Papst Pius XII. und die unterschiedliche Wahrnehmung zweier Oberrabbiner Roms – „Fakten bekannt. Für Kirche ist der Fall abgeschlossen“


(Rom) Zu Aller­hei­li­gen wur­de im deut­schen und ita­lie­ni­schen Fern­se­hen der zwei­tei­li­ge Fern­seh­film „Pius XII.“ aus­ge­strahlt. In bei­den Län­dern wur­de die Kopro­duk­ti­on über die­sen Papst von neun Mil­lio­nen Fern­seh­zu­schau­ern gese­hen. Wäh­rend RAI 1 damit in Ita­li­en mit sechs Mil­lio­nen Zuse­hern an gleich zwei Aben­den hin­ter­ein­an­der Platz Eins der Ein­schalt­quo­ten erreich­te und sogar Quo­ten­ren­ner „Big Brot­her“ hin­ter sich ließ, reich­te es für den ARD in Deutsch­land (der den Zwei­tei­ler an einem Abend aus­strahl­te) mit einer Quo­te von weni­ger als 10 Pro­zent ledig­lich für Platz 5. Das deut­sche Publi­kum zog Sen­dun­gen wie „Wer wird Mil­lio­när?“, die Kup­pel­show „Bau­er sucht Frau“ oder „CSI New York“ Pius XII. vor. Damit bestä­tigt sich eine grund­sätz­li­che Skep­sis des deut­schen Publi­kums gegen­über Sen­dun­gen, die mit dem Zwei­ten Welt­krieg und der Juden­ver­fol­gung zu tun haben.

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Der Film: Pius XII. – Unter dem Him­mel von Rom

Der Zwei­tei­ler bringt Gestalt und Wir­ken des römi­schen Pap­stes wäh­rend der natio­nal­so­zia­li­sti­schen Beset­zung der Ewi­gen Stadt und das Schick­sal der Juden Roms dem Fern­seh­pu­bli­kum nahe. Er zeigt nicht einen „schwei­gen­den Papst, der sich mit­schul­dig“ an der Ver­nich­tung des euro­päi­schen Juden­tums gemacht habe, wie seit Rolf Hoch­huths Thea­ter­stück „Der Stell­ver­tre­ter“ das ver­zer­ren­de Ver­dikt lau­tet, son­dern einen Kir­chen­mann, der sich väter­lich und uner­müd­lich für die Ret­tung der römi­schen Juden einsetzte.

Von jüdi­scher Sei­te wur­de des­halb teils schar­fe Kri­tik am Film laut. Der Ober­rab­bi­ner Roms, Ric­car­do Di Seg­ni, Jahr­gang 1949, bezeich­ne­te den Film sogar als histo­ri­sche „Fäl­schung“ und „wert­lo­sen Schrott“. Der Film ver­su­che eine „poli­ti­sche und mora­li­sche Recht­fer­ti­gung“ für Pius XII. und des­sen „Ent­schei­dun­gen“ und „Schwei­gen“. Als Begrün­dung für sei­ne Kri­tik nann­te Di Seg­ni, daß „noch nicht alle Doku­men­te zu die­sem Pon­ti­fi­kat zugäng­lich sei­en“ und es daher kei­nen „end­gül­ti­gen Frei­spruch“ für den Papst geben kön­ne, der die Kir­che durch den Zwei­ten Welt­krieg führte.

Der Pro­du­zent des Films, Etto­re Ber­nabei (Lux Vide), ant­wor­te­te auf die Kri­tik, daß es sich nicht um einen Doku­men­tar­film hand­le. Man habe sich „kei­nen Applaus“ von jüdi­scher Sei­te „erwar­tet“. „Unser Ziel war es, auf der Grund­la­ge des heu­ti­gen Wis­sens­stan­des dar­zu­stel­len, was sich damals im Vati­kan und im römi­schen Ghet­to ereig­ne­te“, so Ber­nabei. „Doku­men­tier­te Tat­sa­che ist, daß 4.500 Juden in Rom ver­steckt in Klö­stern, kirch­li­chen Ein­rich­tun­gen oder direkt im Vati­kan die NS-Zeit über­leb­ten. Die Doku­men­te zei­gen uns, daß Pius XII. kon­kre­te Hilfs­ak­tio­nen dem inter­na­tio­na­len Pro­test vor­zog, der tra­gi­sche Kon­se­quen­zen gehabt hät­te“. Rich­tung Ober­rab­bi­ner Di Seg­ni sag­te Ber­nabei: „Jeder ist frei, sei­ne Mei­nung zu äußern. Wir hof­fen, daß man jedoch unse­ren Respekt vor den jüdi­schen Opfern anerkennt.“

Die Dank­bar­keit des Ver­folg­ten, die Kri­tik des Nachgeborenen

An kaum einer Gestalt der jün­ge­ren Zeit­ge­schich­te schei­den sich die Gei­ster mehr als an Papst Pius XII. Wie unter­schied­lich die Wahr­neh­mung dabei sein kann, zei­gen die bei­den Ober­rab­bi­ner Roms, Euge­nio Zol­li und Ric­car­do Di Segni.

