(Mumbai) Vor wenigen Tagen wurde der Name von vielen Medien bekanntgemacht. Der Inder Mar George Alencherry, Großerzbischof der syro-malabarischen Kirche wird von Papst Benedikt XVI. am 18. Februar in den Kardinalsrang erhoben. Die wenigsten wissen jedoch etwas mit einer syro-malabarischen Kirche anzufangen. Im heiklen Gleichgewicht der mit Rom unierten orientalischen Kirchen erhielt der Sohn von Bauern aus Kerala beim vierten Konsistorium des regierenden Papstes den Vortritt vor Bechara Rai, dem maronitischen Patriarchen des Libanon.
Die Erhebung Kardinal Alencherrys bietet Anlaß, einen Blick auf eine der zahlreichen, weitgehend unbekannten Realitäten der katholischen Kirche zu werfen. Die Syro-Malabarer sind indische Christen der syrischen Tradition, die vor allem im Bundesstaat Kerala am Indischen Ozean leben. Sie werden auch als Thomaschristen bezeichnet, da sie nach ihrer Überlieferung vom Apostel Thomas evangelisiert wurden. Der Apostel soll im Jahr 52 nach Christus an die indische Westküste gelangt sein, wo er 20 Jahre später das Martyrium erlitten habe. In Chennai, wie Madras heute genannt wird, verehren die Syro-Malabaren noch heute sein Grab. Der so früh nach Indien gebrachte Glauben wurde später von syrischen Christen, den großen Missionaren des ersten christlichen Jahrtausends gefestigt. Die syrischen Missionare verbreiteten das Evangelium in einer geradezu atemberaubenden Missionsblüte über Persien nach Indien bis Südostasien und über Zentralasien bis in das Zentrum von China, wie die Stele von Xian (Stele von Sianfu) aus dem Jahr 781 noch heute bezeugt. Im Gegensatz zu vielen anderen Gemeinschaft, die durch verschiedene Ereignisse im Laufe der Geschichte wieder erloschen, schlug die christliche Gemeinde von Kerala tiefe Wurzeln. Als Jahrhunderte später im Gefolge des Seefahrers und Entdeckers Vasco da Gama der heilige Franz Xaver 1542 dorthin gelangte, mußte er zum Erstaunen der Europäer feststellen, daß dort der Glaube an Jesus Christus und die Kirche bereits vorhanden war, wenn auch nicht in der Form des lateinischen Ritus.
Noch heute stellt Kerala eine Ausnahme in Indien dar. Auf dem Subkontinent sind die Christen nach wie vor eine kleine Minderheit von zwei Prozent der Gesamtbevölkerung. Im Bundesstaat Kerala sind fast 20 Prozent der Bewohner Christen. Neben einer hinduistischen Mehrheit von etwa 56 Prozent und der moslemischen Minderheit von 25 Prozent, bilden die Christen eine starke Gemeinschaft, die fester Bestandteil des religiösen, sozialen und kulturellen Lebens des Staates sind. Die Erscheinungsform dieser Christen ist wenig europäisch. Die vergangenen 500 Jahre hindurch bemühten sich die Syro-Malabaren, sich verschiedenen Latinisierungsversuchen durch die portugiesischen Kolonialherren zu widersetzen. Das jahrhundertelange Ausharren in einer nichtchristlichen Umgebung und gegen den innerchristlichen Druck erklärt den besonderen Stolz auf ihre eigenständige Identität. Im Vergleich zu anderen indischen Bundesstaaten gestaltet sich in Kerala das Verhältnis mit den Hindus und Moslems verhältnismäßig problemlos. Die deutlichen christlichen Wurzeln des Staates werden auch in der höchsten Alphabetisierungsrate unter allen indischen Bundesstaaten sichtbar.
Kardinal Georges Alencherry ist erst seit wenigen Monaten Großerzbischof der syro-malabarischen Kirche. Er wurde im Mai 2011 von den malabarischen Bischöfen zum Nachfolger des im April verstorbenen Kardinals Varkey Vithayathil gewählt. Zum ersten Mal wählte die Kirche ihr Oberhaupt selbst, wie ihr der Heilige Stuhl 2004 durch Papst Johannes Paul II. gewährte. Und gleich kam es zu einer Überraschung. Alencherry, Bischof von Thuckalay in der Diaspora des Bundesstaates Tamil Nadu, wurde den Vertretern der Kurie vorgezogen. Der aus ärmsten Verhältnissen stammende neue Großerzbischof, der seine Studien am katholischen Institut in Paris absolvierte und heute das Oberhaupt von vier Millionen Gläubigen ist, besucht die Ärmsten der Armen in ihren Häusern.
Die syro-malabarische Kirche ist alles andere als ein Relikt einer großen, aber vergangenen Zeit. Sie erlebt vielmehr gerade heute eine neue Blütezeit. Kerala ist eine Auswanderungsland und so gelangen viele malabarische Christen in andere Staaten rings um den Indischen Ozean. Heute leben bereits 400.000 malabarische Christen auf der arabischen Halbinsel und entwickeln unter der Ägide rigoroser islamischer Rechtsordnungen neue Überlebenes- und Evangelisierungsstrategien. Die Bischöfe und Priester der syro-malabarischen Kirche sind die entscheidenden Bezugspunkte dieser Emigranten in einer fremden Umgebung und bemühen sich, deren orientalische Identität zu bewahren. 2009 erhielten sie die Erlaubnis in Katar eine syro-malabarische Kirche für 1300 Personen zu errichten. Auf der Synode für den Nahen Osten forderten sie mit Nachdruck auch für diese neue Diaspora ihre Zuständigkeit ein. Dem stehen die Widerstände der beiden Apostolischen Vikare für Arabien entgegen, die Sorge haben, daß die christliche Gemeinschaft, die ohnehin bereits unter teils prekären Bedingungen leben muß, geteilt und geschwächt würde. Es wird dem Vatikan die Entscheidung über die Frage zufallen.
Fest steht, daß die Thomaschristen am Anfang des 21. Jahrhunderts zu den unbekanntesten Gesichtern der katholischen Kirche gehören. Die sich um sie herum auftuenden Fragen rund um Identität, globale Dynamiken und Zeugnis geben für das Evangelium selbst dort, wo es unmöglich scheint, verschaffen ihnen neue Aufmerksamkeit. Kardinal Alencherry mag auch anders gekleidet sein als die anderen Mitglieder des Kardinalskollegiums, er bringt nicht nur eine jahrtausendealte christliche Tradition in den „Senat“ der katholischen Kirche ein, sondern auch mögliche Antworten auf aktuelle Herausforderungen unserer Zeit.
Text: Vatican Insider/Giuseppe Nardi
Bild: Vatican Insider