(Vatikan/Honduras) Das „Paraguay“-Syndrom befällt auch Honduras. Nach dem ehemaligen Bischof Fernando Lugo, seit 2008 Staatspräsident des südamerikanischen Staates Paraguay, ist nun der regierende Bischof von Santa Rosa de Copan, Msgr. Luis Santos Villeda, „versucht“, nach dem Amt des honduranischen Staatsoberhauptes zu greifen. Er wird als Präsidentsschaftskandidat des linken Flügels der Liberalen Partei von Honduras (PLH) in die Wahl um das höchste Staatsamt gehen.
Vor zwei Jahren, als das Land am Rand eines Bürgerkriegs stand, erklärte sich die honduranische Bischofskonferenz für neutral. Nun aber will der „rote Bischof“ Luis Santos Villeda selbst kandidieren. „Weil die Politik die Armen vernachläßigt“, begründet er seinen Schritt.
Die Ankündigung löste im Vatikan Alarm aus. Zu frisch ist noch die Erinnerung an den „Fall Lugo“ in Paraguay. Der Bischof der Diözese Santa Rosa de Copan gab inzwischen offiziell bekannt, daß er in den politischen Ring steigen werde und ersuchte ebenso offiziell Papst Benedikt XVI. um die Erlaubnis dazu. Die Antwort aus Rom steht noch aus.
Im November wird Msgr. Santos Villeda das 75. Lebensjahr vollenden. Laut Kirchenrecht muß er dann den Papst um Entbindung von seinem Amt bitten. Der mittelamerikanische Bischof will keinen Tag zögern, wie er dem Papst in einem Schreiben mitteilte, weil die Emeritierung seine zweite Karriere als Politiker freimache. Laut seinem eigenen Zeitplan soll unmittelbar nach der Entbindung von seinen Aufgaben als Diözesanbischof die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten des linken Flügels der Liberalen Partei von Honduras folgen. Der letzte Staatspräsident aus den Reihen der Liberalen war Manuel Zelaya, der 2009 amtsenthoben wurde, als er zum eigenen Nutzen die Verfassung des Landes brechen wollte.
2009: Verfassungsbruch, Staatsstreich, Gefahr eines Bürgerkriegs
2005 gewann Zelaya von der Liberalen Partei mit 49,9 Prozent der Stimmen die Präsidentschaftswahlen gegen den Herausforderer Porfirio Lobo Sosa von der Nationalen Partei, der 46,2 Prozent auf sich vereinen konnte. Während seiner Amtszeit näherte er sich Zelaya immer mehr der linksregierten Gruppe lateinamerikanischen Staaten wie Bolivien, Venezuela und Kuba an. Da ihm die Verfassung des Landes eine Wiederkandidatur untersagte, wollte er eine verfassungsgebende Versammlung wählen lassen, umm eine neue Verfassung verabschieden zu lassen, die seine Wiederwahl ermöglicht hätte. Die Liberale Partei zerfiel in einen linken und einen konservativen Flügel. Da der Oberste Gerichtshof und das Parlament sich dem Verfassungsbruch verweigerten, kam es im Juni 2009 zum Staatsstreich unter Führung von Roberto Micheletti vom liberalkonservativen Flügel. Zelaya wurde amtsenthoben und von einer Militäreinheit außer Landes geschafft.
Micheletti wurde geschäftsführender Präsident, bis im November 2009 Lobo Losa von der konservativen Nationalen Partei (PNH) mit 56 Prozent zum Staatspräsidenten gewählt wurde. Der Partido Liberal de Honduras gehört der Liberalen Internationalen an. Die 1890 gegründete Partei stellte die meiste Zeit die Präsidenten des Landes, zuletzt von 1982 bis 2009. Die Nationalpartei bestimmte von 1933 bis 1957 die Geschicke des Landes und wieder seit 2009.
„Kandidatur eines Kirchenvertreters bedeutet die Kirche ihrer Freiheit zu berauben“
„Die Kandidatur eines Vertreters der kirchlichen Hierarchie bei politischen Wahlen stellt ein Risiko und einen Fehler dar, wie ähnliche Vorfälle in Nikaragua und anderen Staaten Lateinamerikas belegen“, kommentierte Kardinal Achille Silverstrini, der frühere Außenminister des Vatikans.
