Unerwartete Beschleunigung bei Annäherung zwischen Rom und Moskau – Protestanten im Abseits


(Vatikan/​Moskau) Ein Tref­fen zwi­schen Papst Bene­dikt XVI. und dem Ober­haupt der rus­sisch-ortho­do­xen Kir­che, Patri­arch Kyrill I., scheint in greif­ba­re Nähe gerückt. Vor weni­gen Tagen nahm der „Außen­mi­ni­ster“ des Mos­kau­er Patri­ar­chats, Metro­po­lit Hila­ri­on von Volo­ko­lamsk, direkt und ohne die übli­chen diplo­ma­ti­schen Ver­mitt­lungs­ka­nä­le mit dem Hei­li­gen Stuhl Kon­takt auf mit dem Ziel, die histo­ri­sche Begeg­nung zwi­schen den Ober­häup­tern der römisch-katho­li­schen und der rus­sisch-ortho­do­xen Kir­che mög­lich zu machen.

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Mos­kau leg­te durch die Inter­ven­ti­on von Metro­po­lit Hila­ri­on die Kar­ten auf den Tisch: Wenn der Vati­kan die „ukrai­ni­sche Fra­ge“ klä­re, kön­ne das Tref­fen zwi­schen dem Papst und dem Mos­kau­er Patri­ar­chen statt­fin­den. Seit Beginn des Pon­ti­fi­kats von Bene­dikt XVI. haben sich die Bezie­hun­gen zwi­schen Mos­kau und Rom deut­lich ver­bes­sert. Auf bei­den Sei­ten setzt sich immer stär­ker die Über­zeu­gung durch, gemein­sam anzu­ge­hen, was man als wich­tig­ste Pflicht der Chri­sten in Euro­pa betrach­tet: die Neue­van­ge­li­sie­rung aller, die dem Glau­ben fern­ste­hen. Jene Neue­van­ge­li­sie­rung, für die Papst Bene­dikt XVI. ein eige­nes „Mini­ste­ri­um“ an der römi­schen Kurie errich­tet hat.

Die Ukrai­ne als „letz­te“ Hürde?

Auf dem Weg zum Tref­fen zwi­schen dem Papst und dem Patri­ar­chen der zah­len­mä­ßig bedeu­tend­sten ortho­do­xen Kir­che mit zahl­rei­chen histo­ri­schen Impli­ka­tio­nen reli­giö­ser und staat­li­cher Natur, gibt es also noch ein gro­ßes Hin­der­nis: die Ukrai­ne, oder bes­ser gesagt, die mit Rom unier­te Ukrai­nisch-katho­li­sche Kir­che. Für die Rus­sen gilt die Ukrai­ne nicht nur als Bestand­teil ihres Ein­zugs­ge­bie­tes, son­dern als ihr Ursprungs­land. Ruß­land ent­stand vor mehr als 1200 Jah­ren in Kiew mit dem Für­sten­tum der ger­ma­ni­schen Ruri­ki­den. Die­se Rus waren es, die sich zum Chri­sten­tum bekehr­ten und die Arche­ty­pen des Glau­bens der Kunst, der Lit­ur­gie, des Mönch­tums der rus­si­schen Kir­che entwickelten.