Euge­nio Zol­li, Jahr­gang 1881, gebo­ren als Isra­el Anton Zol­ler im damals öster­rei­chi­schen Gali­zi­en, erleb­te die gan­ze Här­te und Grau­sam­keit eines uner­bitt­li­chen Anti­se­mi­tis­mus. 1920 Ober­rab­bi­ner von Tri­est, übte er eine Lehr­tä­tig­keit an der Uni­ver­si­tät Padu­as aus und muß­te 1933 wegen der faschi­sti­schen Geset­ze als ita­lie­ni­scher Staats­bür­ger sei­nen Namen in Italo Zol­li ita­lia­ni­sie­ren. 1940 wur­de er zum Ober­rab­bi­ner Roms gewählt. Er ver­such­te, die jüdi­sche Gemein­de nach Kräf­ten gegen den ita­lie­ni­schen Anti­se­mi­tis­mus und wäh­rend der deut­schen Besat­zung vor den Depor­ta­tio­nen zu schüt­zen. Dabei fand er gera­de bei Papst Pius XII. Hil­fe. Der Papst ließ die Sie­gel zu den Klau­sur­klö­stern auf­bre­chen, in denen zahl­rei­che Juden, als Ordens­leu­te ver­klei­det und mit vom Vati­kan gefälsch­ten Papie­ren aus­ge­stat­tet, siche­ren Unter­schlupf fan­den. Nach dem Abzug der deut­schen Trup­pen hielt Zol­li 1944 in der römi­schen Haupt­syn­ago­ge eine Anspra­che, die vom Rund­funk über­tra­gen wur­de, in der er Pius XII. öffent­lich für des­sen Hil­fe wäh­rend der NS-Herr­schaft dank­te und die Dank­bar­keit der jüdi­schen Gemein­schaft gegen­über dem Papst zum Aus­druck brach­te. Wäh­rend des Krie­ges begann er per­sön­lich einen neu­en geist­li­chen Weg zu beschrei­ten und lern­te Chri­stus ken­nen. Schließ­lich kon­ver­tier­te er zum katho­li­schen Glau­ben und ließ sich 1945 tau­fen. Die gro­ße Bedeu­tung, die Papst Pius XII. mensch­lich und geist­lich für den römi­schen Ober­rab­bi­ner spiel­te, kommt im Tauf­na­men zum Aus­druck, den Zol­li für sich wähl­te. Er ließ sich auf den Namen Euge­nio, den Namen des Pap­stes taufen.

Inner­halb der katho­li­schen Welt, in den Pfar­rei­en, geist­li­chen Grup­pen, aber auch in der Hier­ar­chie wächst eine gewis­se Unge­duld „über die Ver­stockt­heit“, so der katho­li­sche Schrift­stel­ler Vitto­rio Mess­o­ri, mit der eini­ge Tei­le der jüdi­schen Welt, die Behaup­tung von „Hit­lers Papst“ ver­brei­ten, obwohl die­se durch eine Unzahl von Doku­men­ten und Zeu­gen­aus­sa­gen gründ­lich wider­legt wur­de. Die Unge­duld wird auch dadurch gespeist, daß in die­sen jüdi­schen Krei­sen selbst jüdi­sche Zeug­nis­se kei­ner­lei Wir­kung zu haben schei­nen, wie die zahl­rei­chen beein­drucken­den und bewe­gen­den Dan­kes­be­kun­dun­gen, die nach dem Zwei­ten Welt­krieg von Über­le­ben­den des Holo­caust ein­gin­gen, oder das ehren­de Geden­ken von Ver­tre­tern des Staa­tes Isra­el beim Tod Pius XII. Glei­ches gilt für den Schlei­er des Schwei­gens, der über den ehe­ma­li­gen Ober­rab­bi­ner Euge­nio Zol­li gebrei­tet wur­de, als habe er nie existiert.

