma ist, daß das Hal­ten der alt­bund­li­chen Zere­mo­ni­al­ge­set­ze nach der Ankunft Chri­sti und der Ver­kün­di­gung des Evan­ge­li­ums (objek­tiv) schwer sünd­haft ist, eben weil das Ver­rich­ten die­ser Riten – die ihrem Wesen nach auf den kom­men sol­len­den Chri­stus ver­wei­sen – ent­spre­chend nach Chri­sti Ankunft und Tod gera­de­wegs die­ses Gekom­men-Sein negiert, wenn ana­log schon für die Fort­exi­stenz die­ses Vol­kes als mosai­scher Reli­gi­ons­ge­mein­schaft sel­ber gilt, daß sol­ches eben das Gekom­men-Sein sei­nes Mes­si­as, in dem es sein Ziel hat, negiert: Sind dann nicht jüdi­sche Exi­stenz qua die einer bzw. in einer mosai­schen Reli­gi­ons­ge­mein­schaft samt ent­spre­chen­der Pra­xis von jener Ambi­va­lenz, wonach sol­ches zwar einer­seits auf Chri­stus hin­ord­net, da es in ihm sein Ziel hat, ande­rer­seits sol­ches nach Chri­sti Ankunft gera­de­wegs von Chri­stus weg­ver­ord­net? Was von Chri­stus gilt, gilt dann aber ent­spre­chend auch von der Kir­che Chri­sti. Von daher scheint mir die Kon­zils­aus­sa­ge von LG 16 in der Tat mit einer schwe­ren Hypo­thek bela­stet: Gemäß DS 1348 samt sei­ner bibli­schen Grund­la­ge geht es schwer­lich an, ein­fach­hin und ohne jede Dif­fe­ren­zie­rung, wel­che die ana­lo­gie­lo­se Ambi­va­lenz sui gene­ris mar­kiert, jüdi­sche Exi­stenz als auf die Kir­che hin­ord­nen­den Fak­tor zu beschreiben.

Bevor man mir ent­ge­gen­hält, wie man nach Ausch­witz so zynisch takt­los, um nichts Schlim­me­res zu sagen, reden bzw. schrei­ben kön­ne: Es geht zum einen alles ande­re als dar­um, in einem Anfall abgrün­dig unchrist­li­cher Ahu­ma­ni­tät irgend­wel­che phy­si­sche mensch­li­che Exi­stenz als schwer sünd­haft zu dekla­rie­ren. Und letz­te­res ist das Ipsis­si­mum des Anti­se­mi­ten im eigent­li­chen (sprich: ras­si­sti­schen) Sin­ne (mal abge­se­hen davon, daß „Sün­de“ nicht unbe­dingt zu sei­nem Sprach­schatz gehört.

