Alessandro Gnocchi und Mario Palmaro führten für die Tageszeitung „Il Foglio“ ein Interview mit Don Nicola Bux, Jahrgang 1947, Theologe, Liturgiker, Consultor des Amtes für die Liturgischen Feiern des Papstes und Consultor der Glaubenskongregation, das heute veröffentlicht wurde. Don Bux gilt als dem Papst „sehr nahestehend“. Im März 2012 sorgte er mit einem Brief an den Generaloberen und die Priester der Priesterbruderschaft St. Pius X. für Aufsehen, in dem er sie aufforderte, die ihnen von Papst Benedikt XVI. entgegengestreckte Hand zu ergreifen.
Aufmerksame Beobachter haben daraus geschlossen, daß der Papst die Versöhnung mit Nachdruck wünscht.
Diese Schlußfolgerung ist richtig und zugleich ungenau. Sie ist richtig, weil Benedikt XVI. diese Versöhnung will und überzeugt ist, daß es keine andere denkbare Lösung für die von Monsignore Lefebvre gegründete Bruderschaft geben kann. Sie ist ungenau, wenn man ihr eine politische Bedeutung beimißt. Dem Denken dieses Papstes liegt nichts ferner. Ratzinger ist ein Mensch, der nicht in kirchenpolitischen Kategorien denkt und handelt. Deshalb wird er oft mißverstanden. Dies gilt umso mehr in der Frage der Priesterbruderschaft St. Pius X. Für ihn geht es nur um die endgültige und vollständige Heimkehr vieler seiner Söhne und Töchter, die Gutes für die Kirche leisten werden können.
Deshalb hinken bestimmte Lesarten sowohl von rechts als von links, aber es wird nicht leicht sein, sie selbst im Inneren der Kirche zu entschärfen.
Wie sollte sich ein Katholik einer Entwicklung wie der Versöhnung zwischen dem Heiligen Stuhl und der Priesterbruderschaft St. Pius X. stellen?
Es ist notwendig, aufmerksam zu lesen, was Benedikt XVI. am 10. März 2009 in seinem „Brief an die Bischöfe“ schrieb, um ihnen die Gründe für den Nachlaß der Exkommunikation für die vier von Monsignore Levebvre geweihten Bischöfe zu erklären. „Kann uns eine Gemeinschaft ganz gleichgültig sein, in der es 491 Priester, 215 Seminaristen, 6 Seminare, 88 Schulen, 2 Universitäts-Institute, 117 Brüder und 164 Schwestern gibt? Sollen wir sie wirklich beruhigt von der Kirche wegtreiben lassen? […] Was wird dann werden?“
Hier sehen wir das Herz Benedikt XVI. Ich denke, wenn viele Männer der Kirche nach diesem Herzen handeln würden, könnten sie nicht anders, als sich über den positiven Abschluß dieser Angelegenheit freuen.
Vielleicht rührt der Widerstand gegen den Willen Benedikt XVI. daher, daß viele eine Versöhnung mit den Lefebvrianern mit einer Desavouierung des Zweiten Vaticanums gleichsetzen.
Das erste „Abkommen“, wenn wir es so nennen wollen, erfolgte auf dem Konzil von Jerusalem zwischen dem heiligen Petrus und dem heiligen Paulus. Daher ist die Debatte, solange sie zum Wohl der Kirche geführt wird, nicht so skandalös.
Eine weitere Feststellung: Jene, die das Zweite Vatikanische Konzil von der Geschichte der Kirche isoliert und im Widerspruch zu dessen eigenen Absichten überbewertet haben, sollten sich nicht als Kritiker aufschwingen zum Beispiel des Ersten Vatikanischen Konzils oder des Konzils von Trient. Es gibt jene, die behaupten, die Dogmatische Konstitution Dei Filius des Ersten Vatikanischen Konzils sei durch die Dogmatische Konstitution Dei Verbum des Zweiten Vatikanischen Konzils verdrängt und ersetzt worden. Das ist Phantatheologie.
Mir scheint hingegen jene eine gute Theologie, die sich die Frage nach dem Wert der Dokumente, ihrer Lehre und ihres Sinngehalts stellt. Beim Zweiten Vatikanischen Konzil gibt es Dokumente von unterschiedlicher Bedeutung und daher auch von unterschiedlicher verbindlicher Kraft, die verschiedene Grade der Diskussion zulassen. Der Papst sprach 1988, als er noch Kardinal Ratzinger war, von der Gefahr, das Zweite Vaticanum in ein „Superdogma“ zu verwandeln. Nun hat er mit der „Hermeneutik der Erneuerung in der Kontinuität“ einen Maßstab geliefert, um die Frage der Bewertung anzugehen und nicht um sie zu abzuschließen. Man sollte nicht päpstlicher als der Papst sein. Die Konzile, alle Konzile und nicht nur das Zweite Vaticanum, sind im Gehorsam anzunehmen, aber man kann mit Intelligenz jene Teile, die zur Glaubensdoktrin gehören, von jenen unterscheiden, die zu kritisieren sind. Nicht zufällig hat Benedikt XVI. das „Jahr des Glaubens“ angekündigt. Der Glaube ist der Maßstab, um das Leben der Kirche zu begreifen.
Was haben wir als Katholiken, wenn wir unser Herz fügsam mit jenem Benedikts XVI. schlagen lassen, von der endgültigen Versöhnung zwischen Rom und der Priesterbruderschaft St. Pius X. zu erwarten?
Sicher nicht die Revanche einer Gruppe über eine andere, sondern einen Fortschritt im Glauben und in der Einheit, die das einzige Zeugnis sind, damit die Welt glaubt. Welchen Sinn hätte der Dialog mit Atheisten, Agnostikern und sogenannten „Andersgläubigen“, wenn man sich nicht über die Versöhnung mit den Brüdern im Glauben freuen würde? Unser Herr hat es uns gelehrt: Es ist nicht der Dialog mit der Welt, der die Welt bekehren wird, sondern unsere Fähigkeit einig zu sein. In dieser Zeit komme ich immer wieder auf ein Gebet von Kardinal Newman zurück:
„O Herr Jesus Christus, Du hast am Vorabend Deines Leidens für alle Deine Jünger bis zum Ende der Zeit gebetet, daß sie eins bleiben möchten, wie Du im Vater bist und der Vater in Dir. Schau erbarmungsvoll herab auf die vielen Spaltungen unter denen, die Deinen Glauben bekennen, und heile die zahlreichen Wunden, die Menschenstolz und die Macht der Hölle Deinem Volk geschlagen haben! Reiße nieder die Wälle der Trennung, welche die Christen in Parteien und Sekten scheiden. Sieh barmherzig die Seelen an, die in einer nicht von Dir, sondern von Menschen gegründeten Gemeinschaft geboren sind! Befreie sie von diesen falschen Formen der Gottesverehrung und führe alle in die eine Gemeinschaft, die du von Anfang eingesetzt hast, die heilige katholische und apostolische Kirche! Erleuchte alle Menschen mit der Erkenntnis, daß der Stuhl des heiligen Petrus, die Kirche von Rom, Fundament, Mittelpunkt und Werkzeug der Einheit ist! Öffne ihre Herzen für die längst vergessene Wahrheit, daß unser Heiliger Vater, der Papst, Dein Diener und Stellvertreter ist und daß sie dir gehorchen, wenn sie in Sachen der Religion ihm Gehorsam leisten, so daß es wie oben im Himmel nur eine Gemeinschaft gibt, die Deinen heiligen Namen bekennt und verherrlicht.“
Text: Il Foglio
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Continuitas