Altar und Kreuz: Ort, Haltung und Richtung des Gebets


von Ste­fan Heid

Anzei­ge

Im Vati­kan und in den päpst­li­chen Basi­li­ken Roms (frü­her „Patri­ar­chal­ba­si­li­ken“) gibt es seit weni­gen Jah­ren die Rege­lung, ein Stand­kreuz mit­tig auf die Hoch- bzw. Volks­al­tä­re zu stel­len. Es wer­den kei­ne Anga­ben über Art und Grö­ße der Kreu­ze gemacht. Die Umset­zung die­ses Wun­sches geschah in der Regel sach­ge­recht, indem man ein Hoch­kreuz mit dem Kor­pus zum zele­brie­ren­den Prie­ster hin auf­stell­te, so dass er zum Gekreu­zig­ten auf­blicken kann. Ein sol­cher Wunsch, der eigent­lich eine Selbst­ver­ständ­lich­keit aus­spricht, mag über­ra­schen. Aber in Rom war seit vie­len Jah­ren die Unart ein­ge­ris­sen, das Kreuz an die Alta­recke zu rücken, damit es nicht „stö­re“ und man beson­ders bei Papst­mes­sen eine „fern­seh­ge­rech­te“ Lit­ur­gie habe. Die­ser Spuk ist nun vorbei.

Das Kreuz ist die Mit­te des Heils und lit­ur­gi­schen Han­dels. Es muß gewiß mit dem Altar in Stil und Pro­por­ti­on har­mo­nie­ren, darf aber auf kei­nen Fall nied­rig sein. Das Kreuz soll stö­ren! Der Prie­ster soll es nicht „über­se­hen“! Aber dann, so sagt man, wer­de eine Bar­rie­re wie eine Iko­no­sta­se zwi­schen Kle­rus und Got­tes­volk gescho­ben. Ein Schein­ar­gu­ment, denn nicht ein­mal das rie­si­ge Altar­kreuz im Peters­dom ver­stellt den Blick. Die Gläu­bi­gen schau­en in den wenig­sten Kir­chen fron­tal auf den Altar, son­dern befin­den sich seit­lich und kön­nen so am Kreuz vor­bei auf den Prie­ster schau­en. Zudem ver­sperrt das Kreuz umso weni­ger den Blick, je höher es ist. So wird es für alle zum geist­li­chen „Blick­fang“ (wenn es künst­le­risch hoch­ste­hend ist). Schließ­lich wen­det man noch ein, durch ein Altar­kreuz wer­de das Kreuz ver­dop­pelt, falls bereits ein sol­ches über oder hin­ter dem Altar hängt. Indes gilt das Kreuz auf dem Altar dem Prie­ster und muß mit dem Kor­pus zu ihm hin gerich­tet sein, wäh­rend die Gläu­bi­gen zu ihrem Kreuz über dem Altar aufschauen.

Gewis­se Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit Lit­ur­gie­krei­sen wird es wohl geben, wenn nun Pfar­rer dem römi­schen Brauch fol­gend wie­der das Altar­kreuz aus dem Schrank holen. Damit die Dis­kus­si­on aber nicht zu kurz­at­mig gerät, soll hier der grö­ße­re Zusam­men­hang her­ge­stellt wer­den, in dem die Sache steht. Es gibt näm­lich lit­ur­gi­sche Gewohn­hei­ten, die tat­säch­lich seit Jahr­hun­der­ten nicht mehr in der Tie­fe reflek­tiert wur­den. Ohne einen sol­chen Über­blick könn­te es aber leicht gesche­hen, daß noch so schö­ne lit­ur­gi­sche Anord­nun­gen zum unver­stan­de­nen For­ma­lis­mus verkümmern.

Über die Funk­ti­on des Kreu­zes auf dem Altar kann man vie­ler­lei Über­le­gun­gen anstel­len, man soll­te aber beim Grund­le­gen­den begin­nen: Der Altar ist zual­ler­erst Ort des Gebets, im Kir­chen­raum sogar der emi­nen­te Ort des Gebets. Denn am Altar voll­zieht sich die eucha­ri­sti­sche Opfer­hand­lung, und zwar in einem kon­ti­nu­ier­li­chen Gebets­strom: vom Gaben­ge­bet über den Kanon bis hin zum Vater­un­ser. Dar­in liegt ein ent­schei­den­der Unter­schied zum vor­aus­ge­hen­den Wort­got­tes­dienst, in dem die Ver­kün­di­gung domi­niert: Der Ambo ist streng genom­men kein Ort des Gebets; das Tages­ge­bet erfolgt bes­ser an der Sedi­lie. (Im usus anti­qui­or steht der Prie­ster immer am Altar und betet fast immer! Die Still­ge­be­te sind hier kei­ne Pri­vat­ge­be­te oder Pau­sen­fül­ler – im Sin­ne eines hor­ror vacui –, son­dern wol­len den Altar zum Ort des unab­läs­si­gen Gebets machen.)