Den Chri­sten per­ver­tiert es, jeman­dem zu ver­übeln, daß es ihn gibt. Viel­mehr geht es hier um die Exi­stenz als bzw. in einer Reli­gi­ons­ge­mein­schaft, auch wenn in die­sem Fall die Insti­tu­ti­on „Nati­on“ o.ä. mit der Insti­tu­ti­on Reli­gi­ons­ge­mein­schaft zusam­men­fällt. Vom letz­te­ren ein­mal abge­se­hen: Für die Exi­stenz unter ande­ren nicht­christ­li­chen Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten gilt eben­so, daß sie objek­tiv schwer sünd­haft ist; der Son­der­fall jüdi­scher Exi­stenz liegt jedoch dar­in, daß hier an einer von Gott auf Chri­stus und sei­ne Kir­che hin gestif­te­ten insti­tu­tio­nel­len Grö­ße ent­ge­gen ihrer Teleo­lo­gie fest­ge­hal­ten wird. Von daher gilt hier und nur hier: Was einer­seits auf Chri­sti Kir­che hin­ord­net, ver­ord­net zugleich von ihr weg. Über­dies ist für den dem Evan­ge­li­um treu­en Chri­sten der Zynis­mus des Anti­se­mi­tis­mus, in des­sen Flucht­punkt wenig­stens der Geno­zid liegt, des­halb ein Unding, da, mit Blick auf Röm 9–11, sei­nem Glau­ben gemäß die­ses Volk fort­be­stehen muß, bis end­lich die Ver­hei­ßung an ihm erfüllt wer­de, die Teleo­lo­gie, die an ihm haf­ten bleibt, auch an ihm und mit ihm ein­ge­löst wer­de. Die­se Logik ist jene des wer­ben­den War­tens und war­ten­den Wer­bens, gleich­wohl im Bewußt­sein des uns von den Juden abgrün­dig Tren­nen­den; mit exter­mi­na­to­ri­schem Haß hat sol­ches nichts gemein. Ein­mal über­spitzt gesagt: Nicht unser Insi­stie­ren dar­auf, daß die Mis­si­on der Kir­che gera­de auch den Juden gilt und daß die­se qua Juden eben auch unse­re Geg­ner blei­ben, ver­or­tet uns in einem „Anti­se­mi­tis­mus“, ohne den es Ausch­witz nicht gege­ben hät­te; viel­mehr: wenn, dann des­halb, da wir ver­ges­sen hat­ten, daß Gott sei­ne Erwäh­lung nicht zurück­ge­nom­men hat, mit­hin die Ein­lö­sung der Teleo­lo­gie die­ses Vol­kes durch unse­re Mis­si­on immer noch aus­steht, ist Ausch­witz „unse­rer­seits“ mög­lich gewor­den. Hier hat Max Frisch in sei­nem „Andor­ra“ wohl etwas Rich­ti­ges gese­hen: Wir waren nicht katho­lisch genug, an die­sem Volk des­in­ter­es­siert. Und es ist das Ver­dienst des Zwei­ten Vati­ka­nums, die­se ver­ges­se­ne Wahr­heit wie­der in Erin­ne­rung geru­fen zu haben, frei­lich in einer ein­sei­ti­gen, um nicht zu sagen: nai­ven, Akzen­tu­ie­rung, die sich ihrer­seits als bela­stend aus­ge­wirkt und neue Pro­ble­me geschaf­fen hat. Und alles in allem kann hier die Pius­bru­der­schaft, die ja nicht nur aus Richard Wil­liam­son besteht, als vor­bild­lich gelten.

Das Pro­blem bei Vati­ka­num II ist von daher, daß es in die durch­aus zu Recht und über­zeu­gend zugrun­de geleg­te Kon­zep­ti­on der kon­zen­tri­schen Krei­se, die sich um die ein­fach­hin genom­me­ne Kir­chen­glied­schaft („ple­ne incor­poran­tur“) legen (cf. LG 13, Ende) – im Sin­ne von Bezie­hun­gen und Zuord­nun­gen zu die­ser Kir­che, wo man schuld­los außer­halb der Kir­che steht –, die Exi­stenz des jüdi­schen Vol­kes har­mo­ni­stisch „hin­ein­ver­ar­bei­ten“ woll­te, um die Sper­rig­keit die­ser Grö­ße dafür zu über­se­hen, näm­lich auf­grund besag­ter Ambi­va­lenz. Die Kon­zils­aus­sa­ge wird von daher nicht rund­weg falsch, bleibt jedoch in ihrer Undif­fe­ren­ziert­heit höchst pro­blem­be­haf­tet. Das Pro­blem der nach­kon­zi­liä­ren Stel­lung­nah­men, gera­de auch im Zuge des Woj­ty­la-Pon­ti­fi­ka­tes, ist, daß man der Ver­su­chung nicht wider­stand, die naiv-har­mo­ni­sti­schen Kon­zils­aus­sa­gen fort­zu­schrei­ben zu einer Ideo­lo­gie eines fast naht­lo­sen Schuld­er­schlus­ses, in dem sich gar, wie Kar­di­nal Koch jüngst aus­führ­te, Kir­che Chri­sti und Syn­ago­ge zum „einen Volk Got­tes“ zusam­men­fin­den sol­len, wenn­gleich da noch die Sache mit der Per­son Chri­sti als eine Art Unter­schei­dungs­leh­re bleibt. Dies ist dann aber Tra­di­ti­ons­bruch und Ver­fäl­schung der Kon­zils­aus­sa­gen zugleich. Und wer die Aner­ken­nung von Nost­ra aet­a­te gleich­sam als Chif­fre für das wenig­stens still­schwei­gen­de Ein­ver­ständ­nis mit einer sol­chen Ideo­lo­gie abver­lan­gen will, ist dazu durch nichts legi­ti­miert, nicht ein­mal durch das Kon­zil selbst: Er hat die apo­sto­li­sche Tra­di­ti­on gegen sich, wel­che die Pius­bru­der­schaft ins Recht setzt, und gera­de nicht die Anwäl­te von der­art Ideologien.