In der Ukrai­ne exi­stiert aber auch eine star­ke katho­li­sche Kir­che, sogar die stärk­ste grie­chisch-katho­li­sche Kir­che der Welt mit mehr als fünf Mil­lio­nen Gläu­bi­gen. Sie ähneln fast in allem den Ortho­do­xen durch die gemein­sa­me grie­chisch-byzan­ti­ni­sche Lit­ur­gie, das Brauch­tum, den ver­hei­ra­te­ten Kle­rus. Sie unter­schei­den sich jedoch durch ihren Gehor­sam dem Papst gegen­über. Die rus­si­sche Ortho­do­xie fürch­tet, daß Rom die grie­chisch-katho­li­sche Kir­che der Ukrai­ne in den Rang eines Patri­ar­chats erhe­ben könn­te. Nichts wäre für das Mos­kau­er Kir­chen­ver­ständ­nis inak­zep­ta­bler als ein „römi­sches“ Patri­ar­chat auf sei­nem Ter­ri­to­ri­um. Ein sol­ches Patri­ar­chat wür­de in Mos­kau, das selbst seit dem hei­li­gen Jove im Jahr 1589 den Patri­ar­chen­ti­tel führt und sich seit etwa 1500 das „drit­te Rom“ nennt, als direk­ter Kon­kur­rent emp­fun­den. Soll­te (das erste) Rom erken­nen las­sen, ein sol­ches grie­chi­sches Patri­ar­chat nicht errich­ten zu wol­len, stün­de einem Tref­fen zwi­schen Papst und Mos­kau­er Patri­arch nichts mehr im Wege. So die kla­re Bot­schaft, die Metro­po­lit Hila­ri­on in Rom depo­nier­te. Damit scheint die „ukrai­ni­sche Fra­ge“ in einen lös­ba­ren Bereich gerückt zu sein.

Wäh­rend der Sowjet­zeit waren die Ukrai­nisch-katho­li­sche Kir­che auf­ge­ho­ben und die Gläu­bi­gen in die rus­sisch-ortho­do­xe Kir­che zwangs­ein­ge­glie­dert, alle Bischö­fe und Tau­sen­de Prie­ster und Gläu­bi­ge ver­haf­tet wor­den. Die katho­li­schen Ukrai­ner konn­ten erst nach dem Zusam­men­bruch des Kom­mu­nis­mus den Unter­grund ver­las­sen, in dem die Kir­che über­lebt hat­te. Das Wis­sen um die­se Ver­fol­gung ist für das histo­ri­sche Ver­ständ­nis der bis heu­te nach­wir­ken­den Ani­mo­si­tä­ten eben­so von Bedeu­tung, wie die Tat­sa­che, daß die mit Rom unier­te Ukrai­nisch-katho­li­sche Kir­che 1593 und damit zeit­gleich mit dem Mos­kau­er Patri­ar­chat ent­stan­den ist und sich nicht von Mos­kau trenn­te, son­dern vom Öku­me­ni­schen Patri­ar­chat von Konstantinopel.

Die rus­sisch-ortho­do­xe Kir­che zählt heu­te 30.142 Pfar­rei­en in 160 Diö­ze­sen, 207 Bischö­fe und 32.266 Kle­ri­ker. Ende Janu­ar 2009 wur­de der ehe­ma­li­ge Metro­po­lit von Smo­lensk und Kali­nin­grad (Königs­berg), der auch 20 Jah­re lang „Außen­mi­ni­ster“ des Mos­kau­er Patri­ar­chats war, als Nach­fol­ger von Ale­xi­us II., der 2007 das Motu pro­prio Sum­morum Pon­ti­fi­cum begrüß­te, zum neu­en Patri­ar­chen gewählt. Wegen sei­ner jah­re­lan­gen Außen­kon­tak­te ziel­te er sofort auf eine stär­ke­re Zusam­men­ar­beit mit der katho­li­schen Kir­che in zen­tra­len aktu­el­len Fra­gen der Zeit: „Wir haben ähn­li­che Stand­punk­te zu vie­len Pro­ble­men, denen die Chri­sten in der moder­nen Welt gegen­über­ste­hen. Zu die­sen gehö­ren auch die aggres­si­ve Säku­la­ri­sa­ti­on, die Glo­ba­li­sie­rung und die Ero­si­on der tra­di­tio­nel­len Prin­zi­pi­en der Moral“.

