Vatikan löst Zisterzienserabtei Santa Croce in Gerusalemme auf – Beginnt neue Ära der Kirchendisziplin?


(Rom) Das Dekret ist noch ver­trau­lich, spricht aber eine kla­re Spra­che. Es trägt die Unter­schrift von Msgr. Joà£o Braz de Aviz, dem Prä­fek­ten der Ordens­kon­gre­ga­ti­on. Die Zister­zi­en­ser­ab­tei San­ta Cro­ce di Geru­sa­lem­me von Rom ist auf­ge­ho­ben. Alle 30 Mön­che müs­sen inner­halb von zwei Mona­ten Rom ver­las­sen und sich in ande­re Zister­zi­en­ser­klö­ster Ita­li­ens zurück­zie­hen, wie es vom Gene­ral­abt des Zister­zi­en­ser­or­dens, Dom Mau­ro Lepo­ri fest­ge­legt wur­de. Dom Lepo­ri war vom Papst mit der Unter­su­chung des Falls beauf­tragt worden.

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500 Jah­re „Wäch­ter“ der Kreuzesreliquien

Die Ent­schei­dung ist unge­wöhn­lich und unter­streicht, daß es sich um einen schwer­wie­gen­den Fall han­deln muß. Die Zister­zi­en­ser­ab­tei San­ta Cro­ce besteht seit dem Jahr 1561, als die Zister­zi­en­ser nach Rom kamen, um die dor­ti­gen Kar­täu­ser zu erset­zen. Sie erleb­ten eine gro­ße Blü­te mit einer wach­sen­den Zahl an Beru­fun­gen. Vor allem Pil­ger­strö­me zog es in die gleich­na­mi­ge Basi­li­ka San­ta Cro­ce in Geru­sa­lem­me, um die Kreu­zes­re­li­qui­en zu besu­chen, die Kai­se­rin Hele­na im 4. Jahr­hun­dert aus Jeru­sa­lem mit­ge­bracht hat­te. Es han­delt sich um ein Stück des Kreu­zes Jesu, einen Nagel sei­ner Kreu­zi­gung und vor allem um die mehr­spra­chi­ge Inschrift, die Pila­tus über dem gekreu­zig­ten Jesus Chri­stus anbrin­gen ließ.

Die Basi­li­ka stand auch in jüng­ster Zeit im Schein­wer­fer­licht, als Papst Bene­dikt XVI. im Herbst 2008 die Akti­on „Die Bibel Tag und Nacht“ mit der Lesung aus dem ersten Kapi­tel des Buches Gene­sis eröff­ne­te. Damals wur­de die gesam­te Hei­li­ge Schrift von bekann­ten Per­sön­lich­kei­ten und unbe­kann­ten Gläu­bi­gen ohne Unter­bre­chung in der Basi­li­ka gele­sen und vom ita­lie­ni­schen Staats­fern­se­hen direkt über­tra­gen, dar­un­ter ehe­ma­li­ge Staats­prä­si­den­ten und Mini­ster­prä­si­den­ten, Kar­di­nä­le, Schau­spie­ler, Musi­ker, Wis­sen­schaft­ler. 75.000 Men­schen kamen wäh­rend des Lese­ma­ra­thons in die Basilika.

Der Abt, die Hau­te Volée und Pop­star Madonna

Die Abtei ließ neben dem Klo­ster ein Luxus­ho­tel errich­ten mit eige­nem Limou­si­nen­dienst rund um die Uhr, für beson­ders zah­lungs­kräf­ti­ge Kun­den, die Rom besu­chen wol­len. Hin­zu kamen zahl­rei­che Kul­tur­ver­an­stal­tun­gen, getra­gen von den „Freun­den von San­ta Cro­ce“ unter dem Vor­sitz „eines Nach­kom­mens Karl des Gro­ßen“, wie L’Espresso, der ita­lie­ni­schen „Spie­gel“ schrieb. Dazu wur­de der Bota­ni­sche Gar­ten des Klo­sters von zwei renom­mier­ten Gar­ten­ar­chi­tek­ten Marel­la Agnel­li und Baro­nin Mary Roth­scho­li neu gestaltet.

