Herodes ist zurückgekehrt und schreibt im “Lancet“ – Das Kind als Besitz


(Lon­don) In der Febru­ar-Aus­ga­be von Lan­cet stell­te der athe­isti­sche Phi­lo­soph Peter Sin­ger die Fra­ge: „Wem gehört ein Kind?“ Sin­ger ver­tritt den Stand­punkt, daß die wis­sen­schaft­li­che For­schung an Neu­ge­bo­re­nen erlaubt sein soll­te, auch wenn sie deren Leben und Gesund­heit „mode­ra­ten Risi­ken“ aus­set­ze. Die Ent­schei­dung dar­über sol­le dem „Altru­is­mus“ der Eltern zuste­hen. Der bekann­te Arzt und Neo­na­to­lo­ge Car­lo Bel­li­e­ni ant­wor­te­te im Lan­cet mit der Gegen­fra­ge, ob es wirk­lich „Altru­is­mus“ sei, wenn man nicht sich selbst, son­dern ein Kind zur Ver­fü­gung stel­le, also für eine ande­re Per­son ent­schei­de und über sie verfüge.

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Die Fra­ge „Wem gehört ein Kind?“ wur­de noch radi­ka­ler durch den Oxford-Phi­lo­so­phen James Wil­kin­son auf­ge­wor­fen. Mit einem Bei­trag im Ame­ri­can Jour­nal of Bio­e­thics von März behaup­te­te er, daß man ein neu­ge­bo­re­nes Kind ster­ben las­sen kön­ne, wenn eine „Lasten-Nut­zen-Rech­nung“ über das künf­ti­ge Leben zu erste­rem nei­ge. Aber nicht nur dann dür­fe sei­ner Mei­nung nach ein Kind getö­tet wer­den, son­dern auch dann, wenn das Leben eines kran­ken Kin­des laut „Lasten-Nut­zen-Rech­nung“ es „ver­die­ne, gelebt zu wer­den“, weil der „Scha­den“ nicht groß wäre. Man muß es zwei Mal lesen: Das Kind kön­ne laut Wil­kin­son getö­tet wer­den, weil es sich schließ­lich ja doch „nur“ um ein irgend­wie „kran­kes Kind“ hand­le, als wäre das Kind ein Besitz, über den die Eltern ver­fü­gen könnten.

Car­lo Bel­li­e­ni, der Mit­glied der Euro­pean Socie­ty of Pedia­tric Rese­arch und der Päpst­li­chen Aka­de­mie für das Leben ist, schrieb in sei­ner Ant­wort in der Lan­cet-Aus­ga­be von April, daß die Kin­der nicht ein­mal mini­ma­len Risi­ken durch wis­sen­schaft­li­che Expe­ri­men­te aus­ge­setzt wer­den dür­fen, denn jedes For­schungs­pro­to­koll sehe aus­drück­lich vor, daß die Per­son, die einem Risi­ko aus­ge­setzt wird, genau infor­miert wer­den und eine Zustim­mung ertei­len muß. Für ein Kind, das sich noch nicht selbst dazu äußern kann, müs­sen die­sel­ben Sicher­hei­ten garan­tiert wer­den. Vor allem dann, wenn die Expe­ri­men­te es einem Risi­ko aus­set­zen, denen sich kein ver­nünf­ti­ger Erwach­se­ner je aus­set­zen würde.

„Sicher, die Wis­sen­schaft ist hohes Gut“, schreibt Bel­li­e­ni, „wenn sie die Pati­en­ten respek­tiert.“ Über Leben und Tod „ent­schei­det man nicht“, sowohl das eine als auch das ande­re wer­den „fest­ge­stellt und Schluß“. Man kann nicht die Behand­lung abbre­chen, weil das Kind behin­dert ist und die Eltern „über­la­stet“ wer­den könnten.

Doch die Kin­der gewis­ser „Phi­lo­so­phen“ sind kei­ne „Per­so­nen“ und daher Gegen­stand des elter­li­chen Wil­lens: vor der Geburt durch PID, Desi­gner­ba­by, Selek­ti­on und Abtrei­bung, und auch unmit­tel­bar nach der Geburt, da vie­le Reani­mie­rungs­pro­to­kol­le für Neu­ge­bo­re­ne den Eltern die Ent­schei­dung über­las­sen, wenn die Mög­lich­keit einer ernst­haf­ten Behin­de­rung gege­ben sein könnte.

