von Giuseppe Nardi
Die Entscheidung von Papst Benedikt XVI., nicht die römische Universität La Sapienza zu besuchen und dort die Rede zur Eröffnung des akademischen Jahres zu halten, kam dermaßen überraschend, daß das ganze laizistische Lager seither beschämt den Atem anhält. Zumindest fast das ganze…
Man hatte die üblichen Rituale erwartet: linksradikale Störaktionen, laizistische Wortmeldungen, um die selbstgezogenen Abgrenzungen Richtung Kirche sich selber in Erinnerung zu rufen. Kurzum gewohnte Pflichtübungen jener, die besonders stolz darauf sind, nicht katholisch zu sein, sprich – in Italien – nicht gläubig, nicht religiös zu sein.
Schließlich hatte es das alles schon einmal gegeben. 1991 besuchte Papst Johannes Paul II. dieselbe Universität. 300 linksradikale Studenten (und auch Nicht-Studenten) bereiteten ihm einen medienträchtigen, unfreundlichen Empfang mit dummen Sprechchören und primitiven Transparenten. Einige Angehörige des Lehrkörpers überboten sich mit frostigen Erklärungen. Johannes Paul II. ließ alles über sich ergehen, hielt seine Ansprache, bedankte sich für den „freundlichen Empfang“ und kehrte in den Vatikan zurück.
Als 1964 Papst Paul VI. die Universität besuchte, war das Klima noch etwas anders. Das Jahr ‚68 stand der Welt erst noch bevor. Was war diesmal anders? Rund einhundert Linksextremisten besetzten kurzzeitig den Sitzungssaal des akademischen Senats, der gemeinsam mit dem Rektor den Heiligen Vater eingeladen hatte. Sie forderten die Ausladung des Papstes und machten sich zum verlängerten und zudem handgreiflichen Arm einer kleinen Minderheit von Professoren, Dozenten und Lehrbeauftragten der Universität.
Bereits im November 2007 hatte der emeritierte Professor Marcello Cini, Physiker und Atheist, einen offenen Brief an den Rektor verfaßt, dem ein weiterer ähnlichlautender Brief folgte, der von 67 Angehörigen des Lehrkörpers, vor allem Physikern, unterschrieben wurde.
Darin machten sich die Unterzeichner zu „Verteidigern der universitären Autonomie“. Wodurch sollte diese gefährdet werden? Die Rede des Papstes. Als Vertreter einer Institution, die den Anspruch erhebt, Hüter der „absoluten Wahrheit“ zu sein, widerspreche seine Anwesenheit dem Geist und Auftrag der Universität, wo man „relative Wahrheiten suche und zur Diskussion stelle“. Zudem sei der Papst „Reaktionär“ und habe als Kardinal in einer Rede „Galileo Galilei ein weiteres Mal verurteilt“, wodurch sich die Dozenten „gedemütigt und beleidigt“ fühlen.
Was lernt man aus dieser Lektion? Jeder habe daher in einer Demokratie das Recht, seine Meinung zu äußern. Oder zumindest fast jeder. Der Papst jedenfalls nicht, ginge es nach der Absicht dieser Kräfte. Mit ihrer Wortmeldung wurde faktisch auch gesagt, daß Universität und Kirche sich ausschließende Größen seien. Eine wahrlich gewagte Annahme, der allein schon durch die Tatsache widersprochen wird, daß Papst Bonifaz VIII., 1303 Gründer der Universität La Sapienza war. Daß sie sich der italienische Staat 1870 einfach unter den Nagel gerissen hat, ändert daran nichts. Bis dahin also nichts Neues, könnte man meinen.
Doch Benedikt XVI. reagierte anders. Der Heilige Stuhl sagte die Einladung ab, weil Rektor und Universität offensichtlich nicht fähig oder nicht willens waren, dem Papst einen Besuch in angemessenem Rahmen sowie seine Sicherheit zu gewährleisten und der Pontifex es nicht notwendig hat, sich Anflegeleien durch irgendwelche geistig Taubstumme anzutun. Kardinal Bagnasco, Vorsitzender der italienischen Bischofskonferenz sprach von einer „inakzeptablen Intoleranz“.
Seit der Absage will nun niemand der Schuldige gewesen sein. Nach einer Schrecksekunde ging ein Aufschrei durch die gesamte Apenninenhalbinsel. Es sei untragbar, hieß es unisono im Chor, die Laizisten sangen fleißig mit, von denen viele nur zu gerne die dümmsten Schauermärchen über die Kirche zum Besten geben, daß ein Papst nicht reden könne, wo immer er wolle. Alle elementarsten Gepflogenheiten eines sittsamen Umganges schienen verletzt worden zu sein. Alle Beteiligten üben sich seither in defensiven Rechtfertigungsgesten und beteuern, selbstverständlich dialogbereit zu sein und dem Papst nie eine Zensur auferlegt haben zu wollen. Er hätte jederzeit reden können, nur eben vielleicht nicht unbedingt genau an jenem Tag…
Paul Badde, von der Tageszeitung Die Welt, der den Gesamtzusammenhang sofort erfaßt hatte, schrieb umgehend und treffsicher von einer „Ohrfeige“ für das laizistische Italien. Man hat sie dort gespürt und fragt sich seither, wie es dazu kommen konnte. Wie wohl!?