Zuge­ge­be­ner­ma­ßen bin ich nicht exakt im Bil­de über den genau­en Bestand von Theo­log­o­u­me­na, der in der Pius­bru­der­schaft betreffs „Juden­tum und Juden“ als ver­bind­lich kur­siert. Ich glau­be auch, daß da ins­ge­samt etwas auf­ge­bauscht wird. Inso­fern man jedoch dar­auf insi­stiert, daß die Kir­che Chri­sti, die katho­li­sche Kir­che für exzep­ti­ons­los alle heils­not­wen­dig ist, also auch für die Juden, daß die Mis­si­ons­tä­tig­keit der Kir­che dem­entspre­chend eben­so exzep­ti­ons­los allen gilt und gera­de auch den Juden, daß schließ­lich und end­lich deren objek­ti­ve Stel­lung im Rah­men ihrer Zuge­hö­rig­keit zum jüdi­schen Volk samt ent­spre­chen­der Pra­xis von jener tief­grei­fen­den Ambi­va­lenz ist, von der oben die Rede war und wel­che ein harm­lo­ses „Ein­ver­neh­men“ mit ihnen für uns Chri­sten unmög­lich macht (sie sind „älte­re Brüder„und Geg­ner in einem): inso­weit ist man dort schlicht im Recht. Es ist eine schwe­re Ver­sün­di­gung am Erbe Chri­sti, dies­be­züg­lich irgend­ein Abschwö­ren oder wenig­stens Mund-Hal­ten zu verlangen.

Von daher ris­kie­re ich ein­mal fol­gen­de Fra­ge, die selbst­re­dend quer zur kor­rek­ten Dik­ti­on in der poli­ti­schen und aka­de­mi­schen Welt liegt: Wenn man Angst hat, maß­geb­li­che Auto­ri­tä­ten und insti­tu­tio­nel­le Prä­sen­zen der Juden bzw. des Jüdi­schen in der west­li­chen Welt wür­den dar­an Anstoß neh­men, um des­halb den Schritt der Ver­söh­nung mit der Pius­bru­der­schaft zu scheu­en oder die­sel­be gar zu hin­ter­trei­ben, ja um des­halb über­haupt schon die sper­ri­ge Strin­genz des Chri­stus­glau­bens zu ver­schlei­ern: tut man dann etwas ande­res, als Chri­stus erneut dem Hohen Rat aus­zu­lie­fern, Chri­stus in sei­nen Glie­dern, die ihm so teu­er sind, Chri­stus mit sei­ner Wahr­heit, für die Zeug­nis abzu­le­gen er in die­se Welt gekom­men ist?

