(Vatikan) „Gabriels Offenbarung“ wird seit dem 30. Februar in der faszinierenden Ausstellung Verbum Domini im Vatikan gezeigt. Bei der Steintafel handelt es sich um einen als „außergewöhnlich“ bezeichneten archäologischen Fund, der im Jahr 2000 am Ostufer des Toten Meers gemacht wurde. Am Westufer waren mehr als 50 Jahre zuvor bereits die berühmten Schriftrollen von Qumran gefunden worden. Der Fund wurde von David Jeselsohn, einem Zürcher Bankier und Antiquitätensammler erworben und ist Teil seiner Privatsammlung. Der Fund besteht aus einer 93 Zentimeter hohen und 37 Zentimeter breiten Steintafel. In zwei Spalten finden sich auf ihr Inschriften in Aramäisch, der Sprache Jesu. Der Fund ist neu und Untersuchungsergebnisse sind daher noch mit Vorbehalten zu betrachten. Jüdische Fachleute kamen zum Schluß, daß der Text der Steintafel sich auf Ereignisse um die Zeit von Jesu Geburt beziehen. Die Tafel selbst, so die wahrscheinlichste Annahme, dürfte in der Zeit um 100 nach Christus entstanden sein. Die Inschrift umfaßt 87 Zeilen.
Steintafel mit aramäischer Inschrift aus der Zeit um 100 nach Christus
Die erste Textspalte berichtet vom eschatologischen Krieg. Wenn Jerusalem belagert werde, sendet Gott ein Zeichen durch den Messias, mit dem er die Vernichtung des Antichristen und der Mächte des Bösen ankündigt. In der zweiten Spalte erklärt Gott, daß die Märtyrer durch ihr Blut Eingang in den Himmel finden werden. Die Rede ist dann von drei von Gott gesandten „Anführern“, die im Kampf fallen werden. Am Ende befiehlt der Erzengel Gabriel seinem Gesprächspartner ins Leben zurückzukehren.
In den Zeilen 80–81 der zweiten Spalte sagt der Erzengel Gabriel zur Person, an die er sich wendet: „In drei Tagen lebe. Ich, Gabriel, befehle es Dir, Fürst der Fürsten, Mist in der Felsschlucht.“ So zumindest die Auslegung des israelischen Bibelforschers Israel Knohl. Mit dem „Prinz der Prinzen“ sei Simon gemeint, einer der Revolutionäre, die nach dem Tode des Herodes, im Jahr 4 vor Christus die Unabhängigkeit Israels von der römischen Herrschaft forderten. Laut dem jüdischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus (Jüdischer Krieg 2,4,2) wurde Simon am Abgrund einer Schlucht getötet. Seine Leiche stürzte, so eine Annahme, wahrscheinlich in die Felsschlucht und verweste dort, was sich auf den Mist, die Fäulnis beziehe. Auf der „Jeselsohn-Steintafel“ würde sich Gabriel an diesen Aufständischen wenden und ihm ankündigen, daß er nach drei Tagen wieder zum Leben erweckt würde.
Gab es einen „Messias“ vor dem Messias?
Die Ähnlichkeit mit dem christlichen Evangelium, allerdings in verzerrter Form, ist offensichtlich. Mit großer Aufmachung ging die „Sensation“ eines „Messias vor dem Messias“ um die Welt. Journalisten aller wichtigen Medien angefangen von der New York Times schrieben, daß der „Messias bereits vor dem Messias“ dagewesen sei. Das größte Interesse an Knohls Sensationsinterpretation zeigten jüdische Medien und Internetblogs.
In Matthäus 27,63 erinnern die Pharisäer den römischen Statthalter Pontius Pilatus daran, daß Jesus gesagt habe: „Nach drei Tagen werde ich auferstehen.“ Der Unterschied zur Steintafel liegt darin, daß Jesus im Evangelium diese Worte auf sich selbst, den menschgewordenen Gottessohn bezog, auf der Steintafel sie Gabriel auf einen Menschen bezieht. Letztlich alle anderen Wissenschaftler, die bisher die Steintafel untersuchen konnten, bezweifeln Knohls Übersetzung oder lehnen sie ab. Zu den Kritikern zählen neutestamentliche Exegeten wie Victor Sassen und Ben Witherington. Es geht dabei um das Wort „lebe“. Die Stelle auf der Tafel ist faktisch unleserlich. Nach wissenschaftlichen Maßstäben muß sie unübersetzt bleiben. Knohls gewagter Schritt scheint die Sensation gesucht zu haben, die zudem weitreichende, ja revolutionäre religionsgeschichtliche Auswirkungen hätte.
Zweifel an Übersetzung, die antichristliche Haltung des Talmud „bestätigt“
Wäre der Text authentisch und würde, wie Knohl meint, bereits um Christi Geburt entstanden sein, also vor Jesu Kreuzigung, dann wäre seine Prophezeiung über seine Auferstehung am dritten Tag wenn nicht ad absurdum geführt, so zumindest relativiert. Der Messias-Anspruch von Jesus wäre nur mehr einer unter anderen, die zur selben Zeit denselben Anspruch erhoben und mit denen Anhänger oder Nachgeborene eine Auferstehung von den Toten in Verbindung brachten.