Wenn man dies erkannt hat, so folgt dar­aus, daß der Prie­ster am Altar eine ande­re Hal­tung ein­nimmt als anders­wo. Hier steht er zual­ler­erst als Beter. Das Chri­sten­tum kennt eine defi­nier­te Gebets­hal­tung: Der Prie­ster muß dem­nach die Hän­de erhe­ben, aber auch – das ist fun­da­men­tal – die Augen. Hän­de- und Augen­er­he­bung gehö­ren untrenn­bar zum urchrist­li­chen Gebets­ge­stus, so wie ihn Jesus selbst aus sei­ner jüdi­schen Gebets­pra­xis her­aus geübt hat. (Dazu kommt noch das Ste­hen, das immer als die Grund­hal­tung des Beters anzu­se­hen ist, auch wenn das knien­de Beten – mit gleich­wohl erho­be­nen Hän­den und Augen! – genau­so urchrist­lich ist.) Seit dem Mit­tel­al­ter hat sich die christ­li­che Gebets­hal­tung der Hän­de- und Augen­er­he­bung etwas ver­flüch­tigt, indem nun nur noch der Prie­ster die Hän­de erhebt und zudem die Augen nur für weni­ge Momen­te erhebt, da er ja in der Regel die Gebe­te abliest und daher nicht auf­blicken kann. Er blickt unter ande­rem auf, wenn es im römi­schen Meß­ka­non bei der Kon­se­kra­ti­on heißt: „et ele­va­tis ocu­lis in coelum“: Jesus setz­te näm­lich die Eucha­ri­stie ein „mit zum Him­mel erho­be­nen Augen“. Selbst im ordo novus heißt die Rubrik an die­ser Stel­le: „Er (der Prie­ster) erhebt die Augen“. Da fragt man sich, wo der Prie­ster jetzt hin­schau­en soll: an die Kir­chen­decke? Damit der Prie­ster beim nach oben auf­blicken­den Gebet nicht ins Lee­re schaut, ist gera­de am Volks­al­tar ein Hoch­kreuz erforderlich.

Natür­lich ist ein Kreuz auf dem Altar vor den Augen des Prie­sters nicht nur für weni­ge Augen­blicke ange­mes­sen, son­dern gene­rell: daß der Prie­ster, wenn er am Altar steht und gleich­sam ohne Unter­laß zu Gott betet, auf sei­nen Sohn schaut, durch den er jede Bit­te und jede Prei­sung vorbringt.

Um die­sen Zusam­men­hang von Gebet und Kreuz noch bes­ser zu ver­ste­hen, hilft es, sich ganz all­ge­mein über die christ­li­che Gebets­hal­tung zu ver­stän­di­gen. Schon Jesus selbst und die frü­hen Chri­sten schau­ten beim Gebet auf: Man schau­te zum Him­mel als dem Thron Got­tes. Es gehört zu den Urka­te­go­rien mensch­li­chen Bewußt­seins, daß Gott oben, der Mensch unten ist. Dar­in drückt sich der Glau­be an den Schöp­fer- und Erlö­ser­gott aus.

Gott ist Schöp­fer: Die Welt ist kein Cha­os, son­dern von Gott geschaf­fen und geord­net. Es gibt ein oben und unten. Gott, der Schöp­fer, steht über sei­ner Schöp­fung. Die Bibel sagt: Auf dem Him­mel steht sein Thron, der Him­mel ist der Sche­mel sei­ner Füße. Schon die frü­hen Kir­chen­vä­ter erklär­ten, daß die Chri­sten beim Beten ste­hen: als freie Geschöp­fe Got­tes, die ihren Kopf auf­recht tra­gen und mit ihren Augen zu dem schau­en, der von sei­nem himm­li­schen Thron auf sie her­ab­schaut. Beten ist Spre­chen mit Gott. Es wäre unhöf­lich, nicht zu dem auf­zu­schau­en, mit dem man spricht. Im Auf­blick beim Gebet drückt sich somit die gan­ze Schöp­fungs­theo­lo­gie des Alten und Neu­en Testa­ments aus.