Ent­frem­dung zwi­schen Mos­kau und Protestanten

Gegen­über der „gro­ßen Käl­te“, die das Ver­hält­nis zwi­schen Mos­kau und Rom wäh­rend des Pon­ti­fi­kats des pol­ni­schen Pap­stes Johan­nes Paul II. cha­rak­te­ri­sier­te, haben sich zahl­rei­che Wider­stän­de inzwi­schen auf­ge­löst. „Man muß unter­strei­chen, daß Bene­dikt XVI. zu den gro­ßen sozia­len Fra­gen eine Posi­ti­on ein­nimmt, die der ortho­do­xen nahe­steht“, sag­te Patri­arch Kyrill I. vor einem Jahr den ortho­do­xen Bischö­fen in der Mos­kau­er Christ-Erlö­ser-Kathe­dra­le. Er stell­te damals einen Bericht vor, wonach hin­ge­gen die Unter­schie­de und Schwie­rig­kei­ten mit den pro­te­stan­ti­schen Deno­mi­na­tio­nen grö­ßer wer­den. „Die rus­si­sche Kir­che hat fest­ge­stellt, daß die pro­te­stan­ti­schen Gemein­schaf­ten immer weni­ger an der Bewah­rung des christ­li­chen Erbes mit­ar­bei­ten wegen einer uner­sätt­li­chen Libe­ra­li­sie­rung der pro­te­stan­ti­schen Welt.“

Die Ent­frem­dung wur­de 2009 durch die Wahl von Mar­got Käß­mann, einer Bischö­fin, zur Rats­vor­sit­zen­den der Evan­ge­li­schen Kir­che in Deutsch­land ver­schärft. Laut Patri­arch Kyrill I. ver­zich­ten pro­te­stan­ti­sche Deno­mi­na­tio­nen „nicht nur auf die För­de­rung einer wirk­li­chen Ver­brei­tung der christ­li­chen Wer­te in einer säku­la­ri­sier­ten Gesell­schaft. Vie­le pro­te­stan­ti­sche Gemein­schaf­ten zie­hen es sogar vor, sich ihr anzupassen“.

Von der „eisi­gen Käl­te“ unter Johan­nes Paul II. zur neu­en kul­tu­rel­len „Ost­po­li­tik“ Bene­dikts XVI.

Unter Bene­dikt XVI. setz­te eine ganz neue Form von „Ost­po­li­tik“ ein, die sich vor allem auf kul­tu­rel­ler Ebe­ne abspielt. Dazu gehört auch ein ent­spre­chen­des Pro­gramm des Vati­kan­ver­lags. Dort erschien in Zusam­men­ar­beit mit der Ver­ei­ni­gung „Sofia“ eine Samm­lung der Reden Joseph Ratzingers/​Benedikts XVI. zu Euro­pa eben­so wie ein Buch des der­zei­ti­gen Patri­ar­chen von Mos­kau und der gan­zen Rus. Das Buch wur­de von Metro­po­lit Hila­ri­on von Volo­ko­lamsk vor­ge­stellt, der nun eine Beschleu­ni­gung der Annä­he­rung zwi­schen Mos­kau und Rom einleitete.

„Ohne die Wer­te des christ­li­chen Huma­nis­mus ist Euro­pa ver­lo­ren“, erklär­te der rus­si­sche Kul­tur­mi­ni­ster Michail Shvyd­koy. „Es ist not­wen­dig die ver­schie­de­nen For­men, mit denen die Anwe­sen­heit Got­tes in der Gesell­schaft geehrt wird, zusam­men­zu­füh­ren. Die gro­ße Her­aus­for­de­rung ist, Gott in der Gesell­schaft zu ehren ohne daß die Viel­falt der Glau­bens­for­men und der Kon­fes­sio­nen in Euro­pa Ursa­che für Gegen­sät­ze wird“, so Shvydkoy.

Ohne christ­li­che Wer­te ist Euro­pa verloren“

Die Annä­he­rung zwi­schen römi­scher und rus­si­scher Kir­che wer­den durch das stil­le Wir­ken des Jesui­ten Milan Zust begün­stigt, der beim Päpst­li­chen Rat zur För­de­rung der Ein­heit der Chri­sten für die Bezie­hun­gen zum Mos­kau­er Patri­ar­chat zustän­dig ist.

Text: Vati­can Insider/​Giuseppe Nardi
Bild: Vati­can Insider

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