von Liudger Berresheim
„Letzter Sinn aller Sozialität“, eben das Gemeinwohl, „ist die Vollendung der Personalität“ schreibt der bekannte Soziallehrer Kardinal Höffner. Und letztlich dient die Gesellschaft der Person, da nur „das geistige Wesen um seiner selbst willen geschaffen ist, alles andere seinetwegen“, wie es bei Thomas von Aquin heißt.
Gott ist Mensch geworden! Diese einfachen Worte haben es in sich: keine andere Religion auf der Welt behauptet, das ihr Gott einer von uns geworden sei. Die Geburt Jesu ist zur Zeitenwende geworden. Und es ist schlicht unmöglich für Christen, etwas gering zu achten, was Gott selbst gefallen hat: als Baby geboren zu werden in der Ehe, die nach dem Recht der damaligen Zeit für Maria und Josef mit ihrer Verlobung gegeben war.
Ehe und Familie stehen deshalb unter besonderen Schutz, weil Gott selbst in dieser Einheit in die Welt gekommen ist. Nicht als Herrscher, nicht als König, wie wir dies verstehen würden, sondern als kleines Baby, das auf die Fürsorge der Eltern und der Gemeinschaft angewiesen ist – wie wir alle es bei unserer Geburt einmal gewesen sind.
Wir alle kennen die anrührende Erzählung von Christi Geburt in einem Stall bei Bethlehem. Und Matthäus berichtet von den drei Weisen aus dem Morgenland, die kamen, um ihm zu huldigen. Die Huldigung ist theologisch bedeutsam für unser Verhältnis zu Gott, dem Schöpfer.
Bedeutsam für die praktische Politik sind zwei andere Aspekte bei den Weisen, auch Magier oder Könige genannt: Sie bringen Geschenke – und: Sie gehen wieder weg!
Daß man zur Geburt eines Kindes Geschenke bringt und nach dem Besuch wieder nach Hause geht, ist völlig normal. Wir dürfen diese biblische Erzählung aber durchaus ganz praktisch betrachten: Die junge Familie mit Josef, Maria und dem kleinen Jesu waren nicht zu Hause in ihrer vertrauten Umgebung, Wohnung hatten sie zunächst in einem Stall gefunden, weil in der Herberge kein Platz für sie war. Diese Familie war hilfebedürftig, schon gar mit einem Neugeborenen. Hilfe haben sie gefunden in der Solidarität anderer Menschen. Denn als die drei Weisen ihre Geschenke brachten, so heißt es in der Bibel, gingen sie in das Haus hinein – nicht zum Stall draußen vor der Stadt.
Die Hilfe, die die drei Weisen aus dem Morgenland brachten, war eine subsidiäre Hilfe in einer Weise, die heute gern übersehen wird, in Form der Hilfe zur Selbsthilfe. Daß Hilfe, die von außen kommt, den Empfänger in die Lage versetzen soll, wieder aus eigener Kraft für sich zu sorgen, ist Merkmal der Subsidiarität. Sie hätten die Familie auch einfach mitnehmen können, als sie erfuhren, daß Herodes Jesu nach dem Leben trachtete. Oder Josef drängen können, zumindest Jesus in Sicherheit zu bringen.
Nein, die drei Weisen brachten Gold als notwendige Unterstützung für die Familie auf ihrem Weg ins Exil, sozusagen als politisch Verfolgte suchte die Heilige Familie Asyl in Ägypten. Damals gab es noch nicht den Artikel 16a des Grundgesetzes, der heute in Deutschland soziale Wohlfahrt oder aber sechs-monatige Abschiebehaft für Flüchtlinge bereithält. Das goldwerte Geschenk der Weisen sicherte der Familie zunächst ihr Auskommen.
Um direkt einem Mißverständnis vorzubeugen, das leider gegenwärtig in der Politik allzu häufig anzutreffen ist: Natürlich gibt es den Mißbrauch, auch Asylmißbrauch, die sogenannte „soziale Hängematte“ mit Leistungsmißbrauch der Solidargemeinschaft oder bei Familien den Mißbrauch der elterlichen Erziehungstätigkeit oder gar deren Versagen. Auf all dies reagiert die Politik – zu Recht muß sie das tun – aber sie reagiert in einer Weise, die die Abweichung bereits als das Normale ansieht. Sie regelt durch die Gesetzgebung eben nicht nur den Mißbrauch, sondern trifft mit ihren Maßnahmen auch alle anderen, die irgendwie mit diesem Regelungsbereich zu tun haben.