Die Auferstehung am dritten Tag wäre nicht mehr einzigartig. Eine solche Relativierung des Messias-Anspruches und der Gottessohnschaft von Jesus Christus entspricht der Haltung des talmudischen Judentums, wie es ab dem 2. nachchristlichen Jahrhundert schriftliche Form annahm.
Das Evangelium, das von einem Teil des damaligen Judentums angenommen wurde, jenem Teil, der die Epiphanie, den Einbruch Gottes durch seinen menschgewordenen Sohn in die Weltgeschichte erkannte und anerkannte, wurde von der Mehrheit des Judentums abgelehnt und radikal verworfen, indem sie den Messias schließlich sogar zum Tode verurteilten und kreuzigen ließen. Die Folge war eine blutige Christenverfolgung durch die Juden.
Wäre Knohls Einfügung des Wortes „lebe“ echt, und nicht „schau“, wie mit großem Vorbehalt ein anderer Wissenschaftler als weit wahrscheinlich nannte, dann wäre die Jeselsohn-Steintafel eine Variante jener jüdischen Parodie von Christus und des Christentum. Die Tafel wäre dann Beleg, wie bekannt das Evangelium auch unter den antichristlichen Juden des 1. Jahrhunderts nach Christus bereits war. Die Inschrift ließe die Beeinflussung durch die das Evangelium verkündenden Christen erkennen, die ja im Heiligen Land zum größten Teil selbst Juden waren. Im Kampf gegen Christus und das Christentum wird Jesu Prophezeiung jedoch parodiert und verzerrt, indem sie auf einen jüdischen Anführer umgelegt wird, den man natürlich aus jüdischer Sicht nicht ernsthaft zum „Messias“ erhob, aber gleichzeitig den Messias, Christus, herabsetzte.
Beweist die Steintafel die Authentizität der Jesus-Prophezeiung seiner Auferstehung?
Zu viele Fragen zum Fund aus dem Jahr 2000 sind noch ungeklärt. Manch voreilige wissenschaftliche These behindert nicht selten den eigentlichen Erforschungsprozeß. Die jüdische Verzerrung – immer vorausgesetzt, daß die Steintafel überhaupt echt ist, um 100 nach Christus entstand und die umstrittene Inschrift im Sinne Knohls zu lesen wäre – wäre dann ein Beweis für die Authentizität der Vorhersage, die Jesus über sich selbst machte, da nur sie Quelle und Anregung für diese parodistische Nachahmung sein könnte. Es konnten nicht die frühen Christen gewesen sein, die nachträglich die Jesus-Prophezeiung seiner Auferstehung von den Toten am dritten Tagen erfunden hatten. Eine solche „Erfindung“ hätte das Judentum nicht bewegt und schon gar nicht zur Nachahmung durch die Übernahme der Formulierung veranlaßt.
Geschichtliche Echtheit der Evangelien durch faszinierende Funde im Heiligen Land bestätigt
Im Heiligen Land werden immer wieder archäologische Funde gemacht, die die geschichtliche Authentizität der Evangelien belegen. So zum Beispiel das Haus des Apostels Petrus in Kapharnaum, dessen Reste heute gut sichtbar unter einer Glasplatte in der darüber errichteten Kirche bestaunt werden können. Ein Haus, in dem Jesus zu Gast war (Mk 1,29–31). Ebenso die Grabeskirche in Jerusalem, die sich auf dem gesamtem Gebiet der Hinrichtungsstätte auf Golgatha, wo Jesus gekreuzigt wurde und starb und dem nahen Grab, in dem er beigesetzt und am dritten Tag von den Toten auferstanden ist, befindet. Funde wie die Jeselsohn-Steintafel liefern interessante Aufschlüsse, die direkt aus der unmittelbaren Zeit, in der Christus auf Erden war, stammen und Einblick in den zeitgenössischen kulturellen und sprachlichen Kontext gewähren. Was sie erhellen, ist zuweilen etwas ganz anderes, als zunächst vermutet.
Für Ausstellung wurden Grotten von Qumran nachgebaut
So scheint heute auch diese Steintafel, die von ihren jüdischen Auftraggebern und Anfertigern sicher nicht so gedacht war, ein Beweis dafür und eine Erinnerung daran, daß das Wort Gottes Mensch geworden und in die reale Geschichte der Welt eingetreten ist. Die Ausstellung zeigt die Jeselsohn-Steintafel dem modernen Publikum, dem sie noch so gut wie unbekannt oder mehr durch reißerische, antichristliche Verzerrungen bekannt ist. Bei der hochinteressanten Ausstellung im Vatikan können auch eine Rekonstruktion der Grotten von Qumran und zahlreiche kostbare Fundstücke und Dokumente bestaunt werden.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican Insider