Aus Grün­den, die nicht dar­ge­legt wer­den müs­sen, kann dies nicht unkom­men­tiert im Rau­me ste­hen blei­ben. Des­halb zur Erläu­te­rung der hier her­an­ge­zo­ge­nen Moti­vik: Es ist ein Fak­tum, daß der Gegen­warts­dis­kurs in der west­li­chen Welt, bis hin­ein in die Theo­lo­gie (zumal in Deutsch­land), erheb­lich geprägt ist durch Rück­sicht­nah­men auf jüdi­sche Prä­sen­zen, so wie sie vor allem insti­tu­tio­na­li­siert in Erschei­nung tre­ten und wel­che von daher erheb­li­chen Ein­fluß aus­üben. Die histo­ri­schen Grün­de dafür sind frei­lich bekannt; die Grün­de, die sol­che Rück­sicht­nah­me gene­rell erst ein­mal in ihr Recht set­zen. Weit weni­ger dringt jedoch ins all­ge­mei­ne Bewußt­sein, daß die­ser Sach­ver­halt beträcht­li­che dis­kur­si­ve Schief­la­gen mit sich bringt, mit erheb­li­chen Aus­wir­kun­gen für die Selbst­be­stim­mung von Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten, was ihre intim­sten Ange­le­gen­hei­ten angeht, wie die Gestal­tung ihrer Lit­ur­gie und die For­mu­lie­rung ihres Selbst­ver­ständ­nis­ses im Ver­hält­nis zu ande­ren. Klar, wor­auf ich mit die­ser zunächst reli­gi­ons­so­zio­lo­gisch-neu­tra­len For­mu­lie­rung anspie­le: die Debat­ten um die Kar­frei­tags­für­bit­te und die Regu­lie­rung der Pius­bru­der­schaft, The­men, die „unse­re“ Reli­gi­ons­ge­mein­schaft, die katho­li­sche Kir­che betref­fen. – Von daher kom­me ich zum Schluß, daß „unse­re“ Stel­lung im Forum der säku­la­ren Welt­öf­fent­lich­keit mit unse­rem Ver­hält­nis zu besag­ten jüdi­schen Prä­sen­zen (die alles ande­re als exklu­siv, aber ton­an­ge­bend sind) eng­stens ver­zahnt ist: es ist dies ein Junk­tim. Und daß in bezug auf die­ses Junk­tim bestimm­te The­men, die mit unse­rer Selbst­be­stim­mung und unse­rem Selbst­ver­ständ­nis als Glau­bens­ge­mein­schaft eng kohä­rie­ren, offen­sicht­lich erheb­lich kon­flikt­i­ves Poten­ti­al ber­gen, auf daß zumin­dest der­je­ni­ge, der sich den über­lie­fer­ten „Optio­nen“ etc. ver­pflich­tet weiß, kaum anders kann, als hier eine bedroh­li­che Über­grif­fig­keit zu dia­gno­sti­zie­ren. – Ich bin mir der Gefah­ren pro­ble­ma­ti­scher Asso­zia­tio­nen bewußt: Aber eine gewis­se Par­al­le­le mit den Ver­hält­nis­sen, wie sie das johannei­sche Schrift­tum im Neu­en Testa­ment beschreibt, drän­gen sich auf: In der Geg­ner­schaft des insti­tu­tio­na­li­sier­ten Juden­tums bzw. der Syn­ago­ge, die Chri­stus und sei­ne Jün­ger erfah­ren, arti­ku­liert oder ver­dich­tet sich dem­nach die Geg­ner­schaft „der Welt“: 9,39–41 und bes. 15,18–25. So ris­kant die Andeu­tung sol­cher Par­al­le­len auch ist: Der im wachen Glau­ben mit­den­ken­de Christ kann sich sol­chen Erwä­gun­gen nicht ein­fach ent­zie­hen. – Etwas deut­li­cher: Daß „ir Deut­sche“ stän­dig unse­re Ver­gan­gen­heit „aufs Brot geschmiert bekom­men“, was sich „die fre­chen Israe­lis“ da unten so alles erlau­ben etc.: das sind doch mehr The­men für grö­len­de Glatz­köp­fe mit tum­ber Vor­lie­be für Erd­far­ben und bar­ba­ri­sche Schrift­zei­chen. Mein The­ma hat mit etwas ande­rem zu tun: Es ist das Regi­ment eines gewis­sen Wei­sen les­sing­scher Prä­gung, das sich unmerk­lich bei uns ein­ge­schli­chen hat, um sei­ne Des­po­tie um so nach­hal­ti­ger zu ent­fal­ten, ein Regi­ment, das man auf besag­te „jüdi­sche Prä­sen­zen“ alles ande­re als redu­zie­ren kann, damit jedoch nach­hal­tig ver­floch­ten ist.