Und mehr noch: Der sün­di­ge Mensch ver­steckt sich vor Gott wie Adam und Eva im Gebüsch, der erlö­ste Mensch aber muß sei­nen Blick nicht ver­schämt sen­ken, son­dern darf froh und frei Gott ins Ange­sicht schau­en und „wagen“ zu spre­chen: „Vater unser, der du bist im Him­mel“. Er darf es „wagen“, weil Gott in Chri­stus Sohn gewor­den ist, der wirk­lich mei­nen darf, was er aus­spricht: „Vater“. Wir sind nur Geschöp­fe, aber pri­vi­le­gier­te Geschöp­fe, weil wir alle, ob Frau oder Mann, in Chri­stus gelieb­te Söh­ne des Vaters sind.

Es lag der frü­hen Kir­che nun gera­de dar­an, dies in der Gebets­hal­tung zum Aus­druck zu brin­gen, denn im Gebet, im Spre­chen mit Gott, neh­men wir unser Sohn­sein an. Auch im Kir­chen­raum bete­te man also in die­ser Wei­se. Weil aber im Kir­chen­raum der Blick zum himm­li­schen Thron Got­tes sozu­sa­gen durch Mau­ern ver­sperrt war, des­halb ver­such­te man fik­tiv den Blick auf den Him­mel frei­zu­ge­ben. Man hat oft die Apsis aus­ge­malt oder mit Mosai­ken ver­se­hen, wobei dann immer ein Stück Ster­nen­him­mel dar­ge­stellt wur­de: Das soll­te gewis­ser­ma­ßen die Wand auf­bre­chen zum Him­mel hin.

Die Prie­ster und Gläu­bi­gen, wenn sie bete­ten, schau­ten nach oben zur Apsis und sahen dort den Him­mel offen ste­hen. Die Gläu­bi­gen schau­ten gera­de nicht zum Altar und Zele­bran­ten, son­dern nach dro­ben. In die­sem Sin­ne muss­te das Kir­chen­ge­bäu­de immer aus­ge­rich­tet sein, also eine Rich­tung haben, in die alle gemein­sam schau­ten, und zwar nach oben. Im Auf­blicken bestand die Him­mels­rich­tung. Da, wo man zum (gemal­ten) Him­mel auf­blick­te, war Osten, die wirk­li­che geo­gra­phi­sche Ost­rich­tung war dem­ge­gen­über zweitrangig.

Nun war es immer schon klar, daß sich christ­li­ches Beten nicht ein­fach nur an Gott, son­dern durch Jesus Chri­stus an den himm­li­schen Vater rich­tet. Gera­de dadurch kommt das Kreuz als Ori­en­tie­rungs­punkt ins Spiel. So hat man in der frü­hen Kir­che nicht nur den Him­mel, son­dern auch das Kreuz in die Apsis gemalt oder jeden­falls an hoher Stel­le an der Apsis ange­bracht: Alle soll­ten beim Gebet zum Kreuz auf­blicken. Das anschau­lich­ste Bei­spiel hier­für ist die Apsis der aus dem 6. Jahr­hun­dert stam­men­den Kir­che Sant’Apollinare in Clas­se in Ravenna.

Die Pra­xis der Kir­che, ein Hoch­kreuz auf den Altar zu stel­len, wie es noch bis vor weni­gen Jahr­zehn­ten über­all selbst­ver­ständ­lich war, war lit­ur­gisch wie theo­lo­gisch wohl­be­grün­det. Es besteht auch nach dem II. Vati­ka­ni­schen Kon­zil kein Grund, Kreu­ze nur auf den wenig benutz­ten Sei­ten- und Wan­dal­tä­ren wie Requi­si­ten ste­hen zu las­sen, aber von den Volks­al­tä­ren weg­zu­neh­men oder auf die Sei­te zu rücken, im Gegen­teil: Der Altar ist Ort des Gebets: da gehört das Kreuz hin, und zwar erst recht auf dem Volks­al­tar. Der Altar ist Ort der Erhe­bung von Hän­den, Sinn und Augen, um auf den zu blicken, den sie durch­bohrt haben. Hier, im Sohn des Vaters, hat sich der Him­mel auf­ge­tan in jenem Augen­blick, als tie­fe Fin­ster­nis über der Erde lag: Die Son­ne der Gerech­tig­keit am Kreuz erhob sich in der Mit­te der Erde und mach­te unse­re Fin­ster­nis hell.