Selig­spre­chungs­ver­fah­ren vor dem Abschluß

2007 nahm die Hei­lig­spre­chungs­kon­gre­ga­ti­on in ihrer Voll­ver­samm­lung ein­stim­mig das Dekret an, mit dem Papst Pius XII. der heroi­sche Tugend­grad zuge­spro­chen wur­de. Damit konn­te er als „Ehr­wür­di­ger Die­ner Got­tes“ bezeich­net wer­den. Das ist die letz­te Stu­fe vor der eigent­li­chen Selig­spre­chung. Das Dekret bedurf­te noch der Zustim­mung und Ver­laut­ba­rung durch den regie­ren­den Papst. Die Ver­eh­rung Bene­dikts XVI. für einen Vor­gän­ger und vor allem sei­ne Wert­schät­zung für den Theo­lo­gen Pius XII. sind bekannt. Wegen der War­nun­gen, daß mit dem Dekret der Dia­log mit Isra­el und dem Juden­tum bela­stet wer­den könn­te, zöger­te er mit der Unter­schrift. Statt des­sen ord­ne­te er eine wei­te­re, pro­fun­de Unter­su­chung aller in den Archi­ven vor­han­de­nen Doku­men­te an, obwohl die­se bereits mehr­fach geprüft wor­den waren. Das Ergeb­nis ist all­ge­mein bekannt (wenn auch nicht all­ge­mein zur Kennt­nis genom­men). Es bekräf­tig­te ein­mal mehr das Gesamt­bild Papst Pius XII. im histo­ri­schen Kon­text: Er hat­te alles ihm mög­li­che ver­sucht. Und das war nicht wenig. Der Groß­teil der Juden, die sich im besetz­ten Gebiet ret­ten konn­ten, ver­dan­ken dies der katho­li­schen Kir­che und den Katholiken.

Nach Abschluß der erneu­ten Unter­su­chung unter­zeich­ne­te Papst Bene­dikt XVI. im Dezem­ber 2009 das Dekret und erhob Pius XII. zum Ehr­wür­di­gen Die­ner Got­tes. Er tat dies nicht zuletzt, weil eine gro­ße Zahl ame­ri­ka­ni­scher Rab­bi­nen ihn dazu ermu­tig­te, indem sie sich von der Kri­tik eini­ger jüdi­scher Krei­se in Euro­pa distanzierten.

Unter­des­sen berei­tet sich der Hei­li­ge Stuhl auf den Abschluß des Selig­spre­chungs­ver­fah­rens für Pius XII. vor. Der Erz­bi­schof von Genua und Vor­sit­zen­de der ita­lie­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz, Kar­di­nal Ange­lo Bag­nas­co, erteil­te einem Gebet für die Selig­spre­chung das Impri­matur. Dar­in wird Gott dafür gedankt, daß er der Kir­che Papst Pius XII. geschenkt hat, der „Dei­ne Kir­che durch das stür­mi­sche Meer der tota­li­tä­ren Ideo­lo­gien lenk­te“ und „der die Arme des Petrus ohne Unter­schied für alle Opfer der grau­sa­men Tra­gö­die des Zwei­ten Welt­kriegs ausbreitete“.

Damit steht nun nach kirch­li­chem Ver­ständ­nis Gott das letz­te Wort zu. „Dage­gen nüt­zen kein Pro­test, kei­ne Empö­rung und kei­ne Schmä­hung. Die Cau­sa von Papst Pacel­li ist für die Kir­che abge­schlos­sen“, schreibt Vitto­rio Mess­o­ri. „Sie erwar­tet nur mehr die gött­li­che Bestä­ti­gung der mensch­li­chen Über­zeu­gung, daß Papst Pius XII. die evan­ge­li­schen Tugen­den ‚hero­isch‘ gelebt hat.“ Kon­kret bedeu­tet dies, daß man das Ergeb­nis der Unter­su­chun­gen über Wun­der abwar­tet, die der Für­spra­che des Pap­stes zuge­schrie­ben wer­den. Soll­ten die Medi­zin und ande­re Wis­sen­schaf­ten kei­ne natür­li­che Erklä­rung für die vor­lie­gen­den Fäl­le fin­den, wird dies als Zei­chen für die Kraft der Für­spra­che Pius XII. bei Chri­stus gese­hen. Dann wird Papst Pius XII. auch offi­zi­ell von der Kir­che zu den Altä­ren erhoben.

(Giu­sep­pe Nar­di Bild: par​ro​chi​as​an​pie​tro​.it)

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