Von daher erlau­be ich mir eine letz­te Pro­vo­ka­ti­on in die­ser Ange­le­gen­heit, in dem ich fol­gen­de Sze­ne zu zeich­nen wage: In die­ser schwe­ren Stun­de (in Sachen Pius­bru­der­schaft etc.) tritt Chri­stus erneut an jeden maß­geb­lich Betei­lig­ten her­an, vom Hei­li­gen Vater bis zu jedem ein­zel­nen Theo­lo­gen mit Mei­nungs­füh­rer­schaft, Er zeigt ihm sei­ne Wun­den, und Er fragt ihn: „Was ist dir lie­ber, die Freund­schaft mit mir oder die Freund­schaft der Welt? Stehst du mir bei in mei­ner Ago­nie, die ich noch immer lei­de, oder opferst du mei­ne mir teu­ren Glie­der der Freund­schaft mit jenen ton­an­ge­ben­den Stim­men, auch unter mei­nen leib­li­chen Brü­dern, die mei­nen, die Maß­stä­be für Huma­ni­tät defi­nie­ren zu dür­fen?“ Und die all­zu beflis­se­nen Anwäl­te der jüdisch-christ­li­chen „Ver­söh­nung“ fragt er: „Glaubst du wirk­lich, mir einen Dienst zu erwei­sen, indem du Sol­da­ri­tät mit mei­nen jüdi­schen Brü­dern dadurch übst, daß du die Glie­der mei­nes Lei­bes preis­gibst? Merkst du nicht, wie weh du mir damit tust? Fase­le mir nicht zu viel von ‚Got­tes Aug­ap­fel‘; wie, wenn gera­de sie es sind, die du mit dei­nem Pro­test der ‚Anstän­di­gen‘ so sehr ver­ach­test? Ja, ich bin von Davids Samen; aber ‚Jesus‘ ist mein Name und nicht ‚Nathan‘, ver­wechs­le das nicht! Und Chri­stus, Got­tes Weis­heit und Kraft: das bin Ich.“

Positives zum Konzil und seiner Rezeption

Tücks Arti­kel in der Neu­en Zür­cher lebt ja nun nahe­zu davon, daß er – in Wider­spruch zu Kar­di­nal Brand­mül­ler – die Gra­du­ie­rung der Ver­laut­ba­run­gen des Zwei­ten Vati­ka­nums nach ihrer for­ma­len Ver­bind­lich­keit para­ly­siert. Er selbst ver­weist auf den pasto­ra­len Cha­rak­ter des Kon­zils. Es muß ihm da wider­spro­chen wer­den. Hier gilt durch­aus „con­ci­li­um sui ipsi­us inter­pres“ („das Kon­zil ist sein eige­ner Inter­pret“). Zum einen ist die Fra­ge nach der for­ma­len Ver­bind­lich­keit eigens auf­ge­wor­fen wor­den und vom Gene­ral­se­kre­ta­ri­at in „Noti­fi­ca­tio­nes“ („Bekannt­ma­chun­gen“) dahin­ge­hend beant­wor­tet wor­den, daß (dies­seits des Gra­des „de fide“) die Aus­sa­gen des Kon­zils eben anzu­neh­men sind, wie es im Sin­ne des Kon­zils ist, wor­über der behan­del­te Gegen­stand und der Tenor der Lehr­vor­la­ge Aus­kunft gibt. Ent­spre­chend ist gleich­wohl ein gewich­ti­ger Unter­schied zu machen zwi­schen blo­ßen Erklä­run­gen einer- und den dog­ma­ti­schen Kon­sti­tu­tio­nen ande­rer­seits. Und auch inner­halb der Kon­sti­tu­tio­nen sind Unter­schie­de zu ver­zeich­nen. Die Deskrip­ti­on der kon­kre­ten Wei­se, wie sich die Kirch­lich­keit bzw. kirch­li­che Ver­mitt­lung der mög­li­chen Heil­s­er­rei­chung derer gestal­tet, denen ohne eige­ne Schuld die „vol­le Ein­glie­de­rung“ fehlt, näm­lich unter LG 15 u. 16, scheint mir ver­gleichs­wei­se nie­der­ran­gig anzu­sie­deln und des­halb kon­struk­ti­ver inhalt­li­cher Detail­kri­tik leich­ter zuführ­bar zu sein, näm­lich gegen­über der Hier­ar­cho­lo­gie, wie sie unter LG 18–27(/29) breit ent­fal­tet wird: Unter LG 18 Ende wird in einem Atem­zug das Papst­dog­ma von „Pastor aeter­nus“ förm­lich bestä­tigt und die Absicht bekun­det, in Fort­set­zung davon die Leh­re von den Bischö­fen „vor allen zu beken­nen und zu erklä­ren“ („coram omni­bus pro­fi­teri et declara­re“). Damit wird nicht alles glei­cher­ma­ßen ver­bind­lich gemacht (vgl. das „docet Sacra sive Sanc­ta Syn­odus“ unter den Num­mern 20 u. 21), jedoch die Höhe des Lehr­ge­gen­stan­des sei­ner Gesamt­heit nach mar­kiert. Mit Blick auf die Kol­le­gia­li­täts­leh­re, inzwi­schen ein klas­si­scher Stein des Ansto­ßes für die Tra­di­tio­na­li­sten, will ich damit denn auch wirk­lich nicht mei­ner­seits eine Hür­de mar­kie­ren. Viel­mehr: Ich bin der dezi­dier­ten Ansicht, daß zumal im Lich­te der berühm­ten „Nota expli­ca­ti­va praevia“ die bischöf­li­che Mit­trä­ger­schaft der höch­sten Gewalt, son­dern kon­sti­tu­iert sie: Der Papst behält die höch­ste Gewalt unab­hän­gig vom Kol­le­gi­um der Bischö­fe, wobei letz­te­res die­se Gewalt im Sin­ne einer wesens­mä­ßi­gen „Aus­wei­tung“ vom Pri­mat her mit­be­sitzt. – Für die­se Sicht gibt es, wor­auf ich schon anders­wo hin­ge­wie­sen habe, Vor­bil­der in der Neu­scho­la­stik. Allem vor­an im Trak­tat „De eccle­sia Chri­sti“ von Kar­di­nal Lou­is Bil­lot (Tomus 3, Rom 1900, 91–95). Bemerkens¬werte Anklän­ge der spä­te­ren Leh­re des Zwei­ten Vati­ka­nums fin­den sich zum Bei­spiel schon bei Cle­mens Schr­a­der, der denn auch schon Erwä­gun­gen anstellt, die in Rich­tung auf die vom Kon­zil gelehr­te sakra­men­ta­le Rück­bin­dung der Bischofs­ju­ris­dik­ti­on in der Bischofs­wei­he wei­sen („De Cor­po­re Chri­sti mysti­co sive De eccle­sia Chri­sti the­ses“, hgg. von H. Schauf, Frei­burg 1959, 296–301). – Die Sa¬che mit der Kol­le­gia­li­tät etc. ist also tat­säch­lich ein illu­strer Anwen­dungs­fall für die „Her­me­neu­tik der Kon­ti­nui­tät und nicht des Bru­ches“. In der Tat steht hier eine (nahe­zu voll­stän­di­ge) Neu­re­zep­ti­on des Kon­zils an, die denn auch mit der Vor­stel­lung, das Kon­zil bie­te die ideo­lo­gi­sche Grund­la­ge für eine zen­tri­fu­ga­le Epi­skopal­po­li­tik, von Grund auf bricht.

