(Vatikan/New York) Die Haltung Papst Pius XII. in der Zeit der Judenverfolgung interessiert nicht nur die Geschichtswissenschaft, sondern auch die amerikanische Regierung. Unter den von Wikileaks veröffentlichten Dokumenten des amerikanischen Außenministeriums finden sich auch vier Berichte der US-Botschaft beim Heiligen Stuhl, die sich mit Papst Pius XII. befassen.
Dokument 1 – 13. August 2001
Das erste Dokument ist mit 13. August 2001 datiert. Es berichtet von einem Treffen mit Pater Peter Gumpel SJ. Der Historiker ist für Untersuchungen an der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse tätig. Der Jesuit war führend an der Öffnung der Vatikanischen Archive für die Zeit der NS-Herrschaft im Deutschen Reich beteiligt. Der Bericht spielt auf einen vorhergehenden an, wonach die amerikanische Regierung schnell an einem „positiven, produktiven Dialog“ interessiert sei und diesen fördere, weil die Holocaust-Generation abtrete.
Pater Gumpel erklärte den amerikanischen Diplomaten die Kriterien und Modalitäten nach denen die Vatikanischen Archive allgemein für die Forschung zugänglich gemacht werden. Der Jesuit beklagte dabei die ungeeignete Besetzung der jüdisch-vatikanischen Kommission zum Studium des Verhaltens Pius XII. während des Zweiten Weltkriegs, weil die meisten Mitglieder mangels Sprachkenntnissen nicht in der Lage seien, die zum größten Teil in italienischer Sprache verfaßten Dokumente des Vatikans zu lesen. Pater Gumpel protestierte bei dieser Gelegenheit auch gegen Anspielungen in Medienberichten, in denen er als „deutscher Jesuit“ bezeichnet wurde. Seine Familie sei ein Opfer des Nationalsozialismus gewesen. Er selber habe aus NS-Deutschland fliehen müssen. Gumpel, so die US-Diplomaten, kritisierte auch, daß ein Journalist die Behauptung drucken wollte, daß er – Gumpel – ein Nazi gewesen sei. Das sei „Verleumdung“, wird der Historiker aus dem Jesuitenorden zitiert.
Dokument 2 – 31. Dezember 2001
Das zweite vertrauliche Dokument ist mit 31. Dezember 2001 datiert. Darin wird über die jüdisch-vatikanische Kommission zu Pius XII. berichtet, vor allem über ein Gespräch zwischen dem amerikanischen Botschafter Jim Nicholson und Kardinal Walter Kasper, dem Präsidenten des Päpstlichen Rats für die Einheit der Christen.
Nicholson sagte, daß sich die Kommission in einem „besonders schwierigen Moment“ aufgelöst habe und die USA Interesse hätten, zu wissen, ob sie erneuert werde. Der Kardinal schrieb den Mißerfolg der Kommission zwischenmenschlichen Problemen zu und dem Mangel eines klaren Mandats. Er bestand gleichzeitig darauf, daß die Auflösung jedoch keinen Mißerfolg des katholisch-jüdischen Dialogs bedeute.
Kardinal Kasper bezeichnete Pater Gumpel als den besten lebenden Experten über das Pontifikat von Pius XII. und drückte die Hoffnung aus, daß die Kommission mit qualifizierten Akademikern neu berufen werde, die nicht direkt mit der katholischen Kirche oder jüdischen Organisationen verbunden sind.
Kardinal Kasper bezeichnete die Behauptungen, wonach Papst Pius XII. NS-freundlich gewesen sei, als „haltlos“. Dies werde durch die Archivbestände bestätigt. Der Kardinal habe gegenüber den US-Diplomaten den Dank und das Lob der israelischen Ministerpräsidenten Golda Meir nach dem Zweiten Weltkrieg zitiert und behauptet, daß die jüdische Gemeinschaft erst von Pius XII. „besessen“ seien, seit revisionistische Historiker in den 60er Jahren mit ihren Veröffentlichungen begannen.
Laut dem Dokument der Botschaft bezeichnete Kardinal Kasper den Widerstand des Papstes gegen die NS-Zeit als „subtil, aber klar“. „Die Klöster rundherum waren voll mit verfolgten Juden, obwohl die SS überall kontrollierte und durchsuchte“, so der Kardinal.
Die US-Diplomaten analysierten, daß der Vatikan „hochsensibel“ jede Kritik an Pius XII. registriere und die Vatikanischen Archive „eine harte Nuß zu knacken“ seien. Der Vatikan „beharre“ darauf, daß die vom Archiv veröffentlichte zwölfbändige Reihe über das Wirken Pius XII. ein „angemessener Anfang“ sei.