„Man soll nun nicht kom­men und sagen, die Eltern sei­en die besten Sach­wal­ter der Kin­der“, schrieb Bel­li­e­ni. „Zahl­rei­che Chronik­fäl­le bestä­ti­gen das nicht.“ Vor allem aber sei­en Eltern nicht aus­rei­chend medi­zi­nisch gebil­det. Sie kön­nen daher nur auf­grund ihrer Gefühls­la­ge ent­schei­den. „Was für ein Kreuz wird ihnen damit auf­ge­la­den“, schreibt Bel­li­e­ni. Das Leben ist grund­sätz­lich nicht verfügbar.

„Die Ver­füg­bar­keit über das Leben der Kin­der bean­spru­chen heu­te vie­le Eltern auch in spä­te­ren Jah­ren“, schreibt Bel­li­e­ni, „so, daß sie ihnen die Last eines Ein­zel­kin­des auf­er­le­gen, die sie dann im Alter allei­ne pfle­gen und ver­sor­gen müs­sen, oder nicht sel­ten ihre fru­strier­ten Wün­sche erfül­len sollen.“

Mit den Posi­tio­nen von Sin­ger und Wil­kin­son “sind wir wie­der beim römi­schen Recht über Leben und Tod der Kin­der ange­langt, das nach 2000 Jah­ren wie­der­kehrt“, so Bel­li­e­ni. In der grie­chi­schen und römi­schen Anti­ke konn­te der Vater frei über das Leben eines neu­ge­bo­re­nen Kin­des ent­schei­den. Er konn­te es, aus wel­chem Grund auch immer, aus­set­zen oder töten las­sen. Erst wenn der Vater das Kind in die Arme nahm, galt es als aner­kannt und wur­de, wohl­ge­merkt, Teil sei­nes Besit­zes wie ein Grund­stück, ein Haus oder ein Skla­ve. Dies sei die Idee vom Kind als Besitz, so Bel­li­e­ni, vom Kind als „Recht“, die Idee von einer Kul­tur, in der die Eltern nicht Behü­ter ihrer schutz­lo­sen und noch unmün­di­gen Kin­der sind, son­dern ihre Her­ren und Besit­zer. Dazu gehö­re auch, daß man dann vom Kind eine „Per­fek­ti­on“ erwar­tet, wie man sie bereits gene­tisch durch die Prä­im­plan­ta­ti­ons­dia­gno­stik ver­langt, denn andern­falls hät­te man es ohne­hin nicht zur Welt kom­men lassen.

Ein „Altru­is­mus“ der Eltern, wie ihn Sin­ger für den „Fort­schritt“ der For­schung for­dert, der auf den Schul­tern der Kin­der aus­ge­lebt wür­de, eröff­net ein Sze­na­rio, in dem das Kind nicht mehr als Sub­jekt, son­dern als Pro­dukt gese­hen wird oder als „Recht“ oder ver­füg­ba­re „Ent­schei­dung“ der Eltern.

“Wem gehört also ein Kind?“ Die Ant­wort liegt für Bel­li­e­ni „im Geheim­nis, das es gewollt hat und das es uns zum Behü­ten anver­traut hat. Ein Vor­gang, der intui­tiv auch für Nicht-Gläu­bi­ge gilt, sofern sie den Mut haben, zu akzep­tie­ren, daß die Kin­der nicht ihr Besitz sind. Denn Kin­der sind kei­ne Pro­duk­te, die gut oder schlecht gelun­gen sind, son­dern Per­so­nen, die über eine Frei­heit und eine Wür­de ver­fü­gen, selbst dann, wenn dies nicht immer äußer­lich so schei­nen mag und selbst dann, wenn sie nicht unse­ren Erwar­tun­gen ent­spre­chen bei der Geburt oder am Gym­na­si­um.“ Das ist die gro­ße Her­aus­for­de­rung, die uns zu Men­schen macht.

(Bus­so­la Quotidiana/​Giuseppe Nar­di, Bild: BQ)

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