Das Zweite Vatikanische Konzil legte wohlbegründet eine Trennung von weltlichem und geistlichem Bereich fest. Sich auf eine politische Seite zu schlagen, heißt die Kirche ihrer Freiheit zu berauben und ihres konstitutiven Charakters super partes zu sein und sich deshalb vorurteilsfrei an alle Teile der Gesellschaft wenden zu können.
Den Weg der Kirche ging Kardinal à“scar Andrés Rodràguez Maradiaga, der Erzbischof von Tegucigalpa: „In der institutionellen Krise, die Honduras erlebt, steht die Kirche an der Seite keiner Partei.“ Damit setzte der Primas den Aufruf von Papst Benedikt XVI. in die Tat um, den Weg des Dialogs und der Versöhnung zu gehen und den Konflikt zu überwunden, der zur Ausweisung des abgesetzten Präsidenten Zelaya führte. „Zwischen den Anhängern des früheren Regimes finden sich auch viele Katholiken, die guten Gewissens handeln, weil sie nicht über alle nötigen Informationen verfügen“, sagte der Kardinal. „Die Kirche kann sich auf keine Seite schlagen. Die Kirche sucht die Versöhnung, den Frieden und sie sucht vor allem eine Verständigung durch Dialog.“ Gemäß der Linie des Vatikans, ruft der Kardinal auf, dem Evangelium zu folgen, „das uns eindeutig sagt, daß der, der Gewalt ausübt, durch Gewalt umkommen wird und daß ein zerstrittenes Reich nicht vorwärts kommen kann. Wir müssen also die Einheit suchen in den Dingen, die wirklich essentiell sind“, so Kardinal Maradiaga.
Der frühere Vorsitzende der lateinamerikanischen Bischofskonferenz, der im Staatssekretariat des Vatikans wegen seiner besonnenen und weitsichtigen Art sehr geschätzt wird, ermahnt die politischen Parteien seines Landes: „Parteien können legal sein, sie können eine andere Sicht der Dinge haben, das allein rechtfertigt aber nicht, daß sie das Gesetz brechen können.“
Sowohl Kardinal Maradiaga als auch Bischof Santos Villeda gehören dem Orden der Salesianer an. Msgr. Santos Villeda empfing 1966 die Priesterweihe und wurde 1984 zum Bichof geweiht.
Wenn Bischöfe und Priester durch Politik „versucht“ werden
Für den Vatikan zeigt der Fall Santos Villeda, daß es in Lateinamerika, dem Kontinent der „Befreiungstheologie“ nach wie vor katholische Priester und Bischöfe gibt, die der „Versuchung“ erliegen, ihr Hirtenamt mit dem eines Politikers einzutauschen und damit Letzteres höher zu bewerten. Die Absicht scheint löblich und weckt beim ersten Hinhören sogar Sympathien. Kandidaturen sind als „Antwort“ auf die oft schreckliche Armut ganzer Bevölkerungsgruppen gedacht. Jenseits der Sozialromantik stößt jedoch jeder einzelne Fall die katholische Kirche vor eine Vielzahl von Problemen, angefangen beim Umgang mit der Person des Betroffenen selbst. Vor allem bedeutet jeder Hirte, der sich einbildet, in der Politik mehr zu erreichen denn als Hirte und daß die Politik gerade auf ihn als aktiven Politiker gewartet habe, einen Glaubwürdigkeitsverlust für die Kirche. In der Regel handelt der Vatikan deshalb schnell, sobald Kandidaturpläne bekannt werden.
Im Sommer 2009 entschied sich die honduranische Bischofskonferenz für den Weg des Dialogs als Lösung der schweren politischen und institutionellen Krise, in die das Land geraten war. Damals verurteilte Kardinal Maradiaga als Vorsitzender der Bischofskonferenz am 4. Juli 2009 in einer Fernsehbotschaft sowohl den Angriff des abgesetzten Staatspräsidenten Manuel Zelaya auf die Verfassung als auch dessen Ausschaffung aus dem Land. Die Erklärung der Bischöfe erfolgte nach Konsultationen mit den höchsten Staatsorganen und zahlreichen Organisationen der Zivilgesellschaft.