Noch ein letz­tes: Im nach­kon­zi­liä­ren Kon­flikt zwi­schen Kon­zils­an­hän­gern – ich bezie­he mich her­bei auf die Lehr­amtstreu­en – und kon­zils­kri­ti­schen Tra­di­tio­na­li­sten, ja unter Umstän­den gar zwi­schen unter­schied­li­chen Nuan­cie­run­gen inner­halb des kon­zils­kri­ti­schen Tra­di­tio­na­li­sten­la­gers geht es nicht unwe­sent­lich auch um die Wah­rung zwei­er Ansprü­che: einer­seits der Trenn­schär­fe der über­lie­fer­ten Dok­trin, die denn auch nicht zur Ver­hand­lung ansteht bzw. anste­hen darf; ande­rer­seits der sach­ge­rech­ten Umschrei­bung der kom­ple­xen Ver­hält­nis­se. Und dies läßt sich schön ver­deut­li­chen am Bei­spiel des Ver­hält­nis­ses der heils­not­wen­di­gen Kir­che zu denen, die fak­tisch drau­ßen sind, wor­in ja auf „dem Kon­zil“ und noch in sei­ner Fol­ge viel gerun­gen wur­de. – Daß nun unter­schied­li­che theo­lo­gi­sche Ansät­ze, die legi­tim sind, hier ent­spre­chend unter­schied­li­che Akzen­te set­zen, ist nahe­lie­gend: hier aller Akzent auf der Deut­lich­keit der Grenz­zie­hung, dort viel Sinn für die Erfor­der­nis­se einer dif­fe­ren­zier­ten Anwen­dung. Wenn man will, kann man das, was man als „Inte­gra­lis­mus“ bezeich­net, als eine Hal­tung bestim­men, wel­che der­art exklu­siv die Wah­rung besag­ter Trenn­schär­fe im Auge hat, daß sie dafür die der Kom­ple­xi­tät geschul­de­ten Dif­fe­ren­zie­run­gen opfert, zumal wenn die­se Hal­tung von Emo­tio­nen und Ressenti¬ments getra­gen ist. „Libe­ra­lis­mus“ (in der Dok­trin) ent­steht dann, wenn die kom­ple­xe Deskrip­ti­on und Wür­di­gung, zum Bei­spiel derer „drau­ßen“, die dok­tri­na­len Grenz­zie­hun­gen opfert, um die sach­ge­mä­ße Anwen­dung der Dok­trin zu einem Lati­tu­di­na­ris­mus, der die Dok­trin längst ver­ges­sen hat, zu ver­fäl­schen. Der, bei der mensch­li­chen Begrenzt­heit schwer zu ver­mei­den­de, Ant­ago­nis­mus zwi­schen den oben ange­deu­te­ten legi­ti­mie­ren Akzen­tu­ie­run­gen läßt sich nun, was eben das Ver­hält­nis der Kir­che zu denen drau­ßen angeht, bis in die Neu­scho­la­stik zurück­ver­fol­gen. So bestimmt zum Bei­spiel Lou­is Bil­lot, ein Bei­spiel bester fran­zö­si­scher Clair­voy­an­ce, die Zuge­hö­rig­keit zur Kir­che unter der exklu­si­ven Dua­li­tät „in re – in voto“ („in der Sache – dem Wunsch nach“; in: De Eccle­sia Chri­sti I, the­ses 2, 10–14, Rom 1898, 108–129, 292–337): sobald ein Kri­te­ri­um „in re“ nicht ver­wirk­licht ist, liegt nur noch Mit­glied­schaft „in voto“ vor, auch bei Getauf­ten. Johann Bap­tist Fran­ze­lin for­mu­liert nicht die expli­zi­te Gegen­the­se. Da er jedoch grund­le­gend zwi­schen der Zuge­hö­rig­keit zur Kir­che ein­fach­hin und im inte­gra­len Sin­ne („sim­pli­ci­ter et ex inte­gro“) und der Zuge­hö­rig­keit (oder dem Bezug) zu ihr „gemäß etwas“ und im par­ti­el­len Sin­ne („secund­um quid et ex par­te“) unter­schei­det, eröff­net ihm dies die Mög­lich­keit, gera­de die Stel­lung der getauf­ten Nicht­ka­tho­li­ken ein­ge­hen­der zu wür­di­gen: Die bloß mate­ri­el­len Häre­ti­ker sind kraft ihrer Tau­fe Glie­der der Kir­che im Urteil Got­tes, wenn­gleich nicht im „forum exter­num“ der Kir­che (De Eccle­sia Chri­sti, the­sis 23, Rom 1887, 402–423). Und aus­drück­lich gibt er sich Rechen­schaft dar­über, wie schwer es ist, die Gren­zen für ein unüber­wind­li­ches (und so ent­schuld­ba­res) Nicht­wis­sen zu zie­hen, um sich dazu auch auf Papst Pius IX. sel­ber beru­fen zu kön­nen (ibd., 406). Es scheint eben, daß die Sicht Fran­ze­lins stär­ker von der Geschich­te und den Ver­hält­nis­sen des Vol­kes sei­ner Mut­ter­spra­che bestimmt war: als Deutsch­spra­chi­ger wuß­te man eben, daß es da, und sei es jen­seits der eige­nen Her­kunfts­re­gi­on, auch noch „die Luthe­ri­schen“ o.ä. gibt, wuß­te man um eine Bikon­fes­sio­na­li­tät, die fak­ti­sche Selbst­ver­ständ­lich­keit war. Wäh­rend nun die Deskrip­ti­on Bil­lots im kurz ange­bun­de­nen „reap­se“ („zu den Glie­dern der Kir­che sind tat­säch­lich /​ in Wahr­heit allein die­je­ni­gen zu zäh­len“) von „Mysti­ci Cor­po­ris“ (DS 3802) einen deut­li­che­ren Anhalt fin­det, kann man im „ple­ne incor­poran­tur“ („jene wer­den der Gemein­schaft der Kir­che voll ein­ge­glie­dert“) von LG 14 ein Echo auf die Dar­stel­lung bei Fran­ze­lin erken­nen. (Man beach­te auch, daß dem „ple­ne incor­pora­ri“ unter LG 14 gera­de kein aus­drück­li­ches „par­tia­li­ter incor­pora­ri“ unter LG 15 ent­spricht). – Man mag nicht zu Unrecht fra­gen, ob der Ver­zicht auf Fran­ze­lins „sim­pli­ci­ter“ im Kon­zils­text nicht schon Gefah­ren für besag­te „Trenn­schär­fe“ birgt; das grö­ße­re Pro­blem ist jedoch das oben benann­te: daß die dif­fe­ren­zier­te Beschrei­bung der mög­li­chen Heils­er­lan­gung durch Kir­chen­be­zug mit Blick auf die­je­ni­gen, die schuld­los (ein­fach­hin) drau­ßen sind, nicht kon­zer­tiert ist durch eine eben­so nach­drück­lich beton­te (objek­ti­ve) Heils­ge­fähr­dung für die letzt­ge­nann­te Personengruppe.