Papst Benedikt XVI. ist immer neu für Überraschungen gut, selbst wenn es darum geht, eingefleischte laizistische Rituale durcheinander zu wirbeln und deren Verzapftheit durch kleine, feine, elegante Gesten offenzulegen.
Die angeblich im Namen der Toleranz Handelnden entpuppten sich als Schwertträger blanker Intoleranz, die ein deutliches Zeichen von Fanatismus in sich birgt. Tatsächlich schlägt diesem Papst von intellektueller Seite eine doch deutlich gehässigere Brise entgegen als seinem Vorgänger Johannes Paul II. Das liegt unschwer erkennbar daran, daß sich die laizistischen und antiklerikalen Intellektuellen durch Benedikt XVI. stärker herausgefordert fühlen. Sie sind zu einer Auseinandersetzung gezwungen, die sie längst hofften, hinter sich gelassen zu haben. Aus den „romantischen“ Abenden am Kaminfeuer mit der obligaten Pflichtlektüre von Simone de Beauvoir, Thomas Malthus, Richard Dawkins, Ernst Haeckel und Karl Marx im Bücherschrank, einem Che Guevara-Poster an der Wand und sonst allerlei Versatzstücken aus einer „besseren Vergangenheit“ wird es eher nichts werden.
Wahrscheinlich hätte unter normalen Bedingungen kaum jemand außerhalb der Universität Notiz von der Inauguralrede Benedikt XVI. genommen. Nun aber müssen sich gerade die Laizisten mit seinen beabsichtigten Ausführungen, die der Vatikan inzwischen veröffentlich hat, befassen und auseinandersetzen. Dies wird nun zu einer Pflichtübung für den laizistischen Teil des akademischen Lehrkörpers, der sich ansonsten wohl mit gewohnten Ausflüchten weitgehend davor gedrückt hätte.
Die Zahlen sind übrigens schnell bei der Hand, aber letztlich nicht so relevant. Man könnte sagen: Was zählen hundert radikale Studenten und 65 Dozenten, die mental vor 40 Jahren stehengeblieben sind, im Vergleich zu den insgesamt mehr als 140.000 Studenten und über 4000 Professoren, Dozenten und Assistenten der Sapienza.
Der Vorfall mag übrigens eine geeignete Gelegenheit sein, um den Ignoranten auf den Lehrstühlen (wer wagt es nach dem Schreiben der 67 noch zu behaupten, es könne auf Lehrstühlen und um diese herum keine Ignoranten geben?) etwas Nachhilfeunterricht zu geben. Zum leidigen Fall Galilei scheint man jenseits der Geschichtswissenschaften in anderen Fachgebieten noch immer mit heiliger Einfalt geschlagen zu sein. In diesem Fall eher mit illuministischer und verbohrt antikatholischer Blindheit.
Oder wie war das noch vor wenigen Wochen, als eine Akademikerin dem Autor dieser Zeilen gegenüber vom in Ketten liegenden, vor ein Tribunal von Dunkelmännern gezerrten und im Kerker schmachtenden Galilei vorschwafelte. Auf das absolute Minimum reduziert, Galilei hat Zeit seines Lebens nie ein Gefängnis gesehen und noch weniger Ketten. Er war ein anerkannter Wissenschaftler seiner Zeit, der im päpstlichen Rom ein und aus ging und auf akademischer Ebene entsprechendes Gehör fand. Er vertrat allerdings eine These, jene des heliozentrischen Weltbildes – übrigens keine Erfindung von ihm selber –, die er nicht beweisen konnte. Da er dennoch auf deren Richtigkeit beharrte, erfuhr er jene „Verurteilung“, die heute jeden Wissenschaftler in derselben Situation auch träfe. Heute durch Ausgrenzung aus dem akademischen Betrieb und selbstredend ohne passende Anstellung. Ein aktuelles Beispiel zum besseren Verständnis könnte etwa der Hinweis auf „Intelligent Design“ sein.
Daß sich viele Jahrzehnte nach Galileis Tod die Richtigkeit seiner These herausstellen sollte, steht auf einem ganz anderen Blatt. Der keineswegs katholische Philosoph Paul Karl Feyerabend schrieb über die Verurteilung Galileis: „Die Kirche zur Zeit Galileis hielt sich viel enger an die Vernunft als Galilei selber, und sie zog auch die ethischen und sozialen Folgen der Galileischen Lehre in Betracht. Ihr Urteil gegen Galilei war rational und gerecht, und seine Revision läßt sich nur politisch-opportunistisch rechtfertigen.“
Mit dem historisch falsch dargestellten Fall Galilei verbinden die antikirchlichen Kräfte seit dem 18. Jahrhundert die somit ebenso falsche Behauptung einer angeblichen Wissenschaftsfeindlichkeit der Kirche. Damit versuchte man sich wenig elegant, aber zeitweise durchaus effizient jeder geistigen Auseinandersetzung mit der Kirche zu entziehen.
Die Kirche verbindet ihrerseits mit dem Fall Galilei die beständige Mahnung vor allem an die Naturwissenschaften, jede wissenschaftliche Überheblichkeit und Arroganz abzulehnen und nicht das Machbare zum letzten Maßstab wissenschaftlichen Strebens zu erheben, sondern die Ethik und daher den Dienst an der Menschheit. Es war ein Physiker und Philosoph, Carl Friedrich von Weizsäcker, und nicht ein Papst, der von einem „schnurgeraden Weg“ von Galilei zur Atombombe sprach.