1009: Vor tausend Jahren wurde die Grabeskirche in Jerusalem zerstört – und nie wieder vollständig aufgebaut


(Jeru­sa­lem) Kaum jemand erin­nert dar­an, doch in die­sen Tagen jährt sich zum 1000. Mal eines der dun­kel­sten Kapi­tel im christ­lich-isla­mi­schen Ver­hält­nis: die Zer­stö­rung der Gra­bes­kir­che Kai­ser Kon­stan­tins in Jeru­sa­lem durch den Fati­mi­den-Sul­tan Al-Hakim. Ein Ereig­nis das grund­le­gend das Erschei­nungs­bild Jeru­sa­lems ver­än­der­te, wie Gior­gio Ber­nar­del­li in einem Auf­satz für die Tages­zei­tung „Avve­ni­re“ schreibt. Die Hei­lig-Grab-Basi­li­ka wur­de zwar teil­wei­se wie­der auf­ge­baut, erlang­te aber nie mehr ihre ein­sti­ge Groß­ar­tig­keit, die das Stadt­bild Jeru­sa­lems fast 700 Jah­re lang geprägt hat­te. Vor allem ging durch die Zer­stö­rung eine Stät­te für immer ver­lo­ren: das Mar­ty­ri­um, jene gro­ße Kir­che, die an die Lei­den Jesu erinnerte.

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Das genaue Datum der Zer­stö­rung rekon­stru­ier­te der Hei­lig-Land-Archäo­lo­ge P. Euge­nio Allia­ta in der aktu­el­len Aus­ga­be der Zeit­schrift „Ter­ra­san­ta“. Die zeit­ge­nös­si­schen Chro­ni­ken berich­ten, daß die Zer­stö­rung „am Diens­tag, den fünf­ten Tag vor dem Ende des Monats Safar des Jah­res 400“ isla­mi­scher Zeit­rech­nung erfolg­te. Das Jahr 400 begann, so P. Euge­nio, am 25. August 1009. Da es sich um den zwei­ten Monat des isla­mi­schen Mond­jah­res han­del­te, sind 54 Tage hin­zu­zu­rech­nen, um auf den 18. Okto­ber des Gre­go­ria­ni­schen Kalen­ders zu kom­men. Die­ses Datum wur­de natür­lich rück­wir­kend errech­net, da das Ereig­nis vor der gre­go­ria­ni­schen Kalen­der­re­form statt­fand. An jenem 18. Okto­ber wur­de Jeru­sa­lem zum Schau­platz einer radi­ka­len Zer­stö­rung. Selbst das Hei­li­ge Grab, berich­ten die Chro­ni­sten des 11. Jahr­hun­derts, wur­de „zum größ­ten Teil her­aus­ge­ris­sen und zerstört“. 

Wie kam es aber vor 1000 Jah­ren (und vier Jahr­hun­der­te nach der isla­mi­schen Erobe­rung der Stadt) zu einer sol­chen Schändung?
Das dunk­le Kapi­tel hängt mit Sul­tan Al-Hakim zusam­men, der von 1000 bis 1021 in Kai­ro regier­te. Er voll­zog eine radi­ka­le Wen­dung in der Poli­tik der herr­schen­den Fati­mi­den-Dyna­stie. Die­se gehör­ten der ismai­li­ti­schen Rich­tung der Schii­ten an und hat­ten sich ver­hält­nis­mä­ßig tole­rant sowohl gegen­über den Sun­ni­ten als auch den nicht-isla­mi­schen Reli­gio­nen gezeigt. Al-Hakim woll­te hin­ge­gen mit allen Mit­teln sei­nen Glau­ben auf­zwin­gen. Die Chri­sten und Juden wur­den am här­te­sten von sei­nem radi­ka­len Islam getrof­fen. Der Sul­tan ver­schärf­te das Dhim­mi-System bis zur Uner­träg­lich­keit, das im Islam den Sta­tus der Nicht-Mos­lems regel­te, die u.a. ein Kopf­geld bezah­len muß­ten und einer Rei­he von Dis­kri­mi­nie­run­gen unter­wor­fen waren.
Die Zer­stö­rung des Hei­li­gen Gra­bes bil­de­te den Höhe­punkt die­ser reli­giö­sen Into­le­ranz. Das Ereig­nis löste sol­ches Ent­set­zen aus, daß der Nach­hall schnell das Abend­land erreich­te und auch dort eine unge­ahn­te Wel­le der Empö­rung aus­lö­ste. Die schwer­wie­gen­de Gewalt­tat wirk­te der­ma­ßen nach, daß sie zu einem aus­lö­sen­den Moment für den Ersten Kreuz­zug wur­de. Das Jahr 1009 zählt seit­her zu den dun­kel­sten Kapi­teln im Ver­hält­nis zwi­schen Islam und Christentum. 