Damit will ich für eines gewor­ben haben: Auch im Rah­men eines zu erhof­fen­den offe­ne­ren Dis­kur­ses über das Kon­zil möge man die legi­ti­me theo­lo­gi­sche Viel­falt nicht über­se­hen. Der berech­tig­te Rück­griff auf die Tra­di­ti­on darf nicht zu pla­ka­ti­ven Ent­ge­gen­set­zun­gen ver­lei­ten, die in der Tra­di­ti­on, so wie sie sich in der theo­lo­gi­schen Refle­xi­on bei unver­däch­ti­gen Ver­tre­tern dar­stellt, in Wahr­heit kei­nen Anhalt haben. Sowohl die­je­ni­gen, die alles Gewicht auf die Trenn­schär­fe legen, um der Dif­fe­ren­zie­rung weni­ger zuge­neigt zu sein, um somit durch den Abgrund des „Integralismus„gefährdet zu sein, als auch die­je­ni­gen, die stär­ker auf die kom­ple­xe Deskrip­ti­on set­zen, die im Gegen­zug den Abgrund des „Libe­ra­lis­mus“ oder „Lati­tu­di­na­ris­mus“ vor Augen haben müs­sen, haben Platz im Rin­gen um die Wahr­heit, solan­ge sie alle unzwei­deu­tig und vor­be­halt­los die über­lie­fer­te Glau­bens­re­gel („regu­la fidei“) aner­ken­nen und deren für alle gel­ten­des Richt­maß so kon­se­quent aner­ken­nen, daß sie hier­bei nicht ihren eige­nen Eifer damit verwechseln.

