Liebe Brüder und Schwestern!
In der heutigen Katechese möchte ich mich einer weiteren großen Gestalt des Gebetes widmen, nämlich Mose, der dem Volk Israel die Gebote Gottes offenbarte, es in das gelobte Land führte und der der große Beter für Israel war. Mehrfach erzählt die Bibel davon, wie Mose mit Gott wie ein Freund von Gesicht zu Gesicht redete. Bei vielen Gelegenheiten trat er mit seiner Fürbitte für die einzelnen wie für das ganze Volk ein. Und so ist er ein Vorausbild geworden für den einen »Mittler zwischen Gott und den Menschen, den Menschen Jesus Christus« (1 Tim 2,5), der für uns alle am Kreuz vor den Vater hingetreten ist und für uns vor ihm steht. Die vielleicht dramatischste Begebenheit, in der Mose als Fürsprecher auftritt, haben wir am Fuße des Berges Sinai. Nach vierzigtägigem Fasten auf dem Berg war Mose Gott begegnet und wollte nun das von Gott empfangene göttliche Wort auf den beiden steinernen Tafeln dem Volk überbringen – als Realität des Bundes zwischen Gott und dem Volk. Aber das Volk war des Wartens müde geworden. Sie sagten: Wir wissen gar nicht, wo der hingekommen ist. Wir sind jetzt alleine in der Wüste. Und sie sagten zu Aaron: Gib du uns einen Gott! Sie sind eines unsichtbaren Gottes müde, den man nie sehen kann, der ferne und unbegreiflich bleibt. Sie wollen einen greifbaren Gott, einen, der zu ihnen paßt, an den sie sich halten können. Und so gießt Aaron ihnen das goldene Kalb als einen Gott, der da ist, den sie sehen, anschauen können, der zu ihnen paßt. Die Schrift erzählt uns in ihrer Bildsprache, daß Gott im Zorn das treulose Volk vernichten wollte. Das besagt: Der Abfall des Volkes vom Bund, bevor er noch vollends empfangen ist, bedeutet, daß sie aufhören sollen, Volk Gottes zu sein, daß sie die Existenz selber verwirkt haben. In diesem Augenblick lernen wir, was Gebet ist: Mose appelliert an die Güte Gottes, des Retters und Garanten des Lebens. Er appelliert an Gott gegen Gott und sagt: Du kannst doch das nicht tun, dein Volk, das du herausgeführt hast, vernichten und zerstören, was du selbst begonnen hast, deine Verheißung zunichte machen. Mose ringt im Gebet mit Gott, was wir vorige Woche in der Erzählung von Jakob am Fluß Jabbok gesehen haben: das Ringen Gottes mit dem Menschen, damit in Gott die Erbarmung sichtbar wird, die uns umformen kann, die das Böse nicht einfach ignoriert, aber den Menschen verwandelt und so vergebungsfähig macht. Das Eintreten für die anderen bereichert auch Mose selbst: Mit einem Gebet, in dem er die Einheit mit dem Willen Gottes sucht, ist er selbst immer tiefer in das Geheimnis Gottes eingedrungen, der das Erbarmen wollte, der auf das Wort wartete, das um Erbarmen bittet. Die erbarmende Liebe Gottes tritt durch den Menschen in die Geschichte der Menschen ein, und sie tritt letztlich durch den Sohn Gottes zu uns ein, der selbst Mensch geworden ist, der sich das Herz durchstechen ließ, sich töten ließ, gleichsam vernichten ließ, um uns zum Leben zu bringen, und nun mit der Gabe seines Leibes und Blutes uns den Bund bringt, die Einheit mit sich selbst, die Identifizierung, die Blutsverwandtschaft mit ihm, so daß wir durch ihn mit Gott versöhnt sind und darin zugleich immer wieder neu auch selber umgewandelt werden und Vergebung, Erneuerung wird. Wir wollen den Herrn bitten, daß wir dies immer mehr verstehen, daß wir uns vergeben lassen und uns erneuern lassen und so wirklich Menschen des Bundes, Gottes Volk sind.
Von Herzen grüße ich alle Pilger und Besucher deutscher Sprache. Der vertraute Umgang des Mose mit dem liebenden und treuen Gott soll auch uns ein Vorbild sein. Dabei nimmt Christus uns sozusagen in sich auf, und wir können auch als Freunde, als Söhne, als Töchter, als Kinder mit Gott sprechen und mit ihm ringen und so erneuert werden. Gottes Geist begleite euch bei all eurem Tun!