Dokument 3 – 22. Februar 2002
Ein drittes Dokument der US-Botschaft beim Vatikan datiert vom 22. Februar 2002 und erwähnt die Ankündigung einer teilweisen, vorzeitigen Archivöffnung. Der Autor an der amerikanischen Botschaft sah darin einen Versuch Papst Johannes Pauls II., Antisemitismus-Vorwürfe „gegen seinen Vorgänger Pius XII. zum Schweigen zu bringen“, aber auch ein mögliches Signal, die Seligsprechung dieses Papstes voranzubringen.
Die Entscheidung Johannes Pauls II., nicht die üblichen Fristen und Beschränkungen bei der Archivöffnung einzuhalten, zeige, „daß wirklich geschieht, was der Papst will“, schloß das Dokument, das anscheinend von Botschafter Nicholson selber stammt.
Dokument 4 – 16. Oktober 2009
Das vierte Dokument, vom 16. Oktober 2009, behandelt die Sorge über den Rückzug des Heiligen Stuhls aus einer Internationalen Sonderkommission zur Holocaust-Erziehung, Erinnerung und Forschung, der er als „internationaler Beobachter“ angehörte. Die US-Botschaft spekulierte, daß der „relativ unerfahrene“ neue „Vize-Außenminister“ des Heiligen Stuhls, Msgr. Ettore Balestrero, diese Entscheidung getroffen haben könnte. Gleichzeitig wird jedoch auch gemutmaßt, daß die Entscheidung eine Reaktion sei, weil die Sonderkommission mit dem Pontifikat Pius XII. verbundene Aufzeichnungen veröffentlichen wollte. Verschiedene Mitglieder der Sonderkommission, darunter der österreichische Botschafter Ferdinand Trauttmansdorff, der amerikanischer Professor Steve Katz vom Elie Wiesel-Zentrum an der Universität Boston und die wissenschaftliche Beraterin der israelischen Regierung Dina Porat hätten einer „beträchtlichen Enttäuschung“ über den Rückzug Ausdruck verliehen. Botschafter Trauttmansdorff habe darauf bestanden, daß die Sonderkommission auf den Vatikan einwirke nicht nur, um Zugang zu den Archiven zu erhalten, sondern auch, daß die „katholischen Führer in vielen Ländern“ für die Erziehung zu Anti-Rassismus und zur Holocaust-Erinnerung aktiv würden.
Alle vier Dokumente wurden von WikiLeaks veröffentlicht. Dessen Medienpartner, die New York Times und The Guardian wirkten an der Auswahl und dem Zeitpunkt der Veröffentlichung mit. Von ihnen wurden jene Informationen redigiert, die für „sensibel“ gehalten werden.
Der Einblick in die Ansichten der amerikanischen Diplomatie zur Haltung des Vatikans gegenüber Papst Pius XII. erfolgte kurz vor der Veröffentlichung einer neuen Studie des französischen Gelehrten Joel-Benoit d’Onorio, in der er den „Mythos der Archive“ kritisiert. In einem Artikel im Osservatore Romano vom 23. Dezember schrieb D’Onorio, daß auch die Archive, deren Öffnung ständig gefordert werde, „keinen Beweis“ für eine nachgiebige Haltung Pius XII. gegenüber dem Nationalsozialismus liefern werden.
D’Onorio war Präsident der katholischen Juristen Frankreichs. Am 22. Dezember publizierte er in der französischen katholischen Zeitung La Croix eine Antwort auf Richard Prasquier, den Vorsitzenden des Rats der jüdischen Organisationen Frankreichs.
Prasquier behauptete, daß es „keinen sicheren historischen Beweis“ gäbe, daß Papst Pius XII. zahlreichen Juden während des Zweiten Weltkriegs das Leben rettete. Gleichzeitig kritisierte er erneut das angebliche „Schweigen“ dieses Papstes zur Judenverfolgung.
D’Onorio antwortete, daß Aufzeichnungen des römischen Augustinianums aus dem Jahr 1943 belegten, wie Pius XII. einem Kloster befahl, seine Tore für Tausende von jüdischen Verfolgten zu öffnen. Als die NS-Besatzung von der jüdischen Gemeinde Roms 50 Kilogramm Gold verlangte, war der Papst sofort bereit, die fehlende Menge zur Verfügung zu stellen.
D’Onorio unterstrich, daß es „viele solcher Beweise“ gebe und „fundierte Studien in großer Zahl“ vorlägen, die sich auf verschiedenste Quellen stützen. Er betonte auch, daß diese Dokumente und Studien jedoch absichtlich „ignoriert“ würden, um die „schwarze Legende“ gegen Papst Pius XII. und gegen die Kirche aufrechtzuerhalten.
(CNA/Giuseppe Nardi, Bild: piusppxii.splinder)