Nach dem bis­her Gesag­ten bleibt noch übrig, über die Erhe­bung der Hän­de beim Gebet zu spre­chen. In der Unzahl wis­sen­schaft­li­cher wie auch popu­lär-erbau­li­cher Ver­öf­fent­li­chun­gen über die Gebets­hal­tung fin­det sich kaum je ein Hin­weis auf das Erhe­ben der Hän­de. Die Autoren gehen stets von der Gebets­hal­tung der „nor­ma­len“ Gläu­bi­gen aus, die ihre Hän­de fal­ten. Immer­hin kann das Hän­de­fal­ten auf eine viel­hun­dert­jäh­ri­ge Geschich­te zurück­blicken. Und den­noch wird regel­mä­ßig ver­schwie­gen, daß die „eigent­li­che“ Gebets­hal­tung (heu­te nur noch) vom Prie­ster voll­zo­gen wird. Immer wenn er sagt: „Las­set uns beten“, erhebt er die Hän­de und spricht das Gebet.

In der frü­hen und mit­tel­al­ter­li­chen Kir­che war es so, daß beim Ruf „Las­set uns beten!“ alle Anwe­sen­den auf­stan­den und ihre Hän­de erho­ben. Seit der Neu­zeit fal­len hin­ge­gen die Gebets­hal­tung des Prie­sters und der Gläu­bi­gen aus­ein­an­der. Der „nor­ma­le“ Gläu­bi­ge kniet zwar oder steht beim Gebet, und er fal­tet die Hän­de, aber die urchrist­li­che Gebets­hal­tung, das Erhe­ben der Hän­de und Augen zum Him­mel, ist so sehr in Ver­ges­sen­heit gera­ten, daß man sie nicht mehr als Gebets­ge­stus emp­fin­det, son­dern für einen prie­ster­li­chen Son­der­ri­tus dunk­ler Her­kunft hält.

Wenn man einen Gläu­bi­gen fra­gen wür­de, was der Prie­ster denn da beim Gebet macht, und war­um er es macht, kämen wohl die unglaub­lich­sten Ant­wor­ten zustan­de, die noch dazu davon abhin­gen, wie der Prie­ster kon­kret die Hän­de hebt. Da gibt es vie­le und recht merk­wür­di­ge Mög­lich­kei­ten. Seit der Lit­ur­gie­re­form steht der Prie­ster in der Regel dem Kir­chen­volk gegen­über, und so muß die Gebets­hal­tung noch mehr auf­fal­len und zu Fra­gen Anlaß geben. Es gibt Prie­ster, die hal­ten die Hän­de ganz eng vor das Gesicht, gera­de­zu wie Scheu­klap­pen. Ande­re brei­ten weit die Arme aus. Wie­der ande­re schla­gen einen Mit­tel­weg ein. Dabei kann dann auch die Hän­de­hal­tung ganz unter­schied­lich sein: man zeigt die Hand­flä­chen nach vorn, als ob jemand „Hän­de hoch!“ geru­fen hät­te. Oder man dreht die Hand­flä­chen nach oben, als ob man prü­fen wol­le, ob es reg­net. Dann gibt es noch wie­der ande­re, die die Hand­flä­chen vor sich hal­ten, als ob sie in ihren Hand­flä­chen die Zukunft lesen woll­ten. Die mei­sten hal­ten ihre Fin­ger zusam­men und aus­ge­streckt, ande­re krüm­men die Fin­ger und wie­der ande­re sprei­zen und krüm­men sie, als ob sie an Gicht litten.