Es gab aber auch ande­re Augen­blicke. Die einst so präch­ti­ge Gra­bes­kir­che, von Kai­ser Kon­stan­tin im frü­hen 4. Jahr­hun­dert errich­tet, ver­dank­te ihren Fort­be­stand als Got­tes­haus und hei­li­ge Stät­te der Chri­sten­heit einer Geste des Kali­fen Omar. Die­ser wei­ger­te sich nach der isla­mi­schen Erobe­rung Jeru­sa­lems im Jahr 638 die christ­li­che Kir­che zu betre­ten und dar­in zu beten. Man sagt, aus Respekt gegen­über den Chri­sten. Damit ver­hin­der­te er, daß die „Mut­ter aller Kir­chen“ in eine Moschee umge­wan­delt wur­de, wie es hin­ge­gen Schick­sal zahl­rei­cher Kir­chen des Ori­ents war.
Im Jahr 1042 gelang es dem byzan­ti­ni­schen Kai­ser Argy­ro­pu­los mit Al-Hakims Nach­fol­ger Al-Zahim ein Abkom­men zu tref­fen, mit dem der Wie­der­auf­bau des Hei­li­gen Gra­bes begin­nen konn­te. Das Abkom­men ent­hielt eine Klau­sel auf Gegen­sei­tig­keit. Aus­drück­lich gewähr­te der Kai­ser im Gegen­zug den Bau einer Moschee in Konstantinopel.

Der 1048 abge­schlos­se­ne Wie­der­auf­bau kon­zen­trier­te sich aller­dings in beschei­de­ner Form nur auf den am mei­sten ver­ehr­ten Teil der einst aus­ge­dehn­ten kon­stan­ti­ni­schen Basi­li­ka: den Rund­bau, in des­sen Zen­trum sich das Hei­li­ge Grab befand. Die anti­ke, 336 geweih­te Basi­li­ka besaß jedoch u.a. noch zwei wei­te­re bedeu­ten­de Tei­le. Wer über die Haupt­stra­ße des römi­schen und byzan­ti­ni­schen Jeru­sa­lems in die Stadt gelang­te, betrat zunächst das Mar­ty­ri­um, eine mäch­ti­ge, fünf­schif­fi­ge Kir­che. An derem seit­li­chen Ende erreich­te man einen Gar­ten mit einem drei­bö­gi­gen Tor. In der Süd­ost-Ecke wur­de im Frei­en der Fels des Kal­va­ri­en­ber­ges ver­ehrt, auf dem Jesus gekreu­zigt wor­den war. Vom Gar­ten gelang­te man schließ­lich in den Rund­bau mit dem Hei­li­gen Grab. Die Gesamt­an­la­ge war an der Haupt­ach­se 150 Meter lang. Um sich eine Vor­stel­lung von die­sen Aus­ma­ßen machen zu kön­nen, sei zum Ver­gleich erwähnt, daß die heu­ti­ge Peters­kir­che in Rom mit 186 Metern nur wenig län­ger ist.

Als 1099 die Kreuz­fah­rer das latei­ni­sche König­reich von Jeru­sa­lem errich­te­ten, ent­stand sofort die Idee, die Basi­li­ka in ihrem ursprüng­li­chen Glanz wie­der­zu­er­rich­ten. Aller­dings blieb auch der abend­län­di­sche Neu­bau wesent­lich klei­ner als die kon­stan­ti­ni­sche Basi­li­ka. Man beschloß den Rund­bau des Hei­li­gen Gra­bes zu erwei­tern und bezog den ein­sti­gen Gar­ten mit der Kreu­zi­gungs­stät­te mit ein. Dies erklärt das heu­ti­ge Erschei­nungs­bild der 1149 geweih­ten Kir­che, die nach dem Unter­gang der Kreuz­fah­rer­staa­ten kei­ne sub­stan­ti­el­len Ver­än­de­run­gen mehr erlebte.
Das Mar­ty­ri­um, das vom 4. bis zum 11. Jhdt. ein zen­tra­ler Ort für die Chri­sten Jeru­sa­lems war, wur­de nicht mehr auf­ge­baut. Dort ver­sam­mel­ten sich die Gläu­bi­gen jeden Sonn­tag zur Eucha­ri­stie­fei­er. Euse­bi­us schil­dert in sei­ner Vita des Kai­sers Kon­stan­tin das Mar­ty­ri­um als pracht­vol­le Kir­che, die vom Kai­ser durch „vie­le wert­vol­le Geschen­ke an sei­nen Gott“ aus­ge­stat­tet wor­den war. Im Mar­ty­ri­um rich­te­te die Chri­sten­heit den Blick auf die Pas­si­on Chri­sti, ehe sie zum nach der Auf­er­ste­hung lee­ren Grab eilte.
Im vom isla­mi­schen Herr­scher zer­stör­ten und nie mehr auf­ge­bau­ten Mar­ty­ri­um drückt sich sym­bol­haft aus, was der Chri­sten­heit heu­te viel­leicht beson­ders fehlt, der Blick auf das Lei­den Jesu, ohne das es kein lee­res Grab und kei­ne Auf­er­ste­hung gibt. 

(Avvenire/​Giuseppe Nardi)

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