„Ut omnes unum sint – daß sie alle eins sei­en“ (Joh 17,21), kann man da nur wün­schen. Eins in der hei­li­gen­den Wahr­heit, in der sie allei­ne eins sein kön­nen, aber auch um der Wahr­heit wil­len, damit die­se durch gemein­sa­mes Rin­gen im Bewußt­sein des­sel­ben apo­sto­li­schen Maß­sta­bes um so kla­rer hervortrete:

„Und Ich habe die Klar­heit, die Du mir gege­ben hast, ihnen gege­ben, damit sie eins sind, wie Wir eins sind; Ich in ihnen, und Du in mir, damit sie voll­endet sei­en auf eines hin: damit die Welt erken­ne, daß Du mich gesandt hast und sie geliebt hast, wie du mich geliebt hast.“ (Joh 17,22sq.).

Dr. theol. Klaus Oben­au­er ist Pri­vat­do­zent an der Katho­lisch-theo­lo­gi­schen Fakul­tät der Uni­ver­si­tät Bonn.

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1 Kommentar

  1. Oben­au­er betont zu Recht: Nur in der Treue zum apo­sto­li­schen Glau­ben liegt der Schlüs­sel zu wah­rer Reform der Kirche.
    Auch kirch­li­che Ein­heit ist nur dort mög­lich, wo man sich offen und ehr­lich die­sem apo­sto­li­schen Anspruch und Auf­trag der Kir­che stellt.

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