So schrecklich das Geschehene auch sein mag, so zahlreich die Vorkommnisse sein mögen, sie dürfen uns nicht dazu verleiten das Normale aus den Augen zu verlieren oder gar die Abweichung zur Norm zu erheben. Vielmehr hat sich die Politik an dem anzustrebenden Ideal auszurichten, daß natürlich vielfach nicht erreicht werden kann. Das Ideal aber ist notwendig, um das Normale zu erkennen – und das ist auch eine Frage des Gemeinwohls. Das Gemeinwohl beschreibt eben nicht eine Summe individuellen Glückes; das Gemeinwohl schafft vielmehr die Rahmenbedingungen, in denen jeder sein Glück verwirklichen kann.
Doch zurück zu unserer Beispielerzählung: die drei Weisen hätten auch da bleiben können. Sie hätten sagen können: Wir helfen euch gegen den Feind, der aus niederen Beweggründen Jesus nach dem Leben trachtet. Auch das haben die Könige nicht getan, weil ihre Geschenke bereits ausreichend waren, die Not abzuwenden. Als Christen dürfen wir selbstverständlich darauf vertrauen, daß uns Hilfe in der Not erreicht, daß uns das tägliche Brot gegeben wird. Eine Familienpolitik aus christlicher Sicht hat dafür zu sorgen, daß die notwendige Hilfe jeden erreicht.
Entscheidendes Merkmal der Könige war, daß sie wieder gegangen sind, nicht versucht haben, das „Problem“ an sich zu reißen oder selbst zu lösen. Die aus dem fernen Land kamen, sind schlicht wieder gegangen! Schon daher können wir die Magier aus dem Morgenland „König“ nennen, weil ihr verhalten „königlich“, ihre Hilfe subsidiär war. Von daher ist bei jeder staatlichen oder gesellschaftlichen Unterstützung und Hilfestellung zu beachten, daß sie wieder „geht“, wenn der Zweck erreicht ist und die kleinere Einheit in der Lage ist, das für sie Notwendige zu leisten.
In dieser Perspektive betrachtet ist das vielseits gepriesene „Erziehungsgehalt“ kein geeignetes Instrument der Familienunterstützung. Zwar ist das Kind Auslöser einer staatlichen Zuwendung, aber ist es damit schon der Adressat der Leistung? Nein, denn erklärtes Ziel ist, die Tätigkeit der Hausfrau und Mutter finanziell zu vergüten und dadurch ihre Kindererziehung auch gesellschaftlich aufzuwerten.
Damit wird aber gegen die familieninterne Solidarität, folglich gegen das Solidaritätsprinzip verstoßen. Zu Recht verweist das Bundesverfassungsgericht stets darauf, daß die Ehe eine „Erwerbs- und Wirtschaftsgemeinschaft“ ist. Durch die Geburt eines Kindes wird sie zur Familie. Hier gilt, wie das Verfassungsgericht mehrfach ausgeführt hat, die Gleichwertigkeit häuslicher Erziehungstätigkeit mit der Erwerbsarbeit.
Wenn beide als gleichwertig angesehen werden und die Familie selbstverantwortlich die Aufgaben untereinander aufteilen kann, dann gilt auch im Umkehrschluß, daß das „Geldverdienen“ zur Familie und damit auch zur Erziehung gehört. Bei einem „Erziehungsgehalt“ wird der hälftige Anteil an der Erziehung, die des Vaters, ausgeblendet. Familie und Erziehung wird reduziert auf die materielle Tätigkeit, beispielsweise Windeln wechseln.
Zweitens ist das Prinzip des Gemeinwohls verletzt. Das Gemeinwohl der Familie besteht gerade darin, die Familienbedürfnisse als Einheit aufzufassen. Die Prinzipien der christlichen Soziallehre sind allumfassend: Sie gelten für alle Sozialgebilde, die je ihr spezifisches Gemeinwohl haben; sei es Schule oder Betrieb, sei es Verein oder Staat oder eben auch die Familie.