Dann kam es zum Bruch. Über die Grün­de kann nur spe­ku­liert wer­den, da vati­ka­ni­sche Dekre­te, die der Dis­zi­pli­nie­rung die­nen, kurz und bün­dig abge­faßt sind. Im Mit­tel­punkt scheint Abt Simo­ne Maria Fiora­so zu ste­hen. Bevor er Mönch wur­de, arbei­te­te er für bekann­te Mode­ate­liers in Mai­land, man­che sagen für Mis­so­ni, ande­re für Arma­ni. Die Basi­li­ka mit den Kreu­zes­re­li­qui­en wur­de einst­wei­len einem römi­schen Diö­ze­san­prie­ster anvertraut.

Lit­ur­gi­sche Mißbräuche

Die Vor­wür­fe sind viel­fäl­tig und ent­spre­chend schwer ist es, Fak­ten von Spe­ku­la­ti­on zu unter­schei­den. Genannt wer­den an erster Stel­le schwer­wie­gen­de lit­ur­gi­sche Miß­bräu­che durch Mön­che. In die­ses Kapi­tel fällt auch der Tanz einer Ordens­frau, Anna Nobi­li, einer ehe­ma­li­gen Lap Dance- und Fun­ky-Tän­ze­rin, die vie­le Jah­re lang in den bekann­te­sten Nacht­clubs Mai­lands als Tab­le­dance-Inter­pre­tin gefragt war. Der von ihr kre­ierte „Holy Dance“, bei dem sie sich vor dem Altar der Basi­li­ka wälz­te, wur­de als „unpas­send“ kri­ti­siert. Nicht der Tanz selbst, den sie Gott wid­me­te, son­dern der Ort, einer Kir­che, an dem sie ihn im Rah­men der Akti­on „Die Bibel Tag und Nacht“ zum Besten gab.
Ein inter­nes Schrei­ben des Hei­li­gen Stuhls spricht aber auch von „Pro­ble­men in der Lebens­füh­rung der Gemein­schaft“. Man­che spre­chen von „nicht ganz ortho­do­xen“ Freund­schaf­ten zwi­schen eini­gen der Mön­che, „was viel und nichts bedeu­ten“ kön­ne, wie der Vati­ka­nist Pao­lo Roda­ri schreibt.

Der Bota­ni­sche Gar­ten und der Etikettenschwindel

Mit den Pro­duk­ten des Bota­ni­schen Gar­tens der Abtei deck­te sich Roms Adel ein. Der Ein­kauf bei den Mön­chen wur­de zum exklu­si­ven Geheim­tip unter Roms Hau­te Volée. Das Ein­gangs­tor zum Gar­ten ließ der Abt vom Künst­ler Jan­nis Kounel­lis gestal­ten. Dann flog jüngst auf, daß der Groß­teil der angeb­lich in der Abtei pro­du­zier­ten Pro­duk­te, am frü­hen Mor­gen von Last­wa­gen ange­lie­fert wird. Eti­ket­ten­schwin­del, wie er in der Welt gang und gäbe ist?

Abt Fiora­so, Jahr­gang 1949, woll­te im Alter von 34 Jah­ren hei­ra­ten. Am Ende des ersten Vor­be­rei­tungs­ge­sprächs mit dem Pfar­rer von San Car­lo al Car­so in Rom, sagt ihm die­ser, daß er nicht zur Ehe, son­dern zum Prie­ster­tum beru­fen sei. Fiora­so löste die Ver­lo­bung und wur­de Novi­ze in der Zister­zi­en­ser­ab­tei von Chia­ra­val­le. Nach Rom kehr­te er als Archi­var und Biblio­the­kar der Abtei San­ta Cro­ce di Geru­sa­lem­me zurück, wo er schließ­lich zum Abt gewählt wurde.

Luxus­ho­tel mit Limousinendienst

Der neue Abt ist umtrie­big, ein guter Orga­ni­sa­tor, er ver­steht Men­schen anzu­spre­chen und ein­zu­bin­den: Denk­mal­amt, Innen­mi­ni­ste­ri­um, bekann­te Per­sön­lich­kei­ten, den römi­schen Adel. Er reno­viert Tei­le von Klo­ster und Basi­li­ka. Im Hei­li­gen Jahr 2000 flie­ßen die Gel­der reich­lich. Es wird die Ver­ei­ni­gung der „Freun­de von San­ta Cro­ce“ gegrün­det, des­sen Mit­glie­der­li­ste an Exklu­si­vi­tät dem bekann­te­ren Jockey Club von Paris den Rang abläuft. Die Mit­glie­der erhal­ten für ihre Spen­den exklu­si­ven Zugang zum gro­ßen Gang der Abtei, den sie für Ver­an­stal­tun­gen und Gala­di­ners nüt­zen dür­fen. Poli­ti­ker der lin­ken Mit­te geben sich in der Abtei ein Stell­dich­ein. Das Luxus­ho­tel „Domus Ses­so­ria­na“ soll den noblen Zir­kel abschlie­ßen. Die Hotel­zim­mer bie­ten einen atem­be­rau­ben­den Blick über Rom, auf den Venus­tem­pel, die Reste der Kai­ser­vil­la Kon­stan­tins, den Aquä­dukt des Claudius.