Sol­che Viel­stim­mig­kei­ten und Unge­reimt­hei­ten machen es den Gläu­bi­gen nicht leicht zu ver­ste­hen, was die­ses kom­man­do­ar­ti­ge Hän­de­he­ben des Prie­sters soll und wie es mit dem Gebet zusam­men­hängt, zumal sie sel­ber ohne eine sol­che Hal­tung beten. Die Prie­ster selbst schei­nen auch ahnungs­los zu sein, war­um sie das tun, denn jeder macht es anders. Es gibt momen­tan kei­ne gemein­sa­me Pra­xis der Gebets­hal­tung. Umso erstaun­li­cher ist es, daß man die Pra­xis an sich bei­be­hält, ohne zu wis­sen war­um. Es ist mir jeden­falls nie zu Ohren gekom­men, daß die Gebets­hal­tung des Prie­sters, die doch so eigen­tüm­lich ist und Außen­ste­hen­den genau­so wie Gemein­de­chri­sten selt­sam anmu­tet, in der Prie­ster­aus­bil­dung histo­risch beleuch­tet, prak­tisch durch­dacht oder gar zum Gegen­stand spi­ri­tu­el­ler Erwä­gun­gen gemacht würde.

Es scheint mir dies ein arges Defi­zit zu sein. Denn der christ­li­che Glau­be hat auf­grund sei­nes Inkar­na­ti­ons­be­kennt­nis­ses ein viel enge­res, bewuß­te­res Ver­hält­nis zum Kör­per als ande­re Reli­gio­nen. Das Gebet ist nicht blo­ße Inner­lich­keit, son­dern muß sich in der Gebets­hal­tung inkar­nie­ren, und umge­kehrt gibt die Gebets­hal­tung ganz ent­schei­den­de theo­lo­gi­sche und spi­ri­tu­el­le Impul­se, die jeden Tag neu hel­fen kön­nen, „rich­tig“ zu beten.

Das Wich­tig­ste wur­de dazu schon im Zusam­men­hang der Augen­er­he­bung gesagt. Die frü­hen Chri­sten beton­ten aus­drück­lich, daß der Mensch nicht wie die Tie­re auf allen Vie­ren kriecht, son­dern sich auf­rich­tet und sich so gewis­ser­ma­ßen schon durch sei­ne Kör­per­hal­tung dem Him­mel annä­hert. Der Mensch kann Gott erken­nen und zu ihm spre­chen. Daher stand man auf­recht, erhob die Hän­de und die Augen zum Him­mel. So ver­hielt sich jeder Beter, nicht nur der Priester.

Die Chri­sten über­nah­men ganz selbst­ver­ständ­lich die all­ge­mein übli­che spät­an­ti­ke Gebets­hal­tung. Sie beton­ten sogar die­se Kon­ti­nui­tät. Denn auch für sie war Gott im Him­mel. Für sie gab es ganz gewiß nur einen ein­zi­gen Gott, der Him­mel und Erde erschaf­fen hat. Ins­ge­samt läßt sich sagen, daß die Chri­sten die jüdisch-paga­ne Gebets­hal­tung unein­ge­schränkt akzep­tier­ten. Wich­tig war ihnen dar­an die Erhe­bung der Hän­de und Augen, weil Gott im Him­mel thront. Ledig­lich in der Fra­ge der Him­mels­rich­tung gab es gewis­se Dif­fe­ren­zen, auf die hier nicht ein­ge­gan­gen wer­den soll.

Wich­ti­ger ist ein ande­rer Aspekt, den die Chri­sten zwar aus all­ge­mein-spät­an­ti­kem Den­ken schöpf­ten, aber sehr bewußt in ihre Spi­ri­tua­li­tät des Gebets auf­nah­men: die Rein­heit der Hän­de. Was man heu­te eigent­lich nur noch von Mos­lems kennt, die Hän­de- und Gesichts­wa­schung vor dem ritu­el­len Gebet, ist kei­ne Erfin­dung der Mos­lems; die­se haben es viel­mehr im 7. Jahr­hun­dert aus der damals noch all­ge­mein ver­brei­te­ten christ­li­chen Gebets­pra­xis über­nom­men. Denn die Chri­sten wuschen sich immer vor dem Gebet zumin­dest die Hän­de. Dazu befand sich im Kir­chen­vor­hof ein Brun­nen. Im Atri­um von St. Peter in Rom etwa stand der berühm­te Pinienbrunnen.