In aller Regel wird heutzutage das gemeinsam erwirtschaftete für die Bedürfnisse aller Mitglieder verwendet. Das Bürgerliche Recht hat eigens Unterhaltsverpflichtungen normiert, die generationenübergreifend sind, also sowohl die nachkommende wie die vorherige Generation umfassen. So ist die Solidargemeinschaft Familie umschrieben, die im Erbrecht auch die Nebenlinien als Verwandte weiteren Grades einbezieht.
Es ist den Familienmitgliedern überlassen, wie sie sich im Blick und unter Wahrung des Ganzen, hier der Familie, organisieren wollen. Ein „Erziehungsgehalt“ greift von außen in das Gemeinwohl der Familie ein. Sie nimmt nicht die Familie als Einheit in den Blick, sondern individuelle Teile von ihr.
Noch deutlicher wird dies bei der jetzigen „Elterngeldregelung“, die bekanntlich für einen begrenzten Zeitraum, in der Regel 12 Monate ab Geburt des Kindes, für den Mitverdiener ein staatliches Arbeitslosengeld als Ausgleich für den Lohnverzicht gewährt. Hier wird faktisch zur Regel erhoben, was hinsichtlich des Gemeinwohls der Familie die Ausnahme ist: doppelte Erwerbstätigkeit und staatlich organisierte Erziehung der Kinder!
Letztlich wird auch das Subsidiaritätsprinzip verletzt: Beim „Elterngeld“, weil es die neu entstandene Familie gar nicht berücksichtigt, sondern mit der Lohnersatzleistung lediglich einen individuellen Einkommensverlust mildert und beim „Erziehungsgehalt“ wird eine auf Dauer angelegte Abhängigkeit von staatlicher Fürsorge geschaffen. Es ist eine Hilfe die „bleibt“ und gerade nicht der Familie hilft, aus eigener Kraft sich zu versorgen.
Neben dieser geschaffenen Abhängigkeit von öffentlicher Zuwendung, die genauso gut wieder gestrichen oder eingeschränkt werden kann, wird damit die Kindererziehung erwerbsmäßig. Das heißt aber auch, daß es aus Sicht des Leistungsgebers egal sein kann, wer die Leistung erbringt: die Mutter zu Hause, die Erzieherin in der Einrichtung, oder die Tagesmutter in der Tagespflege.
Eine christliche Familienpolitik leistet Hilfe, damit Familien ihre Aufgabe erfüllen können. Sie läßt das Zustehende, gibt das Notwendige – und dann „geht“ sie wieder.
Derzeit nimmt der Staat im Abgabenrecht der Familie mehr als ihm zusteht. Auch als Arbeitgeber hat er sämtliche Familienzuschläge im Tarifrecht des Öffentlichen Dienstes gestrichen. Dort wie bei der Einkommensteuer sieht er nur den einzelnen Steuerpflichtigen ohne zu berücksichtigen, daß von diesem Einkommen eine ganze Familie leben muß. Er hat im Sinne der Subsidiarität die Familie als solche zu berücksichtigen.
Das ist übrigens Verfassungsrecht: Unser Grundgesetz spricht von der „Verpflichtung des Eigentums“. Wenn allein arbeitsrechtlich eine „Familienkomponente“ bestimmt wird, könnte die Wirtschaft aus Kostengründen auf die jungen ledigen Singles ausweichen. Die Zukunft des Gemeinwesens wäre dann vom rein privaten Enthusiasmus abhängig. Es ist aus dem Gemeinwohl des Staates durchaus gerechtfertigt und aus Gerechtigkeitsgründen geboten, Familien nicht zu Sozialleistungsempfängern zu degradieren, sondern der Ehe und Familie einen spezifischen Raum zu gewähren.
Christliche Politik orientiert sich an den drei genannten Prinzipien: Gemeinwohl, Solidarität und Subsidiarität, die recht verstanden, der politischen Kreativität keine Grenzen setzen, vielmehr ihr den notwendigen gestalterischen Freiraum eröffnen.
Liudger Berresheim ist Sprecher für Familienpolitik im Bundesvorstand der Deutschen Zentrumspartei