Einsatz der Kirche, um einen Bürgerkrieg zu verhindern
Die Bischöfe erkannten die Rechtmäßigkeit der damals handelnden Verfassungsorgane an. Ebenso, daß die demokratische Gewaltenteilung gewahrt und in vollem Umfang handlungsfähig war. Sie forderten gleichzeitig aber auch Aufklärung darüber, wie es zur Verschleppung des amtsenthobenen Präsidenten Zelaya durch ein Militärkommando kommen konnte. Laut Artikel 102 der Verfassung kann „ein honduranischer Staatsbürger weder ausgebürgert noch an ein fremdes Land ausgeliefert werden“.
In der dramatischen Fernsehbotschaft von 2009 forderte Kardinal Maradiaga seinen „Freund“ Zelaya auf, nicht nach Honduras zurückzukehren, um einen Bürgerkrieg zu vermeiden. „Ich weiß, daß Sie das Leben lieben. Ich weiß, daß Sie das Leben achten“, sagte der Kardinal damals. „Ihre Rückkehr ins Land zum jetzigen Zeitpunkt könnte in einem Blutbad enden. Bitte, bedenken Sie das jetzt, denn danach wird es zu spät sein.“
Die Unabhängigkeit der Kirche und ihr Eintreten für die verfassungsmäßige Ordnung brachte ihr Anerkennung und Ansehen, so daß internationale Institutionen Kardinal Maradiaga baten, seine Vermittlerrolle zwischen den verschiedenen Gruppen im Land fortzusetzen, damit eine neue Gesprächsgrundlage geschaffen und gewalttätige Zusammenstöße verhindert werden könnten.
Einseitige Parteinahme gefährdet den Versöhnungprozeß
Seit seiner Amtsenthebung im Juni 2009 versuchte Manuel Zelaya mehrfach, aber erfolglos ins Land zurückzukehren. Das Militär verweigerte seinem Flugzeug im Auftrag des Interims-Präsidenten Roberto Micheletti die Landung in der Hauptstadt Tegucigalpa. Bei Zusammenstößen zwischen seinen Anhängern und den Sicherheitskräften kamen damals mehrere Menschen ums Leben. Mindestens Hundert wurden verletzt.
Die Bischöfe, die sich „neutral“ erklärten, wurden damit zur wichtigsten vermittelnden Instanz zwischen den verfeindeten Parteien. Nun ist es genau einer von ihnen, der zwei Jahre danach, da Zelaya selbst nicht kandidieren kann, sozusagen an seiner Stelle für die Linke zum Staatspräsident gewählt werden soll.
Staatspräsident Lobo Sosa von Papst empfangen – Vatikan hält an Neutralität fest
Erst heute nahm Papst Benedikt XVI. zur Kenntnis, daß es in den internationalen Beziehungen von Honduras zu einer „Entspannung“ gekommen ist, wie ihm der amtierenden Staatspräsident Porfirio Lobo Sosa bei einer Audienz berichtete. In einer Stellungnahme des Vatikans wird die Anteilnahme des Papstes an der Lage in Honduras seit dem Staatsstreich bekräftigt, ohne jedoch für eine Seite Partei zu ergreifen.
Präsident Lobo Sosa, der anschließend mit Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone und dem Außenminster des Vatikans Kurienerzbischof Dominique Mamberti zusammentraf, lobte „den großen Beitrag der Kirche bei der Entwicklung seines Landes, vor allem im Erziehungs- und Gesundheitsbereich“. Er betonte, daß es wichtig sei „weiterhin die Versöhnung und das gegenseitige Verständnis, die Solidarität und den Frieden im Land zu fördern.“
Paraguays amtierender Staatspräsident Fernando Lugo, seit 1994 Bischof der Diözese San Pedro, wurde 2005 seiner Aufgaben als Diözesanbischof entbunden und im Juni 2008 unmittelbar nach seiner Wahl zum Staatsoberhaupt laiisiert. Der Vatikan hatte seine politischen Ambitionen abgelehnt und ihn aufgefordert, davon Abstand zu nehmen. Lugo gewann die Präsidentschaftswahlenals Kandidat des Mitte-links-Bündnisses „Patriotische Allianz für den Wandel“ mit 40,8 Prozent der Wählerstimmen.
Text: Vatican Insider/Giuseppe Nardi
Bild: Vatican Insider