Bei die­ser Waschung ging es nicht um „kul­ti­sche Rein­heit“ und sakra­le Tabus, son­dern um die Rein­heit und Lau­ter­keit des Gebets. Gera­de weil man beim Gebet die Hän­de zum Him­mel erhob, muß­ten sie rein sein. Denn man schau­te ja auch auf zum Him­mel und woll­te von Gott gese­hen wer­den. So zeig­te man Gott die gewa­sche­nen Hän­de zum Zei­chen dafür, daß an ihnen kein Blut kleb­te. Für den anti­ken Men­schen war der Him­mel das Rein­ste, was es über­haupt gab. Und nur rei­ne Hän­de durf­te man zum Him­mel erhe­ben, ohne zu fre­veln. Für die Chri­sten bekam dies eine emi­nent mora­li­sche Note. Die gewa­sche­nen Hän­de soll­ten zum Aus­druck brin­gen, daß hier einer mit rei­nem Gewis­sen vor Gott hin­trat: „Wer rei­ne Hän­de hat und ein lau­te­res Herz“, darf hin­auf­zie­hen zum Berg des Herrn, heißt es in einem jüdi­schen Wall­fahrts­lied auf dem Weg zum Tem­pel in Jeru­sa­lem (Ps. 24,4).

Damit erklärt sich auch die kon­kre­te Hän­de­hal­tung beim Gebet in der frü­hen Kir­che: Man hielt die Hän­de rela­tiv eng vor das Gesicht und wen­de­te dabei die Hand­flä­chen nach außen, so wie es im Domi­ni­ka­ner­ri­tus gebräuch­lich ist. Die enge Hal­tung hat­te sicher nicht nur prak­ti­sche Grün­de wegen der stoff­rei­chen Klei­dung, die man so in den Arm­beu­gen fest­klem­men konn­te, son­dern der Beter woll­te sel­ber sei­ne Hän­de sehen und gleich­sam sagen: Hier, Gott, sieh her auf mei­ne Hän­de! An ihnen klebt kein Blut und Unrecht. Und nur des­halb wage ich zu beten und mei­ne Stim­me zu dir zu erhe­ben. Johan­nes Chry­so­sto­mus redet sei­nen Gläu­bi­gen dies­be­züg­lich noch beson­ders in Gewis­sen, wenn er sagt, es genü­ge nicht, gewa­sche­ne Hän­de zu Gott zu erhe­ben, son­dern die­se Hän­de müß­ten auch gehei­ligt sein durch Wer­ke der Näch­sten­lie­be. So sol­le man nicht nur im Vor­hof der Kir­che zum Brun­nen gehen, son­dern auch den dort bet­teln­den Armen ein Almo­sen geben.

Aus dem Ritus der Hän­de­wa­schung aller Gläu­bi­gen ist wie­der­um heu­te nur noch der Prie­ster­ri­tus der Hän­de­wa­schung vor dem Hoch­ge­bet geblie­ben. Die Gläu­bi­gen waschen ihre Hän­de nicht mehr, denn sie erhe­ben ja auch nicht mehr ihre Hän­de zum Gebet. Statt­des­sen neh­men sie am Kir­chen­ein­gang Weih­was­ser zur Erin­ne­rung an die Tau­fe. Auch die­se Pra­xis dürf­te sehr alt sein, auch wenn sie kaum erforscht ist.

Sol­che Über­le­gun­gen haben gewiß auch heu­te noch ihren Sinn. Christ­li­ches Beten setzt rei­ne Hän­de vor­aus: Wer sich hand­greif­lich gegen sei­nen Näch­sten ver­sün­digt, sün­digt gegen Gott. Wer sich nicht mit sei­nem Näch­sten aus­söhnt, kann nicht zum Altar Got­tes tre­ten. Durch den Glau­bens­akt sind nicht wie mit einem Feder­strich alle ver­gan­ge­nen und künf­ti­gen Sün­den weg, son­dern immer neu schafft unser Tun Hin­der­nis­se auf dem Weg zu Gott. Daß dies auch unser Gebet frag­wür­dig und schwach macht, des­sen wird sich der Prie­ster immer neu bewußt wer­den, wenn er die Hän­de zum Gebet erhebt. Gera­de die­se unwill­kür­li­che Bewe­gung wird ihm zur Mah­nung und ern­sten Gewis­sens­er­for­schung: Was macht dich wür­dig, daß du allein die Hän­de zum Gebet erhe­ben darfst? Hast Du alles getan, um mit rei­nen Hän­den und lau­te­rem Sinn die Gaben und Bit­ten des Vol­kes vor Gott zu tragen?

Msgr. Prof. Dr. Ste­fan Heid ist Direk­tor des Römi­schen Insti­tuts der Görres-Gesellschaft
Bild: Altar­raums von S. Apol­li­na­re in Clas­se, Ravenna

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