Nach dem Bibel­ma­ra­thon „Die Bibel Tag und Nacht“ wird man auch im Vati­kan auf Abt Fiora­so auf­merk­sam. Die Tages­zei­tun­gen über­schla­gen sich damals mit Lob: „Aske­ti­sche See­le, Arbeit­ge­ber­ver­bands­kopf, Cha­ris­ma eines Lea­ders.“ Auch außer­halb Ita­li­ens macht er sich einen Namen. Pop­star Madon­na läßt sich, als sie für ein Kon­zert in Rom ist, zur Abtei brin­gen. Sie steht vor ver­schlos­se­nen Toren. Abt Fiora­so erfährt davon und öff­net ihr. Mit einem ande­ren Mönch beglei­tet er sie in den Gar­ten und dann in die Basi­li­ka. Sein Mit­bru­der stimmt dort das Sal­ve Regi­na an. Abt Fiora­so soll­te spä­ter sagen: „Madon­na war sicht­lich gerührt.“

Der Bibel­ma­ra­thon und das unbe­ach­te­te Allerheiligste

Rund um die Abtei kreist viel Geld. Viel von die­sem Geld ver­schwin­det. Dazu das Gere­de über die „Freund­schaf­ten“ zwi­schen eini­gen Mön­chen. Die media­le Auf­merk­sam­keit, die den Abt umgab, wur­de im Vati­kan nicht all­ge­mein gut­ge­hei­ßen. Es gab auch Kri­tik an der Non­stop-Bibel­le­sung: Die Kon­zen­tra­ti­on auf die Bibel bei der Über­tra­gung und die Ver­ban­nung des Aller­hei­lig­sten in einen unbe­leuch­te­ten, sprich unbe­ach­te­ten Win­kel, wie ins­ge­samt die damals dar­ge­stell­te Sym­bo­lik. Die Kri­tik ent­stand an erster Stel­le inner­halb der klö­ster­li­chen Gemein­schaft selbst. Ein Teil des Kon­vents fühl­te sich über­rollt. Die Direkt­über­tra­gung der voll­stän­di­gen Bibel­le­sung sei von vom Staats­fern­se­hen „auf­ge­zwun­gen“ wor­den. Die Gemein­schaft spal­te­te sich im Vor­feld. Das Leben eines Mönchs müs­se Gott allein gehö­ren, es müs­se gewis­ser­ma­ßen „ver­steckt“ erfol­gen und auch in sei­ner Außen­wir­kung immer auf Gott kon­zen­triert sein.

Stich­wort Kir­chen­dis­zi­plin und die Ner­vo­si­tät im bischöf­li­chen Umfeld

Die Zister­zi­en­ser­ab­tei San­ta Cro­ce di Geru­sa­lem­me gibt es nicht mehr. Ob je wie­der Zister­zi­en­ser die Wäch­ter der Kreu­zes­re­li­qui­en sein wer­den, wie sie es fast ein hal­bes Jahr­tau­send lang waren, läßt sich noch nicht sagen. Auf zahl­rei­chen katho­li­schen Blogs wird weni­ger das kon­kre­te Ereig­nis behan­delt, als viel­mehr die Hoff­nung geäu­ßert, daß der Hei­li­ge Stuhl nach der Amts­ent­he­bung des austra­li­schen Bischofs Wil­liam Mor­ris von Too­woom­ba und der Auf­he­bung der pre­sti­ge­träch­ti­gen römi­schen Zister­zi­en­ser­ab­tei „end­lich“ für mehr Kir­chen­dis­zi­plin sor­gen könnte.

Tat­säch­lich löste die Ent­las­sung des „libe­ra­len“ Bischofs in Austra­li­en in katho­li­schen Krei­sen Frank­reichs hef­ti­ge Dis­kus­sio­nen aus. Selbst in bischofs­na­hen Krei­sen scheint dabei eine gewis­se Ner­vo­si­tät unüberhörbar.

(Palaz­zo Apostolico/​Giuseppe Nar­di, Bild: Palaz­zo Apostolico)

 

 

 

 

 

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